Science Fiction
Versklavt - Zurück zur Freiheit - Leseprobe Kapitel 1-11

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"Die Welt ist nicht mehr die Welt, in der Ami ein unbeschwertes, glückliches Leben geführt hatte. Die"
Veröffentlicht am 17. Januar 2016, 324 Seiten
Kategorie Science Fiction
© Umschlag Bildmaterial: aetb - Fotolia.com
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Über den Autor:

Meine Inspirationsquellen: Meine kleine Tochter (für Kindergeschichten) Märchen, Musik, Träume, Düsternis, Mystery, Horror Referenzen: Selfpublished: Versklavt - Zurück zur Freiheit (Endzeit Si-Fi) Kurzgeschichten in Anthologien: Besuch in der Weihnachtswerkstatt / Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Bd.11 papierfresserchen-verlag Flipps neue Freunde / Wie aus dem Ei gepellt Bd. 5 papierfresserchen-verlag Das kleine Rentier ...
Die Welt ist nicht mehr die Welt, in der Ami ein unbeschwertes, glückliches Leben geführt hatte. Die

Versklavt - Zurück zur Freiheit - Leseprobe Kapitel 1-11

Prolog

Hallo mein älteres Ich,

oh man, wenn du das hier liest, ist es 10 Jahre her, dass ich es geschrieben habe. Was in dieser Zeitspanne alles passiert, kann ich mir gar nicht vorstellen. Das ist noch so weit weg. Woher soll ich jetzt schon wissen, was bis dahin aus mir geworden ist?

Ich hoffe nur, dass ich an deiner Stelle sagen kann, die langen Ferien nach dem Abi genossen zu haben. Die letzten Wochen in wahrer Freiheit - bevor, mit meiner

Ausbildung, der Ernst des Lebens losgeht.

Na wenigstens ist jetzt schon geklärt, dass ich nicht im Kostümchen auf der Arbeit erscheinen muss. Die finde ich so ätzend; da sieht man aus wie eine alte Frau.

Vielleicht bist du jetzt auch schon verheiratet und hast Kinder - wer weiß schon, wohin mich unser Weg führen wird. Wenn es nach mir ginge, würdest du, in deiner Zeit, die ganzen Discos unsicher machen. Ich bin nämlich eine Partymaus - nicht dafür gemacht das Heimchen am Herd zu sein.

Aber egal was du tust, falls du dich doch noch mal verlieben solltest, denk dran, dass es ein Typ ist, der weiß, wie man mit einer Lady umzugehen hat: nicht so wie Tim, dieser Idiot.

Wenn ich mir was für unser Leben wünschen könnte, dann wäre es ein modern eingerichtetes Penthouse in der Stadt und ein schickes Auto: ein rotes Cabrio. Und natürlich ein gutes finanzielles Auskommen. Ich habe schließlich keine Lust darauf jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen, wenn ich mir was kaufen will.

Aber das sind alles nur materielle Dinge. Was ich mir wirklich für uns wünsche ist, dass wir auf keinem Abschnitt in unserem Leben jemals unsere Freiheit verlieren. Dass wir immer glücklich uns sorglos durchs Leben laufen können - mit einem Lächeln auf den Lippen. Dass es uns frei steht, wohin wir gehen und dass es niemanden gibt, vor dem wir zu Kreuze kriechen müssen. Denn ich

habe nicht vor mein Leben auf den Knien auszuhauchen wenn ich sterbe dann stehend!!!

In der Hoffnung, dass es dir bis zum heutigen Tag gut ergangen ist, verbleibt in Erinnerung.

Dein 19-Jähriges Ich.






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1

Ich saß auf einer Holzpalette vor unserer Baracke, einem spärlich zusammen gezimmerten Gebäude aus Wellblech und Holz. Ich starrte in die Pfütze unter mir und begutachtete mein Spiegelbild. Es war schwer vorstellbar, dass ich die Person sein sollte, die aus dem Wasser zu mir hoch starrte. Das eingefallene Gesicht mit tiefen Augenringen, dünn und ausgemergelt, wie ein mit Haut überzogenes Skelett. Meine dunkelbraunen Augen hatten jeden Glanz verloren, völlig leer und ausdruckslos. Selbst wenn ich mich zu einem Lächeln durchringen konnte, sah die Fratze im Wasser immer noch gruselig aus. Meine Haare, die mir einst lang, braun und

glänzend über den Rücken fielen, waren nun stumpf, verdreckt und verklebt zu einem Knoten im Nacken gebunden. Im Laufe der Jahre war das Haar so nachgewachsen, dass sich nun auch dieser Haarknoten herausgehangen hatte. Das Haargummi war untrennbar mit dem Gewirr auf meinem Kopf verbunden. Ich sah einfach nur aus wie ein Zombie, mehr tot als lebendig.

Ich versuchte mir vor Augen zu führen, wie ich einst gewesen war. Meine Gedanken schweiften ab - ich blickte zurück in die Zeit, in der es mir noch um einiges besser ging.

Ich fand mich auf einer grünen Wiese wieder. Mein Mann, unsere Freunde und ich machten ein Picknick am See. Wir tranken Bier, aßen,

auf offenem Feuer, gegrilltes Fleisch; wir unterhielten uns ausgelassen und lachten viel. Es war richtig warm. Der Himmel war hellblau. Der See glitzerte in der Sonne. Wir waren einfach nur sorglos und glücklich. Nichts hätte dieses Glück trüben können. Ich wollte in diesen Gedanken versunken bleiben, denn jetzt spürte ich noch einmal die Wärme der Sonne - ich musste sogar unwillkürlich lächeln.

Allein diese kleine, banale Erinnerung sorgte dafür, dass ich mich besser fühlte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als noch einmal die satten Farben eines Sommers zu sehen. Ich war dieses grau in grau dieser Zeit leid, es war wie ein kalter Herbst mit zu viel

Regen. Hier und heute war keine Sonne mehr zu sehen. Blickte ich gen Himmel, war es ständig grau und bewölkt - blickte ich zu Boden, sah ich auch nur ein graues Aschefeld, dort wo einmal eine schöne Grünfläche gewesen war. Die Bäume waren schwarz, kahl und tot. Nie wieder würden sie von einem Blattwerk oder gar Blüten geziert werden. Der Anblick der Welt, die mich umgab, war einfach nur noch deprimierend.

Der beißende Geruch von verbranntem Fleisch und angesengten Haaren stieg in meine Nase und ließ mich ungewollt in die Gegenwart zurückkehren. Der Scheiterhaufen war gerade angezündet worden. Wieder einmal hatten die derzeitigen widrigen

Umstände einige von uns dahin gerafft. Ihre Leichen wurden auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Jetzt würde mein Mann, Kai, bald zu mir nach Hause kommen. Er war, wie so häufig, dazu aufgerufen worden sich um die Toten zu kümmern. Vor etwa drei Monaten wurde ihm diese Aufgabe zusätzlich zugeteilt. Nun wartete ich ungeduldig auf seine Rückkehr.

Ich sah Kai schon von weitem; mit gesenktem Kopf kam er auf mich zu. Die Zeichen der Zeit hatten auch bei ihm Narben hinterlassen. Hauptsächlich Seelische. Auch er hatte abgenommen. Allerdings verarbeitete sein Körper die ehemaligen Fettzellen zu Muskeln, dass lag an den körperlichen Arbeiten, welche er hier zu verrichten hatte. Zusätzlich

trainierte er regelmäßig, wodurch er ein noch breiteres Kreuz bekommen hatte. Nun hatte er die Statur eines jungen Gottes. Ach, wenn er sich nur rasieren könnte, dachte ich bei mir. Sein Gesicht hatte ich schon seit Jahren nicht mehr richtig gesehen, da nun ein Vollbart, das einst hübsche Gesicht zierte. Doch dies hatte nur wenig Bedeutung, angesichts der Tatsache, dass er seine geradezu ansteckende Fröhlichkeit verloren hatte. Damals hatte er immer einen Witz auf den Lippen; er war immer dazu in der Lage mich zum Lachen zu bringen, selbst wenn es mir mal nicht so gut ging. Heute sprach er eher selten. Selbst er, der allem eine positive Seite abgewinnen konnte, hatte die Hoffnung verloren.

