Romane & Erzählungen
Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 07.: Anna Diavolo - 2. Teil

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"Bettgeschichten"
Veröffentlicht am 06. Juli 2016, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Zweifler, Pessimist, Misanthrop ... ... ungefähr so: "Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich ...
Bettgeschichten

Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 07.: Anna Diavolo - 2. Teil




Was bisher geschah: Hans-Joachim Gote ist nach 20 Jahren in seinen Heimatort zurückgekehrt. Dabei hat er eine Kleinigkeit mitgebracht, die so wertvoll scheint, dass sie in einen Safe gehört. In einem Buchladen hat er zwei Bücher bestellt und Anna Bäcker kennengelernt. Einen Tag später wird ein angesehener Bürger im Ort, der Geschäftsmann Jürgen Reeder, tot aufgefunden. Währenddessen kommen Gote und Anna Bäcker sich näher. 











"I'm afraid. I'm so afraid. Being raped again, and again, and again. I know I will die alone. But loved."

Nightwish - The poet and the pendulum




 "Was ist?"

Anna schmiegte sich an ihn. Dabei verrutschte die Bettdecke und Gote konnte einen Blick auf ihren Unterschenkel und ihren Fuß werfen. Auch die waren perfekt. Er legte seine rechte Hand auf ihre nackte Hüfte. Sie fühlte sich noch immer heiß an. Er zupfte die Bettdecke zurecht. Anna zog das Bein an und schob es über seine.

"Was ist?", fragte sie erneut. "Du wirst wieder

so..."

"Ja?"

"So wie Du!"

"Na, heißen Dank."

"So meine ich das nicht.

Anna küsste ihn, Gote griff nach ihrem Po.

"Sondern?"

"Vorhin, beim Sex, da warst Du ganz anders. Versteh mich nicht falsch, Du bist süß" - sie schob seine Hand ein wenig tiefer - "intelligent und bei weitem der interessanteste Mann, den ich hier jemals getroffen habe. Aber da ist etwas in Dir, etwas Seltsames, etwas Dunkles. Du willst nicht, dass die Menschen es mitbekommen, aber ich - lach bitte nicht! - ich habe schon beim ersten Mal, als ich Dich sah, gespürt, dass da etwas ist. Aber vorhin, als es so richtig zur Sache ging, da war das weg. Du warst ganz Du selbst. Mir hat das sehr gefallen. Aber nun kommt es wieder aus seiner dunklen Ecke hervor."

Es hätte nicht viel gefehlt und Gote hätte Anna alles erzählt. Er hätte ihr erzählt, dass er von hier stammte, vor 20 Jahren fortgegangen und nun aus einem bestimmten Grund zurückgekehrt sei. Das er etwas getan hatte und noch Weiteres plane. Fast hätte er es gesagt. Aber nur fast. Stattdessen meinte er: "Ich kann nur nicht verstehen, dass Du dich mit mir einlässt. Ich bin dreizehn Jahre älter als du und komme nicht gerade mit einer Modellfigur daher."

"Hörst Du mir eigentlich zu?"

Anna löst sich von ihm. Die Einsamkeit kam zurück und er spürte die Kälte unter der Bettdecke.

"Hörst Du eigentlich zu, wenn ich etwas sage?" Die Augen in ihrem Gesicht funkelten. Funkelten sie gefährlich?

"Schon, natürlich höre ich Dir zu. Aber ich verstehe es nicht."

Ohne Vorwarnung warf sich Anna auf ihn. In

der nächsten Stunde war Gote wieder ganz er selbst.


Sie zitterten und sie waren glücklich. Vorsichtig und innig lagen ihre Körper beieinander. Gote hörte Annas Atem, roch ihren Schweiß. Er liebte ihre kleine Sprungschanzennase und fragte sich, ob er glücklich war. Doch so sehr er sich auch bemühte, ihm fehlten aus den letzten zwei Jahrzehnten einfach die Referenzpunkte. Er existierte, lebte aber zu wenig. Es war möglich, dass sich das demnächst ändern würde, aber wäre dann Platz für sie in seinem Leben? Wollte er das? Wollte sie das überhaupt? Oder war das Ganze, diese Nacht, nur eine Flucht, eine Flucht vor diesem fürchterlichen Ort. Denn auch Anna hatte eine Vergangenheit. Die würden sich nie von mir bedienen lassen. Sie war hier ebenso wenig zuhause wie er.

