Fantasy & Horror
Logrosch - Eine Hintergrundgeschichte aus der Welt des Schwarzen Auges

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"Der Jungzwerg Logrosch wächst in der Zwergenstadt Xorlosch auf und erlebt viele Abenteuer."
Veröffentlicht am 25. Januar 2016, 72 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Hauptberuf: Mama. Hobbies: Schriftstellerei, Rendering, Rollenspiele, Lesen, Rätseln, Brettspiele... viel zu viel für nur 24 Stunden, besonders, wenn noch ein kleines Wunder im Haus ist.
Der Jungzwerg Logrosch wächst in der Zwergenstadt Xorlosch auf und erlebt viele Abenteuer.

Logrosch - Eine Hintergrundgeschichte aus der Welt des Schwarzen Auges

Vorwort

Die Welt des Schwarzen Auges, Aventurien, ist nicht die meine. Ich erhebe keinen Anspruch darauf. Die Ereignisse hingegen, die hier dargestellt werden, sind meine Erfindung, die sich nur in dem Kokon dieser wunderbaren Welt entwickeln konnte.


Als Worterklärungen sind vielleicht voranzustellen:

Angroschim: Name der aventurischen Zwerge für ihr eigenes Volk. Einzahl: Angroscho, Angroscha.

Angrosch: Gott der Zwerge, der sie aus Stein und Stahl schmiedete.

Hammerschlag Angroschs: Jahr.

Vorzeichen

Ungläubig sah Londasch sich in der Sippenhalle um. Seit man ihn vom Bett seiner Frau weggeholt hatte, weil unerklärlicher Glanz aus der Halle gekommen war, hatte er kein Wort mehr gesagt. Ausgerechnet zur Geburt seiner Söhne musste etwas passieren, hatte er noch gedacht. Wer hätte auch nur geahnt, dass es so ein Wunder sein sollte! Die Sippenhalle des Blutstein-Clans war – dem Namen gerecht – aus rotem Marmor gearbeitet. Doch da jener teuer war, hatte das Geld nicht mehr ausgereicht, damals auch noch Edelmetall-Verzierungen

anzubringen. So hatten die Clansgründer vor sechshundert Hammerschlägen Angroschs die Wände mit Eisen und Zinn beschlagen, Verzierungen aus blankem Stahl angebracht. Zwar wäre Messing farblich passender gewesen (zumindest sah Londasch das so), aber auch dafür war kein Geld da gewesen. Immerhin hatte die Sippe damals noch in den Kinderschuhen gesteckt, und nur das Privatvermögen des Gründers, Logrox Blutstein, hatte für den Ausbau der Hallen zur Verfügung gestanden. Zwar hatten die Hallen und Häuser des Clans später etliche Ausbauten durchlaufen, doch die Sippenhalle war unverändert geblieben – bis auf die Ahnensteine natürlich. Nachdenklich sah Londasch zu dem

Ahnenstein seiner Mutter hoch. Linna war eine wahrhafte Matrone gewesen, und er wusste ganz genau, dass ihre Ahnenstein-Einfassung aus Stahl war – er hatte sie immerhin geschmiedet. Doch nun… Nun glänzte alles in dem warmen Glanz wunderschönen Goldes. Jeder Beschlag, jede Einfassung, jede Verzierung war plötzlich zu dem edlen Metall geworden. Nun sah die Sippenhalle aus wie Feuer, ja, sie schien richtig zu glühen. Stumm blieb er stehen, fasziniert und berauscht von diesem Zeugnis der Gnade Angroschs für seine Söhne.

Ingralosch

„Lass uns da hinein gehen!“ Logrosch zog seinen Bruder in den dunklen Tunnel. Vor wenigen Tagen hatten sie ihren fünfzehnten Geburtstag erlebt, zu dem wie als Geschenk Angroschs bei beiden gleichzeitig die ersten Bartstoppeln gesprossen waren. Nun hatten sie beide schon ein klein wenig Flaum, den sie hegten und pflegten. Heute waren sie das erste Mal seitdem wieder, dass sie unbeschwert durch die Gänge streifen konnten. Also hatten sie sich Fackeln, etwas Bier und Proviant sowie einige Seile mitgenommen und waren in die Unteren Kavernen hinab gestiegen, wie sie es in ihrer Kindheit häufig getan hatten. Wie auch in

ihrer Kindheit hatten sie dabei die Kammern der Kinder Aboralms abergläubisch gemieden, ja, sogar nicht gewagt, auch nur in die Richtung zu blicken. Doch heute hatten sie einen Stollen entdeckt, der ihnen ehedem verborgen geblieben war. In diesen Tunnel wagten sich Logrosch und Londax nun vor. Immer tiefer drangen sie in den Stollen vor, bis ihnen auf einmal eine alte, halb verfallene Mauer den Weg versperrte. Die grobe Art und Weise, wie sie gebaut war, ließ darauf schließen, dass es ein hastiges Werk sein musste. Nur kurz blickten die Brüder sich an, dann griffen sie beide gleichzeitig nach den losen Steinen. Wenig später hatten sie einen Durchgang freigelegt, der groß genug war,

hindurchzuschlüpfen. Hinter der Wand war es dunkel. Londax entzündete eine Fackel, und so sahen sie das erste Mal den längsten Tunnel, den Zwerge wohl je gegraben hatten. Neugierig folgten sie ihm, Stunde um Stunde um Stunde gingen sie. So etwas hatten Logrosch und Londax noch nie gesehen! Nun, die Heilige Halle war größer, sicherlich, und auch prächtiger und alles. Doch dies musste eine der höchsten natürlichen Kavernen sein, die es auf ganz Dere gab. Fast wirkte sie so hoch wie der ganze Berg. Eine richtige Straße wand sich an den Wänden hinauf, Tür um Tür lag daran. Was die Knaben verwunderte, war das Licht, das die Halle erhellte. Von einem

großen Kristall diffus beleuchtet, in dem sich hunderte von kleinen Lichtern brachen, konnte man die ganze Halle schemenhaft erkennen. Fasziniert stiegen die Brüder die Straße hinauf. Manchmal hielten sie bei den Türen an, um Namen zu lesen oder ein Relief zu bewundern. Immer höher stiegen sie hinauf, bis sie schließlich die Decke der Höhle erreichten. Je höher sie gekommen waren, desto schmuckloser waren die Türen und Wände der Häuser geworden. Offenbar hatten hier oben die weniger einflussreichen Zwerge gewohnt. Denn dass dies eine Zwergenstadt gewesen war, darin waren sich die beiden Brüder einig. Nur Zwerge konnten die Schönheit des roten Granits erkennen, der zackigen Formen und der natürlichen

