Kapitel 16 Nach Süden
Naria beobachtete das Gesicht des Archonten, jetzt wo er an einem Tisch im Haus ihrer Eltern saß und sich umsah. Doch seiner Mine war nicht zu entnehmen, was er dachte und falls er überrascht war, wie schlicht sein Bruder hier lebte, dann zeigte er es zumindest nicht. Das gesamte Gebäude hatte nur ein Stockwerk und bestand grade aus vier Räumen und den umliegenden Gärten in denen ein wildes durcheinander aus Pflanzen Spross. Etwas Gemüse hier und da, aber vor allem Heilkräuter und Pflanzen, die Naria auf ihren Streifzügen
über Maras gesammelt hatte. Zwar besaß sie auch ein eigenes Haus, aber da sie alleine lebte war es kaum mehr als eine Hütte mit einem Bett und einer Feuerstelle. Der Platz auf Maras war begrenzt und die meisten Leute, die ihre Häuser in den Siedlungen bauten mussten sich damit arrangieren.
Ihr Vater war mittlerweile mit einem Krug Wein an den Tisch zurückgekehrt und Wys nahm dankend ein Glas an, wenn auch mehr aus Höfflichkeit, wie Naria schien. Nach wie vor blieb seine Mine angespannt und undurchsichtig und das lag wohl nicht nur daran, das Relina ihn noch weniger aus den Augen ließ als Naria.
Der kleine Raum schien noch heute geradezu beklemmend und düster. Draußen jedoch schien die Sonne und die Lichtbalken, die zwischen weißen Gardinen auf den Tisch fielen brachten den Staub in der Luft als goldene Funken zum Tanzen.
Wys hatte sich auf die eine Seite des Tisches gesetzt, Zyle auf die andere und Relina war gleich stehen geblieben, die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte an der Holzvertäfelten Wand.
Naria selbst saß genau zwischen ihnen.
Zyle schien der einzige zu sein, der die Anspannung nicht spürte, oder zumindest nichts darauf gab. Nach wie vor
freudenstrahlend goss er ihrem Onkel Wein ein. ,, Also, sag schon, was führt dich her ? Und wie war die Reise ?“
,, Lang und Langweilig.“ , erklärte Wys gestelzt als wüsste er nicht, wie er beginnen sollte. In seiner Prunkrüstung und dem Seidenumhang wirkte er einfach nur völlig fehl am Platz. Seine Hände wanderten zu der Kette um seinen Hals und seine Finger begannen Gedankenverloren oder vielleicht auch Nervös damit zu spielen. Das goldene Zahnrad, das daran hing wirkte matt und abgegriffen, so als trüge er es schon viele Jahre mit sich und hätte es zu oft in den Fingern gehabt. ,, Ich wünschte nur ich könnte das selbe im Augenblick
über Helike sagen.“
Zyle sah ihn besorgt an. ,, Was ist passiert ?“
,, Und was haben wir damit zu tun ?“ , fügte Relina kalt hinzu.
,, Verzeiht... „ Wys senkte den Kopf beim Klang ihrer Stimme. ,,Ich weiß das ich nicht erwarten kann, das man schon vergessen hat, welches Leid mein Volk einst über euch brachte. Aber ich bin nicht hier um euch zu Schaden,. Im Gegenteil. Ich bin hier weil ich eure Hilfe ersuche.“ Bevor Relina noch etwas darauf erwidern konnte sprach er bereits weiter : ,, Wie auch immer ihr euch entscheidet, hört mich wenigstens erst an. Ihr mögt Helike nicht in bester
Erinnerung haben, aber es war auch eure Heimat, Relina...“
Die Schakalin schien einen Moment ernsthaft mit sich zu kämpfen. Ein rasches Wechselspiel der Emotionen ging über ihr Gesicht, Wut, Hass, Gleichgültigkeit, Unsicherheit und Angst... schließlich nickte sie.
,, Sprecht. Ich höre zu.“
,, Die ganze Stadt in Aufruhr, Relina. Zyle. Ich glaube keiner von euch würde sie noch wiedererkennen. Überall in Helike sind in den letzten Monaten Prediger aufgetaucht. Anfangs waren es nur eine handvoll, aber mittlerweile begegnet man ihnen an jeder Straßenecke. Sie sprechen von dem
Herrn der Ordnung und wie dieser gekommen sei um die Leute von ihrer Bosheit zu befreien.“
,,Habt ihr Angst, die Leute könnten auf die Idee kommen, Laos Gesetze seien vielleicht nicht der einzige Weg zu Leben ?“ , fragte Relina spöttisch.