Ich stand auf, ging ihm entgegen und schloss ihn zur Begrüßung in die Arme. Es fühlte sich immer noch gut an. Ein kurzer Moment der Zufriedenheit. Kai gab mir einen Kuss auf die Stirn und wir gingen gemeinsam, uns an den Händen haltend, in unsere Baracke.

Ich sah mich erneut in der Baracke um. In der Mitte war eine Feuerstelle, die gleichzeitig zum Kochen und zum Heizen genutzt wurde. Daran stand meine Schwester Anna, auch sie hatte ihre einstige Schönheit verloren. Ihr Körper ausgezehrt. Das Gesicht eingefallen, ihre Haare hingen stumpf, dreckig, und strähnig herunter. Damals, kurz vor dieser Zeit, hatte sie sich die Haare blondieren lassen. Jetzt war sie zweifarbig: oben einen kinnlangen Ansatz in ihrer dunklen

Naturhaarfarbe, die Längen in einem, mittlerweile, hässlich dreckigem wasserstoffblond. Schon öfter hatte ich ihr angeboten, das blond mit einem Messer weg zu schneiden. Doch sie war immer der Meinung, dass ihr Naturhaar noch zu kurz wäre.

Neben der Feuerstelle stand ein Tisch mit sechs Stühlen, so klapprig, dass sie jeden Moment zusammenfallen konnten. Quer durch den Raum waren unter der Decke Seilzüge gespannt an ihnen hingen alte Duschvorhänge. Sie waren von unseren Vorgängern angebracht worden. Hinter diesen improvisierten Wänden befanden sich unsere Schlafbereiche dreckige, durchgelegene Matratzen und eine dünne

Decke. Ich fragte mich erneut, wie es so weit kommen konnte. Wieder schweiften meine Gedanken ab, zurück zu dem Tag, an dem alles begann.

2

Ich sah unsere alte Wohnung mit dem bequemen Sofa, der modernen Anbauwand und den vielen Blumen. Ich sah die hochmoderne Küche, die ich einst besessen hatte und das große, bequeme französische Vollpolsterbett. All die schönen Dinge, die ich jetzt nicht mehr hatte. Ich sah mich, wie ich mich für Heinz Grillparty zurechtmachte und wie Kai im Bad stand und sich rasierte. Das waren die letzten Minuten in unserer Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir

nicht gedacht, dass wir unser Zuhause sobald nicht wieder sehen würden.

Es war ein wunderschöner Abend, als wir zur Grillparty unseres Vermieters Heinz, am anderen Ende der Stadt, gingen. Seit wir in Heinz Sechs-Familien-Haus eingezogen waren, war es Tradition, dass er seine Mieter an jedem ersten Samstag im September zu sich nach Hause, zu einem Grillfest, einlud. Wir saßen auf seiner Terrasse in seinem Garten. Seine Blumen blühten in den schönsten Farben und sie dufteten sehr intensiv. Es war kein Wunder, das der Garten so gepflegt war. Seit Heinz in Rente war, hatte er seinen Garten in ein Urlaubsparadies verwandelt.

Fast alle Mieter waren da. Jonas, seines

Zeichens Hubschrauberpilot bei der Bundeswehr. Er war das Abbild eines Klischees über Soldaten, groß, muskulöser Körper und die Haare kurz geschoren.

Silke und Ben, ein junges Pärchen. Sie wirkten nebeneinander vollkommen unterschiedlich. Sie war sehr offen und lebensfroh und ihr Gesicht strahlte, unter ihrem blonden Kurzhaarschnitt, eine fast ansteckende Fröhlichkeit aus. Ben hingegen war eher hager und in sich gekehrt. Die langen schwarzen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Immer, wenn ich sah, wie viel er verschlingen konnte, fragte ich mich: Wo steckt er sich das nur hin? Die beiden waren etwas jünger als wir und hatten in Heinz Haus ihre erste gemeinsame Wohnung bezogen.

Sie studierte Medizin und er war Systemadministrator.

Meine Schwester Anna war natürlich auch mit dabei. Sie war mit in unser Haus gezogen, nachdem sie ihren Ex-Freund verlassen hatte.

Und dann war da noch Mark. Über ihn wusste ich nicht wirklich viel, er war fast nie zu Hause, daher bekam man ich ihn nur selten zu Gesicht. Er war dürr und blass, irgendwie nie richtig anwesend. Er sprach sehr wenig, und wenn man sich mal mit ihm unterhalten konnte, wirkte er immer sehr nervös. Ich wunderte mich, dass er überhaupt an diesem jährlichen Treffen teilnahm.

Marlene und Ulli waren nicht da; sie waren wieder in Urlaub. Die Zwei sind echt zu

beneiden.

Wir unterhielten uns ausgelassen, während Heinz das Fleisch auf den Grill legte. Er war bereits siebzig Jahre alt, doch noch so rüstig, dass man ihn für fünfzig halten konnte. Lediglich die Falten und das weiße Haar verrieten sein Alter.

Das scharf marinierte Fleisch roch unter der Hitze des Grills sehr appetitlich. Ich bekam richtig Hunger. Ich nahm mir etwas Baguette aus dem Brotkorb und bestrich es mit hausgemachter Kräuterbutter. Doch der Genuss, dieses kleinen Häppchens regte meinen Appetit noch mehr an. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis die Steaks und Würstchen fertig waren. Mit

verschiedenen Salaten als Beilage genossen wir dieses frisch gegrillte Fleisch. Wir machten uns einen wundervollen Abend mit gutem Wein, Bier und lustigen Anekdoten aus dem Sommer, welchen wir mit diesem Abend verabschiedeten.

Obwohl es langsam dunkel wurde, war es immer noch warm und der Himmel so klar, dass man bereits die ersten Sterne sehen konnte. Plötzlich zogen Wolken auf, es wurde kalt und windig. Zwischen den Wolken erkannte ich kleine, gelbe Lichter und wie aus dem nichts schien ein grell-grün leuchtender Lichtstrahl in Richtung Erde. „Was ist das?“, ich deutete auf dieses ungewöhnliche Himmelsschauspiel. Alle sahen auf um sich anzusehen, was meine Aufmerksamkeit

ergattert hatte. Wir rührten uns nicht; starrten mit geöffnetem Mund gen Himmel. Erst hörten wir ein fürchterliches Grollen, die Feuerwehrsirenen ertöten; sie signalisierten Fliegeralarm. Heinz war der Erste, der aus der Starre erwachte. „Los kommt mit!“, rief er.

„Nein, ich will mir das ansehen", erwiderte Ben.

Der Wind wurde stärker, ein erneutes Grollen in der Ferne übertönte den Dauerton der Sirenen. Auch ich war immer noch fasziniert von den Lichtern, die ich am Himmel sah.

„Was auch immer das ist, es wäre nicht gut, wenn wir hier draußen bleiben", redete Heinz auf uns ein.

Die Lichter am Himmel zogen Kreise und kamen langsam aber stetig näher, der grüne

Lichtstrahl weiterhin bedrohlich gen Erde gerichtet.

