Kapitel 40 Weihung
Der Baum bot einen gespenstischen Anblick. So wie Syle sie beschrieben hatte, sollten Geisterbäume eigentlich erhabene Orte sein… dieser hier war jedoch nur erschreckend.
Die völlig erbleichten Zweige hoben sich im unsteten Fackellicht wie Knochenfinger gegen den schwarzen Himmel ab, jeglicher Schmuck war von ihnen heruntergerissen worden. Normalerweise würde eine Unzahl an Windspielen und Talismanen zwischen den Ästen der Geisterbäume im Wind klingen. Fast jeder Gejarn eines Clans würde im Laufe seines Lebens irgendeine
Art von Gabe hier zurücklassen, manchmal bunte Glasartefakte, genauso wie simple Spruchbänder und in den Fällen von Ältesten auch Haarlocken oder Knochen der Verstorbenen. Hier jedoch türmte sich der einstige Zierrat um die Wurzeln des Baumes herum auf, Bunte Glassplitter glitzerten auf dem Weg, genauso wie zerrissene Schleifen und zersplitterte Gebeine. Für Janis bot sich ein trostloser Anblick. Der Baum, so bar jeden Schmucks, schien gleichzeitig seiner Seele beraubt. Es war nur noch totes Holz, dachte er. Was immer auch für eine Macht diesem Ort einst innegewohnt haben mochte, sie war vergangen, als die Fremden kamen und
die Opfergaben hunderter Generationen vernichteten.
Die Prozession aus in Roben gewandeten gestalten jedoch schien der Zerstörung kaum Aufmerksamkeit zu schenken. Knirschend zersprangen die Gläser und Knochen noch weiter unter ihren Stiefeln und auch Janis und Lucien blieb nichts weiter übrig, als mitzugehen, wenn sie nicht erkannt werden wollten. Die Aufmerksamkeit aller hing ohnehin nicht an dem geschändeten Baum sondern an den beiden gestalten, die unter seinen Zweigen standen. Beide trugen sie die gleichen Umhänge wie der Rest, grobes Sackleinen, das jedoch mit einem roten Farbfleck in Gestalt einer Hand mit drei
Fingern verziert war.
Einer der beiden hatte die Robe eng um sich geschlungen, als wolle er sich vor der Kälte der Nacht schützen. Auch die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen und die Ärmel ineinander gefaltet. Er wirkte mehr wie ein Schatten, als das man viel erkennen konnte, sah man von den Augen einmal ab, in denen ein eigenes Feuer zu brennen schien.
Die zweite Gestalt kniete vor ihm, die Kapuze ihres Mantels zurück geschlagen unter der grau-schwarze Haare zum Vorschein kamen. Was immer hier vorging, es war offenbar von großer Wichtigkeit für diese Leute, den die
Menge um Janus und Lucien warum war totenstill. So wie es aussah, sollte der Posten Recht behalten. Sie waren grade noch rechtzeitig gekommen… um Zeuge von was auch immer zu werden. Der kniende Mann hatte die Hände von sich wegestreckt und den Kopf gesenkt, wie ein verurteilter, der den tödlichen Streich des Henkers erwartete. Trotzdem spielte ein schauriges Lächeln über seine Züge.
,,Malachi.“ Die Gestalt des vermummten Mannes beugte sich über ihn. Auch wenn man es unter der Robe nicht genau erkennen konnte, seine ganze Statur wirkte auf Janis irgendwie unnatürlich…verdreht, wie ein Mensch dessen
Rückgrat gebrochen war und der trotzdem noch aufrecht stand. ,, Seit ihr bereit, den Segen unseres Herrn zu empfangen ?“
Selbst die Stimme des Mannes klang verzerrt, als bereite ihm das Sprechen Mühe, kaum menschlich.
Janis würde näher ran müssen um mehr zu erkennen. Und gleichzeitig wollte er genau das um keinen Preis der Welt. Das war nahe genug. Und was immer dort vorging, jagte ihm jetzt schon einen Schauer über den Rücken. Doch eine morbide Neugier trieb ihn vorwärts. Janis spürte, wie Lucien ihm eine Hand auf die Schulter legte, als er versuchte, näher heranzukommen. Stumm schüttelte
der kaiserliche Agent den Kopf.
Der als Malachi angesprochene Mann, kniete mittlerweile immer noch am Boden, hob jedoch langsam den Kopf und sah seinem gegenüber offenbar direkt in die brennenden Augen. Auch er sagte kein Wort, sondern nickte lediglich.
,, Dann zeigt uns das euch die Hand unseres Gottes berührt hat.“ , meinte der vermummte Mann mit dieser seltsam entstellten Stimme.
Malachi erhob sich langsam und zog auch die Arme wieder an den Körper. Seine Finger krallten sich in den Stoff der schlichten Robe die er trug und einen Moment schien tatsächlich ein
Hauch Unsicherheit in seinen Bewegungen zu liegen. Dann jedoch riss er den Stoff der Robe bis zur Burst auf und trat zurück. In der Menge wurde leises Gemurmel laut und Janis musste sich zusammenreißen um nicht schlicht laut zu fluchen.