"Anna?"

"Ja?"

"Ich möchte Dich etwas fragen."

"Schieß los."

"Ich trau mich nicht so recht."

"Klar, ich bin ja auch die böse Hex. Hex, hex!" Anna lachte. "Also, was willst Du wissen?"

"Wieso hassen Dich die Menschen hier?"

"Sie hassen mich nicht, sie verachten mich mehr." Nicht eine Sekunde lang hatte sie gezögert. Sie vertraute ihm. Ein ungewohnt wohliges Gefühl stieg in Gote auf. "Gut, warum verachten sie Dich?"

"Weil ich Anna Bäcker bin." Gote schüttelte den Kopf. "Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor."

"Ich bin die Tochter von Klaus Bäcker und das Ziehkind von Paul und Lisbeth Lehmann."

"Wasndasn?" Da musste Anna lachen. Die beiden setzten sich im Bett auf, Gote zog die Bettdecke bis zu seinem und ihrem Kinn und legte den Arm um

Anna. Sie begann zu erzählen.

"Es ist 20 Jahre her. Ich war damals fünf. Wirklich mitbekommen habe ich natürlich nichts, mit der Zeit aber alles erfahren und zu fühlen gekriegt. Aber von Anfang an: Vor 20 Jahre wurde eine junge Frau aus dem Ort, Melanie Reeder - also damals hieß sie noch Melanie Kranz, zumindest glaube ich das -, brutal vergewaltigt. Nur durch Glück überlebte sie. Körperlich kamen die Dinge wieder in Ordnung, aber die Spuren in ihrer Seele waren tief. Bis heute. Sie lebt immer noch hier und die meisten halten sie für verrückt. Ihr damaliger Freund, Jürgen Reeder, heiratete sie trotzdem. Das ist der Mann, den sie gestern tot in seiner Garage gefunden haben."

"Tot aufgefunden?" Gote schüttelte den Kopf. "Davon habe ich nichts gehört."

"Erzähl ich Dir später. Weiter. In einem so kleinen Ort ist ein solches Verbrechen natürlich das Thema. Alle taten besorgt. Wenn man die

Silberstein darauf anspricht, sagt sie heute noch: So etwas passiert in der großen Stadt, aber doch nicht bei uns. Na, auf jeden Fall waren alle auf der Suche nach dem Täter. Und man einigte sich schnell: Andreas Stallwang. Gammler, seine Mutter alleinerziehend.

"Gammler?" Dieses Wort hatte Gote schon sehr lange nicht mehr gehört. "Ach Du weißt schon: Zerrissene Lederjacke, grüne Haare, Punkmusik. Alternativ halt und ziemlich harmlos. Aber in so einem Nest ist das natürlich eine Provokation für die Gemeinde. Der Druck auf ihn muss immens gewesen sein, war ja auch erst 20. Irgendwann hat er es nicht mehr ausgehalten und ist abgehauen. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Auch seine Mutter verschwand. Dann kam Melanie Kranz, oder wie immer ihr Nachname damals auch lautete, wieder aus dem Krankenhaus. Um sie wieder ins normale Leben zu holen, haben zwei Freunde von ihr, Arndt und Karin Münzer,

sogar ihre Hochzeit vorverlegt. Das Fest sollte sie ablenken. Hat aber nicht funktioniert."


Anna machte eine Pause und Gote spürte, wie sie sich in seinem Arm versteifte. Ihr Augen starrten geradeaus ins Nirgendwo. Mit zwei Fingern seiner linken Hand strich Gote eine Haarsträhne beiseite, die ihr ins Gesicht gefallen war, drehte ihren Kopf und küsste sie lange auf den Mund. Das hatte er nicht eingeplant. "Hey", flüsterte er.

Anna umklammerte ihn und ließ ihn lange nicht mehr los. Darum dauerte es, bis sie weitererzählen konnte. "Sei mir nicht bös, Hajo, aber ich werde abkürzen."

"Du bist die Schrittmacherin in dieser Geschichte."

