Kapitel 25 Ausgrabung
Als die Sonne am Abend über dem roten Tal unterging, wandelten sich die steilen Felswände von dunklem Purpur in hell leuchtendes Feuer. Einzelne Lichtbalken fielen durch leere Fenster und halb zerfallenen Säulengänge und zeichneten scharfe Schatten auf den Erdboden.
Galren beobachtete das Schauspiel fasziniert, während Elin an seiner Schulter lehnte. Gedankenverloren legte er einen Arm um sie. An Schlaf war für ihn nach dem heutigen Tag nicht zu denken. Nicht nach dem, was sie erfahren hatten… und was die Rätsel nur
verworrener gemacht hatte, die ihn beschäftigten.
Galren und die anderen hatten den ganzen Tag damit zugebracht, mit Eriks Arbeitern zusammen das Tal zu durchkämmen. Wie sich herausstellte, suchte der Mann nicht nur in der Nähe des Zeltlager sondern hatte mittlerweile kleine Gruppen über die gesamte Länge des Tals verteilt.
Die Ruinenstadt war gewaltig und wenn er sich vorstellte, wie dieser Ort zu seinen Glanzzeiten ausgesehen haben musste… Hier hatten einst Tausenden gelebt, wenn nicht mehr und doch war alles was von ihnen geblieben war der Staub. Staub, der mit dem Wind durch
jede Steinfuge und selbst durch ihre Kleider drang, während sie sich durch die Sonne schleppten.
Nachdem Galren zugestimmt hatte, Erik bei seiner Suche zu helfen, hatte der Mann nicht lange gebraucht um seine erste Aufgabe für sie zu finden. Zusammen mit dem Arzt, Cyrus und Eden machten sie sich zu einer der Gruppen auf, die sich an einem alten Tempel im Tal einquartiert hatte um dort nach möglichen Spuren zu suchen. Schon von weitem konnte man den eingefallenen Bau erkenne, der unter einem Felsvorsprung aufragte. Das einstmals breite Kuppeldach war wohl schon vor Jahrhunderten eingefallen und
hatte nur einen Rundbogen aus ineinander greifenden Säulen hinterlassen, zwischen denen Halbhohe Mauern aufragten.
Im Schutz der Tempelanlage standen ein halbes Dutzend Zelte, die sich nicht groß von jenen am Fluss unterschieden. Genau wie dort arbeiteten eine Handvoll Gejarn und Menschen im Schatten der Felsen,, siebten den Grund durch und schafften Beiseite, was sie fanden, seien das Scherben, Schmuck oder Gegenstände, die bereits so verrostet waren, das man ihre ursprüngliche Form und Funktion kaum mehr erraten konnte.
Einen Hinweis auf irgendeine Kammer jedoch fand sich nicht darunter. Und
wieso sollte es auch?, dachte Galren. Wenn es in diesem Tal ein Versteck gab, das bisher niemand gefunden hatte, würde es nicht irgendwo auf einer alten Tafel ausgeschildert sein.
Wenn er nur noch über seine Gabe verfügen könnte, dann wäre das wenigstens kein Problem. Er könnte vermutlich sofort herausfinden ob und vor allem wo sich hier etwas befand. So jedoch blieb ihnen nur, Mühsam alles zu durchkämmen. Und das taten sie…
Den ganzen restlichen Tag brachten Galren und die anderen damit zu, den übrigen Arbeitern beim Graben zu helfen. Der Boden, der von oben so staubig und locker wirkte, wurde bereits
nach wenigen Spatenstichen lehmig und schwer wie Blei, so dass die Arbeit nur langsam voranging. Aufgewirbelter Staub und Dreck legten sich als Schleier über alles und färbten sogar ihre Haut dunkel. Noch vor dem Nachmittag sahen Galren, Armell , Erik und auch alle anderen von dessen menschlichen Helfern aus wie die Leute weiter aus dem Süden, wo die westliche und östliche Sonnensee durch dutzende von unberechenbaren Gezeitenkanälen miteinander verbunden waren.
Was die Gejarn anging, so nahm vor allen Elins Pelz langsam einen mehr und mehr rötlichen Ton an und färbte sich langsam von ehemals weiß über rosa zu
etwas, das wirkte, als wäre sie in einen Eimer mit Schlachtabfällen gestürzt. Der einzige, der davon unberührt blieb, war Cyrus. Doch der schwarze Wolf hatte sichtlich andere Probleme. Wenn jemanden die Temperaturen im Tal zu schaffen machten, dann wohl ihm.
Es war eine ermüdende Arbeit und so viel Erdreich sie auch bei Seite schafften und das Gefühl wirklich voranzukommen, wollte sich nicht einstellen. Der brüchige Boden am Rand der Gruben brach immer wieder ein, füllte die grade erst ausgehobenen Bereiche und außer Bergeweise Scherben, die Erik alle fein säuberlich bei Seite bringen ließ, hatten sie bisher
nichts zu Tage gefördert. Dieser schien auch der einzige zu sein, der an der Arbeit durchgehend Spaß zu finden schien.
