Kapitel 44 Abran
Das Innere des Hauses war fast stockdunkel. Das einzige Licht stammte von den Lücken zwischen der zertrümmerten Fassade und dem darüber gespannten Zelt. Sand beschwerte diese zusätzlich auf der Innenseite, so das sich selbst mit dem aufkommenden Abendwind kaum bewegte. Einzelne Körner wurdne jedoch durch die Spalten im Stein hindurch geweht und sammelten sich in dem kleinen Vorraum, in dem Naria sich wiederfand. Hinter ihr fiel der Vorhang grade wieder zu, welcher den Eingang des Hauses bedeckte, ein
schweres Stück Stoff, das mit einem geometrischen Muster bestickt war, da Naria an die Tätowierungen der übrigen Whaid erinnerte. Rasch gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel, während Sine zu einem der Fenster trat und den Teppich davor zurückschlug. Es roch seltsam in diesem Haus. Nach Tabak, dem Alter der Steine und dem geflochtenen Stroh aus dem die Decke bestand. Es gab nur einige wenige Möbelstücke, einige Sitzschemel und Kissen, geflochtene Körbe, in denen wohl Vorräte lagerten… Ansonsten jedoch war der Raum verlassen.
Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung, als Sine keine Anstalten
machte, ihren Platz am Fenster zu verlassen und folgte ihr erst, als Naria bereits Anstalten machte, durch einen weiteren Durchgang am anderen Ende des kleinen Flurs zu verschwinden. Beinahe schien das Mädchen Angst vor diesem Abran zu haben, der hier auf sie wartete.
Hinter dem zweiten Durchgang lag ein Raum nicht viel größer als der erste. Für die Verhältnisse hier draußen war es wohl allerdings ein kleiner Palast, dachte sie. In hohen Regalen lagerten dutzende vertrockneter Schriftrollen, fein säuberlich in lederne Schonbezüge gehüllt. Hinzu kamen einige Wandteppiche, die so alt waren, dass die
einzigen Farben des Stoffes nur mehr zu erahnen waren. Was einst leuchtendes Grün gewesen sein mochte, war nun mehr grau, Blautöne waren zu der Farbe des ausgebrannten Wüstenhimmels verblasst. Trotzdem vielen Naria sofort die gleichen Symbole auf, wie schon auf dem Vorhang an der Tür. Hinzu kamen die Darstellungen und Bilder, welche die Tätowierungen der Whaid wiederspeigelten. Drachen, die hoch über den Wällen einer Stadt kreisten, deren Silhouette nur zu vertrau war. Geister, das musste wirklich uralt sein dachte sie. Vielleicht stammten manche davon sogar noch aus der Zeit, als die Whaid und ihre Drachen Helike
beherrschten.
,, Gefallen sie euch ?“ , fragte eine Stimme vom anderen Ende des Raumes. Weitere Regale standen kreuz und quer verteilt und verbargen die Gestalt, die dort auf einigen Sitzkissen hockte fast vollkomme. Abran war selbst für Narias Augen nur ein Schatten, seine Stimme schneidend wie ein Schwert. Irgendwie klang er verbittert…
,, Das tuen sie, Herr.“ Naria beschloss, die Sache vorsichtig anzugehen, während sie einen unsicheren Blick zu Sine warf. Abran war für sein Volk zweifelsohne eine Respektsperson. Gab es irgendetwas, das sie beachten musste, wenn sie sich diesem Mann näherte? Das
Mädchen jedoch war ihr in dieser Hisncith definitiv keine Hilfe. Sie stand schlicht wie erstarrt im Durchgang und versuchte wohl möglichst nicht aufzufallen.
