Kapitel 50 Das Monster von Helike
Wie Wys bereits vermutet hatte, warteten die übrigen Archonten schon auf sie. Die fünf Gestalten auf ihren Steinthronen blickten ernst auf sie und Sine herab, während Naria zuerst berichtete, wie sie zu den Whaid gelangt war. Ihr Onkel bildete dabei keinen Unterschied, auch wenn er ihr zumindest ab und an aufmunternd zulächelte. Ihr… und auch dem Mädchen, das sich an der Wand neben der Eingangstür der Versammlungskammer herumdrückte. Ihnen allen war mittlerweile klar, wie ernst die Situation war. Mit den
neuerlichen Angriffen und dem Zustrom an Predigern war Helike alles andere als ein sicherer Ort. Wenn die Männer, die sich dem Herrn der Ordnung verschrieben hatten, sich gegen sie wenden wollten, dann waren sie jetzt, mehr als je zuvor, auch dazu in der Lage. Das die Stadtwache auch mit Hilfe der Paladine nicht in der Lage war, der Übergriffe her zu werden, zeigte der ganzen Bevölkerung nur, das ihre Herrscher sie nicht mehr schützen konnten. Eine Wahrheit, die allen fünf nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Selbst Larth schien sein Desinteresse verloren zu haben. Statt sich auf seinen Thron zu fläzen,
saß er starr da und spielte nervös am Griff eines Dolchs herum.
Und schließlich war es auch an Sine, ihren Teil der Geschichte zu erzählen, von Abrans Worten bis hin zu Kareths Enthüllungen über den Träumer… und dessen Auftrag, den Archonten ihre Hilfe anzubieten. Das Mädchen blieb dabei überraschend ruhig, auch wenn sie mehrmals zu Naria sah und nach Bestätigung zu suchen schien. Die Gejarn nickte jedes Mal nur, worauf sie nur fortfuhr, bis schließlich alles erzählt war. Sichtlich erleichtert trat Sine von den Thronen zurück und nahm ihren alten Platz an der Wand wieder ein.
,, Wie ihr seht, die Whaid haben nichts
mit den Vorkommnissen in Helike zu tun.“ , meinte Naria . Immerhin das mussten die jetzt alle verstehen.
,, Das mag sein.“ , schaltete sich Larth ein. Nach wie vor lies er die Finger nicht vom Dolch und fixierte dabei Sine. ,, Aber warum sollten wir auf eure Hilfe nagewiesen sein ? Euer Volk hat keinen Grund uns Erfolg zu wünschen, ganz im Gegenteil. Die Whaid stehen also nicht hinter diesen Attacken, schön. Ich will sie trotzdem nicht in unserer Stadt!“
,, Dabei hätten wir alle wohl ein Wort mitzureden. Nicht nur ihr.“ Larth hatte sich halb von seinem Platz erhoben. Sobald er jedoch Wys drohende Stimme hörte, sank er langsam wieder darauf
zurück. Die Spannung im Raum war fast mit Händen greifbar. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Sine hierher zu bringen, befürchtete Naria. Zusätzlich zu den ohnehin schon vorhandenen Problemen, würden die Archonten nun auch entschieden müssen, was aus ihr wurde.
,,Dem stimme ich zu.“ , meldete sich Helios zu Wort. ,, Und hier bin ich mit Larth einer Meinung. Nicht weil ich den Whaid nicht zutraue einen Schritt auf uns zu machen zu wollen… aber so wie die Dinge stehen ist das Risiko zu groß. Wenn diese Bedrohung beseitig ist, dann werden wir einen Botschafter der Whaid anhören, aber nicht
früher.“
Naria hätte den Mann am liebsten gefragt, was sie den bitte tun würden, wenn diese Bedrohung nicht verschwinden würde. Aber wen sie jetzt noch zusätzliches Öl ins Feuer goss, würde das hier garantiert kein gutes Ende nehmen.
,, Ich sage, sie bleibt.“ , erklärte Tira nun. ,, Und ich glaube darin bin ich mit Wys einer Meinung…“
,, Oh natürlich seid ihr das…“
,, Was bitte möchtet ihr damit sagen, Helios ?“ Die Archontin fixierte den hellhaarigen Mann.
,, Oh bitte tut nicht so. Wir wissen beide, das ihr was Lord Wys Carmine
angeht… ganz ohne Zweifel befangen seid.“
,, Wagt ihr es auch mir ins Gesicht zu sagen warum ?“ Tira war aufgestanden, genauso wie Larth, Wys und der Rest der Archonten. Naria meinte schon, das Kratzen von Stahl, der aus der Scheide gezogen wurde zu hören. Doch nichts dergleichen geschah.
