Kapitel 21 Die Geweihte
Janis zog sich den Schal den er um den Hals trug ins Gesicht, als sie in das Gewirr der Tempelbaustelle eintauchten. Das einstmals weiße Tuch hatte mittlerweile durch Staub und Feuchtigkeit die Farbe von Rost angenommen und lies kaum noch Luft hindurch. Trotzdem war es besser, als den allgegenwärtigen Dunst einzuatmen, der vom Boden und auch von den Arbeitszelten der Steinmetze aufstieg. Mit der Eroberung von Silberstedt hatte auch der Bau des Tempels einen gewaltigen Aufschwung erlebt. Das
Silber aus den Minen des Nordens hatte dafür gesorgt, das den Kultisten des Herrn der Ordnung nun fast unbegrenzte Finanzielle Mittel zur Verfügung standen… und was den Transport und Abbau anging, so fanden sich genug Arbeiter, ob Freiwillig oder nicht, die aus dem Süden und Osten herangeschafft wurden. An Feinden, die man zur Sklavenarbeit verdammen wollte, mangelte es ihnen definitiv nicht. Aber vielleicht waren das alles auch nur Gerüchte. Janis wusste es nicht, doch den Effekt, den der endlose Strom aus Edelmetallbarren hatte, den konnte er mehr als deutlich vor sich sehen, während sie einem Pfad die Flanke des
Hügels hinab folgten. Bereits auf halbem Weg fanden sich die ersten Zelte. Einfachen Gestelle, über die man dichtes, weißes Leinen gespannt hatte, das die Sonne ausblockte und unter denen die Steinmetze mittlerweile filigraneren Arbeiten nachgingen. Die Mauern des Tempels und der Schutzwall standen, doch noch wirkten die behauene Granit und Marmorblöcke Schmutzig und roh, die glitzernden roten und weißen Andern im Gestein trüb. Und die Straßen, die den Hang hinauf führten waren lediglich Staubpisten und wirkten vor dem Prachtbau mehr als Schäbig. Eine halbe Hundertschaft Handwerker war deshalb dabei, Reliefs für die
Außenseite des Komplexes zu fertigen, große Marmorplatten zu schleifen und Fliesen heraus zu schneiden. Das Singen der Hämmer hallte war über die ganze Ebene hinweg zu nehmen und die Arbeiter mussten einander zurufen, um sich überhaupt noch verständlich zu machen. Ganze Körbe voller Steinsplitter türmten sich neben den Gestellen der Steinmetze auf, die mit Meißeln, Hämmern und Schleifsteinen zu Werke gingen. Kleine Funken stoben auf, wann immer ein Meißel auf den Felsen herabfuhr um die gröberen Stücke in Form zu bringen. Auch wenn sie unter dem Schatten einiger aufgestellter Zeltdächer saßen, stand den meisten der
Schweiß auf die Stirn. Ein Fehler und die dünnen Platten, die sie mühsam aus dem Felsen herausgearbeitet hatten, brachen entzwei und machten damit die Arbeit von Tagen und Wochen zu Nichte. Die großen Schutthalden rings um die Verschläge der Handwerker sprachen Bände davon. Geborstene Reliefs und Fliesen ragten als scharfkantige Finger aus dem Abraum heraus und bildeten eine eigene, kleine Mauer, durch die lediglich einige Pfade hindurch führten, die die Arbeiter ausgetreten hatten.
Einst würde der ganze Weg hinauf zum Tempel einschließlich des Platzes davor mit Platten aus rotem Marmor überzogen sein, in denen weiße Adern glitzerten.
Und wenn Janis sich ansah, welches Tempo die Männer vorlegten, würde das eher früher als später der Fall sein. Aiden besah sich die auf langen Barren gelagerten Reliefs im Vorübergehen. Zwischen die einzelnen Platten, die später an der Außenwand des Gebäudes angebracht werden würden, hatte man schwere Seidentücher gelegt, damit sie nicht zerkratzten und damit war immer nur die oberste Tafel zu sehen. Es waren religiöse Insignien der Ordnung, wie Janis feststellte. Das Symbol einer Spinne um genau zu sein, die Mitten in ihrem Netz saß. Dazu kamen Runen und Piktogramme, die jenen ähnelten, welche man auf den zerfallenen
Bauwerken fand, die im Tal verstreut standen. Die Sprache des alten Volkes… Die Runen hingegen waren die Symbole der Amtssprache Cantons und, so vermutete er zumindest, wohl eine Übersetzung des darüber angebrachten Textes.
