Kapitel 8 Heim
Maras erhob sich wie ein grüner Berg inmitten des grau-blauen Ozeans. Zwar waren die Wälder um die Küste der Insel längst Siedlungen und Häusern gewichen, doch ihr Zentrum war in den Jahren seit die ersten Siedler angekommen waren, so gut wie unberührt geblieben. Graue Berggipfel ragten zwischen den Baumkronen in den Himmel und warfen ihre Schatten in Richtung der größten Ansiedlung von Maras. Etwa eintausend hölzerne Bauten, die sich um eine Landzunge gruppierten, welche in einem Bogen verlief und so
eine kleine Bucht , geschützte Bucht erschuf. In der Bucht wiederum ankerten dutzende von kleineren und größeren Schiffen aller Bauarten und mehrere Landungsstege ragten ins Wasser hinaus. Fischer und auch einige Händler hatten ihre Stände entlang des Hafen aufgebaut, boten ihren Fang oder Waren vom Festland an, welche die Inselbewohner nicht selber herstellen konnten. Hinter dem Hafen wiederum ragten die Wohnbezirke an Terrassenartig angelegten Straßen auf, die sich bis hin zu den großen Feldern am Waldrand zogen. Bunte Wimpel wehten in der Briese und erloschene Fackeln bewachten einen Kies-Pfad, der von den
Wohngebäuden weg zu einem mit Bäumen bestandenen Hügel führte. Versteckt zwischen den grünen Zweigen und Blättern befand sich einer der wenigen Steinbauten der Insel, die Versammlungshalle der Zauberer, die auch gleichzeitig als Stadthalle, Gerichtssaal und einem guten Dutzend weiterer Zwecke diente. Es war ein großes, zweistöckiges Haus, dessen Dach mit grauem Schiefer gedeckt war. Die Fenster waren mit u Rauten geschnittenen Glasplättchen bedeckt, die beinahe wie Schuppen wirkten und wo die meisten klar Waren, gab es in jedem Fenster ein paar, die man mit Farbe versehen hatte. Kobaltblau, Rot, oder
Gelb. Von außen übersah man es leicht, aber stand man erst einmal im inneren der hohen Halle, war der aus poliertem Granit gefertigte Boden mit leuchtenden Sprenkeln übersäht. Mehrere hundert kristallene Windspiele, eines für jeden Magier der Insel, reflektierten das Licht zusätzlich und ließen Lichtfunken über die dunklen Holzsäulen tanzen, welche das Dach trugen.
Es war schön wieder daheim zu sein, dachte Naria, als sie in die Halle trat. Sie hatte Maras vermisst, so viele Großartige Orte sie auch in den letzten Monaten gesehen haben mochte, angefangen bei der fliegenden Stadt bis hin zu den Monumentalbauten der
Zwerge an der Nebelküste. Aber die Insel war ihre eigentliche Heimat. Vielleicht hätte sie trotzdem noch etwas warten sollen. Sie hätte es Lias geschuldet, dachte die Gejarn. Dieser Mann hatte ihr mehr Dinge klar gemacht, als er wohl selbst je geglaubt hätte. Viele hier sahen Helike und seine Bewohner auch nach zwei Jahrzehnten nur als die Leute, die sie vertrieben und gejagt hatten. Sie jedoch hatte diese Vorstellung schnell aufgeben müssen, nachdem sie den ehemaligen Paladin einmal kennen gelernt hatte. Vielleicht hatte sie ja eines Tages die Gelegenheit sich ein eigenes Bild von Helike zu
machen
Naria blieb einen Moment stehen und betrachtete abwesend das Lichterspiel. Irgendwo dort oben befand sich auch das Windspiel, das sie einst angefertigt hatte, so wie es jeder Magier tat, der seine Ausbildung auf Maras abschloss. Mit seiner eigenen Magie geformt und zusammengehalten, zersprangen diese zerbrechlichen Konstrukte nicht selten, sollte ihrem Erschaffer etwas zustoßen. Heute jedoch waren die Windspiele ruhig und drehten sich nur Träge im Luftzug, der entstanden war, als Naria eintrat. Einige weitere Bewohner von Maras waren Anwesend, saßen auf den Bänken, die sich in den Nischen unter den
Fenstern befanden oder warteten vor einer der Türen, die zur Kammer des Meisterrats führte, die eigentliche Regierung von Maras. Dieser Rat setzte sich aus gewählten Vertretern der wichtigsten Handwerkszweige sowie der Schulen der Magier zusammen und wurde nur selten zu einer vollständigen Versammlung einberufen. Meist waren es einzelne Mitglieder, die sich damit abwechselten, Fragen und Anliegen von Bürgern anzuhören. Narias Mutter war fast zwei Jahrzehnte als oberste Rätin für die Magier tätig gewesen, hatte ihr Amt jedoch vor der letzten Wahl niedergelegt. Und was sie selbst anging, dachte Naria, so würde alles tun außer
sich in die ermüdende Politik einer Insel voller Zauberer hineinziehen zu lassen. Mit raschen Schritten durchquerte sie die Halle und trat am Ende des Raumes durch eine der zahlreichen Türen. Die Stadthalle besaß einige Anbauten, die im Gegensatz zum Kerngebäude größtenteils aus Holz gehalten waren. So auch die Bibliothek in der sie sich nun wiederfand.