Abran lachte, wobei Rauch aus seinen Nüstern trat, als wäre er selber ein Drache. Doch dieser stammte wohl lediglich von der Wasserpfeife die vor ihm auf dem Boden stand. Mit einer Geste bedeutete er Naria nur, sich zu ihm zu setzen. ,, Ihr auch , Mädchen. Ich weiß dass ihr da seid. Aber ich habe heute keine Zeit mich um eure Flausen zu Sorgen. Wie mir scheint haben wir einen Gast… den ich nicht erwartet hätte. Ich dachte eigentlich, eher sehe
ich einen Archonten hier vor mir.“
,, Ihr wisst wer ich bin ?“
,, Ich kannte eure Mutter.“ , erwiderte Abran kühl und hob den Kopf. Er war ein bulliger Mann, der wohl bereits auf die fünfzig zuging. Das breite Gesicht, auf dem sich eine Tätowierung von der Wange bis zum Ohr zog war wurde bereits von den ersten, tiefen Falten gezeichnet. Der kahle Schädel und der sauber gestutzte, von grauen Strähnen durchsetzter Bart verliehen ihm trotz seines Alters etwas Kriegerisches, genau wie das Kurzschwert, das an seinem Gürtel glitzerte. Der breite Streifen weißen Leinenstoffs wirkte im Vergleich zu den Gewändern der übrigen Whaid die
Naria bisher gesehen hatte überraschend edel, genau wie die bronzenen Armreife, die mit weiteren Drachendarstellungen verziert waren. Ansonsten jedoch war seine Kleidung genau so unauffällig und zweckmäßig, ein braunes Hemd, beigefarbene Hosen und leichte, offene Stiefel.
,, Ich ersuche euch um Hilfe.“ , erklärte Naria vorsichtig. Nach wie vor wusste sie nicht woran sie war, ließ sich jedoch auf einem Kissen in der Nähe des alten Whaid nieder. Sine tat es ihr, nach anfänglichem Zögern, gleich.
,, Und was glaubt ihr berechtigt euch dazu, diese in Anspruch zu nehmen ?“
,, Relina. Meine Mutter. Ihr sagtet ihr
würdet sie kennen…“
,, Das tue ich..“ Der Mann zog Gedankenverloren an seiner Pfeife. Er schien nicht wirklich mit ihr zu sprechen, sondern lediglich in die Luft zu starren. ,, Relina… Es ist lange her, dass ich diesen Namen hörte. Und ihr seid ihre Tochter… Ich frage mich nur, was das für mich ändern sollte? Ich habe eure Mutter einst unterstützt, wisst ihr. Als sie noch einen anderen Namen trug.“
,, Ihr redet von Phönix, oder ? Vom Exodus der Magier ?“
,, Exodus.“ Abran spuckte ohne Vorwarnung aus. ,, Ich habe ihr geholfen, weil wir ein gemeinsames Ziel
hatten. Zumindest glaubte ich das Anfangs. Die Archonten zu bezwingen. Nun, sie hatte andere Pläne. Nur verraten hat sie die keinem von uns, bis es zu spät war, bis wir ihr schon längst alles an Unterstützung gegeben hatten, das sie brauchte… Danach konnten wir alle nur noch mitziehen oder sehen wo wir bleiben.“
Naria Begriff langsam. Sie genau wie Wys hatte geglaubt, der Name ihrer Mutter sei bei den Whaid in guter Erinnerung geblieben. Nun so wie es aussah, war das nicht der Fall. Zumindest nicht, was Abran anging. Geister, das könnte schwieriger werden, als sie dachte.