„Los jetzt kommt schon in meinen Bunker.“, Heinz wurde langsam ungeduldig. Anna zog Kai und mich am Arm. Silke tat das Gleiche bei Ben. „Lass mich, das ist fast so wie bei ‚Independence Day.“, wehrte sich Ben immer noch.

„Ja, und alle, die auf dem Hochhaus standen, um die Außerirdischen Willkommen zu heißen, sind gestorben. Also jetzt sieh zu das du mit in den Bunker kommst!“, Silke wurde richtig laut. Daran erkannte ich, dass Silke in dieser Beziehung die Hosen anhatte. Nun setzte sich auch Ben in Bewegung und man konnte Heinz das, Endlich!, welches er dachte, regelrecht ansehen. Er führte uns in

seinen Geräteschuppen und öffnete eine Falltür im Boden. „Geht da runter!“, wies er uns an. Wir stiegen die enge Holztreppe hinab, die in einem kleinen Vorraum mit einer riesigen Stahltür endete. Heinz öffnete diese: „Tretet ein.“ Ehe wir uns versahen, standen wir in einem voll eingerichteten Bunker. Wir mussten uns gerade im Hauptraum befinden, er war relativ groß, in einer Ecke stand eine Eckbankgruppe neben einer kleinen offenen Küche.

„Wow, was ist das hier?“, fragte Ben, jetzt für den Moment vollkommen begeistert von dem, was sich vor seinen Augen erschloss; nicht mehr darüber nachdenkend, was gerade über uns vor sich ging.

Ein gewöhnungsbedürftiges, ansaugendes

Geräusch und die Verriegelung der Türschlösser, ließen mich zusammenzucken. Heinz hatte uns alle hier eingesperrt. „Heinz, ist das wirklich nötig?“, fragte ich.

„Vorerst ja. Wir wissen nicht, was dieses Ding da oben ist. Es könnte ein Luftangriff sein. Warum sonst sollten die den Fliegeralarm einschalten?“

„Ach, das waren diese komischen Sirenen", brachte sich Anna in das Gespräch ein.

„Das war mit Sicherheit kein Luftangriff, seit wann haben Bomber solche Lichter?“, wir alle wussten, worauf Ben anspielte, aber das schien uns unmöglich, es ging zumindest über das normale Denken hinaus. So etwas gab es nur im Film, nicht in der Realität. „Davon mal abgesehen war nichts von solch extremen

politischen Unruhen in den Nachrichten gewesen", untermauerte Ben seine Vermutung weiter.

„Was auch immer das ist, ich könnte eine Zigarette vertragen", meinte Kai, während er in seiner Hosentasche wühlte.

„Die liegen oben auf dem Tisch", antwortete ich fast verzweifelt. Auch ich sehnte mich jetzt nach der Beruhigung, die diese Mischung aus der Tabakpflanze und diversen Süchtigmachern, zusammengepresst zu einem kleinen Stick, mit sich brachte.

„Da werdet ihr jetzt auch nicht mehr dran kommen, denn solange es da oben nicht sicher ist, geht niemand mehr hier raus", sagte Heinz mit einem sehr bestimmenden Tonfall, der mich für einen kurzen Moment

ärgerte. Andererseits wollte er uns ja nur schützen.

„Wie lange werden wir hier bleiben müssen?“, fragte Anna.

„Wie gesagt, so lange wie nötig, im besten Fall können wir morgen wieder hier raus, oder auch erst in ein paar Wochen, aber macht euch keine Sorgen. Mal abgesehen von Zigaretten haben wir hier alles was wir brauchen. Strom, Wasser, gefilterte Frischluftzufuhr. Sogar eine Toilette. Oh, da fällt mir gerade etwas ein.“ Heinz ging an der Küche vorbei und öffnete eine Tür. Er ging hindurch, ließ die Tür hinter sich geöffnet, schaltete das Licht ein. So erkannte ich, dass es sich dabei um einen Vorratsraum handeln musste.

„Ich muss euch leider sagen, dass diese Vorräte für uns alle gerade mal für zwei Monate reichen, wenn wir sie gut einteilen", sagte Heinz, als er wieder in den größeren Gemeinschaftsraum zurückkam.

„Wir wollen doch hoffen, dass es nicht so lange dauert", meinte Silke.

„Wir werden sehen, aber jetzt setzt euch erst mal hin und lasst uns mal hören, was mein Weltempfänger so zu berichten hat. Er schaltete das Gerät ein, nachdem wir alle auf der Bank oder den Stühlen um den Tisch platz genommen hatten. Es war zunächst nur ein Rauschen zu hören; kurz darauf hörten wir eine Männerstimme: „Bitte bleiben sie ruhig und in ihren Häusern, Hilfe ist unterwegs. Bitte bleiben sie auf Empfang und

warten sie auf weitere Anweisungen.“ Doch eine weitere Durchsage kam nicht mehr. Es war nichts mehr zu hören außer einem Grollen und fernen Explosionen, über uns auf der Erde. Es schien mir unwirklich, wie in einem Albtraum. Wir spekulierten weiter über die Geschehnisse über uns, doch alles Gerede brachte nichts. Wir konnten nur warten. Warten darauf, dass etwas passierte. Irgendetwas. Doch nichts. Die Ungewissheit, über das, was an der Oberfläche vor sich ging, machte mich fast verrückt. Ich hasste es, eine Situation nicht selbst unter Kontrolle zu haben und völlig der Willkür anderer ausgeliefert zu sein.

Auf der Uhr, die an der Bunkerwand hing, waren gerade einmal 10 Minuten vergangen,

doch es fühlte sich wie Stunden an, bis etwas passierte. Ein ohrenbetäubender Knall, die Erde bebte. Ich glaubte, jeden Moment würde der Bunker über uns zusammenbrechen. Was immer das da oben war, es war ganz in der Nähe. Ich hatte Angst. Kai nahm mich und ich Anna in den Arm. Er flüsterte mir etwas ins Ohr. Worte, die nicht nur Anna und mich, sondern auch ihn selbst beruhigen sollten.

So plötzlich es begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Heinz holte eine Flasche Schnaps und Gläser. Heinz füllte die Gläser. „Hier. Damit wir uns von dem Schreck erholen können.“, er reichte jedem von uns ein Glas. Der Alkohol brannte unangenehm in meiner Kehle, dennoch war es genau das, was ich jetzt brauchte, um mich zu beruhigen.

Immer noch zitternd nahm ich mein Handy und versuchte meine Eltern anzurufen. „Das wird nichts nützen", sagte Heinz, „Hier unten hast du keinen Empfang.“ Obwohl mein Handy Heinz Aussage bestätigte, wollte ich es nicht glauben. Trotzdem klickte ich mein Telefonbuch durch, bis ich die Nummer meiner Eltern gefunden hatte. Ich wollte doch nur wissen, ob es ihnen gut ging. Doch nichts, nicht mal ein Freizeichen. Ernüchterung, nicht nur bei mir, sondern bei allen Anwesenden. Wir schalteten die Handys aus. Sie hier unten an zu lassen wäre vergeudete Energie. Ich steckte meines wie gewohnt zurück in die Tasche. Sobald ich hier raus bin, versuch ich es sofort noch mal, nahm ich mir vor. Die anderen taten es mir gleich. Jeder von uns

hatte irgendwo da draußen noch Freunde und Verwandte gehabt und jeder wollte wissen, was passiert war, ob sie auch irgendwo untergekommen waren und ob es ihnen gut ging. Jedem anwesenden Augenpaar konnte ich die Sorge ansehen.

Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden und Stunden zu Tagen. Die Zeit zog sich wie Gummi in unserem Betongefängnis. Die kahlen, weißen, massiven Wände beengten mich. Der Nikotinentzug machte mich aggressiv und die Isolation machte mich verrückt.

