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Es waren einmal fünf Tauben aus Bronze, die um die angestrahlte Uhr des Rathauses angebracht waren. Jede volle Stunde nach Mitternacht erwachte eine von ihnen zum Leben, bis um 5 Uhr jede Nacht alle von ihnen um das Rathaus, den Rathausplatz und seine Uhr flogen. Um 6 Uhr als der neue Tag erwachte und die Sonne aufging, kehrten sie flügelschlagend neben die Uhr zurück.
Tauben sind für einen Rathausplatz und seine Umgebung nichts Ungewöhnliches und so interessierte es keinen und fiel es lange Zeit niemandem auf. Bis zu jenem Tag an dem eines Morgens eine tote, auf
dem Rücken liegende Bronzetaube vor dem Rathaus lag. Niemand konnte sich erklären von wo sie stammte oder stammen konnte...
Die einen hielten es für einen makaberen Scherz die anderen glaubten felsenfest, es sei eine der Tauben der Uhr.
Doch wieso sollte eine der dort hängenden Tauben, eine tote auf dem Rücken verendete darstellen oder gewesen sein ?
Keiner wusste sich Rat oder auf diese Frage eine Antwort. Schon gar nicht der Bürgermeister, dem die tote Taube gar nicht gefiel und sehr sauer aufstieß, weil die nächsten Wahlen in greifbare
Nähe gerückt waren...
Es war eine ältere Frau die wöchentlich auf dem Wochenmarkt des Rathausplatzes stand und ihre Waren feil bot. Als sie von der Sache hörte, kam ihr die Idee den Künstler, der die Tauben entworfen und gegossen hatte, nach seiner Meinung zu fragen. Wer außer ihm wusste wohl besser als irgend ein anderer, wie die Tauben der Uhr ausgesehen hatten und wie viele es einst gewesen waren. Der Vorschlag wurde umgesetzt. Tage später kam der inzwischen alte und gebrechliche Künstler, um sich vor Ort ein Bild der Sache zu machen.
Dem alten Mann wurde die Situation
erklärt und die tote Bronzetaube gezeigt. Der Künstler mit ihnen - und von Haus- und Bürgermeister gestützt - vor das Rathaus, um sich seine Tauben anzusehen. Der Künstler wusste wohl wie viele und welche Tauben er geschaffen hatte doch bat er doch darum, sich die Uhr wie sie jetzt war ansehen zu dürfen.
„Nun, was meinen sie? ist das eine ihrer Tauben“, wollte der ungeduldige Bürgermeister von dem Künstler wissen. „Nein, das glaube ich nicht“, antwortete dieser kurz als er seine Tauben gezählt hatte. „Aber es fehlt trotzdem eine fünfte, das ist mir damals gar nicht aufgefallen“. Sehen sie dort“, sagte der
alte, einfach gekleidete Mann und deutete auf die freiliegende Stelle, an der die Taube einst befestigt war. „Tatsächlich“, sagte der Bürgermeister und der Hausmeister stimmte ihm fast gleichzeitig mit den selben Worten zu.
„Wie wäre es wenn ich ihnen diese tote bronzene Taube einschmelze und daraus die fehlende Fünfte machen würde“, fragte der Künstler den noch amtierenden Bürgermeister.
Dieser fand die Idee gut, er war begeistert. Die mysteriöse „tote Taube“ musste wohl doch ein übler Scherz gewesen sein. Er gab die Herstellung einer neuen Taube in Auftrag. Er dachte mit Freuden an seine dadurch
entstehende und bald zu erntende positive Publicity.
Der Künstler nahm den Auftrag ebenfalls mit Freuden an, seine Aufträge waren mit zunehmendem Alter immer knapper und schlechter geworden. Er nahm die tote bronzene Taube mit, um sie in seiner inzwischen heruntergekommenen Werkstatt einzuschmelzen.
Er hatte lang nichts mehr aus Bronze gegossen und so brauchte es viele Stunden bis er seinen alten Ofen auf Temperatur geheizt hatte und zuvor die passende Form modelliert hatte.
Es war fast schon 3 Uhr Nachts als er die tote Taube vom Tisch nahm und in
den Schmelzlöffel legte. Er legte sie eben hinein als die nah gelegene Kirchturmuhr drei schlug.s schlug. Aus der bronzenen Taube wurde wieder eine Taube aus Fleisch und Blut. Der Künstler erschrak erst, ehe er verstand. Er wollte alles tun um nur nicht dem jüngsten Gericht oder gar dem Teufel vorzeitig ausgeliefert zu werden, weil er dem Bürgermeister in seiner Not eine, wie ihm wohl bewusst gewesen war, verloren gegangene Taube nochmals als Auftrag angeboten hatte.
Er nahm die tote Taube aus dem Gusslöffel, setzte sie auf den Tisch und breitete ihre Flügel mit seinen Händen aus, dann stieß er die Bitte an alle ihm
bekannten guten Geister aus. Sie sollten die Taube doch bitte wieder zu sich nehmen, davonfliegen lassen und ihm das vermeintlich bevorstehende Höllenfeuer ersparen. Er war der Verzweiflung nahe und erschöpft eingeschlafen als es 6 Uhr schlug. Er erwachte knieend neben dem Arbeitstisch mit der, wie er natürlich meinte, selbst gefertigten Taube in seiner Hand.
Ein Albtraum war es für ihn natürlich gewesen und er hoffte diesen nie mehr erleben zu müssen. So lieferte er die Taube schnellst möglich an seine Auftraggeber aus und half ohne zusätzlichen Lohn sie an der richtigen
Stelle anzubringen. Er bestand sogar darauf sie kostenfrei, auf eine sehr aufwendige Art und Weise, neben der Uhr zu befestigen. Er wollte sicher gehen, das ganz gleich was dort vielleicht mal hing, erkannt oder gar den Boden berühren würde. Er wurde daraufhin - nachdem man seinen vermeintlichen Einsatz und Fleiß bewundert und gesehen hatte - für viele weitere Aufträge gewünscht und herangezogen. Von da an blieb der Fleiß und Einsatz neben der wieder gefundenen, nun durch nichts zu erschütternden Ehrlichkeit, ein Teil von ihm, bis er starb.
Was können wir, Künstler oder nicht, aus dieser Geschichte ermutigendes lernen ?
Wenn nichts mehr geht und gar nichts will, die unverdiente Auftragslage einen verzweifeln lässt, lässt Gott wahrscheinlich schon mal eine bronzene Taube für die Künstler und tüchtigen dieser Erde vom Himmel fallen.