Kurzgeschichte
Klopfsignale - AUTORENCHALLENGE NR. 7

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" ... ... und keiner war bei ihr"
Veröffentlicht am 13. April 2016, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Kudryashka - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich bin alt wie ein Baum, wild wie der Wind und neugierig wie ein Kind. Ich schreibe und lese, solange ich mich zurückerinnern kann. Einst beruflich als Fernsehautorin. Nun solls als Hobby in die Belletristik gehen. Ich lebe wieder in Deutschland, in Stralsund. Ungarn ist Vergangenheit
... ... und keiner war bei ihr

Klopfsignale - AUTORENCHALLENGE NR. 7

Klopfsignale

Bereits um sechs Uhr strahlte der Himmel blau und die Sonne entfaltete ihre Kraft. Katrin und Hajo standen mit ihren Kaffeepötten am Panoramafenster ihrer neuen Wohnung. "Freier Blick zum Wendelstein" hieß es in der Wohnungsanzeige. Und ja, bis auf die Birke, die im leichten Maiwind ihre Äste wiegte versperrte nichts den Blick hinauf. Sie freuten sich auf ihre erste Wanderung auf die Alm.

"Jetzt aber los!", holte Hajo sie beide aus ihren Träumen. In einigen Minuten würden ihre Freunde mit dem Möbelwagen vor der Tür der Wohnanlage stehen.

Einen Zettel, dass heute etwas Unruhe wegen Umzugs aufkommen würde und ein herzliches "Grüß Gott" hatten sie bereits am Vortag in in den Briefkästen verteilt. Bis auf die Haushälterin des Pfarrers, die unter ihnen eine Wohnung besaß und einen Steiermärker, der auch hier wohnte, wenn er nicht auf Montage war, dienten die anderen sechs Appartements als Ferienwohnungen. Nur oben eine kleine Dachwohnung sollte noch bewohnt sein, auf der anderen Seite von ihrer oberen Etage wo Gästezimmer und Schlafzimmer lagen. Ihre Vermieterin hatte gemeint, die Alte wäre etwas meschugge, man solle sich nicht um sie kümmern. Nun man würde sehen.


Hajo lief die Treppen zur Haustür hinunter und öffnete beide Flügel, während Katrin die Tassen im Waschbecken der Gästetoilette auswusch und alles für einen Begrüßungskaffee vorbereitete. Sie sah durchs Küchenfenster,  wie Hajo mit dem Auto zum Dorfbäcker fuhr, wo er beim benachbarten Schlachter auch Aufschnitt für ein Frühstück besorgen konnte.

Dann räumte sie ihre Campingliegen und Schlafsäcke ins obere Stockwerk, um Platz zu schaffen für  Kartons und Möbel. Ihre große Berliner Altbauwohnung   war Vergangenheit, die neue Arbeit in München und diese traumhafte Wohnung im oberbayerischen Kurort würde ihre Zukunft ausmachen. Katrin bugsierte die beiden

Campingliegen schwungvoll in das zukünftige Gästezimmer und konnte nicht mehr verhindern, dass sie lautstark gegen die gegenüberliegende Wand polterten.

Im selben Moment ertönte hinter der Wand eine lautstarke Schimpfkaskade im feinsten Oberbayerisch, von der sie nur mehrmals den Begriff „Saupreuße“ verstand.

Na das konnte ja heiter werden.

Sie schaffte es jedoch nicht mehr, das neue doch bereits stark zerknitterte Nachbarschaftsverhältnis persönlich wieder aufzubügeln. Mit großem Hallo kamen die Umzugshelfer in die Wohnung und stellten die ersten Kisten vorerst unten im Wohnzimmer ab. Hajo rief ihr zu: "Wir sind alle da und haben Frühstückshunger!"


Nach einer herzlichen Begrüßung zeigte Hajo ihren Helfern die Wohnung, um das Abladen des Umzugswagens zu besprechen. Katrin war währenddessen dabei, ein herzhaftes Frühstück mit belegten

Semmeln und Kaffee zu bereiten, als durch die geöffnete Wohnungstür von der Haustür her ein Schwall lauter Flüche zu ihr drang. Sie kannte diese Stimme bereits und eilte die Treppen hinunter.

