HITZEKOLLER UND ANDERE KATASTROPHEN
Ende Juli im Norden. Der Sommer ist zurück. Affenhitze. Schwülwarm bis zum Gehtnichtmehr. Kaum auszuhalten in meiner Dachkammer. Bullenhitze. Also Dosenbier eingepackt und ab an den Elbstrand. Ich erobere mir einen Platz im Schattenland eines gewaltigen Baumes. Etwas erträglicher hier, was die Hitze angeht. Ansonsten: Zu viele Menschen. Kindergeschrei.
Frauengeschrei. Rentnerröcheln.
Mein Blick starr in Richtung blaues Nichts, Wasser und Himmel. Null Wolken. Ich trinke Bier. Mal langsam, mal schneller. Bis die ganzen Gesichter verschwimmen, unkenntlich
werden. Das Geschrei abebbt. Nur noch fernes Hintergrundrauschen wird. Stundenlang sitzen. Starren. Auf das nächste Gewitter hoffen. Zeit wälzt sich Schweißtriefend vorwärts. Die Masse Mensch verschwindet langsam, genau so wie die Sonne, die sich langsam hinter die Häuserzeilen verdrückt. Stille kehrt ein. Gut so. Ich schlafe zwischen meinen leeren Bierdosen ein. Erschöpft. Traumlos.
Wieder wach um halb drei morgens. Nackenschmerzen und Durst. Ich räume mein Lager. Sammle leere Dosen und meinen kümmerlichen Schatten ein. Ein letztes unsichtbares Pinkeln in
einen massig grünen Busch. Ich mache den Heimweg.
Durch Menschenleere dunkle Straßen. Das ist das Beste. Keine unbekannte Seele streift mein Privatsein. Sogar die Ampeln sind abgeschaltet. Schlafenszeit für brave Bürger. Ich, hellwach und
zufrieden, spaziere unbemerkt durch ihre wirren Träume.
Angekommen. Schlüssel ins Schloss. Tür auf. Abgestandene schwülwarme Luft weht mir entgegen, dazu mein
eigener allzu persönlicher Geruch. Muss nicht sein. Ich werfe meine verschwitzten Klamotten von mir ab und in eine Ecke. Schnell unter die Dusche. Kaltes Wasser drischt auf meine Haut. Mein Atem stockt. Dann wird es besser. Leidlich erfrischt raus aus
dem Bad. Nackt und nass lege ich mich unter den heftig drehenden Ventilator unter der Decke. Luftzug streichelt meine Haut. Das kühlt etwas ab. Ich fühle mich gut, gesund und munter.
Ich knipse den Fernseher an. Sondersendung brüllt mich an. Auf allen Kanälen. Schreiend. Hektisch.
Ich bleibe auf einem öffentlich - rechtlichen Sender hängen. Ein
Kerl in seriösem grauen Anzug und einer Frisur die Neunzehnhundertfünfundsechzig schwer in Mode war, serviert dem Volk die allerneuesten Katastrophen:
Viele Tote, noch mehr Verletzte, in Reutlingen, München, Ansbach, und sonst wo. Erschossen. Zerhackt. Explodiert. Er spricht von Terror. Amok. Bärtigen Islamisten. Psychischen Defekten. Perfiden Anschlägen auf unsere Freiheit, unseren Lifestyle.
Ich höre nur halb hin. Das professionell vorgetragene Horrorbild berührt mich kaum. Null Emotion meldet sich in meinem Inneren. Keine Betroffenheit. Kein Bedauern.
Zuviel dieser Art abrupter Lebensverkürzung hat es in jüngster
Vergangenheit gegeben. kürzlich in Nizza, vergangenes Jahr in
Paris. Und täglich in Syrien, im Irak, Pakistan, Israel/Palästina, in Lybien, Afrika... .Relativ weit entfernt. Jetzt ist der Terror in unserem Land angekommen, vermeldet der Nachrichtenmann sorgenvoll.
Und betet sogleich die immer gleichen Fragen zu diesem Thema
herunter. Zugeschaltet werden jede Menge Polit - Profis, die die
Gelegenheit nutzen immer dieselben Antworten zu geben. Sauber eingeübtes Geschwafel. Hohle Satzfesten.
Worthülsen. Abgeschmackte Klischees. Und immer wieder der unmissverständliche Hinweis das es hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Das gilt natürlich nur für das verzichtbare Volk, das Stimmvieh. Sogenannte Volksvertreter werden gut beschützt. Ihre Angst hält sich sichtlich in Grenzen.
Dann folgen wie immer die auswendig gelernten Fragen nach dem Warum und Weshalb. Jede Menge selbsternannter Experten marschieren auf und verkünden schamlos ihr angelesenes Halbwissen. Schwadronieren von akuter Radikalisierung, labilen Persönlichkeiten, strategischen
Nadelstichen und historischen Zusammenhängen die kaum ein Mensch versteht. Mehr und mehr fühle ich mich angeödet von soviel Dummheit, dem widerwärtigen Gefasel wichtigtuerischer Hohlköpfe.
Doch noch nicht genug.
Ein echter Angstforscher erklärt uns was da in uns vorgehen soll. Jetzt und für alle Zeiten. Sicherheit ist eine selbstgerechte Illusion, sagt er. Ganz ernst und unglaublich blöde.
Ich schalte ab. Genug gesehen. Viel zuviel gehört. Doch nicht schlauer als zuvor. Hunderte Male schon diese Fragen gehört, die immer gleichen Antworten vernommen. Nichts wird sich
jemals ändern. Sprachliche Akrobatik ohne Nutzwert. Und wie schon so oft aufgezeigt bekommen wie ich mich nun zu fühlen habe.
Wem nützt das?
Mir jedenfalls nicht.
Und die Toten bleiben tot. Die Verwundeten werden irgendwann genesen. Was aus ihnen wird, wird uns die Boulevard - Presse näher bringen. Alles wird gut.
Ich lege mich auf mein Bett. Schlafe ein. Traumlos. Hilflos, Angstfrei.
Text: harryaltona
Cover: Rainer Sturm/www.pixelio.de