,, Wenn er im Dreck wühlen kann ist er glücklich.“ , meinte Cyrus mit einem nicken in Richtung des weißhaarigen Arztes. Dieser hatte sich über eine kleine Aushöhlung inmitten der großflächigeren grabungsstelle gebeugt, scheinbar um dort etwas zu begutachten. Mit Feingefühl, dünnen Metallstiften und einer Bürste machte er sich daran, Schicht um Schicht den Dreck von irgendetwas etwas zu entfernen, das sein Interesse geweckt hatte.
,, Du bist ein zu groß geratener Hund.“ ,
blaffte Erik zurück ohne sich dabei von seiner Arbeit ablenken zu lassen. ,, Dir sollte das Spaß machen.“
Cyrus antwortete mit einem ärgerlichen Grummeln. ,, Egal.. es könnte schlimmer sein.“ , meinte er schließlich, fügte aber an Eden gerichtet leise hinzu : ,,Manchmal, wenn ich ihm nicht etwa dreißig Mal mein Leben schulden würde….“
,, Zweiundfünfzig mal !“ , kam prompt die Antwort, des mit dem Kopf halb in der Grube hängenden Arztes.
,, Ich war mir sicher, es wäre weniger.“
,, Ich zähle sehr genau mit, Herr Wolf.“ Erik hatte sich mittlerweile auf Hände und Knie niedergelassen und
begutachtete nach wie vor seinen Fund. Armell, die zu ihm getreten war, sah ihm dabei zu, konnte jedoch nicht richtig erkennen, was die Aufmerksamkeit des Mannes eigentlich so fesselte. Mit einem knarzenden Geräusch löste sich jedoch endlich etwas aus dem Boden und Erik hielt seinen Fund triumphierend hoch. ,, Hab ich dich…“
,,Und noch eine Scherbe.“ , stellte die junge Adelige enttäuscht fest. Etwas anderes schien es hier auch nicht zu geben, dachte sie frustriert. Aber was hatte sie erwartet? Das sie sofort fanden was dieser Mann und seine Leute seit Wochen vergeblich suchten? Sie hatte kein Problem damit sich die Hände
schmutzig zu machen. Die Anstrengung war eine willkommene Abwechslung. Nach den Wochen, die sie in sich gekehrt in Freybreak oder auf der Straße verbracht hatte, tat es sogar gut, sich wieder einmal wirklich zu verausgaben. Aber es gab wichtigeres, als Vasenüberreste. ,, Wir haben den ganzen Tag welche ausgegraben, Erik. Verratet ihr mir, was ihr damit wollt? Dadurch erfahren wir sicher nichts…“
,, Und genau da irrt ihr euch, meine Liebe.“ Der alte Mann erhob sich erstaunlich geschickt wieder auf die Füße und winkte ihnen allen zu, ihm zu folgen. Die ausgegrabene Scherbe reichte er lediglich a einen Gejarn weiter, der
sie entgegennahm und zurück ins Lager am Tempel brachte, wo man sie sich näher ansehen würde. Erik jedoch führte sie an den Rand der Grube und setzte sich auf die Grasnarbe am Rand derselben, während sie sich um ihn versammelten.
,, Nichts an einem Ort wie diesen ist wertlos oder Schrott. Lasst mich euch einmal zeigen, was wir durch allein diese Scherben schon erfahren haben. Ich sagte ja, ich habe Grund zur Annahme, dass dieser Ort weit mehr verbirgt, als die alten Kaiser je glaubten. Und das hier ist der Grund dafür…“
Beinahe ehrfürchtig nahm der Mann seine schwere Tasche auf den Schoß und
zog etwas daraus hervor, das in mehrere lagen schweren Samt eingeschlagen war. Doch was sich darunter befand war nicht etwa ein wertvolles Kleinod, sondern eine weitere Scherbe. Die Farbpigmente, die sie einmal verziert hatten waren im Laufe der Jahrhunderte zwar verblasst, aber die Szene darauf war nach wie vor deutlich zu erkennen.
Zwölf Figuren waren darauf gezeichnet, alle durch ein gleichförmiges Schemen ohne Individuelle Züge dargestellt. Das einzige, was sie voneinander unterschied waren die von Flammen gekrönten Häupter. Der Künstler hatte dem Feuer eines jedem eine eigene Farbe gegeben. Die Hände vorgestreckt, wie um ihm
Einhalt zu gebieten, hatten sich die zwölf vor einer formlosen Schwärze aufgebaut, die den gesamten Rest der Scherbe einnahm. Mehr war jedoch nicht zu erkennen, weder, welche Gestalt die Dunkelheit hatte, noch was sonst noch vorgehen mochte…
,, Dieses Feuer ?“ , fragte Galren. Vorsichtig nahm er Erik die Scherbe ab, als dieser sie ihm hinhielt.
,, So stellte das alte Volk Magie da.“ , erklärte sein gegenüber. ,, Der Kuss der Sternengötter, die ihr Volk gesegnet hatten…“
,, Und das hier ?“ Elin deutete auf den Schatten. Die Pigmente lösten sich unter ihren Fingern einfach auf, so alt wie sie
waren.