Wie konnte dieser Mann noch leben? Malachis Oberkörper war dürr, so dass man die Rippen sehen konnte, doch auch wenn der Mann wohl schon länger nichts mehr gegessen hatte… das eigentlich erschreckende war das Mal. Das gleiche Geschwulst aus schwarzer, toter Haut hatte er auch schon bei dem Prediger gesehen, zu dem Lucien sie geführt hatte. Dieses hier jedoch war ungleich
größer.
Vom Halsansatz bis knapp zum Bauchnabel zog sich eine Spur zerstörten Gewebes in dem noch Glut zu glimmen schien, von was immer diese Verletzungen hervorgerufen hatte. Und was das beunruhigende war, dachte Janis, es erinnerte ungewöhnlich stark an eine Hand. Ein brennender Handabdruck mit drei Fingern…
,, Ich bin gezeichnet von seiner Gegenwart.“ , murmelte der tote, lebende Mann während er erneut auf die Knie sank.
,, Und nun erfahrt ihr den Wahren Segen den unser Herr für jene bereithält, die ihm treu gedient haben. Danach werdet
ihr bereit sein euer Werk in Silberstedt zu vollenden… und wir mit unseren Plänen zu beginnen. Von diesem Moment an gehört euer Leben dem Herrn der Ordnung. Und euch gehört im Austausch seine wahre Gabe. Die Macht über Leben und Tod sei nun euer…“
Mit diesen Worten streckte die vermummte Gestalt die Hand aus. Dabei glitt auch der Ärmel ihrer Robe etwas zurück. Was darunter hervorkam hatte kaum mehr etwas mit einer menschlichen Hand gemein. Die Fingernägel waren zu schwarzen Kralen verwachsen, die selbst noch vor dem dunklen Nachthimmel finster wirkten. Hautplatten, die beinahe wie Schuppen wirkten wucherten über
dem gesamten Handrücken und die Fingerkuppen hinweg und ließen nur stellenweise noch etwas vom normalen Gewebe darunter erkennen. Weitere Entstellenden Male und unnatürlichen Knochenplatten zogen sich scheinbar den gesamten Arm hinauf… Langsam wurde Janis klar, warum dieser Mann sich komplett verhüllte.
Trotzdem wirkte seine Berührung beinahe sanft, als er dem vor ihm knienden Malachi die Hand auf den Kopf legte. Im gleichen Moment meinte Janis eine Art seufzen zu hören, später jedoch war er davon überzeugt, dass das sicher nur der Wind in den Zweigen des Geisterbaumes gewesen war…keine
wirkliche Stimme.
,, Empfangt also den Segen unseres Herrn… und erwacht erneuert, als sein wahrer Diener.“
Mit diesen Worten begann sich der Körper des knienden Mannes zu verändern. Zuerst war es nur subtil, doch langsam begann sich das schwarze Mal auf seiner Brust zu verändern. Ausläufer zogen sich durch seine Haut und wanderten über seinen Körper. Beinahe bekam JAnsi den Eindruck, die komplette Gestalt des Mannes würde sich verflüssigen. Ein Übelkeit erregender Gedanke, untermalt von dem Geräusch brechender Knochen, die sich mit Gewalt verschoben du an neue Plätze wanderten.
Gleichzeitig loderte Feuer in den Augen Malachis auf. Schweißperlen tropften von dem wenigen was von seiner normalen Haut geblieben war und verdampften gleich darauf. Der Rest verschwand unter Wucherungen und Knochenkämmen, die ihn unnatürlich und asymmetrisch wirken ließen. Statt Blut war es Feuer, das aus den dünnen Rissen und Wunden hervortropfte, die seine Verwandlung hinterlassen hatte. Und auch wenn der Prozess unglaublich schmerzhaft sein musste, dessen war Janis sich sicher, je länger er zusah, gab Malachi die ganze Zeit über keinen Laut von sich. Nur langsam schien sich der Körper des Mannes, oder das was davon
übrig war, wieder zu stabilisieren. Gebeugt stand er da, seine Robe zerrissen und unförmig. Seine Hände, unförmig, zu scharfen Krallen verkrümmt, schlugen die Kapuze wieder hoch unter deren Schatten seine Augen nach wie vor brannten.
Götter, was waren das für Kreaturen? Janis war Angesichts der Transformation des Mannes wie gelähmt gewesen, doch langsam, kriechend schlich sich das Entsetzen in seinen Verstand ein. Lucien schien es nicht besser zu gehen. Er konnte sehen, wie der kaiserliche Agent nach seiner Armbrust tastete. Die Waffe , unter dem Mantel verborgen, würde sie allerdings kaum vor diesen… Dingern
schützen. Wenn das ein Segen war, wie es die Anhänger des Herrn der Ordnung nannten, dann war Janis sich bereits sicher, dass er darauf verzichten würde. Sie mussten hier fort und Syle Bericht erstatten.. möglichst jetzt. Janis zwang sich dazu tief durchzuatmen. Zum ersten Mal wusste er, was es hieß, Todesangst zu haben.