,, Und deshalb seid ihr ihr immer noch böse ? Ich… Ich weiß dass es nicht an mir liegt, darüber zu urteilen, aber das ist mehr als zwanzig Jahre her. Ich war nicht einmal geboren.“
,, Und wenn es nur das wäre, Naria, ich hätte ihr wohl vergeben.“ , erwiderte der Whaid grimmig. ,, Wenn die Magier nicht kämpfen wollen… schön. Sollen sie uns allen eben aus den Weg gehen, das ist ihre Sache. Immerhin, so können die Archonten sie auch nicht mehr gegen uns einsetzen, sollten sie je so verzweifelt sein. Aber viele unseres Volkes gingen damals mit Relina. Viel zu viele. Sie hat sie vergessen lassen, dass
dieses Land immer noch von Rechts wegen uns gehören sollte und doch hat eure Mutter, sie davon überzeugt, ihren Kampf aufzugeben…. Wir sind so schon wenige. Und sie hat uns um hunderte unseres Volkes betrogen. Wir haben mit Maras nichts mehr zu schaffen… und wir wollen es auch nicht. Am Ende haben wir zu viel an es und dieses leere Versprechen von Freiheit verloren. Eure Mutter, Naria, hat am Ende alles erreicht was sie wollte. Wir jedoch haben nichts davon. Sogar weniger als vorher. Und nun kommt ihr und verlangt nach mehr. Also sagt mir, warum genau sollte ich euch helfen wollen? Und wie würdet ihr an meiner Stelle
reagieren?“
Naria hätte gerne etwas erwidert, doch bei der kalten Wut, die aus Arbans Stimme sprach fehlten selbst ihr einen Moment die Worte. Gerne hätte sie seine Vorwürfe zerstreut aber… dazu wusste sie schlicht zu wenig über das, was damals in Helike vorgefallen war. Vielleicht sollte sie Wys wirklich bitten ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Und sie konnte nicht einmal behaupten dass die Vorwürfe des Whaid aus der Luft gegriffen wären. Naria kannte ihre Mutter. Wenn es um ihre Zeit in Helike ging, die Jahre, die sie im Untergrund verbracht hatte… Sie schwieg sich wohl nicht ohne Grund darüber aus. Maras war
ihr Lebenswerk, sie hätte es sicher durch nichts gefährdet, selbst wenn das bedeutete, einen potentiellen Verbündeten anzulügen.
,, Weil ich nicht meine Mutter bin. Ich ersuche euch um Hilfe, weil ich Antworten brauche, Abran. In Helike gehen Dinge vor sich, die weder ich noch die Archonten ganz verstehen. Die ganze Stadt ist in Aufruhr…“ Und schien langsam aber sicher dem Wahnsinn zu verfallen, dachte sie stumm. Auch wenn von dem Angriff kaum mehr eine Schramme zu sehen war, sie erinnerte sich noch zu gut daran. Was konnte Leute von normalen Menschen in… so etwas
verwandeln?
,, Lasst die Archonten sich doch gegenseitig umbringen. Das haben sie immer getan, egal wie Noel sie sich geben mögen… Fragt euren Vater, wenn ihr mir nicht glaubt. Und ihr habt meine Frage nicht beantwortete.“, stellte Abran fest. ,, Also beantwortet mir eine andere. Warum sollte mich kümmern, was in Helike geschieht? „
,, Weil es nicht um die Archonten geht. Tatsächlich macht der Archontenrat euer Volk für die Vorkommnisse verantwortlich, Abran. Vielleicht entscheiden sie schon in diesem Moment darüber eine Strafexpedition gegen euch zu entsenden. Denkt nach, wenn ihr so
wenige seid, seid ihr erst recht verwundbar. Hier steht das Leben eures Volkes auf dem Spiel, das müsst ihr doch erkennen… Je eher ich mit Antworten nach Helike zurückkehren kann, desto eher kann ich sie davon abhalten. Und wenn ihr mir nicht dabei helft, werdet ihr euch vermutlich bald vor der Klinge eines Paladins wiederfinden.“
Zwar würde Wys wohl sicherlich zu verhindern wissen, dass es so weit kam, besonders jetzt wo Naria ihre Zweifel über die Identität der Prediger in Helike geäußert hatte… Aber das musste sie Abran ja auch nicht auf die Nase binden. Wenn er Angst hätte, würde er sich auch leichter überzeugen lassen. Mit
Freundlichkeit würde sie bei diesem Dickschädel kaum weiterkommen, so wie er sich in seine Wut auf alles und jeden flüchtete.