Es vergingen Tage, Wochen, ohne genau zu wissen, was dort oben passiert war und niemand wollte es sich so wirklich vorstellen.

Das Einzige, was wir von draußen mitbekamen, war grollen ähnlich dem von Explosionen. Zeitweise bebte die Erde noch. Es war keinesfalls sicher auf der Erdoberfläche.

Oft saßen wir im Gemeinschaftsraum am Tisch und spekulierten wir darüber, was die gelben Lichter und der grüne Strahl am Himmel zu bedeuten hatten. Eindeutig hatten wir zu viele Science-Fiction-Filme gesehen, denn die einzige logische Schlussfolgerung, für dass, was wir gesehen hatten, war: Außerirdische. Außer Ben wollte aber niemand so recht daran glauben. Das wäre verrückt, das war der Stoff aus dem Filme und Bücher entstanden keinesfalls real.

Wir versuchten uns die Zeit mit diversen

Brett-, Karten- und Würfelspielen zu verkürzen, die Heinz in seinem Bunker deponiert hatte. Doch bei dem spärlichen Licht, das die Glühbirne, über dem Tisch im Gemeinschaftsraum, spendete, hatte das ganze Szenario eher etwas von einer Kneipenatmosphäre. Nur der Qualm einer oder mehrerer Zigaretten fehlte. Das Verlangen nach einer Zigarette war derzeit fast unerträglich und ich fragte mich, wann es endlich besser werden würde. Wie lange würde es noch dauern, bis der Nikotinentzug nicht mehr an Kai, Ben und mir nagte? Lediglich Mark hatte es noch schlimmer getroffen. Er zitterte vor Nervosität. Er war leichenblass, kalter Schweiß lag auf seiner Stirn und Wahnsinn funkelte in seinen Augen.

Zusammengekauert saß er in einer Ecke und stammelte etwas vor sich hin. Auch für einen Nichtmediziner war zu erkennen, dass er einen anderen körperlichen Entzug zu ertragen hatte. Dagegen war leichte Aggression fast schon normal.

Als weiteren Zeitvertreib trainierte Jonas uns in verschiedenen Selbstverteidigungstechniken sowie den Umgang mit einer Waffe, allerdings ohne Munition. „Dieses kostbare Gut sollten wir nicht vergeuden", meinte Jonas, nachdem er Heinz gebeten hatte, eine Waffe aus dem Waffenschrank des Bunkers zu nehmen. Für die Männer stellte es kein Problem dar, denn Jonas hatte durch seinen Beruf, den Umgang mit Waffen gelernt. Kai hatte seine

Treffsicherheit bereits mehrmals im Schützenverein bewiesen. Und auch Ben hatte beim Waffentraining im Grundwehrdienst sehr gut abgeschnitten. Neben der Tatsache, dass die Zeit auf diese Weise schneller verging, hatte dieses Training noch einen weiteren Vorteil: Aggressionsabbau. Zudem sollten wir vorbereitet sein uns zu schützen, wenn es an der Zeit war, den Bunker zu verlassen. Wir wussten schließlich nicht, was uns dort oben erwartete.

Nun war ungefähr ein Monat vergangen. Ab und an waren noch Explosionen zu hören. Der Nikotinentzug hatte sich so weit gelegt und im Training hatten wir super Fortschritte

gemacht. Es war kaum zu glauben, dass ich es schaffte, meinen Mann niederzuringen. Er hatte es mir etwas leichter gemacht. Dennoch war es vorher unvorstellbar gewesen, dass ich mich, mit meinem zierlichen Figürchen, jemals gegen 110 kg Lebensgewicht durchsetzten könnte. Mittlerweile bereiteten mir die Angriffe und das Verteidigen keine Schmerzen mehr. Anfänglich hatte ich noch bei jedem ausgeteilten Schlag ein lautes „Aua“ von mir gegeben; jetzt war ich schon richtig abgehärtet.

Nachdem wir unsere Sucht überwunden hatten, hatten wir richtig Spaß oder zumindest machten wir das Beste aus unserer Situation. Nur Mark schien immer noch völlig fertig zu sein. Sein Zustand war unverändert, er saß

immer noch zusammengekauert in seiner Ecke und stammelte etwas vor sich hin, das sich bei genauem Zuhören etwa anhörte wie: „Ich bin tot!“ Die letzten Tage hatte er sogar das Essen verweigert und eines Abends verlor er komplett die Nerven. Er schrie herum und rannte zum Ausgang des Bunkers. Er zerrte und stieß gegen die schwere Tür: „Ich will raus!“ Ben und Kai versuchten ihn aufzuhalten; ihn wieder zur Vernunft zu bringen, doch Mark schlug um sich. Er war völlig einem unerklärlichen Wahn verfallen. Kai presste Mark gegen die Betonwand und wies ihn an sich zu beruhigen. Doch es hatte keinen Sinn. Mark wehrte sich mit Händen und Füßen und auch seine Wortwahl ließ mehr als zu wünschen übrig. Ich ging zu den

beiden. „Lass ihn gehen, es hat keinen Sinn mehr. Er sieht keinen Sinn mehr“, flüsterte ich Kai zu. Kurz darauf kam Heinz und öffnete widerwillig mit dem Schlüssel die Bunkertür um Mark raus zu lassen. Mark stieß Kai zur Seite und stürmte aus unserem unterirdischen Betongefängnis. Sofort schloss Heinz die Tür wieder. Erneut begann die Erde zu beben und wieder war ein lautes Grollen zu hören. Wir waren uns sicher: Wir hatten zugelassen, dass Mark in den Tod lief.

Jetzt war es zwei Wochen her, seit Mark den Bunker verlassen hatte. Wir waren nur noch zu siebent und Heinz wurden Vorräte knapp. Zu allem Überfluss hatte sich auch der Notstromgenerator durch die Dauerbelastung

abgeschaltet. Kein Licht mehr, nur noch der Schein der Kerzen, deren Flammen sich mit unserem Sauerstoff nährten. Die Stimmung sank rapide. Jeder Einzelne von uns zog sich zurück nur um den anderen keine Dinge an den Kopf zu werfen, die man später bereuen würde. Mehr denn je kam mir der Bunker wie ein Gefängnis vor. Während ich so auf meinem Bett lag, dachte ich darüber nach, ob es noch einen Sinn hatte, länger hier zu bleiben. Hier unten würden wir früher oder später verhungern und was da oben auf uns wartete, wusste niemand von uns. Nur eines war gewiss: Seit etwa drei Tagen waren keine Explosionen mehr zu hören; die Erde hatte nicht mehr gebebt.

Ich sehnte mich danach wieder einmal frische

Luft zu atmen, den Himmel zu sehen, das Zwitschern der Vögel zu hören. Ich wollte, wenn ich schon sterben musste, als freier Mensch sterben. Nicht als Gefangene in diesem Loch.

„Es wird Zeit, dass wir den Bunker verlassen, und sehen, was da oben auf uns wartet. Vielleicht findet über uns wieder das ganz normale Leben statt und wir kauern hier und warten darauf früher oder später den Hungertod zu erleiden", schlug ich bei unserem kalten Mittagessen, den anderen vor.

„Da oben erwartet uns auch nur der Tod, wir sind wahrscheinlich die einzigen Überlebenden", gab Ben gereizt zurück.

„Jetzt komm mal wieder runter", sagte ich ruhig, „Natürlich, das mit dem normalen Leben ist wahrscheinlich mehr als übertrieben von mir, muss ich zugeben. Aber wie viele Action und Endzeitfilme hast du schon gesehen? Du bist doch derjenige von uns der immer daran, glaubt, dass es ein Happy End gibt. Und in jedem von diesen Filmen, die ich gesehen habe, gab es immer mehr als eine Gruppe überlebende die sich gegen dieses Elend auflehnten, das sich über die Menschheit gelegt hatte.“

„Der Tod erwartet uns so oder so, ob hier unten oder oben. Aber auch ich bin dafür, dass wir uns aufmachen und vor unserem Tod wenigstens noch ansatzweise herauszufinden, was passiert ist“, meinte Jonas.