,, Ehrlich gesagt weiß ich das selbst nicht. Das Bild ist zu unvollständig und wenn diese Scherbe einmal zu einem größeren Relief gehörte, so haben wir bisher keine weiteren Überbleibsel davon gefunden. Aber ich glaube, ich weiß, wer die zwölf im Vordergrund sind. Ich glaube hier an diesem Ort wurden die Unsterblichen erschaffen…“
Armell schien skeptisch. ,, Niemand hat seit Jahrtausenden etwas von ihnen gehört. Ich dachte die seien nur eine Legende. „ Sie dachte einen Moment nach. ,, Allerdings… es gibt wohl auch Leute, die Falamirs Tränen für Legenden hielten, bis sie wieder
auftauchten.“
,, Ich weiß nicht.“ , bemerkte Galren. Er hatte bereits einmal von den Unsterblichen gehört. Nicht in den Geschichten, die sich die Leute erzählten. Nicht in einer Legende… doch es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde wo. Bei den Zwergen. Der Tempel im Herzen der Stadt war ihnen geweiht gewesen. Aber wo war da die Verbindung… was hatten Wesen, die das alte Volk einst erschaffen hatte mit den Zwergen zu tun? Und ein ihnen geweihter Tempel wiederum mit dem Schwert, das sein Vater gefunden hatte?,, Wenn ihr sagt, das alte Volk hätte sie erschaffen, dann doch zu einem
Grund ? Wozu also ?“
Erik zuckte mit den Achseln. ,, Als Waffen ? Wächter ? Weil sie es eben konnten? Ich weiß es nicht.“
,, Die Zwerge beten die Unsterblichen sogar an.“ , bemerkte Galren nachdenklich. Irgendwie wollte das ganze schlicht keinen Sinn ergeben. ,, Uns insbesondere einen. Den Herrn des Feuers, wie sie ihn nennen.“
Erik nickte. ,, Interessant. Ich schätze, das ist einer der Namen, der ihnen direkt vom alten Volk gegeben wurde. Aber würdet ihr mir erklären, warum sie ihn als Gott verehren sollten?“ Wenn Galren es nicht besser wüsste, er würde beinahe sagen, dass der Arzt erbost
darüber war.
,, Wenn ich mich richtig an das erinnere, was Hadrir darüber erzählt hat dann hat er sein Volk einst über das Meer geführt…“ Elin schien mittlerweile genauso ratlos wie er, dachte Galren.
,, Und er hat nichts Besseres zu tun, als sich erstmal anbeten zu lassen.“ Erik klang tatsächlich wütend. ,, Was für ein Narr. Stellt sich nur die Frage, was er damit bezweckt hat…“
,,Bezweckt ?“
,, Nicht… so wichtig.“
,, Aber so wie ihr sprecht, scheint ihr euch ziemlich sicher zu sein, das sie keine bloße Legende sind.“
,, Ich vermute, das mindestens zwei
Unsterbliche direkt in den Bürgerkrieg involviert waren, in dessen Folge die Ordeal-Kaiser Falamirs Tränen überhaupt erst verloren.“ , erklärte der Alte prompt.
,,Und der Rest ? Sind sie tot?“
,, Ich bezweifle es. Auch wenn seine physische Form sehr wohl noch sterben kann, wer immer einen Unsterblichen vernichtet, müsste unweigerlich seinen Platz einnehmen. Das ist die Unsterblichkeit, die das alte Volk für sie vorgesehen hat. Der Körper des Unglücklichen mag sterben, aber seine Aufgaben, seine Macht würden einfach weitergegeben. Ich denke mal der einzige, der einen Unsterblichen
wirklich vernichten könnte… wäre ein anderer Unsterblicher. Und das dürfte für keinen der Beteiligten gut ausgehen. Aber, vielleicht sind das auch alles nur Geschichten. “
,, Ihr wisst eine Menge über etwas, das ich bis vor einigen Augenblicken noch für eine Legende gehalten habe.“ , bemerkte Armell.
,,Tue ich das ?“ Eriks Züge bekamen einen Augenblick etwas Düsteres. ,, Vielleicht habt ihr recht. Aber ich bin alt, meine Liebe. Ihr könnt es einem alten Narren nicht verübeln, wenn er sich in seine Geschichten flüchtet. Doch wie ihr schon sagtet. Auch die Tränen hielten manche für Legenden. Und hinter
den meisten Legenden lauert irgendwo ein Funken Wahrheit. Und manchmal wäre es besser, wenn er nie ans Licht kommt.“
Das vielleicht, dachte Galren. Er hatte so seine Erfahrungen gemacht, was Dinge anging, die man lieber nie in Erfahrung gebracht hätte. Aber blieb ihm den eine Wahl? Aber das Puzzle, das ihn beschäftigte war grade nur größer geworden, nicht kleiner. Nach wie vor schien er von einer Antwort weiter entfernt als jemals während seiner Zeit bei den Zwergen. Und seine einzige Hoffnung lag irgendwo hier unter Schutt, Sand und Dreck begraben…