Ästhetik des schroffen Gesteins, und daraus gar noch Schöneres formen. Auf der kleinen Plattform, deren tiefe Spurrillen zeigten, dass hier wohl vor Urzeiten Karren gewendet hatten, machten sie Halt. Londax warf kühn einen vorsichtigen Blick über den Rand der Straßenbrüstung. Sofort schauderte er zurück, ja, machte gar einen kleinen Satz bis zur nächsten Steinwand, an der er sich festklammerte. „Was? Was ist denn?“, fragte Logrosch aufgeregt. „D-da geht’s ganz schön tief runter!“, stammelte sein Zwilling nervös. „S-sicherlich sechzig Schritt oder mehr!“, Nun fürchtete sich auch Logrosch ein wenig. Nach einem kurzen Blick auf seinen Bruder, der weiß wie

Kalk war, nickte er also in Richtung der Straße. „Lass uns runter gehen.“, schlug er also wieder vor. „Da unten waren ja noch einige Türen.“, Etwas wacklig auf den Beinen machten sich die Jungzwerge also an den Abstieg. Bei einer besonders prächtigen Tür weit unten an der Straße hatten sie Rast gemacht. Der Aufstieg war ganz schön anstrengend gewesen, und auch der Abstieg hatte infolge der Eile, mit der er ausgeführt worden war, ziemlich an ihren Kräften gezehrt. Schweigend stärkten sie sich. Schließlich ergriff Logrosch das Wort. „Was hier wohl passiert ist, dass unsere

Vorväter den Gang hierher so hektisch zumauerten?“, fragte er leise. Londax zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht war ein Drache eingedrungen, und man hatte die Stadt als vernichtet geglaubt.“, mutmaßte er. Unnötig laut erschienen den beiden jungen Eindringlingen ihre Stimmen. Nichts schabte oder krabbelte hier; ganz offensichtlich war seit Hunderten von Hammerschlägen niemand mehr hier gewesen. Richtiggehend unheimlich wurde ihnen die Verlassenheit der Stadt, und so schwiegen sie wieder. Erst nach einer ganzen Weile getraute sich Logrosch, wieder etwas zu sagen. „Was meinst du, können wir herausfinden, was geschehen ist?“ Seine Stimme klang

scheu, und Londax sah seinen jüngeren Zwilling mit einer Mischung aus Unglauben und Bewunderung an. Langsam nickte er. „Wenigstens können wir es versuchen.“, antwortete er. Dann deutete er auf die Tür neben ihnen. „Lass uns hier anfangen. Wenn die armen und wenig einflussreichen Zwerge oben wohnten, wohnten die Väterchen vermutlich unten.“, schlug er vor. Logrosch nickte, dann standen sie gleichzeitig auf und stemmten sich gegen die seit Jahrhunderten nicht mehr bewegte Tür. Sie hatten – wenn das Licht in dem Kristall von der Sonne herrührte – zwei Tage gebraucht, um die wichtigeren Häuser unten zu durchsuchen. Es war offenbar eine

Vorsiedlung von Xorlosch gewesen, was hier gebaut worden war. Jedenfalls konnte die Stadt nicht allzu lange Bestand gehabt haben – zwei, drei Jahrhunderte vielleicht. Denn es gab kaum Aufzeichnungen, nur einige Bücher über Warenein- und –Ausgänge waren zu finden gewesen, an denen sich ablesen ließ, dass hier offenbar eine kleine Gold- und eine Edelsteinmine betrieben wurden. Nicht einmal ein Angroschtempel existierte; dafür waren die Zwerge offenbar in das nahe Xorlosch zurückgekehrt. Allerdings hatten sie nirgends wirkliche Überreste von etwas gefunden; die ganze Mine sah aus, als hätte man sie einfach verlassen – allerdings, ohne irgendetwas mitzunehmen. Dann, schließlich, hatten sie die Hallen des Rats

gefunden. Kaum ein Ereignis in den folgenden Jahren sollte die Jungen so beeindrucken wie der Fund der Geschichte der letzten Tage Dragroschs. Sie hatten leise und vorsichtig seit fast zwei Stunden die Hallen des Rats durchkämmt, als sie auf das Katasteramt stießen. Selbst Jahre später konnten die Zwillinge nicht sagen, was sie die unscheinbare Tür öffnen ließ, wo in der Halle doch noch andere, prächtigere waren, die größere Entdeckungen verhießen. Staub wirbelte auf, und wie so oft in den letzten Tagen hielten sich die Brüder ihre Halstücher vor Nase und Mund. Ein metallisches Klappern ließ sie aufhorchen; es klang, als rolle etwas durch den Raum.

Nervös umrundeten sie den großen Schreibtisch, hinter dem das Geräusch hervorgekommen war, und prallten erschrocken zurück. Da sie keine Überreste von Zwergen gefunden hatten, waren sie bisher davon ausgegangen, dass hier einfach niemand mehr gewesen sei. Doch der Haufen Staub, Knochenreste und Rüstung bewiesen das Gegenteil. Dort lagen die sterblichen Überreste eines Zwergenkriegers, eindeutig! Das Kettenhemd und die Axt waren mit der Zeit verrostet und auch der Rest des Körpers zerfallen. Doch Rost und Staub hatten dafür gesorgt, dass der Krieger in der Haltung erstarrt war, in der er verstarb – auf dem Rücken liegend, mit vor der Brust überkreuzten Armen! Neben ihm

lag eine Steinplatte. Kaum noch durch den Staub ersichtlich, schienen darauf Worte eingraviert worden zu sein. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch sahen die Zwillinge sich an. Schließlich trat Logrosch vor und näherte sich vorsichtig der Leiche. Als er die Platte anfasste, stieß sein Fuß gegen den Helm, der eben vom Kopf des Kriegers gerollt war, als sie die Tür geöffnet hatten. Mit schauderlichem Klappern rollte der weiter, und erschrocken nahm der junge Zwerg eilig die Platte an sich und brachte sich mit einem großen Satz wieder neben seinem Bruder in Sicherheit. Schleunigst zogen sich die Brüder zurück und schlossen die Tür hinter sich, um dem unheimlichen Gefühl wieder Herr zu werden, das von ihnen