„Was wäre das Leben ohne ein wenig Abenteuer? Ich bin dabei“, sagte Kai zustimmend. Auch Anna stimmte zu. Lediglich Ben und Silke zögerten noch. Ben wirkte nachdenklich, vermutlich versuchte er sich jetzt gerade alle Filme in Erinnerung zu rufen. Er grinste: „Gut ich komm mit.“ Erst jetzt stimmte auch Silke zu.

Heinz stand auf und ging in Richtung Vorratsraum. „Ich bin zu alt für solche Abenteuer. Ich bleibe. Macht euch keine Sorgen, was aus mir wird, ich habe für mich schon einen Plan.“, er öffnete den Waffenschrank und brachte jedem von uns ein Gewehr und Munition.

„Bist du sicher, dass du hier bleiben möchtest?“, fragte Jonas.

„Ja, ich bin euch nur eine Last und ich habe schon so viel Leid in meinem Leben gesehen, da muss ich nicht noch mehr erleben", antwortete Heinz ruhig. Daraufhin gab er Jonas den Schlüssel zum Waffenschrank und zum Bunker. „Falls ihr Waffennachschub braucht.“

Wir verabschiedeten uns von Heinz, mit dem Versprechen wieder zu kommen, wenn wir uns über die Lage in der Stadt im Klaren waren. Heinz nickte und schloss jeden von uns noch einmal in die Arme.

Wir stiegen hinauf, in das, was einmal Heinz Garten gewesen war. Unsere Augen mussten sich erst wieder, nach der langen Zeit im relativ dunklen Bunker, an das Tageslicht gewöhnen. Es war kalt. Es musste jetzt Mitte

Oktober sein. Doch von einem goldenen Oktober war nichts zu sehen. Als ich meinen Augen endlich wieder trauen konnte, musste ich feststellen, dass es hier draußen irgendwie dunkel und grau war. Das lag an dem riesigen Wolkenfeld, welches über uns ragte. Aber auch daran, dass der einst schöne, blühende Garten, völlig verdorrt war. Über alles hatte sich ein grauer Aschefilm gelegt. Auch Heinz Haus war nicht mehr strahlend weiß und einladend sondern grau und baufällig. Riesige Risse in der Fassade; die Fensterscheiben eingeschlagen; einige Dachpfannen lagen zerbrochen auf dem Boden. Die Gartenstühle waren quer im Garten verteilt. Dort wo das restliche Fleisch liegen geblieben war, welches wir vor einigen

Wochen noch gemeinsam grillen wollten, war nur noch ein nach Fäulnis stinkender Madenhaufen. Der Tisch, auf dem wir unsere Zigaretten zurückgelassen hatten, war umgekippt und unsere Zigarettenschachteln waren nirgendwo mehr zu finden. Mark musste sie mitgenommen haben. Ich war so weit vom Nikotin entwöhnt, dass es mich nicht störte, nur Kai ärgerte sich ein wenig darüber. Mein zweiter, etwas dickerer Pullover, lag auf dem Terrassenboden unter dem Pavillon. Ich hatte ihn für den Fall das es abkühlte zur Grillparty mitgebracht. Der Pullover war staubig, daher schlug ich ihn ein paar Mal in den Wind, ehe ich in mir überzog. Jetzt war mir schon um einiges wärmer. Auch Silke und Anna fanden ihre Strickjacken, die sie

mitgebracht hatten, in einem der Büsche. In der Zeit, die wir in völliger Isolation verbracht hatten musste es sehr stürmisch gewesen sein.

Langsam gingen wir durch das, vom Staub befallene, Haus. Es sah richtig herunter gekommen aus, nicht so als hätte hier noch vor knapp anderthalb Monaten noch jemand friedlich gelebt - eher als würde es schon seit Jahren leer stehen. Im Staub auf dem Boden sahen wir kleine Rattenspuren. Wir gingen in die Küche. Kai drehte den Wasserhahn auf, kein Wasser. Er betätigte die Lichtschalter, kein Licht, kein Strom.

Bei jedem Schritt knarrte und ächzte der Boden unter unseren Füßen. Ich hatte Sorge,

dass er unter uns zusammenbrechen würde. Ehe wir zur Haustür hinaus gingen, nahmen sich auch Jonas, Ben und Kai je eine Jacke aus Heinz Garderobe. „Heinz mag es uns verzeihen", meinte Ben.

Als wir uns draußen umsahen, stockte mir erst einmal kurz der Atem. Die meisten Häuser, in der sonst schönen Wohnsiedlung, waren etwa in dem selbem Zustand wie das von Heinz. Einige waren bereits in sich zusammengebrochen. Ein paar Autos standen quer und verlassen auf der Straße. Der unbeschreiblich anekelnde Geruch von Verwesung stieg mir in die Nase. Wie viele Leichen mögen wohl unter den Trümmern vergraben liegen? Oder in den Häusern?

Wir gingen die Straße in Richtung Innenstadt

entlang. Keine Menschenseele war zu sehen, lediglich ein paar Ratten kreuzten unseren Weg. „Die überleben aber auch alles", sagte Silke angewidert.

„Und was haben wir jetzt vor?“, wollte Ben wissen.

„Am besten wir gehen erst mal nach Hause und schauen uns, an was da passiert ist", antwortete Jonas. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. „Aber seid wachsam“, fügte er hinzu.

Wir gingen eine Weile, der Gestank von Verwesung war fast unerträglich. Ich musste mehrere Würgereize unterdrücken.

Wir bogen in eine andere Straße ein, auch hier war es nicht besser. Die Häuser waren ebenfalls rissig, mit eingeschlagenen

Fenstern und grau vor Asche und Staub oder lagen in Trümmern am Boden. Die Stille war erdrückend, wir hörten nichts außer unseren eigenen Schritten. Das war nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Es gab weder frische Luft, noch blauen Himmel, nicht mal ein zwitschernder Vogel. Und dennoch fühlte ich mich freier als in dem Bunker. Ich fühlte mich sogar richtig frei. Auf eine kuriose Art und Weise fand ich es geradezu faszinierend, dass die Stadt uns allein gehörte. Und obwohl ich mich am liebsten übergeben hätte, füllte ich meine Lungen mit der Luft, die mich umgab. Dieses Gefühl von Freiheit wollte ich in mir einsaugen und am liebsten nie wieder raus lassen.

Die Männer hielten ihre Gewehre im

Anschlag, immer zum Schuss bereit. Doch hier war nichts, was man hätte nieder schießen können. Gähnende Leere. Bis ich plötzlich ein Geräusch hinter uns hörte. Ich hatte nicht mal die Zeit darüber nachzudenken, was es gewesen sein konnte oder mich umzudrehen. Alles ging wahnsinnig schnell, denn, noch ehe der Laut verstummt war, sah ich im Augenwinkel einen hellgrünen Blitz. Millisekunden später fielen Kai, Ben und Jonas. Bevor ich den Schrecken darüber verspürte, sah auch ich nichts mehr.