,,Das große Werk ist bald vollbracht… Ordnung und Licht.“ , zitierte Aiden neben ihm. ,, Und beten wir alle dafür, dass es stimmt. Dieser Konflikt dauert jetzt schon zu lange. Die Leute wollen heim… Sie haben sich Frieden verdient…“
,, Wir alle haben das. Doch ohne Blut kann es keine großen Taten geben.“ , meinte eine Stimme neben ihm.,,
Zumindest ist das die Auffassung des roten Heiligen.“
Janis und sein Begleiter wirbelten fast zeitgleich herum, nur um sich Auge in Auge mit einer in schlichte, braune Roben gekleideten Gestalt zu finden. Die Frau war ein gutes Stück kleiner als er, doch bereits ein Blick in ihre Augen reichte für Janis aus, um zu wissen, dass sie das keinesfalls weniger gefährlich machte. Das feine Kribbeln der Magie, das sie wie ein Schleier umgab war für ihn wie Nadelstiche. Sie war eine Geweihte…
Das Symbol der roten Hand prangte fast wie eine aufgerissene Wunde auf Brust und Rücken des Umhangs den sie trug.
Unter der weiten Kapuze funkelten ihn rötliche Augen an, die ohne diesen Schimmer vielleicht sanft zu nennen gewesen wären. So jedoch fehlte ihnen scheinbar jegliche Wärme, trotz des inneren Feuers darin. Das dazugehörige Gesicht war jung und war, soweit Janis das erkennen konnte, wohl einst hübsch gewesen. Nun jedoch war eine Hälfte davon fast vollständig von einem dunklen Makel verschlungen worden, ein verdrehter Abdruck in der Form eines Sterns, von dem sich schwarze Ausläufer über Augen, Kinn und Wange zogen. Ein paar Strähnen braunen Haares wehten unter ihrer Kapuze hervor, doch selbst der Geruch davon war falsch, ohne das
Janis hätte sagen könne, woran er das festmachte. Wonach roch das Haar einer Frau? Nicht auf subtile Art beunruhigend jedenfalls… und gleichzeitig faszinierend gefährlich.
,, Ehrwürdige Schwester Amatheris…“ Aiden verbeugten sich knapp, sobald er sie erkennte, während die Geweihte unter einem der Zeltdächer hervortrat, die den Steinmetzen als Schutz dienten. Falls ihr die Sonne und die Temperaturen zusetzen, so zeigte sie es jedenfalls nicht, während sie zuerst den Vorarbeiter und dann Janis betont langsam musterte. Einen Moment war er sich nicht sicher, was er davon halten sollte, derart begutachtet zu werden. Dann jedoch
zeigte sich etwas auf ihrem Gesicht, das er bisher bei keinem der anderen Geweihten je gesehen hatte. Verwunderung, gefolgt von einem Lächeln, das ihr nicht richtig gelingen wollte, als sei es zu lange her, dass sie ernsthaft gelacht hatte. Die versehrte Hälfte ihres Gesichts schien sich dabei tatsächlich etwas aufzuhellen, als würde die Glut der Magie, die sie langsam verzehrte durch diese schlichte Geste etwas gebremst.
,, Man möchte meinen, ihr hättet mittlerweile gelernt, mich nicht mehr beim Namen zu nennen.“ , meinte sie in leicht vorwurfsvollem Ton an Aiden gerichtet. ,, Unsere Namen sind
bedeutungslos, wenn wir uns in den Dienst des Herrn stellen. Ihr wisst das…“
Träumer hatte ihm ja bereits erzählt, dass viele der höheren Diener des Herrn der Ordnung ihre Namen ablegten oder andere benutzten. Er selber war wohl das beste Beispiel dafür. Gleichzeitig jedoch wurde ihm nun erst bewusst, was das wirklich für sie bedeutet. Die Geweihten gaben ohnehin bereits viel auf, sogar ihre Menschlichkeit, wie es schien… Wie lange konnte man sich derart selbst verleugnen, ohne einfach den Verstand zu verlieren?
,, Natürlich…“ Der Vorarbeiter gab sich derweil betreten, oder war es tatsächlich
und sah weg. Amatheris wendete sich derweil wieder Janis zu, auch wenn sie nach wie vor mir Aiden sprach. ,, Ich habe gehört, ihr hattet ein kleines Zusammentreffen mit einem der Geweihten oben am Tempel ?“
Es war seltsam einen Geweihten des Herrn der Ordnung so… unförmlich und offen sprechen zu hören, dachte er. Normalerweise kam es selten genug vor, das eine der vermummten Gestalten überhaupt mal etwas sagte und wenn, dann klang ihre Stimme normalerweise kalt, rau und ohne jede echte Emotion. Sie hingegen schien sich irgendwo einen Funken Menschlichkeit bewahrt zu haben. Auch wenn ihm der Blick mit
dem sie ihn immer noch bedachte gar nicht gefiel. Ihre Augen waren wie Kohlen, darin unterschied sie sich in keiner Weise von den übrigen Erwählte des Herrn der Ordnung. Dunkle Brunnen, um die infernales, ewiges Feuer brannte, genauso wie in ihren Adern die Magie tobte. Janis fühlte sich von diesen Augen gleichzeitig verschlungen und fasziniert. Allerdings nur so weit, das er selbst nicht zu sagen wusste, ob er davon abgestoßen war oder nicht…
