Kapitel 30 Aussprache
Die Sonne stieg grade erst über den Horizont. Mit den ersten, wärmenden Strahlen schwand auch der Bodenfrost etwas und verwandelte die platt getretenen Wiesen in eine Schlammwüste, durch die sich kleinere und größere Trupps aus Gardisten schleppten. Vermutlich planten Wys und die übrigen Befehlshaber bereits den Aufbruch und es würde nicht mehr lange dauern bis die nun von tausenden zelten bedeckte Ebene als leere , zertrampelte Fläche zurück bleiben würde.
Zu Merls Überraschung war Armell
bereits auf, als er ihr Zelt schließlich erreichte. Die junge Adelige kniete vor einer simplen Feuerstelle auf der Erde und warf kleine Zweige in die Flammen, wann immer sie auszugehen drohten. Darüber köchelte auf einem einfachen Gestell aus Steinen bereits ein Topf mit Wasser. Wie Merl sie so betrachtete, fiel es ihm schwer sich vorzustellen, dass sie jetzt eigentlich in einer Halle auf Hamad sitzen sollte um die Insel zu regieren. Stattdessen trug sie schlichte , von Schnee und Schlamm beschmutze Kleider und kochte Tee. Und dennoch hatte sie auf ihn nie schöner gewirkt, als in diesem Augenblick, mit der aufgehenden Sonne im Rücken, die ihr braunes Haar
zum Leuchten brachte. Ein dünnes Lächeln stahl sich auf seine Lippen und zumindest ein Teil der rumorenden Wut in ihm verrauchte schlicht. D
Dennoch bemerkte Armell sofort, dass etwas nicht stimmte, als sie ihn schließlich bemerkte. Er konnte es ihr ansehen, wie sie die Stirn plötzlich in Falten legte. Doch sie sagte nichts, während er sich ebenfalls wortlos an das Feuer setzte. Bis jetzt hatte er die Kälte kaum gespürt, die ihm in die Glieder gekrochen war, nun jedoch prickelten seine Finger und Hände während er sie den Flammen entgegen streckte.
Armell hatte derweil ein Tuch um die Griffe des Topfs auf dem Feuer
geschlungen und goss den Inhalt in zwei Becher. Der Geruch von frischem Tee schlug Merl entgegen, als sie ihm wortlos einen der Becher hinhielt. Irgendwie erinnerte es ihn an ihre Kindheit. Armell hatte fast mehr Zeit auf dem Rabenkopf verbracht als in Freybreak. Damals war es Zachary gewesen, der die durchgefrorenen Kinder irgendwann herein rief, wenn er Merl unterweisen… und sie beide wohl daran hindern wollte sich Erfrierungen einzufangen. Und es war Zachary gewesen, der ihnen wortlos Tassen mit heißem Tee oder Schokolade gereicht hatte, der seltsame stumme Zauberer, vor dem Merl sich damals noch gefürchtet
hatte. Sie waren nur Kinder gewesen. Armell war immer die Abenteuerlustige von ihnen, die, die die Höhen und geheimen Winkel der Berge Silberstedts und von Zacharys Anwesen auskundschaftete… und ihn dabei meist ob er wollte oder nicht mit schleifte. Damals hatte er sie gefragt ob es ihr eigentlich gefiel, sich ins ungewisse zu stürzen. Und Insgeheim fragte er sich nun , was sie jetzt wohl antworten würde. Die Antwort würde kaum dieselbe sein wie vor all diesen Jahren, dafür hatten sie beide zu viel erlebt.
Er nahm vorsichtig einen Schluck Tee und erneut schien es ihm ein Stück besser zu gehen. Nicht viel. Und doch
besser. Er zwang sich zu einem schiefen Lächeln, das Armell immer noch nicht sonderlich zu überzeugen schien.
,, Es ist nicht gut gelaufen, wie ?“ Nein, Nein das war es nicht. Sie musste nicht fragen, wo er gewesen war.
,, Er ist ein ungehobelter, verblendeter Bastard.“ Merl musste ihr nicht erklären, wen er meinte. Sie wusste es , genauso wie sie wusste, wo er gewesen war.
,,Ohne Zweifel.“ Irgendetwas an ihrer Stimme klang beinahe belustigt. ,, Und nicht unbedingt ein guter Vater ?“
,, Dazu müsste er mich überhaupt erst einmal beachten.“ , knurrte Merl düster. ,, Wenn er uns nicht allen grade den Tod
wünscht.“
,, Stimmt auffallend.“ Wieder dieser seltsame Unterton. Nahm sie ihn nicht ernst? Nein, er kannte Armell besser als das.
