Kapitel 83 Gegen den Geweihten
Der Geweihte brach wie eine Naturgwalt über die verstreuten Verteidiger herein. Selbst die loyalen Paladine, die sich nach wie vor um ihren Archonten scharrten, hatten der geballten Macht des Herrn der Ordnung nichts entgegenzusetzen. Zauber zuckten um die Kreatur herum. Rüstungen zerplatzen unter gleißenden Blitzen, während es mit den Krallen nach jenen Männern Helikes schlug, die ihr zu nahe kamen. So verdreht sie wirkten, die Nägel waren stabil und scharf genug, einen ungeschützten Mann sauber
aufzuschlitzen. Und selbst in den Mythrilpanzern der Paladine blieben tiefe Beulen zurück. Wys entkam grade noch einem Krallenhieb wurde jedoch im nächsten Moment von einem Zauber gepackt und quer über den Strand geschleudert. Sich überschlagend kam der Archont im Sand zum Liegen, rappelte sich jedoch sofort wieder auf und stürzte sich erneut in den Kampf.
Naria konnte lediglich versuchen, irgendwie mit der Bestie Schritt zu halten, während sie sich eine blutige Schneise durch die Reihen der Verteidiger bahnte. Selbst ihre Gegner schienen zu entsetzt um die entstandenen Lücken zu nutzen. Oder
vielleicht wollte auch nur keiner von ihnen riskieren, dem tobenden Geweihten zu nahe zu kommen. Naria bezweifelte, das dieses Ding sich großartig darum kümmerte, wen es tötete.
Sie hatte insgeheim gehofft, nie wieder einer dieser Kreaturen gegenüber zu stehen. Die Begegnung in Helike war ihr noch gut genug in Erinnerung geblieben und damals hatte es wenigstens keine Magie eingesetzt. Diesmal jedoch schien der Geweihte sich mehr von seiner Menschlichkeit und damit auch Intelligenz bewahrt zu haben. Naria konnte nicht anders, als an Träumer und dessen Worte zu denken… Ein Geweihter
war immer nur einen Bruchteil so mächtig, wie sein Erschaffer. Also wer hatte diesen hier seinem Segen gegeben? Es schien egal. Wenigstens hielten sich Träumer und sein Meister bisher aus den Kämpfen am Strand heraus. Was sie tun würde, wenn sie dem roten heiligen gegenüberstand wusste sie. Auch wenn sie vermutlich sterben würde. Aber Träumer… Er hatte sie entkommen lassen, dachte sie. Doch von Maras gab es keine Fluchtmöglichkeiten mehr…
Mit einem Satz hatte sie endlich zu dem Geweihten aufgeschlossen und ließ einen Blitz aus ihrer Faust hervorbrechen. Das magische Projektil fächerte aus und traf das Wesen am
Rücken, verbrannte den Umhang und bohrte sich in den Körper hinein. Doch wenn Naria den geweihten dadurch ernsthaft verletzt hatte, so zeigte er es zumindest nicht. Stattdessen wirbelte die Kreatur herum und schlug in blinder Wut mit einer Kralle nach ihr. Naria tauchte blitzschnell unter dem Schlag durch. Sie konnte den Luftzug in ihren Haaren spüren, als der Arm keine zwei Fingerbreit über ihre Kopf hinweg strich. Sofort war sie wieder auf den Beinen und rammte eine Wand aus verdichteter Luft gegen ihren Gegner. Einem normalen Menschen hätte der Aufprall die Knochen zerschmettert, doch das Wesen taumelte grade einmal
einen Schritt rückwärts… und lachte. Ein grässlicher Laut, der zwischen den verdrehten Kiefern dieses Dings hervorkam und trotz allem noch viel zu menschlich klang. Naria sackte in sich zusammen, als der Zauber erlosch. Die Erschöpfung schlug wie eine Welle über ihr zusammen und sie wusste, wenn sie noch einmal dazu kam, in den Spiegle zu sehen, würde sie ein paar graue Haare finden. Der Preis der Magie. Sie hatte sich zuvor schon bei der Verteidigung des Strands verausgabt und nun verlangte jeder weitre Zauber ihren Körper mehr und mehr Energie ab.. Mit vollen Kräften hätte sie vielleicht etwas gegen den geweihten ausrichten können,
so jedoch bleiben ihr nur, sich zu verteidigen, als das Wesen nun seinerseits zum Angriff überging. Naria rief einen Schild herbei, der einen Feuerbolzen reflektierte und ließ Sand aufsteigen, der ihren Gegner blendete. Für mehr reichte es nicht mehr , dachte sie und versuchte, so schnell wie möglich etwas Abstand zwischen sich und die Kreatur zu bringe, bevor sie wieder richtig sehen konnte. Sie sollte nicht weit kommen. Naria kam gerade dazu, sich umzudrehen und einen Schritt in Richtung Klippe zu machen, als sie etwas vor die Brust traf und Rückwärts zog. Das Schlachtfeld raste mit viel zu hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei.