Besitz ergriffen hatte. Besorgt tauschten sie einen Blick, dann wischten sie sorgfältig die Steinplatte sauber und begannen zu lesen. „Wer auch immer das liest, erfahre nun vom Untergang meiner Sippe. Nicht Drachen noch Magie rotteten uns aus, sondern ein viel heimtückischerer Feind: die Seuche! Mein Name ist Dragrosch, Sohn des Dragax, Enkel des Drax, des Schlächters des Drachen. Ich ritze diese Zeilen im Bewusstsein, der letzte unserer Stadt zu sein, und wenn wir es nicht geschafft haben, rechtzeitig das Ausgangsverbot auszusprechen, dann wohl auch einer der letzten Zeugen des Zwergenvolks. Doch ich will von vorne

beginnen. Es begann vor etwa einem Monat, im Regenmond des dreihundertsechzehnten Hammerschlags Angroschs unserer Stadt. Zunächst wurde Brox krank, der Minenaufseher. Es sah nicht schlimm aus, schien mehr wie ein Atemzug zu viel Minenstaub, nach dem man noch die nächste Woche hustet, und so dachten wir uns nichts dabei. Als er dann jedoch auf einmal auf der Arbeit zusammenbrach, nahmen wir an, er habe dazu auch noch etwas Verdorbenes gegessen, und brachten ihn hoch in die Stadt, zu den Heilern. Hätten wir gewusst, dass dies das Todesurteil für unsere Sippe war, bei Angrosch, wir hätten das Minentor zugeschweißt und wären

alle lieber da unten krepiert! Die Seuche breitete sich auf einmal rasend schnell aus. Innerhalb weniger Tage hatten sechzehn Familien befallene Mitglieder. Der Rat tagte in Permanenz, bis auch unter ihnen ein Mitglied zusammenbrach. Nun war allen klar, dass wir ein ernsthaftes Problem hatten. Der Rat rief alle zusammen, und man entschied sich, ein Ausgangsverbot zu verhängen. Die Stadttore wurden geschlossen und verrammelt, und den Gang nach Xorlosch mauerten wir in fliegender Hast zu. Ich bete zu Angrosch, dass wir diese Maßnahmen rechtzeitig ergriffen! Die Leute starben in den nächsten Wochen wie die Fliegen. Die noch einigermaßen Kräftigen unter uns versuchten, jedem ein

würdiges Begräbnis zu liefern, doch langsam schwanden unsere Reserven. Vor einer Woche dann waren von den vorher stolzen vierhundert Zwergen gerade einmal elf übrig. Meine Familie war bereits vollständig ausgelöscht, meine Frau, meine Söhne – alle habe ich schon zu Grabe getragen. Mein Herz ist zu Eis erstarrt, seit ich dieses schreckliche Sterben mit ansehen musste. Nun haben wir entschieden, dass ich unsere Geschichte aufzeichnen soll, und hier sitze ich nun. Von den andern sind sechs bereits krank, ich fürchte, wir werden sie heute Abend oder morgen Früh begraben müssen. Nachtrag: Ich habe Recht behalten. Dazu sind heute noch Farosch und Flux erkrankt;

die beiden Blutfels-Zwillinge waren eigentlich die beiden, die uns noch Mut gegeben haben. Wir haben abgestimmt, dass ich die Symptome der Krankheit festhalten soll, damit vielleicht später nach uns suchende Leute vorgewarnt seien oder gar ein Heilmittel finden können. Die Seuche beginnt also mit einem trockenen Husten, der sich anhört, als hätte man etwas eingeatmet, das nun in der Lunge festsitzt. Etwa zwei Tage geht das so, dann bricht der Zwerg normalerweise entkräftet zusammen. In dieser Zeit bilden sich bei manchen Zwergen auch rote Flecken auf der Haut, die dann zwischen dem dritten und vierten Tage von der Mitte aus zunehmend schwärzer werden. Sind sie ganz schwarz und werden

berührt, brechen sie auf und entlassen eine übel riechende, schwarze Flüssigkeit. Diese ist hoch ansteckend; welcher Zwerg damit in Berührung kommt, bekommt die Seuche auf jeden Fall innerhalb der nächsten sechs Stunden. Normalerweise stirbt der Erkrankte während dieser Phase, doch bei manchen besonders starken Zwergen hält die Krankheit länger an. Kurz vor Tode kehrt der Husten wieder zurück, diesmal mit schleimigem, schwarz-blutigem Auswurf. In dieser Zeit sollte man dem Erkrankten nicht zu nahe kommen, denn auch dieser Auswurf ist hoch ansteckend. Nachtrag zwei: drei Tage sind vergangen, und nun sind wir noch zu dritt. Kurz nach

Farosch und Flux ist auch Sriga krank geworden, unsere letzte Frau. Es war herzzerreißend, wie man sie still leiden sah, denn es hat sie auch noch besonders hart getroffen, weil sie die Zwillinge bis zum Schluss aufopferungsvoll gepflegt hat. Was sind unsere Frauen für wundervolle Geschöpfe! Während so viele Männer sich schon schreiend und um sich schlagend auf ihren Lagern wälzten, lag Sriga nur still da, hustete hin und wieder leise, und sagte nichts. In ihren Augen sah ich den Schmerz, und schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen. Sie sah mich, als ich mit dem Dolch auf sie zuging, und sie nickte nur. Noch nie in meinem Leben habe ich eine stärkere, würdigere Frau gesehen! Ludosch und ich

haben sie unter vielen Tränen begraben. Nachtrag drei: Ludosch ist ebenfalls tot, und wie es aussieht, habe ich nun auch die Seuche bekommen. Ich konnte ihn gerade noch so zum Schlund schleppen, beinahe wäre ich mit hinein gestürzt. Nun sitze ich hier und erwarte mein Ende. Doch ich bin nicht bereit, mich zu quälen. Solange ich noch die Kraft dazu habe, will ich sterben, wie ich es möchte. Ich habe die Register in Ordnung gebracht. Nun streiche ich meinen Namen. Todesursache: Im Angesicht der Seuche von eigener Hand. Betet für mich, Fremde, und für das