Mehr als ein verkrampftes Lächeln brachte sie nicht zustande. Dann wurde ihre Stimme dunkel. "Einen Tag nach der Hochzeit kam die Polizei und verhaftete Klaus Bäcker, meinen

Vater. Er hatte Melanie Kranz das angetan. Alle im Ort waren wie vor den Kopf geschlagen. Im Jahr davor war er noch Schützenkönig gewesen. Aus Verwunderung wurde bald Hass. Es ist aber schwierig, jemanden zu hassen, der weit weg im Gefängnis sitzt, nicht Teil der Gemeinde ist, während man seinem Opfer ständig begegnet. Also suchten sie sich jemand anderes."

"Dich."

"Genau."

"Was war mit deiner Mutter?"

"Hajo?"

"Ja?"

"Darüber möchte ich nicht sprechen."

"Ist gut." Gote drückte Anna ein weiteres Mal.


"Alle hassten mich. Ich war erst fünf, verstand es nicht. Aber das war ihnen egal, ja, ich glaube, das machte es ihnen sogar noch einfacher. Alle. Alle außer Paul und Lisbeth Lehmann. Das waren liebe und sehr angesehene

Menschen. Kurz: Sie haben mich adoptiert. Als ich älter wurde, haben sie Hedwig Braun sogar das Versprechen abgerungen, mir eine Ausbildungsplatz zu geben und nach bestandener Prüfung eine Stelle anzubieten. Das passte den Silbersteins hier im Ort gar nicht. Vor zwei Jahren sind Paul und Lisbeth bei einem Badeunfall ertrunken. Ich habe wochenlang nur geheult. Sie waren die besten Eltern, die ich mir wünschen konnte. Und dann stellt sich heraus, dass sie mir alles vermacht haben. Das Haus, ihr ganzes Geld, alles!"

Da musste Gote bitter auflachen. "Ich verstehe. Das war für die aufrechten Bürger im Ort natürlich unfassbar. Du, die Tochter eines Vergewaltigers, hast auf einmal viel mehr Geld als die meisten." Dann grinste er. "Du bist ein Teufel!"

Zu Gotes Überraschung musste Anna lachen. "Alles was du sagst, hört sich gut an."

Sie schmiegten sich aneinander, liebkosten sich

und nach einer Weile erzählte Anna Gote alles über den mysteriösen Todesfall Jürgen Reeder. Da war nichts dabei, was er nicht schon wusste.




- Fortsetzung folgt -

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Hörbuch

Über den Autor

ArnVonReinhard
Zweifler, Pessimist, Misanthrop ...

... ungefähr so:

"Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich imstande bin zu ziehen, die Dinge, die sich mir offenbaren ... die Hässlichkeit. Meine Arbeit fokussiert mich. Das hilft. Du sagst, ich benutze meine Gaben. Ich sage, ich geh nur mit ihnen um."
(Sherlock Holmes; In: Elemantary)


Fantasy- und Schauergeschichten sind mein Ding, weil sich darin alles Menschliche verarbeiten lässt.
Und ob ich es will oder nicht, auch das Thema "Freundschaft" taucht immer wieder auf.
Aphorismen.
Ein weiterer großer Bereich, mit dem ich mich beschäftige, in Erzählungen und Nonfiction, ist das Thema Krieg.

Arn von Reinhard ist EU-Skeptikerkritiker und Medienkritikerskeptiker.


foto by and with permission of Evelyne Steenberghe from vlien.net

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gela556 Spannend ging es weiter und doch haben beide sich bekommen
GlG, Gela
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Ja, im Augenblick ist es schön.

LG
AvR
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Herbsttag Du spannst mich auf die Folter! Ist das eigentlich erlaubt?? Ira
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Ich fürchte ja. Aber ich hab auch schon ein gaaaaanz schlechtes Gewissen ...
:D

LG
AvR
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Herbsttag Wieso glaube ich das nicht? :-)) Ira
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Hm ... vielleicht weil es nicht wahr ist?
:D

LG
AvR

P.S.: Aber das ist nur ne Vermutung.
Vor langer Zeit - Antworten
Willie Langsam scheint Licht in die ganze Angelegenheit zu kommen, aber das kann natürlich auch eine vom Autor beabsichtigte Täuschung sein.
Abwarten und Tee trinken.....
b.G.
W.
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Bin halt ein "Story-Caterer". Ich fahre auf und der Leser muss sich schon selbst bedienen. ;-)

LG
AvR
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Willie Ist auch gut so!
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EllaWolke Packende Infos lösen Atemanhalten aus :-)

Das nächtliche Dinner hat gemundet ...um mal bei den Häppchen zu bleiben.
Grüße
Ella
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