Kapitel 13 Vertraute Sorgen
Elin war froh, wieder an die frische Luft zu kommen. Nach der stickigen Luft im Kaminzimmer, war die kühle Brise, die durch die Gärten des Palastes wehte, angenehm auch wenn sie nur ein einfaches Hemd trug. Und nicht nur deshalb war sie froh, Kasran fürs erste entkommen zu sein. Nach wie vor geisterten seine Worte in ihrem Kopf umher, egal wie vehement sie sie abstritt. Sie waren sich in keiner Weise ähnlich… Auch wenn der Besuch bei Hadrir etwas seltsame gehabt hatte… Noch immer verstand sie nicht, warum
Kasran sie überhaupt hatte rufen lassen. Ging es ihm wirklich nur darum Hadrir eine, gescheiterte, Lektion zu erteilen… es schien ihm einfach nicht ähnlich zu sehen. Und wenn es dabei um Elin selbst und nicht um seinen König gegangen war, wollte sie gar nicht wissen, was der alte Zwerg als nächstes plante. Die Art, wie er sie gemustert hatte, als wollte er sich von irgendetwas vergewissern, vielleicht hätte sie ihn zur Rede stellen sollen, doch in dem überhitzten Zimmer, mit den lauten Stimmen in ihren Ohren hatte sie ohnehin kaum denken können. Und Kasran war bei weitem ihre geringste Sorge, etwas, das sie vor einem Jahr wohl noch für Unmöglich
gehalten hätte. Es gab weitaus wichtigere Dinge. Und weitaus bedrohlichere, als einen Zwerg, der sein eigenes Gewissen überlebt hatte.
Elin trat in die weitläufigen Parkanlagen hinaus, die nur von den Bauten des kaiserlichen Palastes begrenzt wurden. Jetzt wo der Herbst sich seinem Ende näherte, färbte das Gras auf den Wiesen sich langsam dunkler und die Blätter der Bäume, die normalerweise die hohen Mauern auf allen Seiten verbargen wurden davongeweht und bedeckten den Boden in einer leuchtenden Schicht aus rot und Goldtönen. Sie wusste nicht, wo sie eigentlich hin wollte. Vielleicht sollte sie doch zurück zu Hadrir gehen.
Als sie ihn und Kasran schließlich verlassen hatte, hatten beide zumindest ruhiger gewirkt und sich lediglich am Feuer angeschwiegen. Was sie zu sagen hatten, war gesagt worden, das schien klar. Und so gegensätzlich sie vielleicht waren, sie würden weiter zusammenarbeiten müssen. Doch das letzte was sie wollte, war sicherlich sich in die Machenschaften des alten Zwergs verstricken zu lassen. Oder vielleicht willst du ihm einfach keine Gelegenheit bieten zu beweisen, dass er Recht haben könnte? , fragte eine leise Stimme. Ihre eigene. Skeptisch, leicht spöttisch.
Elin schüttelte sie ab, als wäre sie ein lästiger Floh und hielt auf einen kleinen
Pavillon zu, der sich auf einer Erhebung inmitten der Gärten befand. Vielleicht konnte sie nachher zumindest Hadrir aufsuchen und ihre Hilfe anbieten… wenn es den etwas gab, dass sie tun konnte. Im Augenblick jedoch wollte sie den Kopf frei bekommen. Ungewöhnlich genug für sie, das war ihr selber klar. Aber wenn es einen Mann auf dieser Welt neben Galren gab, der sie unsicher werden ließ, dann war das Kasran Mardar. Und im Gegensatz zu ersterem nicht auf eine positive Art… Der Mensch war bereits am Morgen in die Lager unter der fliegenden Stadt aufgebrochen und zumindest bis jetzt noch nicht zurückgekehrt. Elin wusste nicht zu
sagen, ob das ein gutes Zeichen war oder nicht, aber er konnte auch auf sich aufpassen. Oder könnte es, wenn er nicht bereits müde und überreizt wäre. Er versuchte es ihr gegenüber vielleicht immer noch herabzuspielen und so zu tun, als sei alles in Ordnung… aber auch wenn sie nicht wusste, was in seinem Kopf und seinen Träumen vorging, sie merkte doch, dass es ihn zerstörte. Nachts lag er oft wach und warf sich unruhig neben ihr hin und her, doch wenn sie dann schließlich selber die Augen aufschlug und fragte… erhielt sie meist keine Antwort. Stattdessen lag er schlicht hellwach neben ihr und versuchte wohl so zu tun, als würde er