Zwergenvolk! Ergeben, Dragrosch, Sohn des Dragax, Enkel des Drax, des Schlächters des Drachen“ Betreten sahen sich Logrosch und Londax an. „Lass uns heimkehren.“, schlug Londax dann leise vor. „Die Väterchen sollten Kunde von diesen stillen Helden des Zwergenvolks erhalten.“, Logrosch jedoch schüttelte den Kopf. „Was, wenn diese Krankheit noch immer hier ist? Lass uns warten, ob wir sie auch bekommen haben. Wir müssen verhindern, dass sie bis nach Xorlosch gelangt.“,

erwiderte er dem Zwilling. Also warteten sie noch vier Tage, bei jedem Husten in der staubigen Umgebung fürchtend, krank geworden zu sein. Doch nichts geschah, und so machten sie sich danach auf den Weg heim. Als sie Xorlosch wieder erreichten, gingen sie direkt zu ihrem Vater. Dieser war schon voller Sorge dabei, einen Suchtrupp zusammen zu stellen, und wurde zunächst wütend, weil seine Söhne sich ohne ein Wort davongestohlen hatten. Als sie jedoch die Tafel vorwiesen, wurde Londasch still. Tränen liefen angesichts der Katastrophe über sein faltiges Gesicht. „Das muss der Erzpriester erfahren.“,

entschied er und machte sich auf den Weg in die Heilige Halle. Der Name Blutstein war es, der Londasch später zum Bergkönig machte. Denn es reichte ja ein kleiner Fehler oder eine Wandelung in späterer Zeit, um aus Blutfels Blutstein zu machen. Die Register der Verschollenen Stadt waren bald darauf von einigen Bergungstrupps geborgen worden, und man hatte sie sorgfältig durchgesehen. Im nordwestlichen Teil der Ingrakuppen gelegen, hatten die Siedler ihrer neuen Stadt den Namen Ingralosch gegeben und den Großvater der in Dragroschs Bericht genannten Blutfels-Zwillinge, einen ehrwürdigen Zwerg namens

Faldosch Blutfels zu ihrem Schlichter und Vorsitzenden des Rates erwählt. Dieser war sechzig Hammerschläge Angroschs im Amt geblieben und hatte dann seinem Sohn Fladox seine Amtsgeschäfte übertragen. Xorlosch hatte gegen dieses wirklich winzige Bergkönigtum in der Nachbarschaft nichts einzuwenden gehabt, da zu jener Zeit, als die Stadt gegründet worden war, schon genug zu tun gewesen war. Außerdem sandte der Bergkönig von Ingralosch regelmäßig Tribut, und so fand man die Regelung ganz angenehm. Das heutige Ehrwürdige Väterchen Tschubax hatte dann entschieden, Ingralosch wieder aufleben zu lassen – vermutlich nicht zuletzt wegen der noch nicht ausgebeuteten Gold-

und Edelsteinvorkommen in nächster Nähe. Als Helden der Auffindung waren Londax und Logrosch lange gefeiert worden, und so gab der Bergkönig Xorloschs ein wenig zähneknirschend (lieber hätte er ein Mitglied seiner eigenen Sippe dort eingesetzt) dem Clansoberhaupt der Blutstein-Sippe die Richteraufgaben über Ingralosch. Da jener auch noch auf die alten Aufzeichnungen verweisen konnte, war es schon bald akzeptiert und ehern. Londax und Logrosch machten sich also daran, mit ihrer Sippe umzuziehen.

Meisterhaft

„Nun, Logrosch, wir haben dein Werkstück begutachtet.“ Innerlich verdrehte Logrosch ob dieser Bemerkung die Augen. Sein Großonkel neigte leider zu weitschweifigen Reden, bevor er zum Punkt kam, und das fand Logrosch nun gerade dann überflüssig, wenn es ihn auf die Folter spannte. Äußerlich ließ er sich jedoch nichts anmerken; seit er vor zwanzig Hammerschlägen Angroschs in die Handwerkshallen seines Großonkels eingetreten war, hatte er gelernt, sich zu beherrschen. Die drei Großfamilien des Blutstein-Clans widmeten sich alle einem bestimmten Handwerk, und der Familienzweig von Lunnart war der für Zwergen untypischste

davon. Während Londasch Fein- und Goldschmied war und Ladorn Edelsteinschleifer und Juwelier, hatte sich Lunnart für die Schreinerei entschieden. Doch auch Zwerge brauchten Möbel, und so war daran ja nichts auszusetzen. Logroschs Hang zu Schnitzerei um der Schnitzerei willen konnte Lunnart jedoch nicht verstehen, vor allem, weil der Jungzwerg auch noch dazu neigte, völlig Neues zu schnitzen, Dinge, die es nicht gab. Ein geflügeltes Pferd war Logrosch einmal zum Verhängnis geworden; er hatte dafür von seinem Großonkel derart viel Arbeit aufgebrummt bekommen, dass er einen Monat lang die Schreinerei nicht von außen gesehen hatte. Auch das Pfeifen willkürlicher Melodien bei der Arbeit hatte er

sich gezwungenermaßen abgewöhnt; in Lunnarts Hallen wurden entweder althergebrachte Zwergenlieder gesungen oder gar nichts! Das hatte zwar nicht dazu geführt, dass die Melodien in seinem Herzen aufhörten, zu klingen, doch er hatte sie konsequent zugeschüttet. Nun also ging es um sein Gesellenstück. Eine Woche hatte er Zeit gehabt dafür; es waren drei Teile insgesamt geworden. Zwei davon hatten die Handwerksmeister der Schreinerei vorgegeben, das dritte musste er sich selbst ausdenken. Bisher hatte er geglaubt, alles richtig gemacht zu haben, doch während die Handwerksmeister um die Werkstücke herumgeschlichen waren und sie

sorgfältigst geprüft hatten, waren ihm doch einige Zweifel gekommen. Das leise Getuschel unter ihnen hatte ihm nicht gefallen wollen. „… deine Arbeit zu Ende begutachtet.“ Gerade noch so bekam Logrosch das Ende der Rede seines Großonkels mit und wurde hellhörig. „Wir haben lange gebraucht, zu beratschlagen, was wir nun tun sollen. Denn sieh: deine Arbeit ist nicht der eines Gesellen würdig.“ Logroschs Herz sank in die Hose. Was?! Er hatte es nicht geschafft? Doch sein Oheim sprach weiter. „Nicht nur der eines Gesellen, sollte ich wohl vielmehr sagen. Tatsächlich sind die Handwerksmeister und ich der Meinung, dass es gar für eine Meisterprüfung ausreichte.“ Ungläubig sah

