Kapitel 33 Der neue König
Hadrir hatte das Gefühl, zu seiner eigenen Hinrichtung zu erscheinen. Erneut konnte er die Blicke aller Anwesenden auf sich spüren, doch wo dies zuvor nur Einbildung gewesen sein mochte, gab es dieses Mal niemanden, der nicht genau auf ihn achtete. Und nur die wenigsten sahen Freundlich auf ihn hinab. Auf ihren hohen Plätzen auf den Ränge und Balkonen der Versammlungshalle würden sie +über ihn urteilen… und Hadrir wusste genau, wie dieses aussah. Egal ob es den übrigen Häusern gefiel oder nicht, wenn Kasran
es wünschte, würden sie ihn zu ihrem König machen und was danach geschehen mochte…
Hilfesuchend sah er sich nach Quinn um, der bereits seinen Platz am Podium eingenommen hatte. Nichts an dem Magier verriet ihm, ob er wirklich einen Plan hatte. Seit jenem Moment vor drei Tagen, als er gemeint hatte, vielleicht einen Ausweg zu kennen, hatte er Hadrir nicht mehr rufen lassen. Und auch im Palast hatte man ihn nur selten gesehen hieß es. Stattdessen war er für einige Tage aus der Stadt verschwunden, Gerüchten zur Folge zurück zur Burg seines Ordens, was nicht grade für wenig Geflüster gesorgt hatte. Sowohl unter
dem Adel der fliegenden Stadt als auch unter den Häusern der Zwerge. Die Burg war mehrere Wochen entfernt… doch für einen Magier war eine solche Entfernung kein Hindernis. Vielleicht gab es also tatsächlich einen Plan. Es war seine einzige Hoffnung, dachte Hadrir.
Schlurfend suchte er sich seinen Weg zwischen den versammelten Zwergen hindurch. Die übrigen Kandidaten der verschiedenen Häuser standen bereits hinter dem wartenden Ordensmagier. Sobald er dort ankäme, würde es nicht mehr lange dauern, das war ihm klar. Vielleicht noch eine Stunde oder sogar weniger…
Hadrir holte tief Luft und blieb einen
Moment stehen. So wollte er nicht in Erinnerung bleiben. Der König, der zu seiner Krönung kroch. Nein. Aber er konnte auch nichts gegen das Gefühl der Verzweiflung ausrichten, das sich seiner Bemächtigt hatte. Mit Hammer und Schwert konnte er vielleicht umgehen, aber von dem politischen Schlachtfeld, auf das er plötzlich gezwungen wurde, hatte er sich bisher immer soweit es ging ferngehalten. Vielleicht hätte er wirklich mit Galren und den anderen gehen sollen. Hier jedenfalls hatte er bisher nur Fehler gemacht… Er hätte also sowieso nichts ändern können...
Trotzdem, er würde nicht auf Knien vor Kasran kriechen. Er würde dem Thanen
nicht zeigen, dass er bereits gewonnen hatte… Hadrir richtete sich auf. Wenigstens das konnte er tun. Wenn er schon in die Fußstapfen seines Vaters trat, dann würde er dabei den Kopf hoch tragen.
Eine feierliche Stille hatte sich über die ganze Halle gesenkt. Im Gegensatz zur ersten Versammlung erfüllte nicht einmal mehr leises Gemurmel die Luft. Nur das Klacken seiner eigenen Stiefel auf dem plierten Holzboden war zu hören, während Hadrir schließlich seinen Platz an Quinns Seite einnahm.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können und so wagte er nicht einmal, ihm etwas zuzuflüstern. Die ganze
Versammlung hätte sie vermutlich gehört, wenn er jetzt wissen wollte, ob der Plan des Zauberers Gestalt angenommen hatte. Und so blieb ihm nur, stumm zu warten, während Quinn auf das Podest kletterte. Er ging leicht gebeugt und schien eine Weile nicht geschlafen zu haben, doch das feine Lächeln, das die Falten in seinem Gesicht hervorstehen ließ jagte Hadrir einen Schauer über den Rücken. Er musste nicht mehr fragen. Irgendetwas hatte dieser Mann ganz sicher vor…
,, Verehrte Gesandte der Häuser, Thanen, Marschalls, Zwerge… die Zeit ist gekommen, euren Herrscher zu wählen. Die Kandidaten stehen fest und
ich bin mir sicher, viele von euch werden die letzten Tage genutzt haben um gut darüber nachzudenken, wer euer Vertrauen verdient. Bevor ich euch nun jedoch das Feld überlasse, gibt es eine Kleinigkeit, die diese erlauchte Versammlung wissen sollte. Niemand von uns hat vor, sich in eure Politik einzumischen. Der Kaiser hat von Anfang an darauf bestanden, dass wir uns aus allem heraushalten, dass ich nur als Beobachter fungiere. Dennoch muss ich mich ihm in diesem Punkt leider wiedersetzen.“
Die Stille schlug in aufgeregtes Getuschel um. Hadrir konnte das scharren von Stahl hören, als mehr als
einer der Anwesenden nach einer versteckten Klinge griff. Offiziell sollten hier vielleicht keine Waffen getragen werden, das würde die meisten jedoch nicht daran gehindert haben, zumindest ein Messer an den Wachen vorbei zu schmuggeln.