tatsächlich schlafen. Und Elin konnte nur hilflos dabei zusehen… Es gab schlicht keine Möglichkeit ihm zu helfen, nicht für sie. Und dieser Gedanke machte sie rasend. Zum nichts tun verdammt zu sein… Als sie das bedrückende Schweigen schließlich nicht mehr ausgehalten hatte, hatte sie sich schließlich auf ihn gerollt und ihn geküsst. Wenn er schon nichts sagte, sollte er wenigstens Wissen, das er doch immer noch nicht alleine war. Und einen Moment war sie tatsächlich davon überzeugt davon, ihn zurück zu haben. Galren hatte immerhin die Augen aufgeschlagen und den Kuss einen Moment erwidert. Es hatte keine Worte
gebraucht um ihm zu sagen, was sie sagen wollte. Sie war hier. Elin hatte ihm die Haare aus dem Gesicht gestrichen, das in den letzten Tagen immer ausgezehrt wirkte. Ein Gesicht in dem ein paar graue Augen schimmerten, in denen immer noch ein ganz eigenes Feuer zu brennen schien. Sie hatte die Hände hinab zu seiner Männlichkeit gleiten lassen, ihn gestreichelt und auch wenn er darauf reagierte, wehrte er sie doch rasch ab. Mit einem letzten Kuss auf die Stirn hatte er sie mit sanftem Druck wieder auf ihre Seite des Bettes befördert.
,, Schlaf weiter.“ , hatte er gemurmelt, so als hätte sie ihn tatsächlich eben
geweckt. Als würde sie die Lüge noch glauben. Und so hatten sie schließlich lediglich beide Wach gelegen, bis Elin irgendwann kurz vor Morgengrauen doch wieder vom Schlaf übermannt wurde. Als sie aufwachte, war er bereits nicht mehr da…
Sie hatte die kleine Anhöhe mit der filigranen Konstruktion darauf mittlerweile fast erreicht. Dünne Säulen aus hellem Marmor trugen ein rundes Holzdach, das bereits halb unter Blättern und Zweigen verschwunden war, die Wind und Wetter von einem großen Baum in der Nähe geschüttelt hatten.
Die Ranken längst verblühter Rosen wanden sich an den Säulen entlang und
über Wände aus Flechtwerk, mit denen man das Innere des Pavillons etwas vor dem Wind geschützt hatte. Der Boden wiederum bestand aus festgestampfter Erde, über die man lose Platten gelegt hatte. Es gab einen aus einer Steinplatte gefertigten Tisch mit zwei Bänken daran. Und nur eine davon war unbesetzt.
Am anderen saß Jiy. Elin hatte nicht erwartet jemanden hier draußen zu finden. Und schon gar nicht die Kaiserin selbst. Die Schneeleopardin trug ein bodenlanges Kleid, das für Elin wie aus Silber gewirkt schien und fast nahtlos mit dem grau-weiß ihres Fells zu verschmelzen schien. Graue Strähnen
schimmerten in ihrem schwarzen Haar , das ihr elegant bis über die Schultern fiel und in den tiefgrünen Augen, die Elin zuerst gar nicht wahrzunehmen schienen lag so viel Trauer, so viel unausgesprochenes…
Elin blieb einen Moment nur stehen wo sie war. Janis, dachte sie stumm. Mochte sie von dem Mann gehalten haben, was sie wollte, im roten Tal hatte er sein Leben riskiert um sie und um sie alle zu retten. Wo Kellvian den Tod seines Sohnes jedoch mit neuer Entschlossenheit ertränkte, war das für Jiy offensichtlich nicht der Fall… Wie versteinert standen sie sich gegenüber. Elin war drauf und dran sich einfach
wieder umzudrehen, als die Kaiserin sie schließlich ansprach.