Logrosch seinen Großonkel an, unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen. Doch einer der Meister, dem offenbar auch gerade der Geduldsfaden gerissen war ob der weitschweifigen Art Lunnarts, nickte kräftig. „Tatsächlich, Logrosch. Du beherrschst dein Handwerk meisterhaft.“, warf er ein. Ein böser Blick Lunnarts folgte, und schnell ergriff sein Großonkel wieder das Wort. „Wohl wahr. Aber du bist zu jung, um als Meister anerkannt zu werden, Logrosch. In unserer Satzung heißt es, dass der Handwerker sein Handwerk fünfzig Hammerschläge ausüben soll, bis ihm der Titel eines Meisters zuerkannt werden kann. Du bist gerade einmal dreißig!“ Verwirrt blickte Logrosch in die Runde. Die anderen

Meister nickten schwer. Lunnart sprach weiter. „Deshalb sollst du in fünfzig Hammerschlägen Angroschs zum Meister werden, wenn du achtzig bist. Einzige Voraussetzung ist, dass du jeden Hammerschlag wenigstens ein gutes Werkstück anfertigst, an dem wir sehen können, dass dies heute nicht nur Glück war.“ Logrosch nickte nur. Zu mehr war er nicht mehr in der Lage.

Die Feuerprobe

Heute war der Große Tag! Nervosität beschlich Logrosch, als der Hohepriester auf ihn zukam, ihm die Binde um die Augen zu legen. Er wusste nicht genau, was auf ihn zukam, doch die Feuerprobe war sicher nicht leicht zu bestehen. Die anderen Jungzwerge hatten ihn versucht, auf den Arm zu nehmen. „Sicher musst du mit einem Lindwurm ringen!“, grinste Grobox, sein Vetter. „Blödsinn! Dann hieße es Drachentaufe!“, schnauzte Londax ihn an. Logrosch wusste, dass auch seinem Zwilling alles andere als gut zumute war. Doch der Vetter gab nicht auf. „Lindwürmer speien doch Feuer!“, stichelte er

also weiter. Der feine Schweißfilm in Londax’ Bart sagte Logrosch alles. Schnell hielt er die Hand seines Zwillings fest, bevor dieser auf Grobox einschlagen konnte. Doch der letzte Tag vor der Feuertaufe war für beide Zwillinge die Hölle gewesen. Nun also kam der Erzpriester auf sie zu. Die Augenbinde war kühl. Logrosch fühlte, wie sein Bruder nach seiner Hand griff, doch der Erzpriester nahm ihn bereits. Lange, lange liefen sie durch die Kavernen. Irgendwann wusste Logrosch nicht mehr, wo sie waren. Kein Anhaltspunkt, nichts war da. Ebenerdig, ohne Geräusche, ohne Veränderungen verlief der Boden. Schließlich wurden sie in eine Halle gesetzt und ihnen wurde gesagt, die Binden erst abzunehmen, wenn es soweit

sei. Wann es soweit war, hatte Logrosch allerdings keine Ahnung. Zunächst war er ruhig. Die Halle war dunkel und kühl, und er hörte seinen Bruder auf seinem Steinblock herumrumoren. Londax hatte noch nie lange stillsitzen können. Dann aber wurde es wärmer. Ob der Priester ein Feuer entzündet hatte? Sein Gesicht der Wärmequelle zuwendend, versuchte Logrosch, ihre Richtung abzuschätzen. Immer heißer wurde es. Langsam wurde er unruhig. Was, wenn das Feuer aus seinem Behältnis heraus gekrochen war, nachdem der Priester gegangen war? Irgendwann konnte er es nicht mehr ertragen und riß die Binde hinunter. Was er sah, ließ ihn in Panik geraten. Die

ganze Halle stand in Flammen! Gerade wälzte sich eine Flammenwand auf ihn und Londax zu. Sein Zwilling trug die Augenbinde noch. Logrosch raste auf ihn zu. „Londax! Pass auf, hier brennt alles!“, schrie er und riss seinen Bruder von dem Hocker hoch. Panisch versuchte er, ihn zum Ende der Halle zu zerren. Londax wurde von seiner Angst angesteckt, und kurz darauf zogen sie sich an einem schmalen Sims hoch, um den Flammen zu entgehen. Als sie beide oben standen, erloschen die Flammen jedoch, und der Priester kam herein. Vorwurfsvoll sah er die beiden Jungzwerge an, sagte jedoch nichts. Londasch war natürlich zutiefst enttäuscht,

dass seine Söhne in ihrer Feuertaufe so feige versagt hatten. Wütend schickte er sie in die Heilige Halle, sie sollten noch einmal über dem Wesen Angroschs meditieren und beten, eine Woche lang. Fasten sollten sie, kein Bier, kein Fleisch, nur Wasser und Brot brummte er ihnen auf. Ergeben nickten die Brüder und folgten dem Befehl ihres Vaters. Schwitzend sah Logrosch unter seinen Augenbrauen durch. Er kniete so nah am Heiligen Feuer, wie es ging, ohne dass ihm der Bart abschmorte. „Herr Angrosch, du bist der Schöpfer. Erschaffen im Stein, gehärtet im Feuer, bin ich Nachfahre deiner Geschöpfe. Sende mir den Mut und die Zuversicht, dass ich deinem Werk Ehre machen kann.“ Wieder und wieder betete er

diese Zeilen, er hatte schon lange aufgehört, zu zählen, zum wievielten Mal. Leise hörte er Londax’ Echo. Noch einmal wiederholte er das Gebet. Und noch einmal. Noch einmal. Noch. Ein. Mal. Seine Zunge klebte am Gaumen, vor seinen Augen drehte sich alles. Dass er auf dem Boden aufschlug, bekam er schon nicht mehr mit. Schnell zogen die Priester ihn und Londax von den Flammen fort. Londasch betrachtete kopfschüttelnd seine schlafenden Söhne. „Was haben sie denn jetzt angestellt?“, fragte er zornig. Der Priester legte einen Finger auf die Lippen. „Nichts, Londasch. Sie haben deinen Befehl befolgt. Vier Tage lang haben sie gebetet und