3

Es wurde wieder heller um mich. Schemenhaft nahm ich die Umrisse einer Person wahr, die sich über mich beugte. Dumpf hörte ich ihre

Stimme: „Bleib ruhig noch etwas liegen, Kind.“ Ich spürte, wie Wasser meinen Mund benetzte. „Hier trink das.“ Auch wenn das Wasser fahl und abgestanden schmeckte, tat es meiner trockenen Kehle gut. Mein Blick schärfte sich und ich erkannte, dass es eine Frau war, die mich versorgte. Sie war schon etwas älter. Der Großteil ihres Haupthaares war ergraut, Falten hatten sich tief in ihr Gesicht gegraben. Sie lächelte freundlich.

„Wo bin ich? Wo sind mein Mann und meine Freunde?“, flüsterte ich. Ich wollte mich aufsetzen, doch meine Muskeln waren noch zu schwach. Ich sackte wieder hinab auf den harten, holzigen Boden.

„Du solltest wirklich noch etwas liegen bleiben, Kind.“, ihre Stimme klang besorgt.

„Was ist passiert?“

„Die Mächtigen haben euch gefunden. Sie haben euch betäubt und hierher gebracht.“

„Und wo bin ich?“

„In einem Arbeitslager zum Anbau von Kartoffeln, Getreide und Mais.“

Na toll, von einem Gefängnis in ein Arbeitslager, dachte ich bei mir. „Wieso Arbeitslager?“

„Die Mächtigen haben hier ein Arbeitslager zum Ackerbau eingerichtet um ihre Sklaven weltweit, also uns, mit Nahrung zu versorgen.“

„Was sind denn bitte Mächtige? Wie sehen die aus und vor allem, was wollen die von uns?“

„Die Mächtigen sind die Außerirdischen, die uns vor knapp zwei Monaten angegriffen

haben. Aber ich weiß nicht viel über sie. Und bitte nenne mich Greta.“

„Ich bin Ami", sagte ich und reichte ihr die rechte Hand. „Sag mir bitte, was du weißt.“

„Ich weiß eigentlich nur, dass sie hier auf der Erde eine große Menge ihres Energiespenders geortet haben und dass sie das nun hier abbauen wollen, beziehungsweise sie uns es abbauen lassen. Aber was ihr Energiespender ist, weiß ich nicht.“

Ist nicht wahr. Ich träume das nur. Jetzt konnte ich auf dem harten Boden nicht länger liegen bleiben. Ich wollte zu Kai. „Wo ist mein Mann?“

„Welcher von den Leuten, mit denen du gebracht wurdest, dein Mann ist, weiß ich

nicht, aber sie sind alle hier, allerdings immer noch ohne Bewusstsein.“

Ich setzte mich auf, was jetzt schon viel besser ging und sah mich um, spürte dabei aber ein leichtes Schwindelgefühl im Kopf. So wie das hier aussah, waren wir in einer Scheune, die Wände aus Holz, mehrere kleine, schmutzige Fenster und ein großes geschlossenes Tor. Um mich herum lagen noch einige andere Leute, alle bewusstlos. Etwa drei Personen von mir entfernt konnte ich Kai ausmachen. Noch etwas weiter glaubte ich, meine Schwester zu erkennen.

Erst jetzt spürte ich, dass etwas fest um mein linkes Handgelenk gelegt war. Nun, da ich wusste, dass es da war, störte es mich ungemein. Ich betrachtete das metallene

Band, und als ich meinen Arm umdrehte, sah ich auf meinem Aderverlauf etwas liegen, dass Ähnlichkeit einer Digitaluhr hatte. Eine Anzeige blinkte grün. Ich fummelte an dieser Uhr herum; ich wollte es loswerden. Nie hatte ich eine Uhr am Arm getragen, weil ich es als störend schon fast widerlich einengend empfunden hatte und jetzt das.

„Lass das mal lieber in ruhe, Kind.“

Meine Güte, sag doch nicht immer Kind zu mir, ich bin 29 Jahre alt, stehe mitten im Leben; habe - hatte - einen gut bezahlten Job in einer großen Firma; bin verheiratet. Also bitte hör auf mich Kind zu nennen, alte Frau dachte ich genervt. „Was ist das?“, fragte ich dagegen nur knapp.

„Da ist ein Peilsender drin, der uns anzeigt,

wie weit wir uns von dem Turm da draußen entfernen dürfen, wenn er rot blinkt und schnell piepst, solltest du wieder zurück zum Turm gehen, wenn dir dein Leben lieb ist.“

„Was passiert, wenn man es ignoriert?“

„Das hat noch niemand ausprobiert. Sie haben uns gesagt wir würden sterben.“ Sie machte eine kleine Pause und griff hinter sich. „Hier ist übrigens deine Handtasche. Keine Sorge ich hab nicht rein gesehen. Ich weiß ja das, die Handtasche heutzutage das Heiligtum einer jeden jungen Frau ist.“

Dennoch sah ich gleich rein. „Du hast vielleicht nicht rein gesehen aber diese Außeririschen mit Sicherheit.“ Eigentlich suchte ich nur nach meinem Handy, schließlich hatte ich ja versuchen wollen

meine Eltern zu erreichen. Ich schaltete es ein, doch zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass ich immer noch keinen Empfang hatte. „Ach, das liebe Handy. Nun das wirst du wohl nicht mehr gebrauchen können.“ Eine ernüchternde Aussage, die mich dazu veranlasste das Handy wieder auszuschalten und in die Tasche zurückzustecken.

„Wieso ist es noch da, die müssten sich doch eigentlich für unsere Technik interessieren? Oder irre ich mich da?“

„Sie halten unsere Technik für zu primitiv, als das sie ihnen etwas anhaben könnte.“

Wir wurden von einem Stöhnen unterbrochen. Ich drehte mich um. Es war Kai, der gerade wach wurde. Greta sah meinen erleichterten

Ausdruck in den Augen und gab mir eine Flasche Wasser. „Geh zu ihm", sagte sie liebevoll. Ich kletterte noch etwas unbeholfen über die anderen Bewusstlosen zu meinem Mann hinüber. Ich streichelte seine Stirn. „Bleib noch etwas liegen, Schatz“, flüsterte ich ihm zu. Ich hob lediglich seinen Kopf leicht an, um ihm das Wasser einzuflößen. „Was ist passiert?“, flüsterte Kai kraftlos. „Wir wurden von Außerirdischen gefangen genommen", antwortete ich mit ernster Stimme. Doch Kai grinste ungläubig: „Ja, sicher.“

Ich sah mich um, nun regten sich auch Anna und Silke. „Bleib noch etwas liegen, ich komme gleich wieder", sagte ich zu Kai und legte behutsam seinen Kopf zu Boden.

„Greta, wo sind die Wasserflaschen?“, rief ich

zu ihr hinüber. Sie kümmerte sich gerade um jemand anderen, der erwachte.

„Die stehen da hinten rechts in der Ecke, Kind", antwortete sie und deutete auf den Punkt, den sie meinte. Ich ging dort hin, und nahm zwei Wasserflaschen aus dem beachtlich großen Vorrat. Ich ging zu Anna und Silke, die beide nebeneinander lagen, und brachte ihnen das Wasser. Auch sie wollten wissen, was passiert war. „Wir wurden gefangen genommen", antwortete ich, „Den Rest erkläre ich euch später.“

Anna und Silke waren schneller auf den Beinen, so konnten sie auch helfen, die weiteren Erwachenden zu versorgen. Die Dosis, mit der wir Frauen betäubt worden waren, war bestimmt schwächer, nur so

konnte ich mir erklären, warum wir schneller wieder fit waren als unsere Männer.

Es war bereits einige Zeit vergangen, mittlerweile waren alle wieder wach. Jonas, Ben, Silke, Anna, Kai und ich saßen zusammen in einer Ecke und ich erzählte ihnen, was ich von Greta erfahren hatte. Am meisten waren wir von dem Sicherheitssystem schockiert, welches um unser linkes Handgelenk gebunden war. Lediglich Ben hatte ein leichtes Grinsen auf den Lippen. Für ihn war es wohl ein wahnsinniges Gefühl, einen seiner heiß geliebten Filme am eigenen Leibe zu erfahren.