,, Wollt ihr euch nicht setzen ?“ Ihre Stimme klang wie die einer viel älteren Person, dachte Elin und wenn sie sich so ansah konnte man wohl wirklich behaupten, dass sie in den letzten Wochen mehr gealtert war, als in den Jahren zuvor. Trotzdem strahlte sie nach wie vor eine einnehmende Eleganz aus, selbst in ihrer Trauer und Niedergeschlagenheit. Und hatte sie nicht alles Recht dazu?
Elin stellte fest, das sich ihre Füße tatsächlich wie von selbst in Richtung der freien Bank bewegten.
,, Verzeiht, ich wollte euch nicht
stören.“ Elin fühlte sich mittlerweile wie ein Eindringling. Sie hatte nicht vorgehabt, die Kaiserin zu stören.
,, Wenn ihr mich stören würdet, hätte ich euch gebeten zu gehen.“ , erwiderte diese , während sie abwesend auf die Gärten hinaus sah. ,, Wisst ihr, dieser Ort erinnert mich immer etwas an Vara. Wart ihr schon einmal dort?“
,, Nicht… in den letzten Jahren.“ Tatsächlich wohl nicht mehr seit sie zehn gewesen war. Ihre Eltern hatten sich zuerst dort niederlassen wollen, doch die Stadt mit ihren Bibliotheken, der Universität und den genau ausgerichteten Straßen und Häusern war nichts für sie. Und für Elin auch nicht, wenn sie
genauer darüber nachdachte. Und nicht einmal für Erik, der sich vielleicht in den Unmengen an Büchern verlor , doch von seinen Kollegen immer misstrauisch beäugt wurde. Auf die Frage warum die übrigen Magister und gelehrten so nervös auf ihn reagierten hatte der Arzt jedoch nur gemeint, sie erinnerten sich noch gut an den letzten Unfall, der ihm passiert war. Und das heute noch Bücher wie von Geisterhand aus ihren Regalen fielen, dafür machten sie ihn auch verantwortlich. Elin hatte es damals nicht verstanden und verstand es heute nicht.
,, Wir haben dort geheiratet.“ , fuhr Jiy derweil fort. ,, Auch wenn man wohl
nicht grade von einer glücklichen Hochzeit sprechen kann.“
Elin nickte abwesend. Sie war noch nicht einmal geboren gewesen, aber ihre Eltern hatten ihr die Geschichte erzählt, waren sie zu der Zeit doch selbst in der Stadt gewesen. Der Tag der kaiserlichen Hochzeit war auch der Tag gewesen, an dem der Krieg mit dem Aristokratenbund vollends ausbrach. Die schwache Hoffnung auf eine friedliche Lösung war an jenem Tag wohl endgültig zerschmettert worden, genauso wie die Tore von Vara… Es hatte tausende von Toten gegeben und man hatte den Kaiser selbst anfangs darunter geglaubt. Das hatte eine der härtesten Zeiten während
des ganzen Kriegs nach sich gezogen, in der Jiy alleine gezwungen gewesen war, das verblieben Reich zusammen zu halten. Und es schien nichts, was sie dieser Frau vor sich so einfach zutrauen würde, wenn Elin ehrlich zu sich war. Das damals musste eine andere Person gewesen sein.
,, Wir haben wirklich so einiges durchgemacht.“ Jiy lächelte schwach. Es wirkte nicht echt, fand Elin. ,, Aber nie etwas wie das hier. Ich weiß nicht ob ihr das verstehen könnt…“
,, Oh glaubt mir , ich habe wegen Galren mehr als genug durchgemacht…“ Auch wenn ihr damals wohl kaum zum Lachen zumute gewesen wäre. Und irgendwie
hatte sie das Gefühl, das die Kaiserin ohnehin etwas völlig anderes beschäftigte. Es ging hierbei doch um mehr als vergangene Zeiten… Und doch schien auch sie schlicht nicht mit der Sprache herauszurücken. Genau wie Galren. Genau wie Kasran… Sie war es langsam Leid außen vor gelassen zu werden. ,, Aber ich würde mich sicher nie so gehen lassen.“ Elin sprach, bevor sie überhaupt darüber nachdachte. ,, Man braucht euch jetzt mehr denn je und stattdessen Versteckt ihr euch hier ? Andre de Immerson ist Tod, Vara weit weg… und Janis ebenfalls fort.“
Sie hätte die Worte am liebsten sofort wieder zurückgenommen, anstatt ihre
Anschuldigungen der Kaiserin derart an den Kopf zu werfen. Aber hatte sie nicht Recht? , fragte sich ein kleiner Teil von ihr. Immerhin schien es zum ersten Mal eine andere Reaktion bei Jiy hervorzurufen als bloße Lethargie.