gefastet – nichts gegessen, nichts getrunken, nur gebetet.“, antwortete er dem Goldschmied leise. „In drei Tagen werden wir ihre Feuertaufe wiederholen. Dann werden wir sehen, was es geholfen hat.“ Wieder saßen Logrosch und Londax in der Halle. Wieder wurde es beinahe unerträglich heiß. ‘Herr Angrosch, du bist der Schöpfer. Erschaffen im Stein, gehärtet im Feuer, bin ich Nachfahre deiner Geschöpfe. Sende mir den Mut und die Zuversicht, dass ich deinem Werk Ehre machen kann.’ betete er für sich. Auf einmal spürte er, wie Zuversicht ihn übermannte. Natürlich war Angrosch der Gott des Feuers! Nicht umsonst hatte er die Zwerge geschaffen, dem Feuer der Drachen

zu trotzen. Vertrauensvoll nahm Logrosch Londax bei der Hand. „Komm, Bruder, wir gehen.“, meinte er leise. Er hörte ein Rascheln. „Logrosch, du hast deine Augenbinde noch an.“, vernahm er die Stimme seines Zwillings. „Ich weiß, Londax. Vertrau mir. Ich finde den Weg.“, entgegnete er. Er spürte, wie Londax mit sich rang. Schließlich erklang wieder das Rascheln. „Gut, Bruder. Dann führe mich.“, sagte Londax leise. Sie hatten gerade einmal eine Stunde gebraucht, um wieder in die Heilige Halle zurückzufinden. Als sie mit noch immer verbundenen Augen hineinkamen, hörten sie

das Raunen der Menge.

Sriga

Solch ein Fest hatte es das letzte Mal gegeben, als Nidra Schmiedefaust das zweite Mal ein Mädchen geboren hatte. Der ganze Blutstein-Clan feierte, dass Logrosch glaubte, man müsse es noch bis nach Xorlosch hören. Sie hatten alles geladen, was irgendwie mit der Familie verwandt war, und ein paar Freunde mit ihren Familien obendrein. Die Sippenhallen in Ingralosch waren zum Bersten mit Leuten gefüllt, und wo niemand stand, saß oder tanzte, stand ein Tisch mit Esswaren und Bier. Logrosch fand nicht einmal seinen Zwilling wieder. Seine Schultern schmerzten inzwischen von all dem Klopfen und den Gratulationen, und sein Kopf

drehte sich, so viele Humpen hatte er mit Gratulanten leeren müssen. Irgendwie schwebte er auf Wolken. Ein Blitz von Kupfer ließ seine Augen zur Tanzfläche schweifen, und er konnte gerade noch verhindern, dass ihm die Kinnlade herunterklappte wie einem einfältigen Jahrmarktsbesucher. Angrosch! Im Stillen sandte Logrosch ein Gebet zum Schöpfer, denn dort stand der Beweis, dass es ihn gab. Er hatte noch nie eine so schöne Frau gesehen. Gerade lachte sie Londax an, und das erste Mal in seinem Leben war Logrosch eifersüchtig auf seinen Zwilling. Natürlich hingen noch zig andere Jungzwerge an ihren Lippen. Logrosch beschloss, im Hintergrund zu bleiben, bis er mehr über das

Mädchen erfahren hatte, und besah sie so lange genauer. Sie war groß für eine Angroschim, bestimmt sechzig Finger, wenn nicht mehr. Er überragte sie noch, aber nicht um viel. Ihre Haare waren von einem satten Kupferrot, ihre Apfelwangen von Sommersprossen übersät. Sie musste von der Oberfläche kommen! Sie war üppig gebaut und bewegte sich mit Anmut und Grazie. Während er sie beobachtete, tanzte sie nacheinander mit sechs unterschiedlichen Jungzwergen, bevorzugte jedoch offenbar keinen davon, auch nicht Londax. Irgendwie stimmte Logrosch das froh. Verträumt sah er zu ihr hin und versuchte, nicht zu sehr wie ein verliebtes Kalb auszusehen. Seine Gedanken entglitten

ihm in Gefilde des Zwischenzwergischen, die ihn bisher nicht sonderlich interessiert hatten. Plötzlich schreckte er auf und bemerkte, dass sie ihm von der Tanzfläche aus mitten ins Gesicht sah. Er wurde prompt knallrot. Sie lächelte ihn an und winkte ihm, er solle nun mit ihr tanzen. Unsicher tappte er hinüber. „Komm, Feuerproben-Held! Mit deinem Bruder habe ich schon getanzt!“, rief sie fröhlich. Linkisch verbeugte sich Logrosch vor ihr und murmelte leise: „Wir sind uns sehr ähnlich…“ Sie lachte nur. Während des nächsten Paartanzes wirbelte sie mit ihm nur so über die Tanzfläche. Logrosch hatte sonst nicht viel für Tanz übrig, doch er fühlte sich mit ihr, als hätte nichts

anderes in seinem Leben gemacht, als mit dieser Maid zu tanzen. Sie harmonierten unglaublich gut. „Londax sagt, du seiest Schreiner?“, fragte sie urplötzlich. Logrosch zuckte zusammen. Viele Angroschim verachteten ihn dafür. Er nickte nur, und sie strahlte ihn an. „Ich bin an der Oberfläche aufgewachsen, in einer Menschensiedlung, in der viele von der Holzbearbeitung leben“, erzählte sie. „Ich würde gern einmal sehen, was du so machst.“ Überrascht sah er sie an, dann stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Komm, ich zeige es dir gleich“, sagte er eifrig, nahm sie an der Hand und zog sie fort. Sie ließ sich lachend entführen.

Als sie vor seiner Sammlung standen, fuhr sie

ehrfürchtig mit den Fingerspitzen über ein Kästchen. „Ohh, das ist wunderschön!“, flüsterte sie. Logrosch hatte nicht viele Sachen in seiner Sammlung, nur ein paar, die sich nicht verkauft hatten, und ein oder zwei, in die er sich selbst verliebt hatte. Das Kästchen war eine davon. Es bestand aus einfachem Nussholz und war gedacht für Kleinkram – Schmuck, irgendwelche kleinen Gegenstände. Doch er hatte Ahornintarsien in Deckel und Seiten eingearbeitet, die verschiedene Tiere zeigten, und in das Nussholz die Umgebung dieser Tiere als Halbrelief geschnitzt. Dann hatte er alles mit einem leicht rötlichen Öl eingerieben, bis es einen schönen, roten

Schimmer angenommen hatte. Er selbst konnte damit eigentlich nicht viel anfangen – er besaß keinen Schmuck, und so viel Klingelkram hatte er auch nicht. Doch irgendein irrationaler Wunsch hatte ihn besessen, und so hatte er das Kästchen für sich behalten und seinem Onkel die Materialien bezahlt. „Dann nimm es“, sagte er, ohne darüber nachzudenken. Sie sah ihn mit großen Augen an. „Wirklich?“, fragte sie entgeistert. Logrosch war selbst überrascht von seinem Angebot, doch als er in sich hinein forschte, fand er es echt. Also nickte er fest.

