Kapitel 76 Der Drache
Finger begleitet von aufgeregten Schreien zeigten gen Himmel, als die gewaltige Kreatur eine Kurve dicht über ihren Köpfen flog. Naria konnte den Luftzug spüren, den jede Bewegung der großen Schwingen begleitete. Goldene und weiße Schuppen schimmerten in der Sonne, als der Drache erneut wendete und auf den Platz hinab stieß.
Die Menge, die eben noch so feindselig auf den letzten Archonten und seine zwei Begleiterinnen gestarrt hatte, sprang auseinander und auch Naria und die anderen mussten sich wegducken um nicht mit Kareth zusammen zu stoßen.
Einen Moment war sogar sie versucht, wegzulaufen…
Nur der rote Heilige sah der Bestie ohne eine Regung entgegen… und lachte. ,, Also wird das ein Duell der Götter, Mädchen ?“ Seine Augen blitzten. ,, Ihr hättet zurück in eure Wüste…“
Weiter kam er nicht mehr. Zu spät wurde ihm klar, dass der Drache nicht zur Landung ansetzte. Das Lachen des roten Heiligen verstummte. Ungebremst prallte der Titan mit dem völlig überraschten Mann zusammen. Mit weit aufgerissenen Auge wurde Träumers Meister von den Füßen gerissen und wäre beinahe direkt im Maul Kareths gelandet. Grade noch rechtzeitig warf er sich in einem Versuch
auszuweichen herum und so streifte der Drache ihn lediglich mit dem Kopf und sein Arm geriet zwischen die Fänge. Der Aufprall, als der Drache schließlich doch landete und den hilflosen Mann schüttelte brachte die Erde unter ihren Füßen zum Zittern. Und dann ließ Kareth die Gestalt schließlich los, die regungslos zu Boden fiel. Mit einem Prankenhieb schleuderte der Drache seinen immer noch bewegungsunfähigen Gegner in eines der Gebäude am Platz. Die Wucht der Attacke zertrümmerte die mit weißem Marmor gekachelten Wände und brachte eine der Säulen, die ein Vordach trugen ins Wanken.
Das konnte er nicht überlebt haben,
dachte Naria, als sie zusah, wie die halbe Außenmauer in sich zusammensackte und was, was noch vom roten Heiligen geblieben sein mochte unter sich begrub. Bevor sie jedoch noch dazu kam etwas zu sagen, ließ Kareth bereits einen Feuerschwall folgen. Gold-rote Flammen schossen in einem Strahl aus den Nüstern des Drachen und hüllten das gesamte Gebäude ein. Brennende Hitze schlug ihnen entgegen und zwang nun auch Wys und Naria dazu, zurückzuweichen. Trämer hingegen starrte ungläubig weiter auf die Wand aus Flammen hinter der sein Meister soeben verschwunden war. Vielleicht war dieser Mann doch nicht so unbesiegbar
wie er geglaubt hatte, dachte Naria.
Kareth jedoch belehrte sie schnell eines Besseren. ,, Verschwindet hier.“ Der Drache und Sine sprachen gleichzeitig, wie mit einer Stimme, , das Mädchen nach wie vor wie in goldenes Feuer gebadet. Naria meinte sogar das Band zu sehen, das sie und der Drache miteinander geknüpft hatten, ein kaum sichtbarer, goldener Faden, der ab und an aufblitzte wenn eine magische Flamme ihren Weg daran entlang fand. Das Mädchen schien sichtlich bemüht darum, sich auf den Beinen zu halten. Wussten die Götter, wie sie Kareth gerufen hatte, aber es schien sie fast sämtliche Reserven gekostet zu
haben.
Verschwinden ? Naria blinzelte durch den Vorhang aus Asche und Glut, der vor dem zusammengefallenen Gebäude niederging. Das Feuer des Drachen hatte die Steine teilweise verflüssigt und verformt und nach wie vor glühten einige Marmorblöcke hellrot. Aber der rote Heilige war Tod. Oder ?
Wie um ihre Frage zu beantworten, bewegte sich etwas zwischen den Trümmern… und lachte. Das war doch nicht möglich…
Langsam rappelte sich die Gestalt des roten Heiligen inmitten der Glut auf. Flammen leckten an seiner Haut und seinen Kleidern, jedoch ohne diese dabei
zu versengen. Für Naria sah es sogar so aus, als würde sein Körper das Feuer einfach aufsaugen und ersticken, als wäre seine Haut so kalt wie die Eiswüsten des Nordens. Selbst der noch kochende Stein unter seinen Füßen schien ihn nicht zu stören, während er einfach darüber hinweg lief.
Zwischen Asche und Staub trat er gemächlich wieder auf den Platz hinaus. Kareth jedoch wartete nicht darauf, das sich sein Gegner wieder fing, sondern ließ sofort eine weitere Feuersbrunst folgen.