,,Ruhe !“ Der Ruf ging mit einem kurzen aufflackern von goldenem Licht einher, das Sines Gestalt einhüllte. Wie eine Welle spülte es über die Steinfließen und die Throne der fünf Archonten hinweg. Naria und alle anderen waren einen Moment gänzlich darin eingehüllt und die Gejarn konnte das vertraute Kribbeln
eines Zaubers spüren. Und doch konnte sie nichts dagegen tun um ihn abzuwehren. All die kleinen Abwehrmaßnahmen die jeder Magier ständig um sich und in seinem Geist errichtete, zerbrachen einfach, als wären sie gar nicht vorhanden.
Sie wollte Sine fragen, was das sollte, doch als sie den Mund öffnete, kam kein Ton heraus. Den Archonten erging es offenbar nicht besser und die fünf sahen sich nur verwirrt an. All ihre Wut schien verraucht, während Sine zitternd wieder vortrat.
Das Mädchen schien genau so überrascht über ihren Ausbruch wie alle anderen. Einen Moment schien sie nach Worten zu
suchen und Naria fürchtete schon fast, ihr würde wieder die Stimme versagen. Das hier war vielleicht die einzige Gelegenheit, die sie bekommen würde, alle Archonten für sich zu gewinnen… jetzt wo sie ihr auch zuhören mussten.
,, Seit ihr alle zu blind zu erkennen, was wir in dieser Sache nur einen einzigen Feind haben ?“ Sines Stimme war leise doch in der Stille, die mittlerweile im Ratssaal herrschte, war sie unüberhörbar. Und sie war wütend, dachte Naria, etwas das sie nie erwartet hätte, noch einmal zu erleben. ,, Einen gemeinsamen ? Wenn nicht, dann kann ich wirklich wieder gehen. Ich… Ich wollte ohnehin nie hierher. Das hier ist
mir aufgezwungen worden… und wenn ihr glaubt keine Hilfe zu brauchen, dann schön… Ich finde den Weg zurück…“
Mit diesen Worten und einem erneuten Aufblitzen von goldenem Licht, drehte die Whaid sich um und war drauf und dran aus der Halle zu stürmen.
,,Wartet , bitte…“ Wys Worte jedoch trafen auf taube Ohren. Das Mädchen war bereits auf den Gang hinaus verschwunden und die Türen schlugen hinter ihr wie von selbst mit solcher Wucht zu, das Naria meinte hören zu können, wie die steinernen Angeln knirschten. Nur nach und nach schien den Archonten klar zu werden, was sie grade fast getan hätten. Sie hatten mehr
getan als sich nur ihren üblichen Zwist hinzugeben, sie hatten sich zerstritten. Grade jetzt wo sie mehr denn je gebraucht würden.
Helios war der erste, der seine Stimme wiederfand. ,, Also..“ Er räusperte sich unbehaglich. ,, Ich wäre euch sehr Verbunden wenn ihr vergessen würdet, was ich gesagt habe.“ , meinte er an Tira gerichtet. ,, Und ich glaube wir können uns wohl alle darauf einigen, dass man die Whaid zurückruft. Ihre Hilfe ist… mehr als nur gewünscht, sondern sogar ausdrücklich erbeten.“
Niemand wiedersprach , auch nicht, als Wys und Naria sich schließlich aufmachten, Sine zu folgen. Wenn das
Mädchen wollte, könnte es schon wieder halb am Stadttor sein. Doch so weit war sie gar nicht gekommen…
,, Habe ich das grade wirklich gesagt ?“ Sie lehnte sichtlich mitgenommen an der Wand des von Fackeln erhellten Flurs. Und daran waren nicht nur ihre Worte schuld. Naria konnte nicht sagen, was sie da eben getan hatte, aber es schien sie definitiv Kraft gekostet zu haben. Genau wie einen Zauberer. Offenbar hatte Kareth ihr weit mehr anvertraut, als nur sein Leben. Doch wie alle Magie, forderte diese ihren Preis… Der Wille konnte den Funken zünden, so wie eben, aber wenn man ihn nicht auch kontrollieren konnte, verzehrte er
einen.
,,Offensichtlich.“ Naria konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Sine wankte ein wenig als sie sich von der Wand abstieß und die Gejarn fing sie rasch auf. ,, Auch wenn cih keine Ahnung habe, wie ihr das gemacht habt.“
Das Mädchen schien offenbar nicht zu verstehen, worauf Naria hinaus wollte. Oder hatte sie den Zauber am Ende gar nicht mitbekommen? ,, Eigentlich… habe ich nur daran gedacht, was ihr vielleicht tun würdet. Es war dann… irgendwie einfacher.“
Naria lachte. ,, Nun sie zusammenzuschreien wäre vielleicht nicht direkt , was ich getan hätte.“ Auch
wenn ich schon mehrmals versucht war, dachte sie. Sine war jedenfalls zu Tode erschöpft. ,, Wys… können wir sie irgendwo hin bringen ?“
,, Ich denke schon. Sie hier im Turm unterzubringen wäre… keine gute Idee, aber es gibt ein paar leer stehende Gebäude in der inneren Stadt. Ich denke, euch können wir auch dort einquartieren.“ , meinte der Archont.