„Natürlich. Ich schenke es dir“, bekräftigte er. Er verkniff sich ein Lächeln, als er sah, mit

welcher Ehrfurcht und zärtlichen Vorsicht sie das Kästchen an sich nahm und glücklich an sich drückte. „Danke, Logrosch!“, hauchte sie. Jetzt lächelte er doch. „Was kann ich dir dafür geben?“, fragte sie, ein wenig verlegen. Entrüstet schüttelte er den Kopf. „Es ist ein Geschenk, kein Verkauf!“, entgegnete er. „Aber ich möchte dir etwas dafür geben!“, begehrte sie auf. Logrosch fragte sich nachher immer, welcher Wahnsinn ihn geritten hatte, als er ihr antwortete: „Dann gib mir einen Kuss!“, und auf seine Wange gedeutet hatte. Sie hatte gelächelt und genickt, dann war sie näher gekommen und hatte ihm einen Kuss auf die Lippen

gedrückt. In diesem Moment hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Das nächste, an das er sich erinnerte, war das finstere Gesicht seines Onkels und der erschrockene Ausruf des Mädchens, als sie sich aus seinen Armen wand. Er hatte sie wohl umfasst und den Kuss herzhaft erwidert. Er wusste nicht, was sie sonst noch gemacht hatten, doch ihrer Schilderung zufolge war es bei Küssen geblieben. Doch sein Onkel war ein prüder, biederer Mann. „Du – pack‘ deine Sachen!“, ranzte er. „Das war zu viel. Und bring diese Schlampe aus meinem Haus!“ Am liebsten hätte Logrosch ihn dafür niedergeschlagen, doch er riss sich gerade so noch zusammen.

Sie weinte, als sie das Haus verließen.

Logrosch hielt sie fest und drückte sie an sich im Versuch, sie irgendwie zu beruhigen. „Es tut mir Leid!“, schniefte sie zwischen zwei Schluchzern. Er schnaubte nur wütend. „Was? Dass du mir das schönste Erlebnis meines Lebens verschafft hast?“, brummte er. „Dieser alte, engstirnige, miesepetrige… kann mir eigentlich schon lange gestohlen bleiben. Jetzt habe ich endlich einen Grund, wegzugehen. Ich lasse doch nicht zu, dass er dich beleidigt!“ Sie sah ein wenig verweint zu ihm hoch. „Meinst du das ernst?“, fragte sie scheu, und er nickte nur mit finsterem Blick. In diesem Moment kam ein anderer Angroscho um die Ecke. „Sriga!“, rief er und schoss wütend auf

Logrosch los. „Belästigt dich dieser Kerl? He, eine einigermaßen gut bestandene Feuerprobe gibt dir noch nicht das Recht, mein Mädchen zu betatschen, du Lump!“ Logrosch konnte den tobenden Zwergen nur entgeistert anstarren. „Nein, Papa, reg dich nicht auf, bitte!“, flehte die Jungzwergin in seinem Arm, während es in Logroschs Kopf raste. Sriga. Wie die Zwergin in der Erzählung Dragroschs. Es kam ihm vor wie ein Fingerzeig Angroschs. „Nein, Väterchen, wirklich“, versuchte er, sich respektvoll zu verteidigen. „Ich habe Eurer Tochter nur auf ihren Wunsch meine Werkstücke gezeigt, weil ich auch Schreiner bin.“ Der alte Angroscho schnaubte nur.

„Werkstücke gezeigt, so nennt man das also, ja? Und warum weint sie dann jetzt so?!“, schrie er weiter. Sriga wand sich aus Logroschs Arm. „Papa, bitte, hör mir doch zu!“, rief sie und hielt die rudernden Arme ihres Vaters fest. Der sah sie tatsächlich an. „Logrosch hat mir seine Werkstücke gezeigt und, als ich mein Gefallen daran äußerte, dieses Kästchen hier geschenkt“, erzählte sie und holte das Kästchen hervor. Der alte Zwerg betrachtete es erst skeptisch, dann genauer, dann mit widerwilligem Respekt. „Gut, und dann? Warum weinst du jetzt?“, hakte er, noch nicht besänftigt, nach. „Ich habe Logrosch etwas dafür geben wollen, aber als er überhaupt kein Geld

annehmen wollte, habe ich ihm einen Kuss gegeben“, fuhr sie also fort und errötete hold. Das Väterchen kniff die Augen zusammen und sah erst sie und dann Logrosch wütend an. Der dachte, dass es vielleicht an der Zeit wäre, seine Liebste zu erlösen. „Nun, mein Onkel kam zur falschen Zeit in den Raum“, erklärte er also und unterschlug die folgenden, leidenschaftlichen Küsse lieber. „Er fasste die Situation falsch auf, und ist ein… äh…“ Über Familie sprach man nicht schlecht, auch wenn man sich gern gegenseitig an die Gurgel gegangen wäre, also suchte Logrosch nach einem passenden Euphemismus. „… äh… traditionsbewusster Mann. Er ließ uns gar nicht zu Wort kommen

und warf mich aus dem Haus.“ Ein wenig verlegen kratzte er sich am Kopf, als der Angroscho ihn weiterhin aus zusammengekniffenen Augen anstarrte. „Doch ich kann Euch versichern, dass ich Eurer Tochter sicher nichts tat, und dass ich sie viel zu hoch schätze, um sie mit Schande zu beladen. Tatsächlich –“ Logrosch holte tief Luft. Manchmal war Angriff die beste Verteidigung. „– tatsächlich ist sie mir so lieb, dass es mir eine Freude wäre, mich in den zweifellos großen Reigen derer einzureihen, die um ihre Hand anhalten.“ Sriga schnappte neben seinem Ohr leise nach Luft, und auch ihr Vater atmete zischend ein. Logrosch hielt den Atem an. Der Angroscho ließ ihn warten. Er überdachte