,, Und warum fühle ich dann immer noch so etwas wie Mitleid mit ihm ?“ , fragte er und diesmal schmunzelte Armell tatsächlich. ,, Ist daran irgendetwas lustig ?“
,, Ich dachte nur immer, das ich mich mit meinem Onkel nicht gut verstehe. Aber im Gegensatz zu euch scheint mir das im Nachhinein geradezu harmlos. Du würdest ihm gerne vergeben, oder?“
Merl zögerte mit der Antwort. ,, Wenn es irgendeinen Grund dazu gäbe,
vielleicht.“ Und vielleicht wünschte er sich sogar, dass er über das Hinwegsehen könnte, was dieser Mann war. Aber ob das noch möglich war… ,, Er hätte mich getötet, wenn er gekonnt hätte, sogar meine Geburt verhindert. Desto früher wir das hier alles hinter uns bringen, desto früher kann ich ihm aus den Augen gehen.“
Und was dann mit Zachary geschehen mochte ? Er wusste es nicht. Aber wenn Ismaiel sich weigerte ihn gehen zu lassen… wer könnte ihn daran hindern? ich, dachte Merl düster, während er in seinen Tee starrte, als könnte ihm sein eigenes, verzerrtes Spiegelbild irgendeine Antwort geben. Wenn es
jemanden gab, der sich gegen den uralten Magier behaupten konnte, dann war er das.
Er sah auf, als er merkte, wie Armell sich vom Feuer erhob. Und als er ihrem Blick folgte, sah er schließlich den einen Mann den er im Augenblick am aller wenigsten gebrauchen konnte.
Ismaiel war mehrere Schritte von ihnen entfernt stehen geblieben, die Hände in den Ärmeln seiner , nein von Zacharys, Robe verschränkt . Eine Weile, Merl wusste nicht zu sagen wie lange genau, starrten sie sich nur an, warteten vielleicht darauf, wer das Schweigen zuerst brechen würde. Doch diesen gefallen würde Merl ihm nicht tun. Wenn
es sich irgendwie vermeiden ließ würde er kein Wort mehr mit diesem… Ding wechseln, das sich sein Vater nannte. Dann jedoch geschah etwas, mit dem er nie gerechnet hätte.
Der alte Magier senkte den Kopf, stand einen Augenblick gebeugt da. ,, Können wir reden ?“
Ein Teil von ihm, der größere, wollte ihn anschreien, ihn verjagen Hauptsache, er musste ihn nicht mehr sehen.
Armell legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter, bevor sie für ihn antwortete: ,, Natürlich.“
Trotzdem blieben sie einen Moment noch alle stehen wo sie waren. Armell war die erste, die sich wieder ans Feuer setzte
und Ismaiel trat schließlich zögerlich näher. Wortlos nahm er einen weiteren Becher Tee entgegen, bevor er sich, die Beine überschlagen zu ihnen setzte.
,, Es tut mir leid.“ , sagte er schließlich, an niemand bestimmtes gerichtet. ,, In dieser Form fällte es mir schwer, mich zu konzentrieren. Woran dein Meister nicht ganz unschuldig ist.“
,, Das ist keine Entschuldigung.“ , meinte Merl ohne ihn anzusehen.
,, Es soll auch keine sein.“ Da war sie wieder, diese Verachtung, die sich in seine Stimme schlich. ,, Ich versuche nur zu erklären, warum ich die Geduld mit dir verloren habe. Eine Entschuldigung wäre nur Nötig, wenn es
etwas zu verzeihen gäbe.“
Merl verbiss sich eine Erwiderung. Nicht vor Armell. Und er würde Ismaiel ganz sicher nicht den Triumph gönnen ihn so schnell aus der Reserve zu locken. Doch als er den Blick hob, saß dieser immer noch mit gesenktem Kopf da und stocherte mit einem Ast im Feuer.
,, Ich bin nicht was du erwartest und sind wir ehrlich… ich werde es nie sein. Aber für dich tut mir das Leid.“
,, Du hättest sie getötet.“ Merl war nicht bereit, ihn so einfach davon kommen zu lassen.
,, Vielleicht.“ , gestand Ismaiel. ,, Und vielleicht auch nicht. Es war noch nie nötig. Und letztlich starb sie ohne mein
Zutun, nicht? Und ich habe Zachary zu dir geführt…“
,, Weil du einen Körper brauchtest. Glaub mir ich habe keine großen Erwartungen mehr. Aber wenn du glaubst ich bin dumm, dann geh besser jetzt.“ Merl war aufgestanden , starrte auf den Mann hernieder, der ihm nach wie vor nicht in die Augen sehen wollte.