"Sie sind doch die Preußen, die hier im Haus rumrandalieren? Machen sie den Gehweg frei und die Haustür hat verschlossen zu sein! Der LKW muss weg!“, keifte eine zerknitterte hagere gebeugte alte Frau im verwaschenen Dirndl sie an. Die

grau-schwarzen Haare hatte sie in einen langen dünnen Zopf geflochten und um ihren Kopf gewickelt. Katrin rang um Fassung und lächelte die Unbekannte an.

„Entschuldigen sie, mein Name ist Katrin Schneider. Wir ziehen heute hier ein und das ist der Möbelwagen. Wir schließen ja anschließend wieder zu und der Wagen ist dann auch weg.“

„Nicht dann, sondern jetzt und sorgen sie verdammt nochmal für Ruhe. Das ist ein ordentliches Haus und kein Preußenpuff, merken sie sich das!“

Die Alte knallte die Haustür zu, schloss sie von innen ab und stieg wieselflink die Treppen hoch. Katrin hatten dieser Ausbruch und die Boshaftigkeit die Sprache

verschlagen. Sie folgte der Alten langsam und bog dann im Flur des Treppenhauses zu ihrer Wohnung ab.  Hajo und die Freunde lauschten ihrem Bericht. „Na das kann ja lustig werden!“, meinte Hajo. „Falls die Alte Terror macht, brauchen wir ´ne Türwache. Ein Glück, dass ich eine Genehmigung besorgt habe, dass wir auf dem Fußweg bis zur Haustür fahren und heute bis 18 Uhr hier stehen dürfen.“

Sein Freund Reiner sagte: „Na dann wollen wir mal anfangen. Bevor es 18 Uhr ist.“ Und er schob den Rest seiner Leberkas-Semmel in den Mund.


Tatsächlich war es der spannendste Umzug, den sie alle miteinander je

bewerkstelligt hatten. Katrin wehrte heldenhaft alle Versuche der Alten ab, die Haustüre abzuschließen. Die Alte hatte eine himmlische Geduld. Und Hajo hatte zweimal verhindert, dass sie das Treppenhaus mit ihrem Schrubber und Feudel unter Wasser setzte. Mittags war der LKW leergeräumt und Katrin hatte das Haus gewischt. Die Freunde machten sich nach einer Pause auf den Rückweg nach Berlin.


Wie es weitergegangen ist?


Nun, in den ersten Wochen, als Hajo die Schränke aufbaute und hier und da gebohrt und gehämmert wurde, wehrte sich die Alte,

die auf den Namen Lisl Unterhuber hörte, jedes Mal mit heftigem Klopfen und Schimpfen. Ein freundlicher Ton wollte nicht aufkommen. Auch nicht durch die Vermittlung der Haushälterin von Hochwürden Hinterer, die sich Gretl Mairhofer nannte.


Die Beiden gewöhnten sich an das Klopfen gegen die Wand aus dem oberen Teil der Wohnung, das selbst dann laut zu hören war, wenn sie das Radio im Wohnzimmer leise an hatten und lasen. Keiner wusste, warum sie klopfte und was sie störte.

Manchmal schien sie auch zu viele Likörchen getrunken zu haben und sang schief und falsch.

Sie lernten schnell, die Alte aus ihrem Leben auszublenden.


Eines Morgens, nachdem wieder bis in den späten Abend geklopft und geschrien wurden war, stand vor dem Haus ein Krankenwagen. Vom Balkon aus sah sie, dass man Frau Unterhuber auf einer Trage in den Wagen schob. Später erzählte ihr Gretl Mairhofer, die alte Unterhuber habe geklopft und gerufen, weil sie von der Leiter gestürzt war. Da sie das Fenster nicht mehr schließen konnte nach dem Sturz, der eine Schädelwunde und ein gebrochenes Bein nach sich zog, bekam sie in der eisigen Nacht auch noch eine Lungenentzündung.


Aufmerksam geworden war am nächsten früh der Knecht vom Wiesenhofbauer, der um 4 Uhr zum Melken hoch gelaufen ist. Er hatte den Krankenwagen gerufen. Sie starb zwei Tage später im Krankenhaus an der Lungenentzündung im Alter von 86 Jahren.


Ihrem Sarg folgten nur die beiden Berliner Katrin und Hajo Schneider und Gretl Mairhofer.