,, Was versteht ihr den schon ? Ich sehe zu wie alles, was mir je etwas bedeutet hat verschwindet und stirbt. Janis… alles, was ich aufgebaut habe. Und Kellvian…“
,, Der Kaiser lebt noch.“
Jiy stieß ein bitteres Lachen aus. ,,Er läuft sehenden Auges auf sein Grab zu. Ich liebe ihn so sehr und doch… ich weiß, dass er nicht mit uns gehen wird, sollte es wirklich so weit kommen. Und
er ist das einzige, was mir geblieben ist… Und ich hätte für ihn alles gegeben aber… ich kann nicht noch mehr verlieren.“
,, Wie meint ihr das ?“
,, Glaubt ihr wirklich, er würde diese Stadt aufgeben , falls der rote Heilige sie erreicht ? Das kann er nicht, Elin. Und das darf er auch nicht. Und ich kann nichts tun, als dabei zuzusehen. Ich war bereit alles für diesen Mann zu Opfern. Und am Ende, was hat es mir gebracht? Eine Verbindung zwischen Mensch und Gejarn ist von keiner Seite gerne gesehen, Elin. Für euch mag das weniger gelten, aber für einen Kaiser… Wir haben den Zorn so vieler auf uns
gezogen und es war mir egal. Damals… Aber das war damals. Ich hatte so gehofft, es würde einmal zu Ende gehen. Das Kämpfen, das Chaos… das man uns einfach zu Leben erlauben würde. Und zwei Jahrzehnte habe ich es fast geglaubt… zwei Jahrzehnte sind zu kurz.“
Elin verspürte einen Moment nur Mitleid mit dieser Frau und vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben verkniff sie sich eine bissige Bemerkung. Vielleicht konnte sie es nicht verstehen. Vielleicht wollte sie es auch nicht. Aber Jiy hatte mehr durchgemacht als sie, das zumindest war ihr klar. So viel Leid und am Ende war ihr nicht einmal eine
schwache Hoffnung geblieben. Jiy sprach nicht von einem vielleicht. Sie wusste was kommen würde. Zu ihrer eigenen Überraschung nahm Elin die ältere Frau tatsächlich in die Arme und die Kaiserin ließ es geschehen. Einen Moment bettete sie ihren Kopf auf Elins Schulter, bevor sie sich wieder von ihr löste und sich die Tränen wegwischte. ,, Verzeiht…“
Schon gut, wollte Elin ihr sagen, doch so weit kam sie bereits nicht mehr, als die Kaiserin aufsah und sich erhob. Eine einzelne Gestalt kam den Weg durch die Gärten auf das Pavillon zu. Ein Bär, neben dem manche der Bäume in den Parks klein wirkten und auch wenn er noch zu weit weg war um mehr
erkennen zu müssen, wusste Elin, das es sich eigentlich nur um Syle handeln konnte. Der Hochgeneral verbeugte sich kurz, als er den Rundbau erreichte, wobei er dabei immer noch sowohl Elin als auch Jiy um mindestens einen Kopf überragte. Braunes Fell bedeckte seinen Körper, der in einer der blauen Uniformen der kaiserlichen Garde steckte. Elin hatte den Mann auch selten etwas anderes tragen sehen, vielleicht aus dem simplen Grund, dass er ohnehin kaum etwas passendes fand.
,,Verzeiht, wenn ich störe, Herrin, aber soeben ist Lord Immerson an den Gondeln zur Stadt aufgetaucht. Ich habe bereits den Kaiser informiert, dachte
aber ihr solltet ebenfalls Bescheid wissen…“
Einen Moment schien Jiy wie erstarrt und Elin wurde plötzlich klar, dass sie kurz dachte, er würde von Andre de Immerson sprechen,. Aber der ruhte seit Jahrzehnten in seinem Grab. Es gab nur noch einen Immerson in Canton. Allerdings hatte auch dieser bis grade eben als verschollen gegolten… Zachary lebte. Und er war hier…