Kapitel 63 Fragen
Eine Weile lang, sagte er kein Wort mehr und auch Naria und die anderen wagte es nicht, erneut Fragen zu stellen. Das geschmolzene Eisen war mittlerweile zu grau-schwarzen Teichen erstarrt, die in die leeren Runen am Boden geflossen waren
,, Wir haben keine weiteren gefangenen.“ , erklärte Wys schließlich. ,, Darauf gebe ich euch mein Wort. Und da ich euch hier ohnehin nicht festhalten kann, wie es scheint, könnt ihr euch auch gerne selbst davon überzeugen.“ Der Archont klang nach wie vor
zerknirscht, aber nicht mehr so unsäglich wütend wie zuvor. Seit jener Nacht, in der sie den Schrecken von Helike gestellt und getötet hatten, schien Wys sich kaum noch unter Kontrolle zu haben und Naria verstand zu gut wieso. Diese Leute waren zu weit gegangen. Es ging nicht mehr nur darum, dass sie Unruhe in den Straßen stifteten, sie hatten gezielt getötet. Und vielleicht war das auch noch nicht alles. Sie hatten versucht gezielt sie zu töten. Wys selbst… und damit auch Tira. War die Sache vorher nicht persönlich gewesen hatten die Anhänger der Ordnung dafür gesorgt, dass sie dazu wurde.
Dennoch musste selbst er einsehen, dass
dieser Mann hier vor ihnen kaum etwas damit zu tun hatte. Träumer schien ernsthaft entsetzt über die bloße Möglichkeit, dass einer seiner Anhänger auf eigene Faust gehandelt haben mochte. Oder vielleicht steckte ja auch sein Meister dahinter, dieser rote Heilige. So oder so, er konnte ihre Vorwürfe nicht entkräften.
,, Das hätte nie passieren dürfen.“ , erklärte er. Seine Stimme war nach wie vor leise und ruhig, dennoch lief Naria ein Schauer über den Rücken. Die unverhohlene Wut darin stand der von Wys in nichts nach. ,, Aber nichts davon geschah auf meinem Befehl, das müsst ihr mir glauben. Und ich schwöre, wenn
ich herausfinde, wer dahinter steckt… werde ich ihn zur Verantwortung ziehen.“
Träumer sank sichtlich in sich zusammen. Erneut wagte es niemand, etwas zu sagen, während der Mann die Augen schloss und um Beherrschung kämpfte. Die Fackeln im Raum schienen kurz heller zu brennen und das dunkle Mal an seiner Hand sich zu verändern, als wäre es ein eigenes Lebewesen. Die roten Linien, die flüssiges Feuer führten veränderten sich und breiteten sich aus und färbten die Haut des Mannes dunkel.
,, Wir… Wir wissen, das ihr das nicht wolltet.“ Es war Sine, die es als erste ihre Stimme wiederfand. ,, Ihr habt mein
Volk nie bedroht, während ihr bei uns wart, Träumer. Aber was für Leuten dient ihr da nur ?“
,, Ich diene nur zwei.“ , erwiderte er. ,, Dem roten Heiligen und jenem, der mich zu ihm rief. Der Herr der Ordnung sprach in meinen Träumen zu mir, lange bevor ich dieses Leben hinter mir ließ. Vielleicht länger als ich mir dem selbst bewusst war. Ich hatte schon immer lebhafte Träume. Träume die wahr werden… allerdings wäre e sin meiner Zeit als Archivar wohl dumm gewesen jemanden davon zu erzählen. Viele in Helike verstehen Magie nach wie vor nur als Gefahr. Aber ich bin nicht berufen worden um Leid und Schrecken zu
verbreiten sondern ihm für immer ein Ende zu bereiten. Das ist nicht unsere Aufgabe… nur fürchte ich einige meiner Brüder könnten unter meiner Führung zu übereifrig geworden sein.“
,, Das ist wirklich seltsam. Wisst ihr ich hatte ebenfalls immer wieder Visionen.“ , meinte Sine nachdenklich. ,, Also ich… ich will euch wirklich nicht zu nahe treten, aber man muss wohl kein Gott sein um die Menschen Dinge sehen zu lassen.“
,, Das behauptet ihr. Aber euer Volk sieht Drachen als die Kinder der Götter an. Falsche Götter… dennoch kann es sein das wir uns tatsächlich ähnlicher sind, als ihr glaubt. Ich habe Menschen
wie euch in dieser Stadt gesucht, Sine. Menschen, die das wahre Wesen dieser Welt erlebt haben. Mit euren Gaben hätte euer Volk euch hochleben lassen sollen, stattdessen haben sie euch ausgegrenzt und Verachtet. Und das Beste auf das ihr je hoffen konntet, war Mitleid.“
,, Und was ist das wahre Wesen dieser Welt ?“ Naria verschränkte die Arme. Träumer antwortete nicht sofort, dennoch konnte sie sich die Antwort denken. Alles, was dieser Mann bisher gesagt hatte schien auf eines hinzudeuten.