Und keiner wird je erfahren, wo der Schlüssel zu einer guten Nachbarschaft mit ihr zu finden gewesen wäre. Schade.

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Tintenklecks
Ich bin alt wie ein Baum, wild wie der Wind und neugierig wie ein Kind.
Ich schreibe und lese, solange ich mich zurückerinnern kann.
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Ich lebe wieder in Deutschland, in Stralsund. Ungarn ist Vergangenheit

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GertraudW 
Warum mir diese köstliche Geschichte entgangen war, ist mir
ein Rätsel. Ich hab`s jetzt schmunzelnd gelesen und sie hat mir
unheimlich gut gefallen.
Nur gut, dass nicht alle Bayern so sind - grins*. ... Obwohl, wir
hatten eine Nachbarin ...
Übrigens, vor zwei (!) Jahren hat ein (vermögende) Frau genau
diese Wohnung übernommen - und "saniert" sie seitdem !!!
Da machst was mit ...
Ganz liebe Grüße an Dich und einen schönen Tag
Gertraud
Übrigens, "Saupreuße" wird er/sie nicht gesagt haben, wenn
schon, dann "Saupreiß" ... kicher*.
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks ja, liebe Gertraud,
habs nur übersetzt. Hier sind ja einige, die nicht bayowarisch redn.
Interessant.. mit der Wohnung. Ja, Bad Feilnbach .. herrlich..

Danke für den Favo :-)
LG vom Tintenklecks
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Ja freilich - hast schon recht.
Übrigens, Bad Feilnbach - das Moor- und Heilbad am
Fuße des Wendelsteins - ist mir bekannt ...
Ein ♥liches Dankeschön für Deine Kommentar-Münzen
ich freue mich sehr darüber
Liebe Grüße und einen schönen Nachmittag
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke So Lebensnah!


Wenn du schreibst, stecke ich als Leserin mittendrin.
LG zu Dir
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks ich danke dir, auch für den Favo.
LG vom Tintenklecks
Vor langer Zeit - Antworten
BellaCPernier Danke für deine Geschichte.

Aber ist es ja manchmal Tatsächlich und wenn man die Geschichten kennt, weiß man auch warum.

LG Catherne
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks ja, so ist es. Danke dir
lg vom Klecks
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume Zu meinen Nachbarn von nebenan halte ich immer etwas Abstand und pflege doch auch ein freundschaftliches Miteinander. Helfen wo angebracht, einen guten Tag und guten Weg, aber ansonsten macht jeder sein Ding. Viele Jahre leben wir nun schon so miteinander.Kennen voneinander die Kinder, Enkel, Hamster und den Hund.Es lebt sich gut so.
Hallo lieber Klecks
hätte Deine Frau Unterhuber ein kleines bißchen Entgegenkommen gezeigt, wäre alles in bester Ordnung gewesen und sie hätte vielleicht ein paar Tage länger leben können. Doch so, selbst schuld. Man kann das eine nicht wollen und das andere haben.Traurig ,wie manche Menschen sich das eigene Leben vergällen.
Fröhlich freundliche Nachbarschaftsgrüße über den Gartenzaun schickt die Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks Ja, da hast du wohl Recht. Sie galt als schrullig und wer weiß, was sie alles erlebt hat, dass sie so enden mußte. In dem 1000-Seelen-Dorf hatte sie wohl keine Freunde und Bekannte und auch keine familie..
Danke für Deinen Kommentar
LG vom Tintenklecks
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen Och mann ... die arme Alte.
Wer weiß, was ihre Augen alles mit ansehen mussten,
wer weiß, was ihre Ohren im Leben alles ertragen mussten
und wer weiß schon, was Enttäuschungen, Krieg und Einsamkeit mit ihr gemacht haben.
Als junger Mensch war sie bestimmt genauso lebensdurstig und kameradschaftlich, wie man es sich nur wünschen kann.
Ohne es zu merken, hat sie "den falschen Wolf" in sich gefüttert.
Arme Alte.

Deine Story ist schön fließend geschrieben.
Die Möbelpacker gehen an mir vorbei, treppauf treppab, als stünde ich daneben.
Die Alte steht an der Haustür und hält alle auf Trapp, zum Greifen nah.
Sehr schön.
Sehr lebendig.
Und auch sehr traurig.

Vor langer Zeit - Antworten
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