,, Nicht dumm. Nein das ganz sicher nicht.“ Endlich sah Ismaiel auf. ,, Aber so unerfahren. So schwer es mir fällt mir das einzugestehen. Du bist alles, was von meinem Volk noch übrig ist. Und doch bist du kaum mehr als ein Kind. Selbst wenn ich ein Jahrhundert Zeit hätte, dir alles beizubringen, es würde
nicht ausreichen, dir auch nur das Wissen eines Kindes meines Volkes zu vermitteln. Es würde Vor dem hundertsten Lebensjahr wurde bei uns selten jemand auch nur als Erwachsener angesehen.“
,, Wir sind also alle nur Kinder für euch ?“ , fragte Armell.
,,Kinder die mit Mächten agieren die sie nicht verstehen. Brutale, unzivilisierte Kinder, die nicht wissen, dass sie die Welt mit ihren Taten in Brand stecken könnten.“
,, Was und deshalb habt ihr das Recht uns zu vernichten ?“
,, Ich habe versucht meine Art zu retten, Junge. Das ist mehr als man von eurem
Kaiser behaupten kann. Er hat nur zugesehen, als er noch handeln konnte. Vielleicht liegt es jetzt an uns beiden, diesen Fehler zu korrigieren.“ Ismaiel ließ eine Hand in er Tasche seines Mantels verschwinden. Als er sie wieder hervorzog lag etwas darin, das Merl zum letzten Mal vor einem gefühlten leben gesehen hatte. Ein tropfenförmiger, blauer Stein in einer Fassung aus Silber. Eine feingliedrige Kette hing davon herab, angelaufen vom Alter. ,, Ich denke du solltest das hier haben. Zumindest meint Zachary das wohl.“
Einen Moment war er Versucht, das Geschenk abzulehnen. Sollte das etwa eine Entschuldigung
sein?
Merl sah auf und direkt in diese von grünem Feuer erfüllten Augen, die Zachary gehörten und doch gleichzeitig nicht. Dann schloss seine Hand sich um das Amulett.
,, Das hat nichts zu bedeuten.“ , erklärte der Magier kühl und Merl nickte lediglich. ,, Ich habe lediglich keine Verwendung mehr dafür. Es wäre schlicht Verschwendung es zu behalten. Du jedoch wirst seine Macht gut gebrauchen können. Und ich werde deine Hilfe noch nötig haben.“
Nun er würde zumindest nicht zugeben, dass es eine Entschuldigung war, dachte Merl, als er die Kette über seinen Kopf
streifte. Das Gewicht der Träne auf seiner Brust war vertraut und unangenehm zugleich. Es gehörte ihm nicht. Es gehörte Zachary. Aber Zachary… war nicht hier.
,, ich nehme es nur, bis mein Meister sie zurück will.“ , erklärte er und der warnenden Unterton in seiner Stimme entging Ismaiel wohl nicht.
Der alte Magier seufzte. ,, Wir werden uns darüber unterhalten müssen, schätze ich. Aber nicht heute. Eines Tages wirst du mich vielleicht besser verstehen.“ Merl bezweifelte es. ,, Und dennoch gibt es Dinge, die du besser vorher erfährst. Du bist jetzt alles, was von meiner Art noch übrig ist. Ich bin nur noch ein
Geist und selbst wenn ich die Kraft aufbringen kann, weiterzumachen… ich will nicht, das die Geschichte meines Volkes mit mir gestorben ist. Wirst du mir zuhören?“
Merl nickte. Zumindest das konnte er tun.
,, Mein Volk glaubte, dass es von den Sternen abstammte. Von einem Wanderer in der Leere der alten Zeit, als noch alles ungeformt und die Welten nichts als Staub waren. Ein Wesen, das aus dem Nichts kam und vielleicht wieder dorthin verschwand. Der Sternenschmied. Doch die große Leere der Welt erfüllte jenes Wesen mit Trauer und so nahm er die Nebel und verdichtete sie und schlug in
einer Esse den ersten Funken daraus. Diese Funken wurden zu den ersten Sternen und erhellten das Dunkel für das erste Mal in Äonen. Die Nebel wichen zurück und was einst bloße Leere gewesen war, wurde zu einem Meer aus glimmenden Diamanten. Die Sterne jedoch wollten nicht das einzige im Dunkeln bleiben und so wendeten sie sich an den Schmied mit ihrer Bitte, die Welten füllen zu dürfen. Und der Sternenschmied erhörte sie. Einer der ihren wurde auf dem Amboss gelegt und geformt, seine Überreste über die leeren, kalten Welten verteilt. Noch waren sie Karg, als die Funken des Lebens über ihnen neidergingen, doch mit der Zeit
spross das erste Leben, Pflanzen, Tiere in tausenden Formen und die Sterne erfreuten sich eine Weile daran. Doch dann wollten sie ein Wesen finden, das für die Welt die sie erschaffen hatten nicht taub und tumb war. Eines, das wie sie die Schöpfung verstehen und formen konnte. Und so erwählten sie sich einige der entstandenen Wesen und gaben ihnen die Kraft des Denkens und des Erkennens, wie sie sie besaßen.