Abran jedoch zeigte sich unbeeindruckt. Lediglich sein zögern verriet, dass er über ihre Worte nachdachte, seine Mine jedoch blieb starr, ausdruckslos. Der Whaid nahm einen weiteren Zug an der Pfeife und schloss kurz die Augen.
,, Ihr wisst nicht einmal, ob ich euch überhaupt helfen kann.“ , stellte er schließlich mit einem seufzen fest. Für Naria jedenfalls, war das genug. Sie hatte ihn da, wo sie ihn haben wollte.
,, Die Männer, die in Helike für Schwierigkeiten sorgen, kamen angeblich
aus der Wüste. Zumindest der erste von ihnen. Ich kenne zwar nicht seinen richtigen Namen, aber er nennt sich selbst Träumer. Und er sprach auch von einem roten heiligen, der ihm Nachfolgen würde. Sagt euch das etwas?“
,, Ja, ich weiß von wem ihr sprecht. Diese beiden Namen machen hier draußen seit einer Weile die Runde. Und der Sand flüstert von noch ganz anderen Dingen. Er und sein Meister wandelten lange durch diese Wüste und wo sie gingen spürt man noch immer ihre Schatten. Wir sind keine Freunde dieser Wesen, das könnt ihr mir glauben. Dennoch weiß ich wenig über sie, was
euch eine Hilfe wäre. Und genau so wenig sind wir Freunde der Archonten. Es könnte jedoch jemanden geben, der mehr weiß als ich. Zumindest wird er entscheiden können, ob ihr die Wahrheit sprecht… und Hilfe verdient.“
Jemand, der über Abran stand ? So wie die Leute sich ihm gegenüber verhielten schien er für die ganze Siedlung so etwas wie ein Ältester zu sein. Und unter den Whaid gab es keine Fürsten oder Könige außerhalb der einzelnen, kleinen Gemeinschaften.
,,Ihr sprecht von einem Drachen.“ , stellte Naria fest und nun war es an ihr, einen Anflug von Nervosität zu unterdrücken. Bisher hatte sie lediglich
einige Tote gesehen, aber ein lebender, atmender Drache war dann doch etwas anderes.
,, Sein Name ist Kareth.“ Naria konnte sehen wie Sine bei der Erwähnung des Namens zum ersten Mal hellhörig wurde. Bis jetzt hatte sie es vermieden irgendwie aufzufallen, oder Abran oder Naria auch nur ins Gesicht zu sehen, während sie sich unterhielten. ,, Aber ich werde euch nicht mehr Heute zu ihm bringen. Er lebt nicht hier… und manchmal vergehen Jahre bis uns einer der Alten mit seiner Gegenwart beehrt. Wenn ihr unsere Hilfe wollt, werden wir uns auf dem Weg zu ihm machen
müssen.“
Das hieß, sie würde wohl oder übel die Nacht über hier bleiben müssen… und dabei einen Tag verlieren. Aber es hieß das, oder mit leeren Händen abziehen. Da gab es nur ein Problem.
,, Ich stelle mich eurem Drachen, wenn es sein muss. Aber ich habe keine Unterkunft hier…“
,, Und ist das mein Problem ? Wie euch vielleicht aufgefallen sein sollte, wir haben nicht viel. Ihr könnt so lange hier bleiben wie ihr wollt, aber in der Zwischenzeit sorgt ihr besser selbst für euch. Das gilt auch für eure Vorräte, allen voran Wasser.“
,,Na danke auch.“ Naria unterdrückte
einen Fluch. Sie hatte nach der Reise praktisch nichts mehr. Und wie sie so den Rückweg schaffen wollte, stand in den Sternen…
Zu ihrer Überraschung, war es jedoch Sine, die schließlich sprach. ,, Ihr… Sie kann bei mir bleiben.“ , erklärte sie und der vernichtende Blick, den Abran ihr dabei zuwarf sagte mehr als genug. Er hatte ganz sicher nicht von ihr erwartet, dass sie Naria irgendwie unterstützen würde.
Nun, vielleicht war das Mädchen doch kein Hoffnungsloser Fall, dachte sie.