Kapitel 17 Aufbruch
Der Morgen kam und brachte Nebel mit sich, der vom Meer aus über die Insel wallte. Weiße Schleier trieben auf den Straßen und über dem Wasser im Hafen, als Naria einen Beutel über der Schulter die Straße hinab ging. Sie hatte nur eingepackt, was sie sich im Zweifelsfall nicht in Helike besorgen konnte, darunter einen Großteil ihrer Kräutervorräte, die sich in mehreren Beuteln und Gläsern am Boden der Tasche befanden. Grade bei ihrem vorhaben, war es wichtig, das sie auch ohne Magie zurechtkäme... und ein
Heilzauber war immer noch alles andere als unauffällig, wenn er nötig wurde.
Die Schreie wenn sich Organe und Knochen dem Strom der Magie folgend wieder an ihre angestammten Plätze zurückzogen und zerstörtes Gewebe innerhalb weniger Herzschläge nachwuchs klangen ihr meist noch Tage in den Ohren nach. Nur noch ein Grund auf Magie zu verzichten, solange man andere Optionen hatte.
Feine Wassertropfen verfingen sich in ihrer Kleidung und die kalte Luft, von der See ließ sie kurz frösteln. Mit einer Hand kramte sie in ihrem Beutel bis sie fand was sie suchte und eine Hand voll getrockneter und zermahlender
Tabakblätter zusammen mit einer kurzen Pfeife. Auf ihrer letzten Reise war ihr der Tabak sehr zu ihrem Leidwesen schon lange vorher ausgegangen. Nun diesmal hatte sie ja vorgesorgt. Sobald die Pfeife gestopft war und brannte, was bei dem Wetter gar nicht so einfach war, wenn man keine Magie dafür aufwenden wollte, machte sie sich wieder auf den Weg.
Wys wartete bereits vor den Schiffen auf sie , zusammen mit ihrem Vater und ihrer Mutter, die genau so ernst drein sah wie der Archont. Als sie jedoch Naria bemerkte, die den Pfad zwischen den Häusern hinab kam, lächelte sie endlich wieder und lief ihr
entgegen.
,, Ich schätze du wirst es dir nicht noch einmal überlegen, oder ?“
Naria hätte gerne etwas geantwortete, das ihre Sorge beschwichtigen könnte... das einzige jedoch was dazu in der Lage gewesen wäre, wäre wohl, hier zu bleiben.
,, Ich werde auf mich aufpassen.“ , versprach sie daher nur und die ältere Gejarn zog sie einen Moment heftig an sich.
,, Wenn ich dir das nur glauben könnte...“ , murmelte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor sie sich auf den Weg machten.
Wys wartete bereits und war ungeduldig aufzubrechen.
Er war der Heimat jetzt schon zu lange fern geblieben, dachte er, während er die Grauen Wolken beobachtete, die über ihnen am Himmel aufzogen. Das Wetter wurde vielleicht schlechter, aber der schwache Wind kam aus der richtigen Richtung und wenn er auffrischte, würde er sie hoffentlich innerhalb einiger Tage nach Helike bringen.
,, Es war schön dich wiederzusehen.“ , meinte Zyle. ,, So kurz es auch war... Und du bist sicher, das ich daheim nichts tun kann ?“
,, Daheim...“ Er schüttelte den Kopf. ,, Ich dachte das hier ist deine Heimat ?“
,, Genau so wie es Helike ist, Bruder. Und das wird sich nie ändern. “ Zyle und
er waren genau auf Augenhöhe miteinander und egal wie sehr er es versuchte, dem bestimmten Blick seines Bruders auszuweichen war ihm in diesem Augenblick schlicht unmöglich. ,, Ich weiß du wirst tun, was du kannst, aber... achte auf sie, ja ? Die Sache gefällt mir nicht .“
,,Glaub mir, mir auch nicht.“ , erwiderte Wys.
,, Wissen die übrigen Archonten, was du vorhast ?“
,,Sie werden es jedenfalls bald erfahren.“ , erklärte er und zögerte einen Moment. Zyle wusste nicht, wie viel sich wirklich geändert hatte, seit er die Stadt zum letzten mal betrat. Und vielleicht war es
unnötig, ihn und Relina noch weiter zu beunruhigen... aber er würde auch nicht lügen. ,, Jona ist tot, Zyle...“
Wys konnte sehen, wie sich die Augen seines Bruders erschrocken weiteten. Der Händlerkönig war neben Wys selbst der einzige gewesen, der noch vor dem Exodus der Magier als Archont gedient hatte. Der Rest war nach dem Tod des damaligen Konzils erst nach und nach ernannt worden.