,, Der rote Heilige lehrt, dass Menschen, wenn sie die Wahl haben, immer böse sein werden. Und genau aus diesem
Grund ist der Herr der Ordnung erschienen. Um diese Welt davon zu befreien.“
,, Ihr sprecht von Freiheit, aber… gleichzeitig sagt ihr, euer Herr sei bereit uns zu vernichten, wenn wir ihm nicht folgen. Was hat das mit Freiheit zu tun?“
,, Ich rede nicht von absoluter Freiheit. Das kann es nicht geben, sonst gäbe es keine Sicherheit mehr. Und diese Sicherheit wird der Herr der Ordnung bieten. Wenn alle erst unter seinem Wort vereint sind, wird diese Welt zur Ordnung finden. Ein langer Weg und damit er Erfolg haben kann, darf es leider niemand geben, der seinen Gott nicht auch als solchen anerkennt. Unsere
Seelen kehren im Tode zu ihm zurück um sich mit seinem Geist zu vereinigen…doch am Ende werden nur jene eins in ihm, die seinem Wesen entsprechen. Und dieser Welt die Ordnung bringen, die sie so dringend braucht. Es wird keine falschen Herrscher mehr geben , keine Kaiser, keine Könige… und auch keine Archonten.“
,, So schön das klingt, ihr könnt nicht wirklich hoffen, das jemals zu erreichen.“ ,stellte Naria fest. Und auch wenn Träumer das wohl verneinen würde, in ihren Ohren hörte es sich eher genau nach dem an, was die Archonten Jahrhundertelang getan hatten. Eine Gesellschaft aufbauen, die nach derart
strikten Regeln lebte, das sie nicht länger mit jenen Umgehen konnte, die etwas anderes dachten… oder auch nur anders geboren waren. Wie konnte Träumer das nicht sehen? Und es hatte ja sogar schon begonnen, in dem man diese Kreatur auf Helike losließ, die all jene jagte, die nicht das Zeichen des Herrn der Ordnung trugen.
,, Aber ich kann davon träumen.“ , meinte ihr gegenüber lächelnd. ,, Am Ende, streben wir nach ein und derselben Sache. Frieden. Wir nehmen nur unterschiedliche Wege. Und der Herr der Ordnung ist meiner. “ Offenbar war er sich der Ironie dieser Worte durchaus bewusst. Der Mann war wirklich ein
Träumer entschied Naria für sich. Allerdings… manchmal brauchte die Welt grade solche Leute, nicht? Auch wenn dieser auf der falschen Seite zu stehen schien. Ginge es hierbei nur um ihn, sie hätten wohl wirklich eine friedliche Lösung finden können. Aber sich einfach zu unterwerfen kam wohl weder für Wys noch für die Archonten in Frage. Und nachdem Naria gesehen hatte zu was die übrigen Kultanhänger fähig waren… Nein sie wollte sich wirklich nicht vorstellen, wie die Welt unter der Herrschaft solcher Männer aussähe.
,, Ich glaube euch schlicht nicht.“ , erklärte Sine. Das Mädchen schüttelte energisch den Kopf, während sie auf den
sitzenden Mann zutrat. ,, Ich meine… seit ihr den Böse ?“
,, Das kommt darauf an schätze ich.“ Sein Lächeln erlosch. ,, Ihr hattet eben Angst vor mir.“
,, Angst ist nicht dasselbe.“ Sine schüttelte erneut den Kopf. ,, Wenn ihr böse mit Angst gleichsetzt dann… Kleine Kinder fürchten sich vor der Dunkelheit, Träumer. Ich habe mich vor meinen Visionen gefürchtet ich…“ Das Mädchen schien kurz nicht zu wissen, wie es fortfahren sollte. ,, Unwissenheit erzeugt Angst. Nicht Bosheit. Es ist nicht schlimm sich zu fürchten aber… man sollte gewillt sein sich die Frage zu stellen ob das was man fürchtet wirklich
so schrecklich ist. Und das glaube ich einfach nicht. Nicht bei euch. Ihr meint was ihr sagt, wenn ihr behauptet uns helfen zu wollen. Ich… ich habe mich vor genug Dingen in meinem Leben gefürchtet um das zu wissen.. Ich hatte sogar vor Naria Angst. “
Immerhin sagt sie hatte, dachte die Gejarn und konnte ein schwaches Grinsen nicht unterdrücken. Das Mädchen war wirklich weit gekommen seid sie ihr das erste Mal begegnet war… war das wirklich erst ein paar Wochen her? Die junge Frau war weit über sich hinaus gewachsen seit damals und schien sich sogar eine eigentümliche Weisheit angeeignet zu haben. Oder vielleicht war
sie schon immer da gewesen, verborgen unter Unsicherheit und Furcht.