Warmes Licht ging von einigen hundert Öllampen aus, die im Raum verteilt waren. Kunstvolle geometrische Muster aus unterschiedlich hellem Holz waren in den Boden eingelassen worden auf deren Außenlinien man Regale und Tische aneinander gereiht hatte. Über Naria
wiederum verlief ein zweites, offenes Stockwerk, das mit verschließbaren Schränken besetzt war, in dem sich die wertvolleren Dokumente und Bücher befanden.
Die Magier trugen schon seit Jahren alles an Schriften und arkanen Arbeiten zusammen, dem sie habhaft werden konnten und was bei ihrer Ankunft hier alles in einige wenige Truhen gepasst hatte nahm mittlerweile drei große Bibliotheken wie diese hier und dutzende kleinerer Bauten ein.
Naria atmete den vertrauten Geruch von altem und neuem Papier und zerbröselnden Pergamenten tief ein. Schon als Kind, noch bevor ihre Gabe
überhaupt voll zum Tragen kam, hatte sie sich in den weitläufigen und verwinkelten Sälen mit ihrem verborgenen Wissen und unzähligen geheimnissen seltsam wohl gefühlt.
Naria schlug die Kapuze ihres grauen, bodenlangen Mantels zurück. Darunter tauchten ein paar spitze Ohren auf, die einen Moment nach Geräuschen lauschten.
Außer ihr war kaum jemand zu sehen, nur drei junge Magier, die Naria noch nicht kannte. Vielleicht waren sie auch erst in die Lehre geschickt worden, nachdem sie die Insel verlassen hatte.
Die drei hatten in einer Ecke zusammengedrängt und unterhielten sich
über einen Stapel Bücher hinweg. Einer von ihnen, ein Junge von vielleicht zehn Jahren ließ gelangweilt ein paar Funken aufsteigen, während die anderen beiden, ein Mädchen mit einem Kopf voll roter Locken und ein weiterer Junge der vielleicht ein paar Jahre jünger als der erste war, ihm entsetzt dabei zusahen.
,, Du weißt wir sollen hier drin kein Feuer machen.“ , protestierte das Mädchen.
,, Sindor lässt uns nie ohne Aufsicht üben. Und er weigert sich mir Neues beizubringen.“ , erklärte der Junge. ,, Ich bin längst weiter als ihr alle, also warum muss ich mich noch an seine Regeln halten ? Die sind für
Kinder….“
Wie um seinen Punkt zu unterstreich, verdichtete er die Funken zu einem Murmelgroßen Feuerball und ließ das glühende Projektil von einer Hand in die andere Wechseln, als würde es jedem anderen nicht das Fleisch von den Knochen sengen.
Die beiden anderen Schüler sahen ihm nur weiter stumm dabei zu. Naria überlegte kurz, ob sie sich einmischen sollte, aber irgendetwas hielt sie noch zurück. Ihr Blick wanderte zwischen den Mädchen, dem Jungen und dem übermütigen Zauberer hin und her. Eigentlich gab es klare Anweisungen , das jede Art von Feuermagie in
Gebäuden verboten war.