,,Danke.“ , murmelte das Mädchen lediglich.
,, Nichts zu danken, eure Hilfe wird noch gebraucht.“ , erklärte der Archont, während ei sich schließlich auf den Weg aus dem Turm machten, Sine nach wie vor auf Naria gestützt.
Wys war sicher nicht danach zumute, noch länger hier zu bleiben und so war er nur allzu erleichtert, als Naria nach einem Platz für das Whaid-Mädchen fragte. Sollten die anderen Archonten sich fragen wo er geblieben war, er hatte für einen Tag definitiv genug von den endlosen Besprechungen, die doch nur im Sande verliefen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, Sine immer wieder misstrauisch zu mustern. Sie war ohne Zweifle zu Tode erschöpft, aber was sie in der Versammlungshalle getan hatte, war alles andere als harmlos gewesen. Magie mitten im Herzen der Stadt…
Allerdings, dacht Wys, könnte er diesen Zauber selber manchmal gut gebrauchen.
,, Wys…“ Sie waren noch nicht weit gekommen, als sich die Tür zum Ratssaal erneut öffnete und Tira hinaus trat. ,, Du hattest nicht etwa vor, dich davon zu stehlen ?“
,, Weil du zufällig die gleiche Idee hattest ?“ , fragte er grinsend. ,, Wie sieht es da drinnen aus ?“
,, Sie schweigen. Immer noch. Ich glaube nicht, das ich das schon mal erlebt habe.“ Tira lachte leise in sich hinein, während die kleine Gruppe sich dem Ausgang des Turms näherte. Draußen war es mittlerweile schon dunkel und lediglich einige Fackeln
erhellten den großen Platz mit dem leeren Sockel vor ihnen. Kühl wehte der Abendwind durch die Straßen, während Wys sich einen Moment umsah. Nachts machte Helike beinahe einen friedlichen Eindruck, wenn nur noch die fernen Lichter die Umrisse der Stadt erraten ließen. Und hier oben waren sie tatsächlich alleine, dachte er. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, was mit diesem Gedanken nicht stimmte, bis ihm auffiel, das es tatsächlich zu dunkel war. In den Straßen brannten die Fackeln noch, aber hier auf dem Platz waren sie allesamt gelöscht worden. Und wo waren die Wachen ?
Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Normalerweise sollten immer ein halbes Dutzend Paladine in der Nähe des Archontenturms sein, egal wie spät es war. Bevor er sich noch umdrehen und die anderen warnen konnte, dass etwas nicht stimmte, fiel die Tür hinter ihnen krachend ins Schloss. Ob es das Geräusch oder ihre Anwesenheit war, die es schließlich aufmerksam machte, Wys hätte fast zu spät reagiert. Er erahnte die Bewegung über sich mehr, als das er sie sah. Im nächsten Moment hatte er jedoch schon Tira gepackt und bei Seite gestoßen, als der Schatten von oben auf sie herabsprang. Zeit die anderen zu warnen blieb ihm nicht mehr und er konnte nur hoffen, dass sie zumindest
außer Reichweite wären.
Wys verstand nicht ganz was er sah, ein rasendes Ding, das mit scharfen Kiefern nach ihm schnappte und mit mehr Beinen als es habe sollte nach ihm trat. Irgendwie wirkte der Körper seltsam unförmig, doch um genaueres zu erkennen, war er zu beschäftigt, Klauen und Krallen auszuweichen. Und dann bekam er endlich eines seiner Schwerter zu fassen und riss die Klinge empor. Das Biest jedoch war schnell, schneller als er und sprang sofort zurück, so dass die Klinge lediglich die Luft zerteilte.
Rot glühende Augen starrten ihn mit einem Hass an, der nicht ganz der eines Tieres zu sein schien, während der
Archont einen Moment entsetzt stehen blieb. Nach wie vor konnte er die Form des Wesens in der Dunkelheit kaum ausmachen, aber wenigstens wurde ihm langsam klar, warum es so unförmig wirkte. In den Armen hielt es den verkrümmten Körper eines der Paladine die eigentlich hier draußen Wache halten sollten. Blut troff aus dem Aufgerissenen Panzer des Mannes und das Ding hatte die Kiefer in dessen Brust vergraben während es… fraß. Wys wurde übel. Das Ding schien keinen Unterschied zu machen ob es Knochen oder Organe zermalmte und das schlürfende Geräusch das es dabei von sich gab klang fast so, als würde es auch noch das Blut seines
Opfers trinken. Langsam nur wurde Wys klar, warum sie nie irgendwelche Körper gefunden hatten…