,, Er hat einen meiner Leute fast getötet.“ , erklärte Aiden derweil , während Amatheris Blick immer noch auf Janis ruhte. ,, Der arme Jorick kann
bis heute nicht wieder richtig arbeiten. Ich habe ihn zu den Heilern schicken müssen und solange er krank ist, bekommen er und seine Familie nur halbe Rationen. Die Leute kommen doch überhaupt nur hierher, weil es Arbeit gibt… Der Kreuzzug hat die Felder und die Heimat vieler zerstört, sie hoffen zumindest hier zu Überleben….“
,, Manchen steigt die Macht zu Kopf… Ich werde sehen was ich tun kann, Aiden, mehr kann ich euch nicht versprechen, das wisst ihr.“ Janis machte den Versuch, den Blick von Amatheris abzuwenden, fand sich jedoch kaum in der Lage, den Kopf zu drehen. Sie hingegen plauderte weiter mit Aiden,
ohne ihn dabei anzusehen. Es war beinahe, als würde sie die Anwesenheit des Vorarbeiters gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, dennoch antwortete sie ihm sofort. Alles an dieser Frau war seltsam, entschied Janis in diesem Moment stumm für sich. ,, Und wie sieht es mit eurem Freund hier aus ? Ich habe schon gehört, das Träumer angeblich jemanden von den Toten zurück geholt hat?“
,, Nicht ganz, aber ich fürchte, ich war nahe dran.“ Es tat gut, zumindest etwas zu sagen. Immerhin gab es ihm endlich die Gelegenheit, den Blickkontakt abzubrechen. ,, Ich bin Janis…“
,, Und weiter ?“ Amatheris legte den
Kopf zur Seite und sah ihn fragend an.
,, Wenn ich das wüsste.“ Warum nur hatte er das Gefühl, das sie mit dieser Antwort gerechnet hatte.
,, Ich verstehe.“ Zum ersten Mal seit einer Gefühlten Ewigkeit wanderte ihr Blick wieder zu Aiden, der kurz nickte. Janis sah die Bewegung nur aus dem Augenwinkeln, aber den Ausdruck der daraufhin auf dem Gesicht des Vorarbeiters erschien, war nur zu deutlich. Skepsis und… noch etwas, das er nicht deuten konnte. Es gefiel ihm nicht, was immer hier vorging.
,, Ich werde euch besser alleine lassen.“ Trotzdem lag kein Protest in seiner Stimme. ,, Janis… wir sehen uns später.“
Bevor Janis auch nur dazu kam, etwas zu erwidern, hatte sich der große Vorarbeiter auch schon umgedreht und war zwischen den Zelten der Handwerker verschwunden. Was sollte das denn jetzt? Mal davon abgesehen, das es dem großen Mann gar nicht ähnlich sah, so einfach… einzuknicken. Langsam wurde ihm tatsächlich mulmig zu mute. Andererseits, wenn Amatheris eine Gefahr für ihn war, wäre er schon Tod, oder nicht? Die Macht dazu hatte sie. Und niemand würde einen geweihten zur Rechenschaft ziehen. Blieb die Frage, was das ganze hier dann sollte…
,, Würdet ihr mich ein Stück begleiten ?“ Es klang vielleicht wie eine Frage,
doch ihre Hand, die sich um seinen Arm schloss, war wie ein Schraubstock und zog ihn mit sich, bevor er auch nur geantwortet hatte.
,, Was…“
,, Geduld.“ ,war alles, was die Geweihte erwiderte. Allerding sin einem Tonfall, der klar stellte, das er am besten schweig, bis sie ihn wieder dazu aufforderte, etwas zu sagen. Ihr Weg führte sie erneut fort von der Baustelle und dem Trouble der Menge aus Steinmetzen, Wasserträgern, einfachen Arbeitern und den gelegentlichen Predigern und anderen Geweihten. Die Zelte blieben bald hinter ihnen zurück, genau wie die Anhöhe, auf der sich die
Unterkünfte der Arbeiter befanden. Stattdessen führte Amatheris sie einmal um den Hügel herum, bis sie die Erdwand im Rücken hatten… und die offene Ebene vor sich. Wogende Grashalme und Flächen aus, toter, roter Erde erstreckte sich vor ihnen, aus denen gelegentlich die Überreste eines Bauwerks hervorragten. Weiß und Rose schimmerten die Ruinen im Licht der Mittagssonne und nachdem sie sich nun nicht länger auf der Schattenseite der Erhebung befanden, musste Janis die Hand mit dem Augen abschirmen um nicht geblendet zu werden. Man konnte scheinbar endlos weit sehen, dachte er. Und vielleicht war genau das auch der
Sinn. Hinter ihnen gab es nur die Wand. Zu hoch, als das man sie von oben hätte belauschen können und zu Steil um sich anzuschleichen und sollte sich jemand vom Grasland aus nähern, würde man ihn schon zehn Meilen entfernt bemerken.
Amatheris sah sich einen Moment misstrauisch um, als erwartete sie trotzdem noch, jemanden zu entdecken. Erst dann wendete sie sich wieder ihm zu und schlug die Kapuze zurück.
Fragte sich nur, wozu all die Vorsicht dient…