Stein war teuer wenn man ihn über die See heranschaffte und die kleinen Steinbrüche in den Bergen waren nur schwer zu erreichen und die gewonnenen Blöcke noch schwerer durch die dichten Wälder zu schaffen, selbst mit Magie. Deshalb waren die meisten Häuser hier aus Holz… und Feuer damit eine ständige Gefahr. Besonders an einem Ort an dem so viele Zauberer zusammenlebten, Erfahrene, wie Junge. Grade letztere bereiteten ihre Probleme mit der gewöhnlichen Bevölkerung
Naria konnte sich noch gut erinnern, selbst so gewesen zu sein. Ein junges Ding, das ihre Begabung nur
Oberflächlich Begriff und einsetzte ohne über die Folgen nachzudenken. Magie war mehr als nur die Macht, die damit einherging. Und wer das nicht Verstand würde überrascht sein, wenn sie plötzlich ihren Preis forderte.
Das Mädchen mit den roten Locken schien das eher zu verstehen, als der Junge mit seinem Geprahle.
Einem Magier beizubringen seine Gabe zu nutzen war einfach. Ihm beizubringen sie zur richtigen Zeit zu nutzen und wichtiger, wann nicht, etwas ganz anderes.
Naria wich etwas hinter ein Regal zurück und sah, um eine ernste Miene bemüht, zu, wie das Mädchen heimlich eine
kleine Wolke heraufbeschwor, die sich über dem angeberischen Zauberer sammelte. Dieser lies nur weiter das Feuer spielen und bemerkte weder, was über ihm geschah, noch wie einige Funken schließlich auf seine Kleidung übersprangen und dort kleine Glutnester bildeten. Erst als bereits Flammen daraus hervorschlugen, sprang er schließlich kreischend auf. Im nächsten Augenblick ging auch schon ein Sturzregen über ihn nieder. Seine zwei Gefährten brachen in schallendes Lachen aus, während der Arme bis auf die Knochen durchnässt wurde.
Naria versuchte selbst, sich ein grinsen zu verkneifen, während sie den
Regenzauber mitsamt der entstehenden Wasserpfütze auflöste und dann auf die drei zutrat.
,, Ich schätze, die kein Feuer in Gebäuden Regel muss man euch ab jetzt nicht mehr erläutern ?“ , fragte sie, worauf der angesprochene junge Magier nur beschämt den Kopf hängen ließ. ,, Lass dir das von Sindor nochmal erläutern. Du könntest wirklich etwas dabei lernen. Das nächste Mal wenn ich so etwas sehe warte ich nicht bis deine Gefährten dich löschen, ich werde Sindor gleich empfehlen dir nur noch Feuerstein und Stahl zu geben statt dich Magie anwenden zu lassen.“
Sie sah den drei nach, bis sie aus der
Tür verschwunden waren, dann fing sie selber an zu lachen. Hatte sie eben noch gedacht, sie war auch mal so gewesen? Nun sie konnte sich gut genug erinnern, fast genau dieselbe Predigt von einem ihrer Lehrer bekommen zu haben. Der Junge würde ein guter Zauberer werden, wenn er erstmal lernte etwas Bescheidener damit zu sein. Und die anderen beiden auch, da war sie sich sicher.
Auch hinter ihr erklang nun schallendes Lachen und als sie sich umdrehte, erkannte sie Hedan, der mit einem ganzen Stapel Karten unter dem Arm aus einem der Gänge kam. Der grauhaarige Kapitän hatte sie von Canton aus zurück
gebracht und so rau er sein konnte, Naria hatte ihn während der zurückliegenden Reise auch anders erlebt. Ein Mann, der sich kümmerte, auch wenn er es ungern zeigte. Und wenn man sah wie er sich trotz seines anfänglichen Wiederwillens um Elin gekümmert hatte… Naria fragte sich kurz ob er wohl Familie hatte.