Die Abgesandten auf dem Parkett rutschten fast instinktiv näher zusammen, während von den oberen Rängen nun bereits die ersten Empörten Rufe zu hören waren.
,, Ruhe !“ Kasrans Stimme hallte wie ein Peitschenhieb durch den Saal. Auch wenn Hadrir ihn von seiner Position aus nur als roten Punkt auf einem der Balkone ausmachen konnte, konnte er
sich nur zu gut das Gesicht des Mannes vorstellen. Kalt, ruhig, ohne einen Anflug von Besorgnis nach außen dringen zu lassen. ,, Erklärt euch Zauberer. Was hat das zu bedeuten?“
,, Es bedeutet, verehrter Thane, das auch ich es mir herausnehme, heute einen Kandidaten zu unterstützen. Und auch wenn meine Stimme in dieser Versammlung kein Gewicht haben mag, so wird es vielleicht dies: Der Zwerg, der meinen Segen erhält, erhält damit auch die uneingeschränkte Unterstützung des Ordens. Sämtliche Großmagier haben diesem Beschluss zugestimmt… und er gilt ohne Bedingungen. Auch wenn diese Versammlung heute jemand anderem die
Krone geben mag, stehe ich zu meinem Wort, diesem Mann gegenüber. Der Sangius-Orden unterstützt hiermit Hadrir Silberstein, für die Nachfolge von König Brunar Silberstein. Sein Haus kann sich ab diesem Tag unserer Hilfe gewiss sein.“
Kasrans Züge entgleisten nun doch. Aus der eben noch ruhigen Mine wurde erst ein skeptischer Ausdruck… der zunehmend wachsendem entsetzen wich. Hadrir fand nicht einmal die Worte, dem alten Ordensmagier zu danken. Unsterbliche, was hatte Quinn da grade getan? Er hatte mit wenigen Worten klar gemacht, dass der Orden bereit war, Partei zu ergreifen… für ihn. Für das
Haus Silberstein. Mit einem einzigen Schlag hatte er Hadrir plötzlich Luft verschafft, ihm Macht unabhängig der übrigen Häuser gegeben. Und Kasran verstand das wohl ebenso. Der alte Thane mochte die Häuser in uns auswendig kennen, aber Quinn war für ihn eine unbekannte gewesen. Das hier hatte er niemals kommen sehen und selbst Hadrir hatte bis grade eben nicht damit gerechnet.
,, Das ist ein Skandal. Diese Versammlung wird es nicht hinnehmen, das sich ein Fremder…“
,, In eure Angelegenheiten einmischt ?“ , rief Quinn ihm entgegen. ,, Vielleicht ist es sogar höchste Zeit dafür, Kasran.
Doch ich beabsichtige dies nicht. Ich habe lediglich klar gemacht, wen ich und der Orden als neuen König begrüßen würden. Die Entscheidung liegt immer noch ganz bei euch.“
Mit diesen Worten trat der Zauberer endgültig vom Podest zurück und überließ damit wieder den Zwergen das Feld.
Hadrir atmete erleichtert auf. Dieser Mann hatte ihn grade gerettet wurde ihm mehr und mehr bewusst. Und das ohne jede Gegenleistung dafür zu fordern. Im Gegenteil, Quinn hatte klar gemacht, das er nichts für seine Hilfe verlangen würde, das es keine Absprachen gab. So etwas kannten die übrigen Häuser
vermutlich nicht einmal…
Erneut wurde es Totenstill in der Halle. Es dauerte eine Weile, bis selbst Kasran sich wieder gefangen hatte, dann jedoch räusperte er sich hörbar und kam die Treppen hinab in den Hauptsaal.
,, Dann… schreiten wir zur Wahl.“ , meinte er schwerfällig, während er sich zu Quinn, Hadrir und den übrigen Kandidaten gesellte. Am liebsten hätte er die ganze Versammlung wohl noch um ein paar Tage verzögert um sich neu zu sortieren, aber ihm war wohl auch klar, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Jetzt alle wieder unverrichteter Dinge wegzuschicken würde einen Aufstand auslösen, so gespannt wie die Situation war.
Nacheinander richtete der Thane das Wort an jeden einzelnen Kandidaten um zu fragen, ob er sich zur Wahl stelle.
,,Hadrir Silberstein,. Stellt ihr euch zur Wahl?“
Hadrir zögerte einen Moment, als sein eigener Name fiel. Noch konnte er zurück. Aber das wollte er gar nicht mehr, dachte er und einen Moment traf sich sein Blick mit dem Kasrans. Nein, darauf würde der Mardard-Thane jetzt nur warten. Er hatte sich als gefährlicher erwiesen, als Kasran zu glauben gemocht hatte… und jetzt würde der alte Zwerg seinen Fehler auch büßen…
,, Ja.“ , erklärte er laut und trat
vor.