Diesmal jedoch, war sein Gegner vorbereitet. Kurz bevor die Flammen in erneut einhüllten, wich er aus und
sprang bei Seite. Noch im Fallen schlug er dabei die Sense in den Vorderlauf des Drachen. Er hätte auch mit einer Nadel auf einen voll gerüsteten Paladin einstechen können. Die Klinge der ohnehin unhandlichen Waffe glitt ohne eine Verletzung zu hinterlassen einfach ab, während Kareth sich nun daran machte, den gestürzten Mann einfach unter einer Kralle zu begraben.
Mochte sein, das er sich mit irgendeinem Zauber vor den Flammen geschützt hatte, aber gegen die rohe Macht eines Drachen wäre auch Magie nutzlos. Zumindest hoffte Naria das. Kareth müsse ihn nur ein einziges Mal treffen…
Der rote Heilige wich unterdessen der
Kralle aus, in dem er sich über den Boden rollte und Zauber nach der Gestalt des Drachen schleuderte. Lichtblitze in allen Farben zuckten durch die Luft, prallten jedoch genau so ab, wie zuvor die Sense. Ein Drache, oder zumindest seine Knochen, waren so gesehen ein riesiger Magiespeicher, dachte Naria. Ihm mit einem Zauber beikommen zu wollen machte ihn am Ende vielleicht sogar stärker. So oder so, Träumers Meister war gezwungen zurück zu weichen, auch wenn er zumindest wieder auf die Füße kam. Und dann schwang Kareht sich erneut mit einem gewaltigen Heben der Schwingen in die Luft um sich auf seinen Gegner zu
stürzten. Der Drache stieg so schnell, das Naria ihm kaum mit den Augen folgen konnte, bis er auch schon in den Wolken verschwand…
Doch der rote Heilige schien sich nicht mehr um die Gefahr zu kümmern, die ihm von oben drohte. Sein Blick war über den zerstörten und mittlerweile menschenleeren Platz zu Sine gewandert, die nach wie vor nicht einmal von der Stelle kam.
,, Ich verstehe…“ Das selbstsichere Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück. ,, Es war dumm von euch, euer Leben an diese Frau zu binden, Kreatur !“ , rief er herausfordernd zu den Wolken empor… bevor er erneut die Sense hob. Bevor er
jedoch dazu kam, sich auf Sine zu stürzen, stellte sich ihm Träumer mit ausgebreiteten Armen in den Weg. Naria schloss die Augen. Wo blieb nur Kareth ? Obwohl es ihr wie eine Ewigkeit vorkam, war es nur wenige Augenblicke her, dass der Drache verschwunden war…
,, Bitte…“ Träumer machte keine Anstalten bei Seite zu gehen. ,, Verschont sie…
Weiter kam er nicht mehr, als sein Meister ihn auch schon bei Seite fegte, als wöge er nicht mehr als eine Feder. Träumer landete auf den Rücken und blieb wie betäubt liegen.
,, Stell dich mir nie wieder in den Weg.“
, schrie er an Träumer gerichtet, der versuchte sich aufzurichten, zwischen seinen Herrn und Sine zu gelangen , vergebens. Das Mädchen hatte nicht einmal die Kraft, wegzulaufen, als die Sense herabfuhr. Naria sah, wie sie strauchelte, wie das goldene Feuer um sie herum erlosch, während Blutrosen auf ihrer Kleidung erblühten…
Im gleichen Moment war irgendwo über ihnen ein ohrenbetäubendes Brüllen zu hören und die Wolken verdunkelten sich. Kareth flog nicht, sondern fiel. Fiel wie ein Stein, der schwer zu Boden stürzte und sich in das Pflaster des Platzes grub. Die Erde zitterte erneut, doch die Gestalt des großen Drachen, machte
keine Anstalten mehr, sich zu erheben. Schwer atmend und mit gebrochenen Gliedern blieb er liegen wo er war, während der rote Heilige lachend zu ihm trat.
Naria war unterdessen an Sines Seite gestürzt. Das Mädchen mochte noch Leben, aber es gab nichts mehr, was sie noch für sie tun konnte. Ihr fehlte die Kraft für einen Heilzauber und ihre gesamten Heilkräuter lagen jetzt irgendwo verschüttet. Verwirrt und ohne überhaupt noch zu erkennen, was um sie herum vorging, verblutete die Whaid in ihren Armen und im gleichen Moment lag auch der große Drache still, der wie ein Berg dalag. Was eben noch ihre
Rettung hätte sein können, war mit einem einzigen Schlag vernichtet worden und Naria fühlte nichts dabei. Nur eine seltsam distanzierte Trauer und Wut.
Sanft ließ sie Sines toten Körper zu Boden sinken und stand auf. Wys, der nach wie vor am gegenüberliegenden Ende des Platzes stand, hob das Schwert, doch sie bedeutete ihm schlicht, es sein zu lassen. Es war vorbei…
,, Warum ?“ Sie sah zu Träumer, der mit gesenktem Kopf an die Seite seines Meisters trat. ,, Warum ? Ich verstehe es nicht. Ihr behauptet, ihr würdet für eine bessere Welt kämpfen? Seht euch um!