,, Aber niemand ist immer böse.“ , fuhr die Whaid fort. ,, Ich will ja nicht leugnen, das viele Leute grausam sein können, wenn sie glauben damit durchzukommen, aber… genau so gibt es auch immer jene, die sich kümmern. Es gibt auch jene, die schlicht nicht über ihren Schatten springen können, Träumer.“
Naria musste unwillkürlich an Abran denken, der scheinbar immer hart zu Sine war… aber am Ende doch derjenige war, der sie auffing und stützte und sich letztlich sogar einem Drachen in den Weg stellte. Manche Menschen konnten
eben wirklich nicht anders, dachte sie.
,, Und Naria erwähnte doch, ihr hättet sie gerettet…“ , endete Sine schließlich.
,, Vor bösen Menschen.“ , gab der Träumer zurück.,, Wie ihr seht, Beweisen sich meine Worte von selbst. Es tut mir leid es so zu sagen, aber, so sind die Dinge nun mal.“
,, Menschen, die eure Prediger erst aufgestachelt haben.“ ,warf Naria ein. ,, Das einzige was das beweist, ist, das die meisten Menschen sehr dumm werden, wenn sie Angst haben. Und auch wenn das in meinen Augen nicht viel besser ist, ist es doch auch kein Grund aus dem man sie zum Tode verdammen würde… Oder der es rechtfertigen würde, sie in…
Schutz zu nehmen, wie ihr es wohl ausdrücken würdet.“ So freundlich dieser Mann war, sein starres beharren zehrte an ihren Nerven. Und Wys hatte sich nach seinem kurzen Ausbruch ohnehin Breits an die Rückwand des Raums zurückgezogen, wo er mit verschränkten Armen auf sie wartete.
,, Ich glaube ich habe fürs erste genug gehört.“ , meinte der Archont kalt. ,, Er ist morgen sicherlich auch noch da… und nach heute haben wir uns alle etwas schlaf verdient. Ich werde die übrigen Archonten über unseren Erfolg informieren… und dann sehen wir weiter.“
,, Ich werde hier auf euch warten.“ ,
entgegnete Träumer , der lediglich mit den Schultern zuckte. Naria zweifelte nicht einmal daran. Und das führte nur zu mehr fragen. Was wollte dieser Mann? Wirklich nur, das sie ihm zuhörten? Sie glaubte ihm sogar, das er irgendwie davon überzeugt war ihnen damit zu helfen, aber Verstand er den nicht, das er unmöglich erwarten konnte, das sich alle Freiwillig seinem Herrn beugten? Das würde nie und nimmer geschehen… und damit gab es leider nach seinen eigenen Worten nur einen Weg, wie das alles Enden konnte.
,, Kann es sein, das ihr Sines letzte Frage immer noch nicht beantwortet habt ? , fragte Naria, während Wys und seine
verbliebenen Männer sich bereits zum Gehen wendeten. ,, Wenn wirklich alle Menschen böse sind, warum habt ihr mich dann damals nicht einfach sterben lassen ? Denkt darüber nach.“
,, Nur unter einer Bedingung.“ , entgegnete Träumer. ,, Ihr denkt auch über meine nach. Erzählt euren Archonten, was ich euch gesagt habe… bitte. Wenn mein Herr hier eintrifft müssen sie die Waffen strecken und das Knie vor ihm beugen. Nur so kann ich garantieren, dass niemanden etwas geschehen wird. Ihr wisst nicht, gegen was ihr euch stellt, aber wenn ihr euch weiterhin sträubt bezweifle ich, das man euch verschonen
wird.“
,, Darauf kann er lange warten.“, murmelte Wys leise, während er an der Tür des Raumes auf sie wartete.
Vielleicht, dachte Naria. Trotzdem machten seine Worte Angst. Die Drohung in seinen Worten war unverkennbar, aber er machte ihnen nicht etwa ein Angebot… er flehte geradezu darum, das sie ihm doch gehör schenkten. Ob er es zugab oder nicht, aber Träumer hatte Angst. Vor seinem eigenen Herrn und dem, was dieser Anrichten mochte, wenn er auf die Archonten traf. Und wenn jemand wie er sich vor jemanden fürchten konnte… dann waren sie tatsächlich nicht darauf
vorbereitet.
Sine und Naria blieben noch einen Moment im Raum zurück, wo Träumer langsam von seinem Platz aufstand und sich auf den bloßen Steinboden kniete. Die Hände faltete er dabei wie zum Gebet und schloss die Augen. Für was dieser Mann beten mochte, konnte sich keiner von ihnen vorstellen. Und doch verharrte er wie erstarrt am Boden, während die Minuten verstrichen und auch noch, als die beiden Frauen sich schließlich zum Gehen wendeten. Er rührte sich nicht einmal, als die schwere Tür schließlich ins Schloss fiel und ihm im Halbdunkel zurück ließ. Er hätte gehen können, aber wohin? Sein Platz
war hier, das wusste er. Ob es ihnen klar war oder nicht, er war der letzte Schild der zwischen diesen Leuten und ihrer Vernichtung stand und ihm blieb kaum noch Zeit…