,, Der Kandidat des Hauses Mardar… und des Sangius-Ordens stellt sich der Entscheidung der Versammlung.“ , erklärte Kasran feierlich. ,, Wer für Hadrir Silberstein ist, hebt die Hand.“
Und zu Hadrirs Verblüffung war es tatsächlich der Mardar, der zuerst die Hand hob. Er konnte den alten Zwerg einen Moment nur verblüfft ansehen, während in der Halle immer mehr Hände nach oben schnellten, zehn, fünfzehn… Hadrir gab das zählen auf.
Kasran seinerseits lächelte kurz und nickte dem jungen Zwerg fast anerkennend zu. Immerhin… er schien seine Niederlage wenigstens nicht allzu
bitter zu nehmen.
,, Ich hatte euch unterschätzt.“ , gestand er flüsternd. ,, Allerdings hatte ich auch nicht mit dem Orden gerechnet… Gut gemacht.“
,, Ihr scheint seltsam unbesorgt über eure Niederlage.“
Mittlerweile waren fast alle Hände in der Halle erhoben und die wenigen, die bis jetzt gezögert hatten, gesellten sich ebenfalls einer nach dem anderen dazu.
,, Um ehrlich zu sein… es ist eine ganze Weile her, das mich jemand übertölpelt hat, Junge. Und noch länger, dass jemand in diesem Spiel eine wirkliche Herausforderung für mich war. Ihr habt eine Schlacht gewonnen, Hadrir. Aber
was ihr euch hier aufhalst, ist ein lebenslanger Krieg. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen…“
Und dann waren auch die letzten Arme oben. Alle, dachte Hadrir mit einem flauen Gefühl im Magen. Jeder einzelne der Anwesenden hatte sein Handzeichen für ihn gegeben. Wie erstarrt stand er da, während auch schon der Jubel der Menge losbrach. Wie eine Welle brandeten Rufe durch den Saal. Hadrir bekam kaum mit, wie Kasran seine Hand ergriff und nach oben riss.
,, Heißt euren König willkommen.“ , rief der alte Thane mit einem triumphierenden lächeln.
Und tatsächlich begann die Menge sogar
seinen Namen zu skandieren.
,,Silberstein ! Heil dem neuen König!“ Es war ein infernalisches Grölen das die Wände zum Zittern brachte. Der Lärm verebbte nicht einmal, als schließlich eine kleine Gruppe Zwerge in den traditionellen, schweren Panzern der Wache hereinkam und vor ihm niederknieten. Jeder von ihnen trug das Symbol eines anderen Hauses auf seiner Brust und einen Umhang in den entsprechenden Farben. In ihrer Mitte ging ein kleines Zwergenmädchen mit der Krone, die einst Brunar Silberstein getragen hatte. Blumen regneten mittlerweile von den oberen Rängen hinab und einige der bunten Blätter
verfingen sich in Hadrirs Kleidung und seinen Haaren Er begriff nur noch am Rande, was eigentlich vor sich ging. Das flaue Gefühl in seinem Magen war zurück. Auf was hatte er sich da bloß eingelassen? Kasran musste ihm sogar einen leichten Schubs geben, damit er ebenfalls auf die Knie sank und dann spürte er auch schon das kühle Metall auf seiner Stirn.
Er war kein Herrscher, hätte er am liebsten erklärt, als Kasran ihn wieder auf die Füße zog, doch sein Mund weigerte sich schlicht die Worte zu formen, während er in tausende, wartenden Gesichter starrte. Manche lächelten, andere schienen ihn
bestenfalls zu dulden, doch keiner hob die Stimme um ihn noch einen Emporkömmling zu schimpfen oder seinen Anspruch jetzt noch in Frage zu stellen. Stattdessen warteten sie begierig auf die ersten Worte ihres neuen Königs. Und dieser schweig lediglich, während seine Beine unter ihm nachgeben wollten. Die Krone auf seinem Kopf fühlte sich zu schwer an, seine Kleider waren die eines Hauslosen… und doch stand er plötzlich hier. Als Herrscher über ein Volk, das vor allem jemanden brauchte, der ihm den Weg wies.
,, Die Zeit der Dunkelheit ist vorbei.“ Der Klang seiner eigenen, kraftvollen Stimme überraschte ihn, als er
schließlich wankend auf die Füße kam. Er wusste nicht woher die Worte kamen, aber sie erfüllten ihren Zweck. Erneut brandete Jubel los , der wie eine Welle über ihm zusammenschlug und es sollte noch Stunden dauern, bis die Körnungszeremonien abgeschlossen waren. Häuser wollten ihre Loyalität bekunden, die ersten Bittsteller eine Antwort hören… und über allem stand nach wie vor Kasran. Der Zwerg war mittlerweile vom Podest getreten und sah mit ruhiger Mine zu ihm herauf. Es war unmöglich zu wissen, was dieser Mann als nächstes Plante…
Hadrir wusste innerlich bereits, das seine Worte eine Lüge gewesen waren. Nein.
Sie waren noch lange nicht durch die Dunkelheit hindurch. Wenn dann hatten sie grade vielleicht den ersten Schimmer des Morgens erblickt…. Als er schließlich Stunden später halb betäubt endlich aus der Halle wankte, regneten noch immer Blumen von den Balkonen herab und landeten vor seinen Füßen.