Kurzgeschichte
Herr Knust sieht alles

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"Vom sehen und gesehen werden."
Veröffentlicht am 26. April 2016, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Vom sehen und gesehen werden.

Herr Knust sieht alles

HERR KNUST SIEHT ALLES






 

Herr Knust sitzt vor den Monitoren und schaut zu. Es sind sechs Bildschirme auf denen unterschiedliche Menschen zu sehen sind, außerdem Häuser, Bäume, Hunde, Rasenflächen und ein kleines Stück Himmel. Um ihn herum sitzen ein Dutzend andere Menschen die genau dasselbe tun wie Herr Knust. Sie beobachten. Die Bilder auf den Monitoren wechseln stets nach einem

voreingestellten Rhythmus. Alle zwei Minuten wechselt die Perspektive. Menschen ziehen an Herrn Knusts Augen vorbei, von vorne, der Seite, von hinten. Herr Knust schaut ihnen zu. Jeden Tag von 8 bis 14 Uhr, genau wie die anderen 9 Herren hier in diesem Raum. Sie alle sind Beobachter, Spanner im öffentlichen Dienst, ohne Beamtenstatus. Leuchtdioden blinken grün auf den Steuerkonsolen, Staubkörnchen flirren unterm Neonlicht, ein leiser Signalton meldet: Störungsfreier Betrieb. Die Gesichter der Männer lassen eine gewisse Anspannung erahnen. Das Gesicht des Herrn Knust offenbart eine Mischung aus

Konzentration und Wachsamkeit. Doch das ist nur der sichtbare Anschein, eine glaubhafte Fassade. Tief in seinem Kopf empfindet er nur grenzenlose Langeweile.

Seit drei Jahren macht Herr Knust diese Arbeit, und schon nach der ersten Woche begann sie ihn zu langweilen. Das weite Feld der „Überwachung des öffentlichen Raumes, “ hat auch seine Grenzen was das Ausleben eigener Abenteuerlust betrifft. Immer öfter gleitet die Aufmerksamkeit des Herrn Knust ab in die Frage der notwendigen Sinnhaftigkeit seines Treibens.

Den Menschen, die er und seine Kollegen beobachten, wird eine

fadenscheinige Sicherheit serviert. Ein vages Versprechen auf Schutz, das nicht eingelöst werden kann. Es ist nur ein Argument um den Menschen ein weiteres Stückchen Freiheit zu nehmen. Immer öfter fragt sich Herr Knust, wo das einmal endet.

Doch den Menschen, denen er so gelangweilt zusieht, scheinen sich

nicht sehr daran zu stören. Ganz im Gegenteil. Herr Knust hat den begründeten Verdacht, dass sich diese Leute extra in Szene setzen. Da ist diese Frau in mittleren Jahren Herr Knust bemerkt sie mehrmals am Tag, - sie schmeißt sich sichtlich in Pose. Zieht ihre Lippen mit frischem Rot nach,

ordnet ihr brünettes Haar und drückt ihre Brüste in die Landschaft. Alles kommt dem Herrn Knust sehr kontrolliert und arrangiert vor. Pure Selbstdarstellung, denkt der Herr.

Und dann ist da noch dieser Kerl. Auch ihn muss Herr Knust mehrmals am Tag beobachten. Dieser Mensch scheint eine ziemliche Plage zu sein. Nicht wirklich gefährlich, bedrohlich oder verdächtig. Nein.

Er ist ein Wildpinkler. Ein Freiluftfreund. Ein Mensch dem es Freude bereitet sich in der Öffentlichkeit zu erleichtern. Oft und ausgiebig. Man kennt ihn. Er wurde oft verwarnt, m it Platzverweisen bedacht

und für kurze Zeit inhaftiert, Amtsärztlich begutachtet. Nichts davon schreckte ihn ab. Nun waren die gesetzlichen Möglichkeiten erschöpft, der Mann frönte weiterhin mit Hingabe seiner Leidenschaft.

Herr Knust ist der festen Meinung, dass dieses Geschöpf genau weiß, dass er von Kameras umgeben ist, dass alle seine Bewegungen registriert und aufgezeichnet werden. Und ihm gerade dieser Umstand in wahre Verzückung geraten lässt. Herr Knust schließt dies aus dem gesamten Auftreten dieses Mannes, seinem kleinen verschmitzten Lächeln, dem gekonnten Griff in seine Hose, dem spielerischen Abschütteln.

