Die Szene: Castiel und Lysander auf dem Jahrmarkt
Erster Aufrtitt
Sebald: (Schreitet mit hoch erhobenem Haupt.) Welch jämmerlicher Anblick mich mal hier, mal dort erreicht. Das einfache Volk, wie es sich an der primitiven Kunst der Freude ergötzt. Wie ein Haufen wilder Tiere, mag ich gar zu sagen wagen.
Jeremias: (Der neben ihm geht.) Recht habt ihr wohl. Doch auch uns kann
diese - wie ihr erwähntet - primitive Kunst der Freude einen Hauch der Ergötzung schenken. Ein flüchtig aufblitzendes Zucken der Lippen vielleicht. Vielleicht auch mehr?
Sebald: Reine Zeitverschwendung! Wer wie wir der wahren Freude und der wahren Unterhaltung einmal in den Genuss gekommen ist, der kann keine Ergötzung an der ihren finden.
Jeremias: So denkst du, mein Freund. Ich jedoch sehe mich gerne unter denen, die unbeschmutzt von Reichtum und frei von Etikette sind. Manchmal, so wage ich zu erträumen,
da tanze ich unter ihnen, als wäre ich ein und das selbe. Getrieben von Unbeschwertheit und Leben.
Sebald: Es ist mir neu, dass Reichtum schmutzig macht. Ist nicht eher die Armut eine dunkle Wolke, der man sich nicht zu entziehen wagt, aus Unfähigkeit oder Unwissenheit? Und tanzen kannst du ebenso im Licht, mit Frauen die aus dem Kelche der Reinheit selbst getrunken zu haben scheinen und deren Lächeln selbst der heiligen Maria Konkurrenz machen.
Jeremias : Unsinn! Du zwingst mich
zum Lachen. Nenne mir eine aufrichtige Frau und einen ebensolchen Herren, der nicht der Sünde verfallen ist. Und wage es nicht dich selbst als Reinheit in Person rufen zu lassen, denn das würde dich nur zu einem Leugner und einem noch viel größeren Sünder machen. Denn das leugnen einer Sünde ist noch eine viel größere Sünde, als die Sünde, die man beging.
Sebald: Lass uns nicht über solch Nichtigkeiten konversieren. Mich langweilt es, Jeremias. Was Sünde und was nicht, lass lieber der Kirche Sorge sein. Wer hat uns zur Aufgabe
gemacht diese Entscheidung zu übernehmen?
Jeremias: Ein jeder muss sich selbst ein Maß an Sünde finden, welches er bereit ist zu fassen und es nicht zu überschreiten. So sind meine Gedanken. Aber lass das nicht den verehrten Klosterbruder Luan hören. - Doch zurück zu meinen Träumen, guter Freund.
Sebald: Lass Träume, Träume bleiben, rat ich dir. Sonst ist dein Kopf im Rausch der Verwirrung nicht fähig zwischen Traum und Echt zu unterscheiden, und du tanzt ganz
ungezügelt vor aller Welt.
Jeremias: (Leicht abwesend.) Welch Vorstellung.
Sebald: Mitnichten keine Schöne. Ein Mann wie du es bist, im Kreise fremder Schatten, die mit ihren Pfoten nach deinem Golde greifen und dir den Schmuck vom Körper reißen, als wäre es etwas Essbares. Deine Ehre, die das doch so reine Gesicht in glühender Scham abgewandt hat, dir entschwindet und deine Familie, die ihren eigenen Sohn nicht mehr erblickt, obwohl er sich doch ihren Augen nicht
entzieht.
Jeremias: (Wieder bei sich.) Du sprichst es wahr. Diesmal. Es soll wohl nur Traum bleiben. Doch den wahre ich mir und rufe ihn herbei, wann ich das Volk sehe wie jetzt, dann kann ich tanzen wie sie. Für mich ganz allein.
Sebald: So ist es gut, so richtig. So kann keine Verletzung dich ereilen. Belassen darauf, ihnen mit den Augen, den Ohren ja gar vielleicht auch der Freude zu folgen, doch mehr nun nicht. Auch wenn mich das Bilde reizt, welches du unter all
diesen Schatten hättest abgeben können, als tanzender Wirrer, mit wildem Haar und funkelndem Eifer. (Und fängt schließlich doch an zu lachen.)
Jeremias:(Steigt in das Lachen ein.)