Kurzgeschichte
Man soll den Tag nicht vor den Abend loben

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"Nur weil ein Tag beschissen beginnt, heißt es noch lange nicht, das er auch so enden muss"
Veröffentlicht am 16. Juli 2016, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Nur weil ein Tag beschissen beginnt, heißt es noch lange nicht, das er auch so enden muss

Man soll den Tag nicht vor den Abend loben

Titel

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, heißt ein altes Sprichwort und hat recht. Der Tag begann einfach nur beschissen. Zuerst kam ich nicht aus dem Bett, obwohl ich beizeiten eingeschlafen war und auch ziemlich durchgeschlafen hatte. Dennoch war ich so müde gewesen, als wäre ich erst vor wenigen Stunden ins Bett gegangen. Als ich dann noch sah, das es in Strömen regnete, kam ich noch schwerer aus dem Bett. Ein bisschen Regen hätte mich nicht gestört, da hätte ich immer noch sorglos mit meinem Rad fahren können.

So musste ich aber eine Fahrkarte kaufen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen, die bei so einem Wetter stets überfüllt waren. Bei meinem Glück verpasste ich auch noch den Anschlussbus und kam dadurch zu spät zur Schulung. Ausgerechnet an dem Tag, als die Chefs diverser Firmen anwesend waren und mit uns Vorstellungsgespräche führen wollten. Unpünktlich sein macht da natürlich gleich einen super Eindruck. Das Gespräch selber lief auch nicht so, wie erhofft. Eigentlich sollte es meine Chance sein in ein Arbeitsverhältnis zu kommen, aber ich gehörte zu den Wenigen, die weiterhin Geld vom Amt

beziehen durften. - Welch Freude! Als dann alle fertig waren, durften wir dennoch nicht gehen. Wir mussten alle brav bis zum Feierabend da bleiben. Und die Zeit zog sich endlos dahin. Fast vier Stunden mussten wir durchhalten. Erst dann läuteten die locken zum Feierabend. Alle stürmten raus und stolperten über sich. Nur ich blieb sitzen und wartete geduldig darauf, das der Strom ein ende nahm und ich gemütlich hinausspazieren konnte. Als ich draußen auf dem Hof stand, erschrak ich kurz. Aber gleich darauf dämmerte es mir wieder. Da der Himmel strahlendblau war und man nicht mehr sah, das es geregnet hatte, hatte ich

nicht gleich daran gedacht, das ich diesmal mit Bus und Bahn zur Schulung gefahren war, anstatt, wie sonst, mit dem Fahrrad. Deswegen hatte ich für einen Augenblick lang geglaubt, das mein Rad gestohlen wurde. Zum Glück war das ein Irrtum gewesen. Nur wenige Minuten vorm Aussteigen setzte sich eine junge Dame neben mich. Ich hatte es nicht gleich registriert, weil meine Nase in einem spannenden Buch steckte. Erst als sie mich ansprach, bemerkte ich sie. Gleichzeitig entdeckte ich eine junge Dame, die mich wieder einmal seit Tagen ignorierte. „Kannst du mir sagen, wo ich aussteigen muss?“, fragte mich die junge

Dame. Sie hielt mir einen Zettel mit einer Adresse hin. Wo sie aussteigen musste, konnte ich ihr sagen, aber von da aus waren es noch ein paar Meter, bis zum Ziel. Vorsichtshalber fragte ich sie, ob sie wisse, wie sie von der Haltestelle bis zu ihrer gewünschten Adresse gelange.Da sie verneinte und ich ihr den Weg nicht erklären konnte, zumindest nicht so, das sie es auch verstand, fragte ich sie, ob es ihr lieber wäre, wenn ich sie bis zu ihrem Ziel bringe oder sie sich lieber durchfragen will. Sie lächelte mich bezaubernd an und bedankte sich für meine Hilfe. Dann stellte ich mich ihr

vor. Es war schön, wie sie mich ansah und dann noch der eifersüchtige Blick von der anderen. Besser konnte der Tag nicht zur Neige gehen. Das einzige Problem, was ich noch hatte, war meine volle Blase. Ich hätte aussteigen und bei mir gehen können, aber ich hatte dem Mädel versprochen sie zu führen. Und was man verspricht, muss man auch halten. Es war schön zur Abwechslung mal jemanden neben sich zu haben, die Schritt hielt. So schnell laufe ich gar nicht. Die anderen sind nur zu langsam. Dafür geben sie an, wenn sie auf einem Rad

sitzen. So weit war der Weg nun auch wieder nicht gewesen. Er zog sich nur, weil ich dringend mal musste. Und als wir endlich am Ziel waren, konnte ich es nicht erwarten mich von ihr zu verabschieden und mich in einem Gebüsch zu erleichtern. „Wartest du hier? Ich geh nur schnell was abgeben, dann bin ich wieder unten. Ehrlich gesagt habe ich mir den Weg nicht gemerkt und es wäre nett, wenn du mich zur Haltestelle bringen würdest.“ Im ersten Augenblick wollte ich ihr sagen, das ich keine Zeit habe, aber gleich darauf besann ich mich wieder

und sagte ihr, das ich auf sie warten werde. Zwar nicht hier, aber an der nächsten Ecke, da ich finde, das es blöd aussieht, wenn man so vor einem Haus steht. Sie fand es zwar seltsam, aber akzeptierte es. Und als sie endlich außer Sichtweite war, rannte ich zur nächsten Hecke, stellte mich so hin, das ich nicht gesehen werden konnte und erleichterte mich. Was für eine Wohltat. Eine Minute länger und es wäre in die Hose gegangen. Zu sich nach Hause brachte ich sie nicht. Wir liefen gemeinsam zurück zur Haltestelle, unterhielten uns ein bisschen und stieg dann an meiner Station aus. Zum Abschieds gab es nur ein „Dankeschön nochmal.“ Kein Kuss,

kein Händeschütteln, kein Austausch von Telefonnummern. Es war eine einmalige Begegnung. Als ich zu Hause ankam, bemerkte ich, das ich eine Nachricht bekommen hatte: „Ist das deine neue Freundin?“ Kaum gelesen, löschte ich die Nachricht auch schon wieder. Irgendwie war mir klar gewesen, das sie sich nach der Begegnung bei mir melden würde. Ich hatte einiges auf der Zunge, was ich ihr hätte antworten können. Aber anstatt ihr zu schreiben, schaltete ich mein Handy aus und genoss die Ruhe, die mich umgab. Es war eine der wenigen Abende, wo ich es genoss, allein zu sein. Wie lautet ein anderes Sprichwort? Man

sieht sich im Leben immer mindestens zweimal. Da bin ich ja mal gespannt, ob ich die junge Dame noch einmal wiedersehen darf.

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