Herr Knust, obwohl schon einiges gewohnt, ist jedes Mal aufs Neue erstaunt wenn er den Menschen zuschauen muss. Er ist in einer Zeit aufgewachsen als es lediglich Röhrenfernseher mit drei Programmen, Zimmerantenne, und in Schwarzweiß für die häusliche Unterhaltung gab. Das ist lange her, jedoch noch keine Ewigkeit. Man kann sich erinnern. So wie der Herr Knust. Der sich fast täglich fragt was er da zu sehen bekommt. Ist das alles noch echt? Sind das da draußen wirklich noch echte Menschen? Oder bestenfalls schlechte Schauspieler, die lediglich wirre Szenen aus schlechten Filmen oder Serien nachstellen? Alle Selbstdarsteller?

Verwundern würde es ihn nicht.

In diesen Zeiten muss man Online sein. Vernetzt und stets abrufbar. Sichtbar für alle Welt. Stete Präsenz ist erwünscht, und wird allzu bereit angeboten. Jeder Mensch glaubt etwas von sich Preis geben zu müssen, sei es auch noch so banal. Selbstinszenierung ist Trumpf. Fratzen - Selfies, Online - Clips. Schnell gemacht. Schnell konsumiert. Schnell vergessen. Doch an permanentem Nachschub mangelt es nicht. Jeder besitzt sein Smartphone; seinen persönlichen Schlüssel ins grenzenlose Netz. Jeder Darsteller findet sein Publikum, jeder sucht nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, oder

hämische Ablehnung. Alles wird in Kauf genommen, Hauptsache man füllt einen Bildschirm.

Herr Knust denkt an die alte Zimmerantenne, die drei Programme, die alles so einfach erscheinen ließen. Die technische Entwicklung fasziniert ihn, die menschliche nicht. Die macht ihm eine Riesenangst.







Text: harryaltona

Cover: Jorme Bork/www.pixelio.de




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Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.

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baesta Kann jedes Deiner Worte nur unterstreichen. Der Selbstinszenierung sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Das ist eine Folge der technischen Entwicklung bei der der Verstand des Menschen oftmals nicht mithalten kann..
Schau mal S.5 ganz unten - Du siehst es sicher selbst.
LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Danke für den Tip, Bärbel. Und selbstverständlich den lieblichen Rest.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Sealord Gut erkannt und verwortet!
LG Uwe
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Besten Dank, Uwe.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume Hallo Harry,
beängstigent Deine Geschichte, weil sie die Wirklichkeit widerspiegelt. Obwohl wir alle wissen , dass uns vom gläsernen Menschen nur noch eine Winzigkeit trennt,tragen wir alle freiwillig dazu bei,.Jeder ist manipulierbar.
Habe heute im Studiokino den Film "Er ist wieder da" gesehen. Nachdem ich das Buch gelesen hatte ,war ich der Meinung man kann und sollte es nicht verfilmen,doch ich habe mich getäuscht. Das Charisma des Hauptdarstellers hat mich erschreckt und fasziniert zu gleich.Ich glaube alles ist möglich wenn der oder die Richtige(n) aufeinandertreffen.
Grüße an Dich schickt die Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Aber klar. Alles ist möglich. Donald T. wird Ami - Präsident, TTIP kommt - und viele merken es noch nicht mal. Sind viel zu viel mit sich selber und ihrem Profilbild beschäftigt. Leider, leider...
Tausend Dank, Kornblume!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Herr Knust sieht alles..."
Nein, ich besitze KEIN Smartphone, aber nur weil ich KEINES besitzen will... ...grinst*
Dennoch ist die Sorge von Herrn Knust absolut berechtigt,
denn Big Brother is watching you, weil die Allmächtigen
in diesem Lande in letzter Konsequenz alles,
aber auch wirklich alles über ihre Bürger wissen wollen... ...grinst*
Das wirkliche Zauberwort heißt nämlich: >Die totale Überwachung<
Denn Kameras verhindern definitiv keine Straftaten,
so wie die Todesstrafe in den U.S.A.
keine Morde verhindern kann...
LG Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Stimmt genau Louis. Der einzige Grund scheint mir eine machtvolle Kontrolle aufzubauen. Überwachung ist nur der erste Schritt. Warten wir mal auf diese netten Implantate, die man schon in Filmen sieht...
Tausend Dank Louis.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen Angsteinflößend - - - ja, die Entwicklung unserer Gesellschaft hat schon etwas eigenwilliges. Doch sieht man sich junge Erwachsene genauer an, so ist man seltsam überrascht. Sie sind oft sehr bodenständig! Ganz im Gegensatz zu dem, was die junge Medienwelt so wiederspiegelt.
Verstehe das wer will. Alles ist anders, aber nicht so schlimm, wie wir es wahrnehmen ...
öhm ...
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Ja, das soll jemand verstehen. Ich kenne ja auch so einige. Dauernd Online, blind und taub für echte Gesprächspartner. Andererseits auch unbedingt Lebenstüchtig. Es kommt eben doch auf die feinen Nuancen.
Tausend Dank, Frettschen!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
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