,, Wie ?“
,, Wenn ich das wüsste, wäre mir ebenfalls sehr viel wohler.“ Auch wenn Wys so seine Befürchtungen hatte. Die anderen Archonten jedenfalls hatten ihre Finger nicht im Spiel gehabt, das wusste
er. Jona hatte den Rat immer unter Kontrolle gehabt und zwei Archonten waren nur durch seine Empfehlungen zu ihren Posten gekommen. ,,Er starb keine Woche, nachdem das alles anfing. Gift war keines im Spiel, ich habe jeden zweiten Heiler in der Stadt angewiesen seine Leiche zu überprüfen. Ich hoffe.. nein ich bete zu allen alten und neuen Göttern, das es nur Zufall ist. Am Ende... er war alt.“
Alt. Und eine Stimme der Vernunft, so verschlagen er sein konnte, dachte Wys bei sich. Sie waren nicht immer einer Meinung gewesen aber wenn es jemanden gab, der die Reformen, die er so lange angestrebt hatte wirklich vorangebracht
hatte, dann der Händlerkönig.
,, Wie ist er gestorben ?“
,, Er erschien eines Morgens nicht mehr zur Versammlung der Archonten im Turm und als man ihn fand... man könnte meinen er sei im Schlaf gestorben, Zyle. Ich habe dann persönlich veranlasst, das man ihn bei seiner Familie beisetzt. Den Friedhof der Verlorenen gibt es nicht mehr.“
,, Das ist wenigstens eine gute Nachricht.“ , bemerkte Relina, die unbemerkt zu ihnen zurückgekehrt war. Wys hatte sich mit der Frau seines Bruders nie wirklich anfreunden können. Dennoch hatte er eine Art stummer Bewunderung für sie übrig. Diese ganze
Insel war eine Wildnis ohne jede Zivilisation gewesen, als sie hier angekommen war. Aber immerhin, was hätte er von Samiels Tochter auch anderes erwartet ? Es war schwer gewesen, die Puzzlestücke nach seinem Tod zusammenzusetzen, aber der alte Archont hatte einige Aufzeichnungen hinterlassen. Nichts, das direkt auf ihr Überleben hinwies... aber doch genug, das Wys sich den Rest denken konnte. Welche Laune der Natur dahinter stecken mochte, das eine Gejarn als Magierin geboren wurde, konnte er sich nach wie vor nicht erklären... und welches boshafte Schicksal sie dann zur Tochter des Mannes machte, der die
Magierverfolgungen in seiner Jugend erst auf die Spitze getrieben hatte...
,, Ist alles bereit ?“ , wollte Naria wissen. Wys konnte nicht umhin festzustellen, das sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten wirkte. Nur sehr viel ruhiger , gefasster als diese. Darin wiederum schien sie mehr Zyle ähnlich, die stoische Ruhe eines Kriegers, der die Schule von Helike durchlaufen hatte. Und im Laufe der Prüfungen bis zum Schwertmeister aufgestiegen war. Wäre sie in Helike geboren, vielleicht unter anderen Umständen, vermutlich hätte sie den gleichen Weg wie ihr Vater eingeschlagen. Vielleicht wäre sogar er
es gewesen, der ihre Ausbildung übernommen hätte. So jedoch hatte das Schicksal sie zu Fremden gemacht, dachte Wys. Einer Fremden, die er so sehr trauen musste, wie seinem eigenen Bruder.
,, Wir können aufbrechen.“ , erklärte er und wendete sich ein letztes mal Relina und Zyle zu. ,, Ich weiß wie schwer euch das fällt...“
,,Bringt sie mir nur sicher zurück, Archont.“ Die Magierin hielt den Kopf gesenkt, während sie sprach.
Wys nickte, dann jedoch wendete er sich rasch ab und nahm die Laufplanke zum Deck der Galeere, die nach wie vor im Hafen vor Anker lag. Ein gebellter Befehl
genügte und die eben noch an der Reling versammelte Mannschaft geriet in Bewegung. Ruderer hasteten unter Deck, Messer kappten Taue und das Schiff wurde mit Stangen von der Hafenkante weggestoßen.
Naria folgte Wys auf dem Fuß und sah sich neugierig an Bord um. Die Galeere war nicht sehr groß im vergleich zu den Schiffen der kaiserlichen Marine, die sie kannte geradezu winzig, war aber um einiges schneller und wo andere Segler auf Grund liefen, konnten die wendigen Schiffe aus Helike nach wie vor bequem manövrieren.
Was ihr jedoch vor allem auffiel war, das es keinerlei Geschütze an Bord gab.
Auch ein kleines Schiff wie dieses hätte wohl ohne Probleme eine Batterie Kanonen an Bord nehmen können, doch fand sie nichts, das an eine Feuerwaffe erinnerte. Selbst die Männer an Bord waren wenn mit Bögen oder einer Armbrust bewaffnet.