Auch die anderen Gefangenen, die vorher noch in kleinen Gruppen zusammen gesessen hatten, gesellten sich nun zu uns.

Ich erkannte niemanden aus meiner Vergangenheit wieder und auch ihre Namen sagten mir nichts. Keiner von ihnen hätte mir Hinweise über den Verbleib meiner Eltern nennen können. Unter ihnen war jede Altersgruppe vertreten, und als ich ihre Geschichten hörte, war mir klar, warum sie so viel ausgemergelter aussahen als wir. Sie hatten die letzten Wochen schon um ihr Überleben kämpfen müssen, während wir gut versorgt im Bunker gesessen hatten. Nun begann Greta, noch einmal für alle, zu erklären, was sie mir bereits gesagt hatte. Fassungslosigkeit machte sich in der ganzen Gruppe breit, einige protestierten. Greta wurde mit Fragen überhäuft, die sie bei weitem nicht alle beantworten konnte.

Das Stimmengewirr in der Scheune unterbrach, als sich das Tor öffnete. Das trübe Licht blendete mich, doch dann sah ich drei Männer im Eingang der Scheune stehen. Sie alle waren komplett in schwarzes Leder gekleidet. Springerstiefel, Lederhose, schwarzes Shirt und ein Ledermantel. Alle drei hatten glänzend polierte Glatzen. Sie sahen ganz und gar nicht wie Außerirdische aus, eher wie die Bösen in einem Actionfilm. Was mir noch auffiel, war, dass sie zumindest für meine Verhältnisse riesig waren. Der rechte und der linke Mann maßen ungefähr 2,20 Meter. Der in der Mitte war noch etwas größer, 2,50 Meter würde ich schätzen. Dem entnahm ich, dass er wohl der Boss dieser Gruppe war.

Ich sah, wie Greta sich zu Boden warf. Ein stechender Schmerz in meinem linken Arm trieb mir die Tränen in die Augen und ließ mich auf die Knie sinken. Allerdings ging es nicht nur mir so, die ganze Scheune war mit Schreien erfüllt und alle sackten zu Boden.

„So ist es besser", hörte ich eine tiefe rauchige Stimme sagen. Ich hörte Schritte. Ich spähte nach oben. Das sind also die Mächtigen. Die Außerirdischen gingen durch die Reihen und betrachteten jeden Einzelnen von uns. Sie blickten sich an, aber niemand von ihnen sagte etwas.

Der Schmerz war bereits etwas abgeebbt, doch erheben konnte ich mich nicht. Ich war wie gelähmt. Die Schritte wurden lauter und kamen nun vor mir zum Stehen. Ich spürte wie

sich eine Hand grob unter mein Kinn legte, mein Gesicht nach oben zog und mich zwang dieses menschlich Aussehende etwas anzusehen. Ein hämisches Grinsen lag auf seinen falschen Lippen. In seinen Augen, den kalten Augen einer Schlange, funkelte etwas, das ich nicht zu deuten vermochte. Ich sah ihn eindringlich an und versuchte seinem Blick stand zu halten. Meine ganze Wut, meinen Hass und Unmut gegen diese Situation legte ich in meinen Blick, in der Hoffnung, dass er spürte, wie sehr ich ihn verabscheute. Seine Hand zitterte leicht unter meinem Kinn. „Hübsches kleines Ding, und so wilde Augen", sagte er und stieß meinen Kopf wieder hinunter, so dass ich ihn nicht mehr ansehen musste.

Sie gingen weiter durch die Reihen. „Greta, bring sie zu ihren Quartieren!“, sagte der Große in einem rauen Befehlston. Doch erst als sie außer Sichtweite waren, konnte ich mich wieder selbständig bewegen.

Greta führte uns nach draußen. Das Licht brannte in den Augen, die Sonne musste über der Wolkendecke scheinen, dennoch war es eisig kalt. Das Sonnenlicht über den dunklen Wolken ließ ihr Grau unnatürlich hell wirken. Draußen stand eine hohe Säule. Das musste der Sendeturm sein, von dem Greta gesprochen hatte. Neben der Säule stand etwas, das wohl ihr Raumschiff sein sollte. Ein ziemlich großes ovales Gebilde, metallisch silbern. Um die Säule herum standen

Baracken, an denen wir zunächst vorbei, zu den Anbaufeldern, gingen. Die Meisten waren noch von Asche bedeckt andere bereits umgegraben. Die Menschen, auf diesen Feldern ackerten sich den Rücken krumm. Niemand von ihnen blickte auf und doch konnte ich erkennen, dass ihre Gesichter eben so schmutzig waren wie ihre Kleidung. Hinter den Feldern sah ich Bahngleise entlang laufen und dahinter lag ein Wald mit einigen Häusern. Ich kannte diese Gegend, wir waren auf den freien Feldern eines Vorortes unserer Stadt, hier hatte ich als Kind oft mit meinen Freundinnen gespielt. Weiter links von uns sah ich auch das große Wasser-Sammelbecken, welches bereits vor knapp zwanzig Jahren dort in den Boden

eingelassen worden war. „Hier werdet ihr ab morgen arbeiten. Der Sendeturm wird zwei Signale von sich geben: eines zum Wecken, das Zweite, wenn ihr am Turm zu erscheinen habt. Dort bekommt ihr euer Tagewerk zugeteilt. Solltet ihr nicht erscheinen, wäre es besser, es läge daran, dass ihr die Nacht nicht überlebt habt. Denn sie werden euch bestrafen. Vorhin habt ihr bereits nur einen kleinen Vorgeschmack von den Schmerzen bekommen, die sie uns zufügen können", erklärte Greta.

„Kannst du mir sagen, wie weitläufig der Bereich ist, in dem wir uns aufhalten dürfen?“, wollte Jonas wissen.

„Probiert es aus. Diese Häuser, da drüben, erreichen wir, aber bis ins Dorf kommen wir

nicht rein", antwortete Greta.

„Gibt es einen Namen, bei dem wir diese Wesen nennen können, wenn wir Fragen haben, oder Hilfe brauchen?“, fragte er weiter.

„Herr! Doch rate ich dir, nicht zu viele Fragen zu stellen. Das könnte dir übel bekommen.“

Wir gingen wieder zu den Baracken. Mehr oder weniger einsturzgefährdete Gebilde aus Holz und Wellblech. Greta öffnete eine Sperrholztür, auf der mit roter Farbe eine Sechs geschrieben stand. „Das ist euer Quartier", sagte Greta und zeigte mit dem Finger auf mich und meine Freunde. „Ihr habt Glück, die vorherigen Bewohner haben bereits einige Vorarbeit geleistet.“

„Wo sind diese Leute jetzt?“, wollte Kai

wissen.

„Tot.“, ein leichter Ausdruck von Trauer legte sich auf Gretas Gesicht. Greta wies uns an, dieses Gebäude zu betreten. „Das ist jetzt euer Neues zu Hause.“, ihre Stimme klang etwas sarkastisch. Sie wandte sich ab und schloss sie die Tür von außen. Aus dem Fenster konnte ich sehen, wie sie den anderen Gefangenen ihre Quartiere zeigte.

Jetzt saßen wir in der Baracke fest und ein zermürbendes Gefühl beschlich die ganze Gruppe. Wir setzten uns an den Tisch in der Mitte des Raumes, nachdem Jonas die Feuerstelle daneben angezündet hatte. Wir überlegten, was wir nun tun könnten, ob wir überhaupt etwas tun konnten oder ob wir uns einfach diesem Schicksal ergeben sollten.

