Kapitel 37 Der Träumer
Sie war mit einem Satz neben dem Prediger, der erschrocken aufsah, als Naria neben ihm auftauchte. Unter der Kapuze schimmerten ihr zwei, plötzlich von Panik erfüllte, graue Augen entgegen. Erschrocken hieb er mit den Eisen nach ihr, doch noch bevor der Mann den Arm ganz gehoben hatte, hatte Naria schon einen Zauber gewirkt, der ihm das glühende Stück Metall in hohem Bogen aus der Hand schleuderte.. und vermutlich gleich die Knochen darin zermalmte. Naria hielt eigentlich viel
darauf, dass sie in fast allen Situationen die Ruhe bewahren konnte. Nun jedoch, wo sie sich einmal entschieden hatte, spürte sie nur rasende Wut. Wut und Zorn, die ihren Ausdruck in rasender Magie fanden.
Zischend und Flammen schlagend segelte das Eisen mitten in die Menge hinein. Die Leute sprangen mit einem hohen Kreischen auseinander, als Glutfunken und geborstenes Metall auf sie niedergingen. Der Prediger seinerseits wich mit weit aufgerissenen Augen vor ihr zurück und ließ das Kind achtlos fallen. Geistesgegenwärtig erschuf Naria rasch einen zweiten Zauber, der den Fall des Kleinen so weit
wie möglich bremsen würde.
,, Seit ihr eigentlich völlig verrückt ?“ , fragte sie tonlos. In der einsetzenden Stille waren ihre Worte für alle Anwesenden klar verständlich, auch wenn sie nicht Schrie wie der Prediger zuvor. Ihre eigene Stimme bebte und nur ein kühler Rest Menschlichkeit hielt sie davon ab, diesem Mann hier und jetzt ein Ende zu machen.
Das Kind war derweil aufgesprungen und klammerte sich mit verweintem Gesicht an ihre Rockschöße. Naria hätte ihn gerne getröstet, aber im Augenblick gehörte ihre ganze Aufmerksamkeit diesem irren Prediger und den entsetzten Eltern des kleinen, die zu ihr aufsahen,
als sei sie ein Dämon, der eben in ihre Mitte getreten war. Was konnte Leute nur zu so einer Verzweiflungstat treiben? , fragte Naria sich. Ihr eigenes Fleisch und Blut in kopfloser Panik Brandmarken zu lassen.
,, Da seht ihr es.“ Anklagend richtete der Prediger einen Finger auf sie. Offenbar hatte er seinen Mut wiedergefunden, dachte Naria grimmig. ,, Sie ist es, der ihr die Bestie zu verdanken habt, die eure Lieben raubt. Dunkle Magie und Schatten, die euch eure Erlösung versagen wollen !“
Zu Narias wachsendem entsetzen schrie die Menge bejahend auf, einige folgten sogar der Geste des Predigers, deuteten
auf sie wie manche auf ein Monster in einem Kuriositätenkabinett deuten mochten. Sie seufzen tief. Konnten Menschen so dumm sein? Einen Moment kam ihr der Gedanke, dass diese Leute unter einem Zauber stehen mussten. Irgendein Trick der ihren Willen beherrschte. Doch da war natürlich nichts. Keine Magie außer ihrer eigenen.
Da draußen waren nur Leute, die wie im Fieberwahn Schrien und diesen seltsamen fremden bejahten, der sie nun auf seine ganz eigene Art zu brandmarken suchte.
,, Ihre verderbte Art wird jeden Schutz zerstören.“ , rief dieser erneut.
,, Schutz vor was denn ?“ Naria schüttelte nur sprachlos den Kopf. Ein
Teil von ihr wollte diesen Mann bemitleiden, diese Leute, die nicht Verstanden mit welch einfachen Mitteln sie hier grade manipuliert wurden. Angst... Menschen die Angst haben tuen leider sehr oft sehr dumme Dinge.