,,Laos Gesetze verbieten Schwarzpulver.“ Erklärte Wys beiläufig, dem ihr fragender Blick wohl aufgefallen war. ,, Zwar ist es nicht verpflichtend, aber kein Krieger Helikes würde offen zugeben, je eine Pistole oder ein Gewehr in der Hand gehalten zu haben.“
Ein seltsames Gesetz, dachte Naria bei sich. Während der Archont weiter Anweisungen erteilte und um sie herum
Matrosen und Männer in schweren Rüstungen hin und her eilten, trat sie an die Reling und sah zu, wie der Hafen von Maras langsam verschwand.
Ihre Eltern standen nach wie vor am Dock und verschwanden nicht, ehe sie vom Nebel verschluckt wurden. Die ganze Insel wirkte heute Morgen wie ein Phantom. Weiße Schleier bedeckten das Land bis hin zu den Berggipfeln im Zentrum , die wie graue Zähne aus dem Dunst ragten. Das würde für eine Weile vielleicht das letzte sein, was sie von ihrer Heimat sah, dachte Naria. Sie war immer viel gereist und doch fühlte sie jetzt zum ersten mal eine Beklommenheit, die sie nicht ganz in Worte fassen
konnte. In Helike wäre sie völlig auf sich Gestellt, sah man von Wys einmal ab... Und ihr Onkel war für sie ein Fremder über den sie nur wusste, was ihr Vater ihr erzählt hatte. Und ihre Mutter. In wie weit sie ihm trauen konnte würde sich ebenfalls erst noch zeigen müssen.
Mit unbewegter Mine sah sie zu, wie die letzten Konturen von Maras im Nebel versanken. Sobald sie etwas Abstand zwischen sich und die Insel gebracht hatten, frischte der Wind auf und sorgte wieder für klare Sicht. Zwar war das Wasser unruhig und warf die Galeere und ihre Begleitschiffe, die sich ihnen wieder anschlossen sobald sie den Hafen verließen, hin und her, doch sie hatte
bereits deutlich schlimmeres erlebt. Bald hatte Naria sich an das ständige schwanken unter ihren Füßen gewöhnt, als hätte sie die Immerwind nie verlassen. Ob Hedan wohl noch auf Maras wäre, wenn sie zurückkam ? Vielleicht hätte sie sich auch von dem mürrischen Kapitän verabschieden sollen, wer wusste schon wann sie sich das nächste mal wiedersahen ? Und vielleicht hätte er sich auch nach den anderen erkundigen können, nach Armell, Galren, Elin... Immerhin waren die drei zumindest sicher.
Am Abend des siebten Tages ihrer Reise schließlich konnte sie zum ersten mal wieder etwas anderes sehen, als graues
Wasser. Die Küste konnte nicht mehr weit sein, den der warme Wind, der ihnen entgegenkam brachte Sand und den Geruch von etwas mit sich, an das Naria sich kaum erinnern konnte. Oder vielleicht glaubte sie auch nur, sich daran zu erinnern. Und irgendwo am dunkler werdenden Horizont glommen Hunderte von Lichtern in einer lang gezogenen Kette. Das musste eine Siedlung sein, dachte Naria auch wenn sie sich fragte, welche. Für eine richtige Stadt war sie zu klein und zu groß für eines der Fischerdörfer, die sich wohl zu Dutzenden entlang der Küste fanden.
,, Kalenchor.“ , meinte Wys neben ihr und deutete auf die Lichter ,, Dieser
Außenposten markiert die äußere Grenze des Canton-Imperiums. Wir werden uns ihm allerdings nicht nähern... ich will nicht erklären müssen, was eines unserer Schiffe in kaiserlichen Gewässern zu suchen hat. Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Vielleicht noch einen Tag die Küste entlang und wir erreichen Helike.“
,, Wie ist es dort eigentlich ? In Helike meine ich ?“
,, Sie ist wunderschön. Die innere Stadt im Zentrum liegt auf einem Hügel und wenn man einmal oben ist kann man fast das ganze Umland und die unteren Bezirke überblicke, bis weit in die Wüste hinein. Und wenn die Sonne erst untergeht... Das ganze Land scheint in
hundert Farben zu brennen, Naria. Aber das werdet ihr bald selber sehen.“
Aus Wys orten sprach so viel Begeisterung... Naria konnte nicht anders als zu Lächeln. Es war beinahe ansteckend, wenn man hörte, wie er von seiner Heimat sprach. Eine Verbundenheit mit dieser Stadt... die sie so noch nicht erlebt hatte. Oder vielleicht doch. Bei ihrer Mutter, wenn sie von Maras erzählte und dem was sie dort erreicht hatten. Vielleicht waren sie und ihr Onkel am Ende gar nicht so verschieden. Selbst ihre Standpunkte waren eigentlich gar nicht so Gegensätzlich...