Der Sternenschmied, der über all diese Zeit durch die Leere gewandert war, besaß sich die Schöpfung seiner Sterne und wie diese erwählte auch er schließlich eine Art. Wesen, die wie er den Willen besaßen die Welt
umzuformen, doch mit bloßem Willen und unendlicher Geduld und Ausdauer. Dieses Volk wurde zu den Zwergen… Und vielleicht erklärt es auch, warum sie so resistent gegen Magie und für die Unsterblichen so schwer zu korrumpieren sind. Sie sind aus ihrer reinsten Form geschaffen worden, vom ursprünglichen Funken aller Dinge.
,, Und die Erwählten der Sterne, wurden zum alten Volk nehme ich an ?“
Ismaiel nickte. ,, Aber nicht nur. Einer der Sterne stieg zu ihnen herab und bot ihnen einen Teil des Funkens an, den der Sternenschmied einst ihn ihnen schlug. Den Funken der Magie. Die Macht die Welt zu formen wie sie es vermochten.
Diejenigen die dieses Geschenk annahmen, wurden zu den ersten Mitgliedern des alten Volkes. Doch gab es unter ihnen auch jene, die die Gabe der Sterne ablehnten und die Welt lieber weiterhin mit ihren eigenen Händen beherrschen wollten, wie es die Zwerge taten und wie sie es seit dem Erwachen ihrer Intelligenz getan hatten. Es kam zu einem Streit und die Sterne begannen den freien Willen ihrer Schöpfung plötzlich zu fürchten. Sie hatten Wesen nach ihrem Bild gewollt, nicht etwa welche, die sie ablehnten und sie fürchteten. Die Folge war ein Krieg. Der erste krieg, der jemals geführt wurde. Das alte Volk vertrieb jene, die die
Gaben der Sterne abgelehnt hatten in den eisigen Norden ihrer Welt wo sie zu den ersten Menschen wurden. Wie sie in der Ödnis überlebten ist mir nicht bekannt, doch sie taten es. Vielleicht hatte sich der Sternenschmied in ihr Schicksal eingemischt, als er sah, wie die Schöpfungen die aus seiner Schmiede hervorgingen sich gegeneinander wendeten. Und vielleicht gab es noch andere Wesen wie ihn, die Mitleid mit den Menschen hatten, wer weiß? Doch unter den Menschen entstanden nach ihrer Vertreibung mächtige Führer, die ersten Seher, die sie auch in den unwirtlichen Eiswüsten am Leben
erhielten.
Währenddessen wuchs das alte Volk heran und wir vergaßen unsere Ursprünge. Und schließlich hatten wir selber Versucht, den Funken der Göttlichkeit zu replizieren unsere eigenen Götter und Schöpfungen zu formen. Wie das Ausging, wisst ihr ja mittlerweile. Mein Volk ging unter und die letzten Überlebenden gingen in der Menschheit auf. Ich schätze, all eure Magie heute stammt immer noch aus diesen wenigen Vereinigungen. Vermutlich ist also mittlerweile euer ganzes Volk mit Spuren des alten Bluts durchsetzt.“
,,Und die Gejarn ?“ , wagte Merl
schließlich zu Fragen. ,, Du hast sie nicht erwähnt.“
,, Ein Mysterium. Selbst ihre Seelen verhalten sich anders als die der Sternengeschaffenen Rassen. Sie sind nicht an die goldenen Hallen gebunden wie wir. Vielleicht wurde sie von demselben Wesen geschaffen, das dereinst die Menschen rettete? Und vielleicht ist alles, was ich euch grade erzählt habe auch nur eine alte Geschichte…“
,, Und der Schmied ? Was wurde aus ihm?“
,, Wer weiß. Vielleicht ist er noch immer irgendwo da draußen, weiter hinaus in die Leer gewandert um neue Welten zu
erschaffen. Und vielleicht ist er gestorben? Wer weiß schon, ob die Götter wirklich Unsterblich sind. Er scheint sich jedenfalls nicht mehr um uns zu kümmern, als die Unsterblichen. Und wir verlassen uns besser auch nicht darauf. Nein, wir werden es alleine sein, die dem roten heiligen entgegen treten.Und er wird mich persönlich herausfordern wollen. Ich habe seinen Herrn einmal fast vernichtet. Und der Herr der Ordnung ist ein nachtragendes Wesen. Er wird sich die Rache nicht entgehen lassen…