Tröstend strich sie dem Kleinen der sich immer noch an sie klammerte durch die Haare, dann schickte sie ihn vorsichtshalber mit einer Geste fort. Hoffentlich würde sich das Gemüt der Masse in ein paar Stunden wieder abgekühlt haben. Vor allem das seiner Eltern…
Erneut kopfschüttelnd wendete sie sich zum Gehen und die Leute wichen fast panisch vor ihr zurück, schneller noch
als sie dem zerbrochenen Brandeisen ausgewichen waren. Der Prediger in ihrem Rücken keifte und schrie weiter, doch das interessierte sie schon nicht mehr. Sie musste zu Wys. So etwas wie das hier konnten die Archonten unmöglich länger zulassen. In Gedanken war sie bereits wieder in der inneren Stadt. Das war auch der einzige Grund, aus dem sie den Stein erst viel zu spät kommen sah. Einer der umstehenden, eine ältere Frau , hatte den ersten aufgehoben. Hätte sie Naria verfehlt oder nicht so getroffen wie sie es tat, vermutlich wäre sie die einzige geblieben. Doch der Stein traf sie direkt am Kopf. Stechender Schmerz blendete
Naria einen Moment und sie ging in die Knie, während sie noch zu verstehen versuchte, was passiert war. Sie schwankte, kam nicht mehr dazu einen Zauber zu sprechen. Ihr Kopf war plötzlich leer, der Boden zu weit weg…
Naria versuchte erneut auf die Füße zu kommen, als sie auch schon etwas im Rücken traf. Der dritte Stein schlug gegen ihr Knie und sie schrie auf, als sie endgültig zu Boden sank. Wieder traf sie etwas mit Wucht am Kopf und Blut lief ihr in die Augen. Halb betäubt wie sie war schien sich die Welt um sie herum zu drehen und wohin sie auch sah, aus jeder Richtung starrten sie wütende Gesichter an, flogen Steine, trat man
nach ihr… Und über allem hörte sie ein schrilles Lachen, das direkt vom Brunnen zu kommen schien . Einmal versuchte sie noch wenigstens davonzukriechen, doch ein weiterer Stein traf ihre Finger, die hörbar Brachen. Die Mappe mit den losen Blättern fiel vor ihr zu Boden, ohne dass sie verstanden hätte wieso und die Blätter flatterten davon.
Am Ende brachte sie grade noch die kraft auf, sich zusammenzurollen, während Steine und Schläge sie trafen. Am Ende konnte sie nicht mehr sagen, wie lange alles dauerte. Es hätten Stunden sein können oder auch nur einige Minuten. Vielleicht hatte sie
zwischenzeitlich auch das Bewusstsein verloren.
,,Hört auf.“ , drang eine leise, unscheinbare Stimme durch das Chaos und den Lärm aus hasserfüllten Schreien.
Und tatsächlich schienen die Leute auf sie zu hören. Neue Steine blieben aus man ließ sie halb tot im Staub zurück. Blut sickerte aus einem halben Dutzend kleinerer und größere Wunden und wenn Naria unter den Schmerzen noch einen klaren Gedanken fassen konnte, dann das es vermutlich keinen Knochen in ihrem Körper gab, der nicht gebrochen war. Alles um sie herum war verschwommen, als sie mühsam die Augen öffnete. Selbst das Licht tat weh, als sie blinzelnd
versuchte, etwas zu erkennen. Blut lief ihr in die Augen.
,,Ich sagte hört auf. Seit ihr Tiere oder was ?“ , hörte sie da wieder die leise Stimme und endlich konnte sie auch erkennen zu wem sie gehörte. Obwohl die Worte leise gesprochen wurden, drehten sich alle Anwesenden sofort in Richtung des Neuankömmlings, der mit langsamen Schritten auf Naria zutrat. Sie schaffte es kaum den Kopf zu heben um mehr als seine Stiefel erkennen zu können. Der Mann war spindeldürr, ein Umstand, den selbst die blauen Roben die er trug nicht verheimlichen konnten. Er konnte wohl kaum mehr Wiegen als die Säcke voll Baumwolle, die am Hafen
gehandelt wurden. Doch so schmächtig seine physische Gestalt wirkte, so unscheinbar seine Stimme war, Naria konnte spüren, was die Leute dazu veranlasste, ihm so rasch Platz zu machen. Das bedrückende Gefühl der Magie das von ihm ausging war wie ein Gewicht auf ihrer Brust, das das Atmen zusätzlich erschwerte. Das war keine gewöhnliche Magie, dachte sie. Es war etwas anderes, etwas, das ihr entfernt vertraut vorkam, wenn sie sich bloß erinnern könnte. Etwas kaltes, schwarzes, das wie Teer nach ihr griff… Und dann war es auch schon wieder fort, als der Fremde sich neben sie hockte und mit einer Geste den Prediger
heranwinkte. Ein paar sanfte, graue Augen musterten sie skeptisch, während er stumm wartete.