Wys funkelte sie einen Moment böse an, schüttelte dann jedoch den Kopf. ,, Ihr wart lange fort. Es hat sich viel geändert, Relina. Ob ihr es mir glaubt oder nicht aber ich habe die letzten zwei Jahrzehnte meines Lebens darauf verwendet, dieser Stadt und all ihren Bewohnern eine Zukunft zu geben. Das schließt auch die verbliebenen Magier ein. Und es schließt auch jene ein, die
sich nicht Laos Gesetz unterstellen wollen. Nein die Prediger sind nur ein Symptom. Das alles wäre halb so schlimm, aber seit diese Männer aufgetaucht sind... verschwinden Nachts Leute auf den Straßen. Ich und meine Leute haben schon alles versucht, wir haben Nachts Ausgangssperren verhängt und die Paladine aus der inneren Stadt patrouillieren jetzt auch in den Straßen der äußeren Bezirke. Geändert hat sich bisher jedoch nichts. Die Leute haben Angst.... Und die Prediger nutzen diese Angst zunehmend aus um sie auf ihre Seite zu ziehen. Ich habe keine Beweise... aber ich fürchte, das es kein Zufall ist. Und ich glaube auch zu
Wissen, wer dahinter stecken könnte.“
,, Und wozu braucht ihr dann uns ?“ Relina hatte sich mittlerweile auf dem letzten freien Stuhl niedergelassen. Auch wenn ihre Stimme mittlerweile nicht mehr völlig abweisend klang, blieb sie vorsichtig.
,, Weil ich befürchte, das die Whaid dahinterstecken könnten.“ Whaid... Das war allerdings ein Name, den Naria noch nicht oft gehört hatte und wenn dann nur als Flüstern, so wie manche über den Tod oder eine düstere Legende sprechen mochten. Die Drachenanbeter waren die Ureinwohner der kargen Lade und Wüsten um Helike herum. Einst, vor Laos, da hatten sie ein eigenes Imperium
unter ihrer Kontrolle gehabt... bis der große Lehrer kam und die Drachen vernichtete und die Überlebenden in die Wüste trieb. Und sie hatten seinen Anhängern ihr Exil wohl bis heute nicht verziehen...
,, Wie kommst du darauf ?“ , fragte Zyle. ,, Sie haben sich seit Jahren nicht mehr in größerer Zahl aus ihren Wüsten gewagt, Bruder... Und ich kenne einen ihrer Drachen. Ich bezweifle das Feryakin der Sinn nach Eroberung steht.“
,, Das mag sein, aber der erste Prediger kam aus der Wüste. Ihr Anführer wie es scheint, ein Mann, den sie nur den Träumer nennen. Und die übrigen
Archonten teilen diese Ansicht. Was auch immer ich davon halten mag, wenn nicht bald etwas geschieht werden die anderen darauf bestehen, eine Strafexpedition in Whaid-Territorium zu entsenden. Das würde einem offenen Krieg gleich kommen. Das will ich um jeden preis verhindern. Sie sollen nur aufhören, vielleicht können wir auch ein Abkommen treffen... aber uns langsam zu unterwandern wird nicht geduldet werden. Ich habe zu lange dafür gearbeitet um jetzt zuzusehen wie jemand ruiniert, was wir erreicht haben.“ Wys schloss dabei die Augen und seine Rechte klammerte sich um den oberen Schwertgriff an seinem
Gürtel.
,, Ihr braucht einen Vermittler.“ , stellte Relina misstrauisch fest. ,, An wen von uns habt ihr gedacht ? Ich habe früher schon mit den Whaid verhandelt, aber wenn ihr glaubt....“
,, Keinen von euch beiden.“ Der Archont hob beschwichtigend eine Hand und seufzte tief. ,, In Helike kennt man euch noch gut und nicht alle würden die Rückkehr von Phönix oder des abtrünnigen Schwertmeisters willkommen heißen. Ich brauche jemanden, der Unbekannt ist, der aber trotzdem mit eurer Autorität sprechen kann...
Relinas Augen wurden weit, als sie
verstand, worauf Wys anspielte. ,, Oh nein, das könnt ihr vergessen .“ , knurrte sie den Archonten an
,,Ich weiß worum ich euch bitte. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, die Sache friedlich zu lösen.“
,, Schickt irgendjemand anderen.“ , rief die Magierin aufgebracht. Sie war aufgesprungen und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Hätten sie beide gestanden, Wys hätte sie wohl um ein Stück überragt, so jedoch sah Naria mit glühenden Augen zu ihm herab.
,, Ich bezweifle, das die Drachen sich mit irgendjemanden arrangieren würden.“ , Wys stimme klang gepresst und er erwiderte den Blick der Magierin ohne
eine Spur von Angst. ,, Meine letzten drei Boten kehrten nicht mehr zurück, aber die Whaid kennen euren Namen sicher nicht... und Phönix dürfte bei allen, die sich nicht dem Gesetz beugen nach wie vor einiges zu sagen haben.“
,, Wozu sie auch jedes Recht haben.“ , grummelte die Magierin. ,, Ihr werdet von mir jedenfalls nicht mehr bekommen, als ohnehin schon. Haltet meine Tochter aus eurer Politik heraus.“
,,Relina...“ Zyle legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. Hin und hergerissen sah er zuerst zu ihr, dann wieder zu seinem Bruder. Sie schüttelte seine Hand ab .