,, Ihr seid noch nicht wieder auf dem Heimweg ?“ , fragte sie überrascht, während Hedan sich an den Tisch setzte, den eben noch die drei Kinder in Beschlag genommen hatten. ,, Wolltet ihr nicht sofort wieder aufbrechen ?“
,, Nun ich werde mir noch etwas Zeit nehmen. Die Karten die ihr hier habt
sind besser als alles, was man in Canton über diese Gewässer bekommt. Die Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. “ , erklärte der Kapitän und setzte die Papiere vor sich auf dem Tisch ab. ,, Und meine Crew hat sich etwas Ruhe verdient, nach allem was sie in den letzten Wochen durchgemacht haben… und hier ist es friedlich.“
,, Das ist es wirklich. „ Manche mochten sogar sagen nach fast zwei Jahrzehnten die der Aufbau von Maras gedauert hatte, war es sogar langweilig. Auch mit einer der größten Ausbildungsstätten für Zauberer jenseits von Cantons Festland und allem was das mit sich brachte. ,,Und eure Leute fürchten sich nicht vor
Zauberern?“
,, Einige sicher. Aber wir stammen aus einem Land das zum Großteil vom Sangius-Orden kontrolliert wird. Das sind alles Magier. Und ehrlich gesagt seit ihr mir zehnmal lieber als diese kinderentführenden Vogelscheuchen. Mag sein das ihr momentaner Großmeister einige Dinge geändert hat, aber der Orden kann nach wie vor in den meisten Orten tun und lassen was er will. Das schließt auch ein, junge Magier aus ihren Familien zu reißen und zur Ausbildung zu zwingen. Ordensoberster Quinn kann ja verbieten wie er will, das hält seine Untergebenen nicht davon ab die Regeln zuweilen sehr… großzügig
auszulegen.“
,, Klingt als hättet ihr schlechte Erfahrungen gemacht…“
Der Kapitän hustete ein ersticktes, bitteres Lachen. ,, Zwei Töchter . Der Orden hat die Jüngste geholt da war sie fünf… Als ich sie nach zehn Jahren das erste Mal wieder sehen durfte, hat sie mich nicht einmal mehr erkannt. Geschweige denn ihre Schwester. Sie holen sie so jung weil sie beeinflussbar sind, nicht weil es leichter ist, ihnen etwas beizubringen.“
,, Und ihre Mutter…“
,, Reden wir besser nicht darüber. Sagen wir einfach, sie nahm es schlechter auf als ich…“ Er starrte einen Moment vor
sich auf den Tisch und folgte der Maserung im Holz mit den Augen. ,, Götte ich weiß ja nicht mal, warum ich euch von allen davon erzähle. Habt ihr jemanden?“
Überrascht von der Frage antwortete Naria nicht sofort. Wie machte man so etwas jemanden wie Hedan am besten begreiflich?
,, Das kommt ein wenig darauf an, was ihr darunter versteht.“ , sagte sie zögerlich. ,, Männer interessieren mich eigentlich weniger. Also, nicht auf diese Art zumindest Was heißen soll...ich ziehe Frauen vor.“
Einen Moment lang sagte Hedan gar nichts. Es dauerte offenbar, bis er ganz
Verstanden hatte, was sie grade gesagt hatte. ,, Aber wie… was… Das ist wirklich merkwürdig.“
,, Tut mir wirklich leid wenn das euer Weltbild ins Wanken bringt.“ , erwiderte sie sarkastisch. Was hatte sie auch sonst erwartet? Vielleicht hätte sie auch schlicht Lügen sollen…
,,Ach was.“ Hedan lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. ,, Glaubt mir, da müsst ihr schon größere Geschütze auffahren. Ich habe einen geteilten Sturm gesehen, fliegende Städte, die letzte Ruhestädte von Simon Belfare… Ein wenig Merkwürdigkeit kann mir glaube ich nicht mehr viel anhaben.“ Er zuckte mit den Schultern.
,, Kann nicht sagen das ich das nachvollziehen kann aber mir soll es egal sein. Aber ich brauch jetzt was zu trinken….“ Mit diesen Worten stand der Kapitän auf , blieb jedoch auf halbem Weg zur Tür noch einmal stehen. ,, Eine Sache würde mich dann aber doch noch interessieren… Wissen eure Eltern eigentlich davon?“
Naria grinste. ,, Ich schätze , sie wissen es seit sie mich einmal mit einer Magierin aus dem Nachbarort erwischt haben.“
Hedan schüttelte lediglich den Kopf nun offenbar endgültig Perplex und schlurfte mit einem Ausdruck völliger Verwirrung aus der
Bibliothek.