,, Träumer, verzeiht mir.“ Der Prediger verneigte sich tief vor dem am Boden hockenden Mann. ,, Aber was führt euch hierher ?“
,, Nun zum einen möchte ich gerne wissen , was ihr glaubt hier zu tun.“ Die Stimme des Mannes blieb leise, beherrscht, unscheinbar. Dennoch traten dem Prediger plötzlich Schweißperlen auf die Stirn. Der Mann den er als Träumer angesprochen hatte, deutete jedoch nur neben sich. ,, Kommt setzt euch.“
Es musste einen wahrhaft seltsamen
Anblick bieten, die zwei Männer inmitten der Menge auf der Straße sitzen zu sehen, dachte Naria. Selbst wenn man nicht mit gebrochenen Knochen direkt daneben lag. Immerhin ließen die Schmerzen nach solange sie sich nicht bewegte… und das Atmen auf das Minimum reduzierte.
Der Mann der sich offenbar Träumer nannte saß dem Predige im Schneidersitz gegenüber, während er darauf wartete, dass dieser sich erklärte. De Mann war durchaus anzusehen, wie unwohl er sich unter dem seltsam unbeteiligten Blick fühlte.
,, Ich will nur jene Strafen, die sich uns wiedersetzen, Herr.“ , erklärte der
Prediger abwehrend.
,, Strafen ja ?“ Der Träumer wirkte nicht grade so, als ob ihm diese Antwort gefiel. ,,Und wann habe ich so etwas befohlen? Ihr seid hier um diese Leute zu retten. Hier geht es um Läuterung nicht um Vernichtung… nicht bis unser Herr eintrifft. Bis dahin ist es unsere Aufgabe das Leben dieser Leute zu schützen.“
,, Etwa auch das jener, die sich uns offen wiedersetzen ? Ihr seid zu weich, Träumer.“
,, Und ihr wiedersetzt euch mir ?“ So dünn und leise die Stimme des Fremden war, so sehr zuckte der Prediger davor zurück. ,, Sprecht nur frei heraus.
Wiedersetzt ihr euch mir? Ich bin seine Stimme…“
,, Eben. Nur seine Stimme. Ihr seid nicht er…. Ihm würde ich nicht trotzen. Doch glaubt ihr, ihr erreicht mit Samthandschuhen etwas?“
,, Es ist trotz allem nicht eure Aufgabe zu richten. Das ist Aufgabe unseres Herrn… und des roten Heiligen. Wenn ihr dieses Amt für euch beansprucht bitte, fordert mich heraus. Er hat mich zu seiner rechten Hand gemacht, ich bin es der für unseren Herrn spricht, nicht ihr. Ihr, Prediger, verschwindet jetzt… und bittet um Vergebung.“
Der Prediger erwiderte nichts mehr, außer einer raschen Verbeugung und
einer gemurmelten Bitte um Verzeihung. Die Angst des Mannes war für Naria fast greifbar, während er sich hastig erhob und sich daran machte, in der Menge zu verschwinden.
Der Träumer jedoch blieb sitzen wo er war und plötzlich richteten sich seine grauen Augen direkt auf Naria. ,, Was mache ich jetzt mit euch ?“ , fragte er , wohl ohne eine Antwort zu erwarten. Seufzend erhob er sich und kam mit langsamen Schritten auf sie zu. ,, Es ist auch nicht meine Aufgabe zu richten, Gejarn. Und es war ganz sicher nicht seine Aufgabe. Dennoch, Dinge ungeschehen machen liegt nicht einmal in meiner
Macht.“
Naria versuchte, wenigstens auf die Knie zu kommen, auch wenn jede Faser ihres Körpers dabei protestierte. Sie musste hier weg, jetzt, das war ihr klar. Erneut konnte sie die durch nichts verschleierte Macht spüren, die von diesem Mann ausging, wie eine dunkle Wolke, die seine Gestalt und alles um ihn herum einhüllte. Unter unsäglichen Mühen kam sie zumindest auf die Ellenbogen hoch. Nach wie vor war ihr Kopf wie leergefegt, alleine die Vorstellung sich in ihrem Zustand auf einen Zauber konzentrieren zu wollen Wahnsinn… Und dann flog von irgendwo her ein weiterer Stein. Naria sah nicht woher, sie spürte
nur den Schlag, der sie am Rücken traf und ihr die Luft aus den Lungen presste.