Tote Körper im blutgetränkten Sand, brennende Barrikaden und Treibgut, das einmal eine Flotte gewesen war… dann schlug sie auf dem Boden auf und bekam grade noch mit, wie sich ihr ein schwerer Fuß auf die Brust setzte.
Über ihr ragte die Gestalt des Geweihten auf, der wieder dieses Lachen ausstieß, von dem sie gerne behauptet hätte, das es nicht menschlich klang.
,, Kleine Magierin… Hast du wirklich geglaubt, du könntest dich mit einem Halbgott messen? Mein Herr hat mir Kräfte verliehen, von denen ihr Narren nicht einmal träumen könnt. Nun zahlt ihr den Preis für eure Arroganz.“ Feuer loderte in seinen Händen auf, ein
gleißender, blau-grüner Ball aus tobenden Flammen, die größer wurden und Naria blendeten, so dass sie den Kopf abwenden musste.
,, Ach wirklich ?“ , fragte da eine spöttische Stimme und im nächsten Moment verschwand das Gewicht über ihr. Und auch das Licht war plötzlich weg. Naria blinzelte und sah grade noch, wie der Körper des Geweihten zur Seite geschleudert wurde, als ihn etwas Unsichtbares mit voller Wucht traf
Und dann war auch schon ihre Mutter neben ihr. Rasch zog sie Naria auf die Füße, während der Geweihte sich langsam wieder aufrichtete. ,, Ich würde euch ja raten in Zukunft einen
großen Bogen um meinen Familie zu machen. Leider habe ich nicht vor euch eine zu lassen, Kreatur.“
Relina trat langsam auf den Geweihten zu, der schwankend auf die Füße kam. Die Überreste seiner Robe wurden ihm vom Wind um den Körper gepeitscht… und er grinste.
,, Alle Ketzer werden sterben. Das ist der Wille meines Herrn. Und ich bin die Lebende Verkörperung dieses Willens !“ , schrie er ihnen entgegen.
,, Naria… überlass mir dieses Großmaul.“ , war alles, was Relina darauf erwiderte. Naria hatte ihre Mutter selten so wutentbrannt erlebt. Sie tobte nicht, nicht äußerlich. Nach außen war
ihre Mine wie versteinert und grimmig. Aber es bräuchte einen Wahnsinnigen um sich ihr in den Weg zu stellen, dachte sie. Wie schon am Abend in der Versammlungshalle trug sie ihren Federmantel und ein weinfarbenes Kleid.
Der Geweihte wartete nicht, bis sie ihn erreicht hatte, sondern stürzte vor. Von einem Moment auf den anderen loderten Flammen um seinen Körper herum auf, eine lebende Fackel, die drohte alles in Brand zu setzen, was ihr zu nahe kam. Vor blinder Wut schien er jede Vorsicht vergessen zu haben und rannte direkt in Relina hinein. Statt die Gejarn jedoch ebenfalls in Feuer zu baden, lief er lediglich ins Leere. Wo eben noch
Relina gestanden hatte blieb lediglich ein rötlicher Schimmer in der Luft zurück, bevor sie im Rücken der Kreatur mit einem weiteren, rubinroten Blitz auftauchte.
,, War das alles ?“ , fragte sie. Die Antwort des Geweihten bestand aus einem Wutschrei, als er sich herumwarf und grünes Flammen atmete.
Erneut ging der Angriff ins Leere, als Relina verschwand… nur um dieses Mal direkt neben ihren Gegner aufzutauchen. Statt eines Zaubers rammte sie der Kreatur jedoch ein Messer zwischen die Rippen und war bereits wieder verschwunden, noch ehe diese ganz Verstand, was geschehen war.
Blutend und nun ebenfalls erschöpft, stolperte der Geweihte zurück in Richtung Wasser. Aus den Wunden, die Naria ihm zuvor geschlagen hatte, stieg nach wie vor Rauch auf und auch diese schienen sich langsam bemerkbar zu machen. Relina teleportierte sich erneut um ihm den Rest zu geben. Im gleichen Moment jedoch, wo die Gejarn verschwand, veränderte sich die Haltung des Geweihten plötzlich. Er ließ von seinen Wunden ab, als würd er sie plötzlich nicht mehr spüren und schlug gezielt zu. Geister… er hatte sich verletzt gestellt, dachte Naria mit wachsenden Schrecken. Sein Hieb traf
Relina genau in dem Moment, wo sie wieder auftauchte und schleuderte sie rücklings in den Sand. Naria wollte ihr zur Hilfe kommen, kam jedoch nicht weit, bevor sie erneut von einem Zauber gepackt und selbst ins Wasser geschleudert wurde. Hilflos musste sie zusehen, wie der Geweihte langsam auf ihre Mutter zutrat. Diese versuchte nicht einmal mehr hoch zu kommen. Stattdessen sah sie ihrem Henker nur grimmig entgegen, als dieser die Hände hob und diese erneut in Feuer tauchte. Relina krabbelte ein Stück weit über den Boden, weg von ihm. Es schien ihm egal, während sich das Feuer zu kleinen Kugeln formte, die alles in ihrem Weg
versengen würden. Und alles, was Relina hatte um sich noch zu verteidigen war… eine Handvoll Sand? Naria verstand nicht, was das sollte, aber die Gejarn packte blitzschnell zu und schleuderte ihrem triumphierenden Gegner eine Hand voll Deck entgegen.