die Situation offenbar länger und wandte sich dann mit gespitzten Lippen Logrosch zu. „Da will dann also ein Bursche, der gerade einmal seine Feuerprobe bestanden hat und im Laufe der Feier dann auch noch seine Arbeitsstelle verlor, um meine Sriga anhalten, höre ich das richtig? Dessen Vater zwar ein Bergkönig ist, aber von einer Stadt, die gerade erst wieder bezogen wurde und weder Tradition noch Namen hat. Der vermutlich nicht einmal genügend Gold hat, um einen anständigen Brautschatz zusammenzufügen. Und dieser Jüngling hält um meine Sriga an? Habe ich das richtig verstanden?“ Logrosch schluckte. „Ja, Väterchen. Doch es ist auch ein Mann“, – er benutzte das Wort mit etwas

schwankender Stimme – „der gelernt hat, gegen den Strom zu wandern, um zu erreichen, was er sich zum Ziel gesetzt hat, und ein Mann, der bereit ist, hart zu arbeiten und viel zu opfern, um sich und die Seinen wohl leben zu lassen. Es mag sein, dass ich nun noch keinen Brautschatz aus meinen eigenen Mitteln zusammenstellen kann, doch ich sage Euch, dass ich keine zehn Hammerschläge Angroschs brauchen werde, einen Schatz, der Euch zufriedenstellt, zusammenzutragen. Ich sage nicht, einen Schatz, der Srigas wert wäre. Den gibt es nicht. Aber einen, der Euch reicht. Wenn Ihr mir versprecht, sie so lange keinem Anderen zu geben, werde ich ausziehen, um genügend Schätze zu sammeln. Und wenn ich

dafür einen Kaiserdrachen erschlagen müsste!“ Der alte Mann schnaubte, doch bevor er antworten konnte, kam eine weitere Person um die Ecke. Logrosch hätte nach diesem Abend wohl auf alles gefasst sein sollen, doch so unvermittelt auch noch Srigas Mutter gegenüberzustehen, ließ ihn weiche Knie bekommen. Als ob der Vater nicht schon schlimm genug wäre! Wenigstens sah man, woher Sriga ihr Kupferhaar hatte. Die Angroscha war eine Matrone, soviel war sicher. Sie sah aus, als könne sie alleine einen ganzen Wagen stemmen, und als ob sie jeden Morgen vor dem Frühstück erst einmal eine Legion Schwarzpelze zermalme, bevor sie die Kühe

molk. Logrosch verbeugte sich. „Narfax, was brauchst du hier so lange? Sriga, was ist hier los?“, fragte sie mit gebieterischer Stimme. „Äh, Logrosch hier hat gerade um Srigas Hand angehalten, Schanna“, versuchte Srigas Vater die Situation nervös zusammenzufassen. Nun nahm die Angroscha Logrosch genauer ins Visier. „Soso. Und was sagt Sriga dazu?“, verlangte sie zu wissen. Sriga lächelte nur zu Logrosch hoch und hielt ihrer Mutter das Kästchen entgegen. „Das hat er mir geschenkt“, sagte sie schlicht. Schanna nahm das Kästchen und unterzog es einer eingehenden Prüfung. Dann nickte sie anerkennend.

„Solides Traditionshandwerk, innovative Muster. Gefällt mir“, konstatierte sie. Logrosch lächelte nervös. „Er hat gesagt, dass er in zehn Jahren einen Schatz für sie hat, wenn wir sie so lange nicht verheiraten“, warf Narfax ein. Schanna legte den Kopf schief. „Na, wenn das Mädel da nix gegen hat, sehe ich keinen Grund, es ihn nicht versuchen zu lassen“, sagte sie dann. „Nur sieh zu, dass du nicht nur einen Schatz, sondern auch ein solides Leben vorweisen kannst, Junge! Ich will, dass sie glücklich wird, und wenn die lohende Esse, in der eure Liebe geschmiedet wurde, nicht zum wärmenden Herdfeuer werden kann, wird sie das nicht. Eine Ehe

besteht aus mehr als nur vier Beinen in einem Bett!“ Damit rauschte sie davon und ließ drei Angroschim mit offenstehenden Mündern zurück. Narfax bekrabbelte sich als erster. „Hmpf!“, machte er, warf Logrosch noch einen warnenden Blick zu und verschwand ebenfalls. Logrosch erwachte aus seiner Erstarrung, schaute seinem Schwiegervater in spe kurz nach und ergriff dann Srigas Hand. Er hielt sie kurz zwischen den seinen, dann führte er sie vorsichtig an die Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. „Wenn du wirklich so lange auf mich warten willst, meine Liebste, werde ich dir die schönsten Schätze bringen, die ich finden kann“, sagte er und versuchte, das Beben

aus seiner Stimme zu verbannen. Sie lächelte nur, und er glaubte, ein verräterisches Glitzern in ihren Augen zu sehen. „Dann ziehe ich gleich morgen aus, wenn nötig quer durch Aventurien, und kehre spätestens in zehn Hammerschlägen Angroschs zu dir zurück“, versprach er. Sie kehrten gemeinsam in die große Halle zurück, wo sie den ganzen Rest des Festes nur mit ihm tanzte.

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Über den Autor

Lessa
Hauptberuf: Mama. Hobbies: Schriftstellerei, Rendering, Rollenspiele, Lesen, Rätseln, Brettspiele... viel zu viel für nur 24 Stunden, besonders, wenn noch ein kleines Wunder im Haus ist.

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Oconoger Hui, dass riecht gerade so nach einem spannenden Abenteuer.
Respekt auch für die sehr, sehr, sehr gut klingende Schreibweise. Ich kann kaum die nachfolgenden Kapitel abwarten ... muss ich aber wohl. ^^

Grüße,
dein Oco
Vor langer Zeit - Antworten
Lessa Vielen Dank, auch für Coins und Abo!
Logrosch ist schon ein alter, aber leider nie gespielter Held. Dementsprechend hat er danach bisher keine Abenteuer erlebt, die ich als seine Chronistin hätte aufzeichnen dürfen. (Mit andern Worten, bisher war keine Erweiterung geplant. ^^)
Vielleicht bekomme ich aber noch das eine oder andere Kapitelchen zusammen ;)
Vor langer Zeit - Antworten
Oconoger Na gut, so hab ich das jetzt nicht gesehen.
Hab das Ende als Übergang ins nächste Kapitel aufgefasst. Aber als offenes Ende taugt es trotzdem.

Mein Abo bleibt trotzdem. ^^

Grüße,
dein Oco
Vor langer Zeit - Antworten
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