Malachi trat derweil etwas in den Hintergrund, während sich der vermummte Mann wieder an die Menge wendete.
,, Unserem Bruder wurde die volle Gnade unseres Herrn gewährt . Mit ihr, wird er sich nach Silberstedt aufmachen und die Stadt von ihrem ketzerischen
Magier befreien. Doch heute habe ich noch eine freudige Nachricht für euch. Unser Meister, der erste seiner Erwählten, der rote Heilige wird bald persönlich bei uns sein um unserem Triumph beizuwohnen. Das ist der Zeitpunkt auf dem wir alle Monatelang hingearbeitet haben… auf das ganz Canton, ja die Welt, die Wahrheit unserer Sache erkennt… oder unseren Zorn. Doch noch gibt es einiges an Vorbereitungen zu treffen. Nach dieser Nacht werden wir gemeinsam zum roten Tal ziehen, Kinder. Dort soll sich einst der große Tempel unseres Herrn erheben, doch vorher muss der Ort von jenen gesäubert werden, die ihn entweihen.
Der rote Heilige soll zeuge sein, wie wir den Grundstein an diesem heiligen Ort legen!“
Janis lief ein Schauer über den Rücken. Er kannte den Ort, von dem dieser Mann, oder besser, dieses Ding das einst mal ein Mensch gewesen war, Sprach. Waren nicht Galren und die anderen genau dorthin unterwegs gewesen? Götter, er wollte sich gar nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Aber wenn Galren und Eriks Expedition noch dort waren, dann mussten sie sie warnen. Sie mussten sofort hier weg, dachte er und Syle Bericht erstatten. Vielleicht hatte der Hochgeneral einen Plan. Aber noch konnten sie nicht gehen,
die Menge umgab ihn und Lucien auf allen Seiten und sich jetzt abzuwenden… Er brauchte nur kurz den fiebrigen Blick in den Augen der meisten zu sehen um zu wissen, dass man nicht einfach zusehen würde, wenn sie versuchten irgendwie aus der Senke zu gelangen. Im Augenblick saßen sie fest, bis diese seltsame Zeremonie hier abgeschlossen war. So gebannt, wie die Leute an den Lippen dieses Predigers hingen, fürchtete er bereits, was als nächstes folgen mochte. Unbewusst wanderte seine Hand zu dem Ring, den Quinn ihm geschenkt hatte. Der Zauber darauf würde ihn kurzzeitig schützen… aber sicher nicht lange genug um zu
entkommen, sollte es ernst werden.
Lucien klopfte ihm Aufmunternd auf die Schulter und lächelte. Den braunen Umhang hatte er mittlerweile halb geöffnet und Janis konnte die gespannte Armbrust in seinen Händen ausmachen. Zum ersten Mal war er froh, den Mann an seiner Seite zu haben, auch wenn sein Grinsen etwas Gequältes hatte. Auch Lucien spürte, was Janis in die Knochen kroch. Dieser ganze Ort hatte eine unheilvolle Atmosphäre und es war noch nicht vorbei…
Der Mann, der Malachi gewandelt hatte riss einen Arm empor und deutete auf den großen, toten Baum hinter sich.
,,Zuallererst jedoch ist es an der Zeit
diesen heidnischen Ort endgültig zu vernichten, meine Brüder und Schwestern. Das soll unser erstes Zeichen sein an alle, die sich uns in den Weg zu stellen gedenken. Niemand wird uns aufhalten. Nicht der Kaiser. Nicht seine Armeen… und ganz sicher keine Clans. Unsere Sache ist eine Gerechte und hier zünden wir die Fackel, die uns zum Sieg führen wird… und zur Erlösung!“
Und wie Janis alsbald feststellen musste, meinte der Mann das mit der Fackel wörtlich. Aus der Menge kamen bejahende Jubelrufe und ehe er sich versah, stürmten bereits die ersten Kultanhänger, mit Fackeln in den
Händen, in Richtung Baum. Die ohnehin bereits herabgerissenen Totems und Windspiele zerbrachen knirschend unter ihren Füßen. Manche liefen tatsächlich Barfuß und bald zogen die ersten auch kleine Blutspuren hinter sich her, doch das schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil. In ihrer Rage schiene n diese Leute keine Schmerzen zu kennen. Janis erschauerte, als er und Lucien von der Menge mitgerissen wurden. Die ersten Fackeln flogen bereits durch die Luft, blieben jedoch meist harmlos in den Zweigen hängen, wo sie nur kleinere Feuer entfachen oder landeten sogar weit hinter dem Baum. Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis nur noch
Asche bleiben würde, dachte Janis. Und im Augenblick blieb ihnen nur hilflos Zuzusehen…
Einen Moment fragte er sich, was wohl aus dem Clan geworden war, der einst über diesen Baum gewacht hatte, als eine laute Stimme das tosen der Menge übertönte.
,,Nein!“