Helike mag nicht perfekt sein, aber bevor ihr kamt haben hier hunderte nein tausende von Menschen noch ein sicheres und normales Leben führen können. Verdammt… wir hatten Frieden ihr verdammter Narr. Und das gleiche gilt auch für das Kaiserreich Cantons. Seien wir ehrlich, wenn Kellvian wollte könnte er das Leben für alle dort zur Hölle machen, ein einzelner Mensch mit zu viel Macht ist selten eine gute Idee, wir haben auf Maras unsere Konsequenzen daraus gezogen. Aber die Kaiser der Belfare haben bisher immer Gerechtigkeit walten lassen und er ist einer der besten Menschen die ich kenne. Es gibt hunderttausende, die
ohne die von Helike und der fliegenden Stadt aus gesicherten Handelsrouten schlicht verhungern würden und noch mehr, die verfolgt würden, ohne kaiserliche Freiheiten und Rechte. Es gäbe sogar Raum für euch… wenn ihr einfach aufhören würdet zu töten. Aber ihr wollt das alles zu Nichte machen? Warum ? Weil es sich eurer Vision nicht beugt?“
Sie hatte nicht mit einer Antwort gerechnet und so erschreckte es sie fast, als Träumer aufsah. Einen Moment traf sich ihr Blick und er schüttelte den Kopf. ,, Weil, wie ihr schon sagtet, es eben nicht perfekt ist. Es gibt immer noch genug Böses hier und in Canton…
und es muss vernichtet werden. Niemand, nicht einmal Sine, ist völlig ohne Schuld… eine Lektion die ich erneut lernen musste. Un dich danke meinem Meister dafür.“
Naria wusste einen Moment nicht was sie sagen sollte, ob sie überhaupt noch etwas sagen sollte. Das war Irrsinn. ,, Perfektion ? Hört ihr euch eigentlich noch selbst zu? So etwas gibt es nicht… Ihr redet davon so lange weiter Unschuldige Abzuschlachten, bis ihr ein Ziel erreicht, das niemals erreicht werden kann!“
,, Für Sterbliche schon. Aber der Herr der Ordnung ist kein Sterblicher. Sagt ihr, es gäbe etwas, das selbst für einen
Gott unmöglich ist?“
,, Ich sage genau das. Sagt mir nicht, ihr hättet je etwas gesehen das perfekt wäre. Aber ich fürchte, ich verschwende an euch nur meinen Atem. Ich habe euch mal für einen guten Menschen gehalten wisst ihr… aber ihr seid nicht weniger Wahnsinnig wie er.“ Naria deutete auf den roten heiligen, der mit überkreuzten Armen stumm wartete, fast genau gegenüber von Wys.
,, Ich habe geschworen, meinen Meister zu schützen… und seine neue Welt aufzubauen.“ , erklärte Träumer lediglich. ,, Es tut mir leid, aber es gibt kein zurück.“
,, Das erkennt ihr ganz richtig. Und
genau deshalb überlasse ich diese beiden jetzt euch, Träumer. Ich bekomme langsam meine Zweifel, wie ihr wirklich zu mir steht. Also…tötet den letzten Archonten und die Gejarn für mich. Jetzt… Dann ist diese Stadt unser und wir einen Schritt näher an unserem Ziel.“
,,Herr…“Träumer machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Er senkte lediglich den Kopf und wendete den Blick ab, sowohl von ihnen als auch vom roten Heiligen.
,, Ihr werdet tun, was man euch befiehlt. Tötet sie.“
Einen Moment lang, war Naria vollkommen davon überzeug, das er es
nicht tun konnte, nicht tun würde. Sie hatte gemeint, sie hätte sich in ihm getäuscht, aber das stimmte nicht. Er zögerte, kämpfte mit sich. Träumer wusste genau, dass er etwas Falsches tat. Und doch nickte er schließlich nur.
,, Wie ihr wünscht Herr.“
Narias letzte Hoffnungen zerfielen zu Staub. Das war das Ende, dachte sie. Selbst weglaufen würde kaum etwas bringen. Selbst wenn sie im vollbesitzt all ihrer Kräfte gewesen wäre, wäre es fraglich, wie viel sie gegen Träumer ausrichten könnte. Sie schloss die Augen und machte sich bereit, es trotzdem zu Versuchen. Wenn schon nichts anderes, könnte sie wenigstens versuchen, Wys
etwas Zeit zu verschaffen. In allem anderen hatte sie versagt. Der ganze Grund, aus dem man sie hierher gebracht hatte war, schlimmeres zu verhindern. Und jetzt lag alles, das Ergebnis von Jahrzehntelanger Arbeit, in Trümmern. Und Sine, Kareth, Larth und all die anderen waren tot. Ihre Anwesenheit hier hatte nichts geändert und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich schlicht… völlig hilflos.