,, Du wirst dieser Bande von verrückten
alten Narren jedenfalls nicht unsere Tochter anvertrauen.“ , rief sie aufgebracht.
,, Das tue ich auch nicht, wenn vertraue ich sie Wys an...“ Er sah zu Naria. ,, Und auch nur dann, wenn sie das wünscht.“
Narias sonst so gelassene Mine bekam zum ersten mal so etwas wie Risse. Was sollte sie tun ? Was ihre Mutter als Antwort von ihr hören wollte, war klar. Ein Nein in das Gesicht eines Mannes geschmettert, den sie grade erst kennen gelernt hatte. Relina hatte ihre Wut auf die Archonten nie ganz abgelegt... aber konnte sie sich hier allein auf deren Urteil verlassen
?
Ihre Vater sah weiterhin zu ihr, sichtlich angespannt, hin und her gerissen zwischen seiner Liebe zu ihnen und der zu seinem Bruder, der ihn um Hilfe bat. Helike war seine Heimat gewesen... und wie Wys gesagt hatte, es war auch die ihrer Mutter gewesen ob sie diese in guter Erinnerung behalten hatte oder nicht. Naria bereute es erneut, sich nie zuvor selbst ein Bild der Stadt und vor allem seiner Bewohner gemacht zu haben. Vielleicht war das auch grade die Gelegenheit auf die sie gewartet hatte. So oder so, sie konnte ihrem Onkel die Hilfe nicht einfach nur eines Vorurteils wegen verwehren. Schon gar nicht
wegen einem, das sie nicht selbst hielt.
,, Ich mache es.“ , erklärte Naria kühl. Die Sache war für sie in dem Moment erledigt, in dem sie die Worte sprach. Selbst wenn ihre Mutter weiter protestieren würde, sie hatte die Sache abgewogen... und ihren Weg gewählt.
Eine Weile verharrten alle schweigend wo sie waren. Relina zitterte sichtlich setzte sich dann jedoch langsam wieder. ,, Nur damit wir uns verstehen, Archont, sollte ihr irgendetwas geschehen, mache ich euch dafür verantwortlich... und das würde euch nicht gefallen.“
,, Ich schwöre euch, sie mit meinem Leben zu beschützen, Relina. Ich weiß, mein Schwur mag euch nicht fiel Wert
sein... aber er bedeutet mir etwas. Ich hoffe ihr werdet das eines Tages verstehen. Euer Vater verstand es, auch wenn es ihm einiges gekostet hat. Was Ehre wirklich bedeutet...“
,,Mein V...“ Relina sah den Archonten einen Moment mit großen Augen an. ,, Ihr wisst es ? Zyle ?“
,, Mein Bruder hat nichts verraten.“ , antwortete Wys. ,, Ich mag nicht euren Segen für mein Vorhaben bekommen... aber ich würde mir wenigstens euer Verständnis wünschen. Ich fürchte um mein Volk, fürchte das es zurückfallen könnte in die alten , dunklen Zeiten.“
,, Ihr meint in die ach so dunklen Zeiten vor Laos
?“
,, Nein. Ich meine die Zeiten von denen nicht zuletzt ihr uns erlöst habt.“
Relina erwiderte nicht sofort etwas. Erneut spiegelte sich ein Wechselbad aus Gefühlen auf ihrem Gesicht, bis sie schließlich den Kopf senkte.
,,Verzeiht mir, ich fürchte ich habe mich wie ein wütendes Kind verhalten.“ Naria konnte hören, wie schwer ihr die Worte fielen. ,, Ich werde euch niemals völlig trauen, Wys. Nicht euch, nicht irgendeinem anderen Archonten und wenn noch zehn Dekaden ins Land ziehen. Das kann ich nicht. Nie wieder. Aber ich weiß das eure Absichten Gut sind. Euer Eid soll mir genügen , denn
ich weiß wenn ihr sagt nur durch euren Tod könne meiner Tochter Schaden geschehen... dann wird es so sein, egal was sich euch in den Weg stellen mag. Mit meinem Segen kann ich euch nicht ziehen lassen. Aber ich wünsche euch ehrlich Glück und nicht nur Narias wegen.“
Wys nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. ,, Und ich weiß das es euch nicht leicht fällt. Es fällt mir auch nicht leicht euch um Hilfe zu ersuchen. Doch haben wir wohl beide keine Wahl. Ich will so bald wie möglich wieder aufbrechen. Naria... glaubt ihr, ihr seid morgen früh zur Abreise bereit ?“
Naria nickte. Sie hatte nicht viel, das
sich mitzunehmen lohnen würde. Etwas Kleidung vielleicht und genug Heilkräuter um einige Wochen unabhängig zu sein. Es ging nach Süden...