,, Ich sagte hört auf !“ Schneller als sie je für möglich gehalten hätte, wirbelte der Fremde herum. Ein greller Lichtblitz blendete Naria sowie die Menge einen Moment und irgendwo könnte sie jemanden aufschreien hören. Dann erstarben die Rufe jäh, als der Werfer in sich zusammenbrach, die Hand nach wie vor erhoben. Im gleichen Moment wo die leblose Gestalt des Mannes zu Boden fiel, brach Chaos unter den umstehende aus. Die Leute rannten davon wie aufgescheuchte Hühner, warfen Karren und verlassene Marktstände um, nur um von der schmächtigen Gestalt des
fremden Magiers dort wegzukommen. Den das war er, dachte Naria . Ein Zauberer, wenn sie noch nie so etwas Seltsames Gespürt hatte. Die Gabe schien nicht von ihm selbst zu stammen, sondern ihn mehr wie ein Mantel zu umgeben. Ein dunkler Umhang, der die Luft um ihn herum merklich kühler werden ließ, oder vielleicht war das auch nur ihre Einbildung. Naria spürte, wie sie das Bewusstsein verlor, während die letzten Menschen vom Platz verschwanden und sie und den regungslos dastehenden Mann alleine ließen.
Als sie wieder zu sich kam, war der Platz nach wie vor verlassen und zuerst
glaubte sie auch, der seltsame Fremde, der den Prediger verjagt hatte, wäre ebenfalls gegangen. Dann jedoch spürte sie ein paar Hände das langsam ihren Körper hinabwanderte. Einen Moment lang wollte sie aufspringen, sich wehren… bevor sie jedoch dazu kam sich zu rühren oder sich auch nur an ihren ohnehin zerschundenen Leib zu erinnern, blendete sie blaues Licht. Zu spät wurde ihr klar, was der Mann, der ruhig und ohne ein Wort neben ihr kniete tat. Der scharfe Schmerz, als sich ihre Wunden unter Zwang schlossen und Blut und Knochen ruckartig wieder an ihre angestammten Plätze zurückkehrten ließ sie fast erneut Ohnmächtig werden. Der
Mann jedoch, Träumer, ließ sich scheinbar nicht von ihrem erstickten Schrei ablenken. Mit einer letzten Geste ließ er eine glühende Hand über ihren Kopf wandern, dann verschwand es und ließ sowohl den Magier als auch die Gejarn zu Tode erschöpft zurück. Erschöpft… aber geheilt.
Warum ? , wollte Naria fragen, doch die Worte wollten nicht kommen. Ihr Mund war rocken, ihre Lippen gefühllos. Doch offenbar bemerkte der Mann ihren fragenden Blick.
,, Die Macht meines Herren hat euer Leben bewahrt.“ , erklärte er in seinem üblichen, kühlen Ton, der keine Emotionen verriet. ,, Ich schlage vor,
ihr wisst das zu schätzen.“ Während er sich erhob zog er die Hände dicht an den Körper, als wäre ihm kalt. Dabei viel Naria auch zum ersten Mal auf, das eine seiner Hände, die linke, nicht wie die andere war. Wenn man nicht wusste, worauf man achten musste viel es wohl kaum auf, doch hier im Sonnenlicht und direkt nebeneinander war es nicht zu übersehen. Seine linke Hand war vom Ringfinger bis zum Gelenk von einem schwarzen Mal überzogen, als wäre das Gewebe dort erfroren und tot. Doch was dort zwischen den toten Hautschuppen leuchtete sah beinahe aus wie Glut. Als würde der Mann von innen verbrennen… oder als hätte auch ihm jemand ein
glühendes Eisen auf die Haut gedrückt. Ein Eisen, das eine Spur aus nie verlöschendem Feuer hinterließ… Ohne noch etwas zu sagen, wendete sich der Träumer um und ließ Naria alleine und verwundert zurück.