,, So langsam habe ich wirklich genug !“ Die Körner flogen magisch verstärkt mit der Wucht einer Musketenkugel… und genau wie eine solche traf jedes einzelne Korn. Der Oberkörper des Geweihten verwandelte sich innerhalb eines Herzschlags in ein blutiges durcheinander aus zerfetzten Organen und Knochen, als ihn der Sand traf. Einen Moment schwankte die Gestalt
noch, dann sank sie langsam nach vorne und schlug ungebremst auf dem Boden auf. Schwarzes Blut sickerte aus dem völlig zerstörten Körper, während sich die schwarzen Male darauf langsam in Rauch auflösten. Alles, was von dem Schrecken blieb, war ein magerer Mann mit ergrauten Haaren, der im Tod fast… friedlich aussah. Naria brauchte eine Weile, bis sie den Blick abwenden konnte. Erst dann watete sie ans Ufer zurück, wo Relina bereits auf sie wartete.
Noch während sie in den Wellen stand, zog jedoch etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sein Körper trieb zwischen einigen losen Planken
dahin, wie so viele andere. Dennoch erkannte Naria ihn sofort. Er ist tot, sagte sie sich, als sie so schnell wie möglich zu der Gestalt watete. Doch ein Teil von ihr weigerte sich einfach, sich das einzugestehen, leugnete sogar noch, als sie Hedan packte und ans Ufer zog… Seine Haut war bereits eiskalt. Ein untrügliches Zeichen, das hier jede Hilfe zu spät kam. Trotzdem zog Naria ihn ans Ufer und ließ sich auf dem letzten Stück von Relina helfen. Der Kapitän der Immerwind war im Tod ungesund bleich für einen Mann, der sein Leben in Wind und Wetter verbracht hatte. Die harten Züge wirkten auf sie zum ersten Mal weich und entspannt, die trüben Augen
sahen ins Leere. Anders als seine Hände… Diese hatten sich zusammengekrampft und irgendetwas lag noch dazwischen. Ein Stück Papier, das vom Wasser fast völlig aufgelöst worden war.
Falls einmal etwas darauf stand, hatte das Meer zumindest nichts davon übrig gelassen, nur einige verschwommene Tintenflecken. Naria schloss ihm die Augen. Mehr konnten sie nicht mehr für ihn tun. Selbst seinen Körper würden sie hier zurück lassen müssen… zusammen mit so vielen anderen die wohl nie ein Grab sehen würden. Insgeheim hatte sie es doch gewusst, als sie sah, wie die Flotte unterging, nicht? Dennoch hatte
sie insgeheim gehofft, der Mann hätte der Zerstörung noch irgendwie entkommen können. Heute war kein Tag für Hoffnung, dachte sie, als sie und Relina sich vom Strand abwendeten und sich auf den Weg in Richtung der Klippen machten. Überall befanden sich die Verteidiger von Maras mittlerweile auf dem Rückzug und selbst Wys Paladine konnten diesem Ansturm nicht ewig standhalten. Egal, wie viele sie in die Wellen zurück trieben oder tot am Strand zurück ließen, der Strom aus übergelaufenen Kämpfern wollte nicht abreißen. Und sie hatten keinerlei Reserven mehr. Soweit sie sehen konnte hatte sich der Sand rot verfärbt, lagen
tote und sterbende beider Seiten am Boden. Und selbst die Wellen hatten einen roten Schimmer angenommen, trieben mehr Leichen und Trümmer mit sich und ließen ihre grausige Fracht am Strand zurück. Brände, magisch entfacht oder von Pech und Feuerpfeilen ausgelöst, wüteten auf den Schiffen, die im flachen Wasser auf Grund gelaufen waren und tauchten alles in ein unstetes, schauriges Licht. Und auch weiter die Küste hinab stieg zu Narias wachsendem entsetzen bereits Rauch auf. Der Hafen, dachte sie, während sie in Richtung des Feuerscheins sah. Offenbar beschränkte sich der Angriff nicht länger nur auf den Strand. Und warum auch nicht ? Ein
Blinder musste sehen, dass sie am Ende waren. Und es waren keine Narren, die auf den Schiffen das Kommando führten. Fanatisch ja… aber nicht dumm. Mittlerweile mussten sich wohl einige Galeeren auf den Weg die Küste hinab gemacht haben um die Siedlungen direkt anzugreifen. Und sie hatten kaum Männer dort zurück gelassen, dachte Naria. Lediglich einige von Zyles Wächtern und jene Stadtwachen, die verletzt oder krank waren. Und die sich jetzt mit ihren Gegnern einen Kampf um jedes Haus liefern mussten. Orange und Rot spiegelte sich der Schein der Flammen am dunklen Himmel wieder und brachte die Wolken von innen zum Glühen.
Dieser Tag wollte einfach kein Ende nehmen, dachte Naria müde.