„Wir könnten wenigstens die Gegend auskundschaften, mal sehen wie weit wir gehen können. Wir sind schließlich nicht in der Baracke gefangen, sondern nur im so genannten sicheren Bereich", schlug Ben vor.

„Das werden wir auch machen, doch nicht gleich heute, lasst uns erst mal friedlich sein, vielleicht gewinnen wir so ihr Vertrauen, dann können wir langsam ausloten, wie weit wir gehen können, ohne ihre Nerven zu überstrapazieren", erklärte Jonas, dabei umspielte ein hinterhältiges Grinsen seine Lippen.

Der Weck Ton der Säule war schrill und laut. Das Aufstehen viel uns schwer. Nicht, weil wir gerne noch etwas weiter geschlafen hätten, sondern weil uns der Rücken von den alten

durchgelegenen Matratzen schmerzte. Ein Frühstück gab es nicht. Lediglich sechs große Plastikflaschen Wasser standen vor der Tür. Wir hielten uns an Jonas Plan und wollten nicht gleich am ersten Tag als Rebellen auftreten. Deshalb erschienen wir pünktlich zur Arbeit an der Säule. Dort bekamen wir unsere Aufgaben für den Tag zugeteilt. Wir Frauen mussten die bereits gepflügten Felder bewirtschaften. Und die Männer, die noch vorhandenen Aschefelder umgraben. Durch die körperliche Arbeit wurde mir etwas wärmer. Doch der Regen, der am Nachmittag auf uns niederprasselte, ließ mich wieder gefrieren. Ich sehnte mich nach der Wärme des Bunkers zurück, der mir plötzlich wie reiner Luxus vorkam.

Gegen Abend wurden einige Leute vom Feld gerufen; es sei ein Wagen gekommen, der Fisch brachte. Bevor wir in die Baracken gingen, durfte sich jeder eine Ration Essen und eine Flasche Wasser für den nächsten Tag abholen.

In der Baracke spießten wir den Fisch auf Holzstöcke und hielten diese in die Feuerstelle, damit er wenigstens über offenem Feuer gegrillt war und nicht roh. Doch das machte für mich keinen Unterschied, ich mochte keinen Fisch. Das erste Stück spie ich wieder aus. Ich wollte derlei Nahrungsaufnahme verweigern doch Kai zu liebe würgte ich etwas davon herunter.

Mit der Arbeit auf dem Feld zogen die Tage ins Land. Kein fließendes Wasser, womit man

sich mal hätte waschen können, kein Strom, und auch keine Heizung, geschweige denn von Handys, Fernsehen oder Internet. Es war wie ein unerwünschter Zeitsprung in die Vergangenheit. Aufgrund dessen nannten wir diese Zeitepoche: zweites Mittelalter. Der wesentlichste Unterschied zwischen uns und den Menschen im ersten Mittelalter bestand darin, dass wir bereits die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts kannten. Was für uns noch, vor einigen Monaten, allzu selbstverständlich war, vermissten wir nun umso mehr. Damit hatte sich der Satz - ‚Man merkt immer erst, was man hatte, wenn man es verloren hat. - zu einer unwiderruflichen Wahrheit entwickelt.

Mit der Zeit lernten wir auch die anderen

Sklaven dieses Lagers kennen. Einige von ihnen kannte ich noch aus meiner Kindheit, allerdings erst nachdem ich ihre Namen gehört hatte. Rein vom Aussehen hätte ich sie nicht wieder erkannt. Aber niemand konnte mir etwas über den Verbleib meiner Eltern sagen. Die älteren unter ihnen sagten lediglich: „Bist du nicht das Kind von Viktor und Katharina? Du bist aber groß geworden.“

Immer wenn sich uns der große Mächtige zeigte, hatten wir in die Knie zu gehen, sollten wir das nicht freiwillig machen, wurden wir unter Schmerzen dazu gezwungen. Dabei hatte ich ständig das Gefühl, der Große würde mich beobachten. Immer wieder spürte ich seinen Blick auf meinem Körper ruhen,

denselben Blick, mit dem er mich bei unserem Ersten Zusammentreffen angesehen hatte. Den Blick einer Schlange, kurz davor sich auf ihre Beute zu stürzen. Was hatte das nur zu bedeuten?

Da wir beschlossen hatten nicht negativ aufzufallen, zwangen wir uns dazu rechtzeitig in die Knie zu gehen. Diese Unterwürfigkeit widerte mich an. Ich war ein freier Mensch gewesen, aber jetzt als Sklave fühlte ich mich gleichzeitig, wie ein Haustier. Immer wieder musste ich mich selbst zur Ordnung rufen; mir sagen, das Jammern nichts nützte: Entweder ich würde mich fügen oder dagegen kämpfen.

Nach einigen Wochen begannen wir nach dem Tagewerk unsere Grenzen auszuloten, gingen so weit wir konnten, bis der Sender an

unserem Arm anschlug. Tatsächlich konnten wir einige Häuser erreichen. Wir nahmen uns aus dem Haushaltsvorrat, was wir gebrauchen konnten.

Unter anderem nahm ich das angebrochene Duschgel und stellte mich nackt in den kalten Regen, um mir wenigstens etwas von dem Dreck und Schweiß weg waschen zu können. Ich fror unter dieser kalten Dusche, doch Kai kam zu mir um mich etwas warm zu halten. Während er seine Arme um mich legte, spürte ich diese Geborgenheit, die nur ein liebender Partner geben konnte. Ein Kuss in tiefer liebe und die Leidenschaft ließ uns noch enger zusammenkommen. So nah, dass uns sehr warm wurde und wir unter dem modrigen Holz des Waldes einige kurze aber intensive

Glücksmomente empfanden. Aber wirklich fallen lassen konnte ich mich nicht. Jedes Mal hatte ich das Gefüh,l beobachtet zu werden. Nicht von unseren Leuten, nein von ihnen, genauer gesagt von ihm.

Allerdings waren derlei Vorräte schnell verbraucht. In einem der Häuser fanden wir, eine menge Bücher und eine Messersammlung an denen wir uns bedienten. So konnten wir in unserer Freizeit auch etwas anderes tun, als stumm vor uns hinzuvegetieren. Ich las sämtliche Bücher, die ich finden konnte. Nie hatte ich so viel gelesen. Doch, während ich las, konnte ich in diese Traumwelt, von Piratengeschichten und leidenschaftlichen Liebesromanen, entfliehen. Selbst das herzzerreißende Drama oder der

grausame Psychothriller war weniger furchtbar als unser Dasein in Gefangenschaft; in der Tristesse dieser Zeit. Als die Gewohnheit sich in unseren Muskeln und Gliedern einstellte und diese nicht mehr von der harten Arbeit schmerzten, nahmen wir unser Nahkampf-Training wieder auf. Eine weitere Abwechslung in unserem langweiligen Leben.

Ich konnte die diversen Mangelerscheinungen körperlich spüren, die ich durch die einseitige Ernährung hatte. Was gab es denn schon? Fisch, welchen ich nur durch den Hunger hinunter bekam, ein paar Kartoffeln, Mais und Regenwasser aus dem Sammelbecken. Ab und an mal eine frisch erlegte Ratte. Mein

Körper wurde zunehmend schwächer, auch wenn der Tod eine Erlösung aus diesem Elend gewesen wäre, weigerte ich mich zu sterben. Irgendwo da draußen musste noch etwas anderes sein.

Mein Gefühl, mein sehnlichster Wunsch, bestätigte sich. Menschen starben, andere Menschen kamen und mit ihnen wurden Gerüchte laut, über einen Ort auf dieser Welt, an dem die Menschen noch frei waren. Dort wollte ich hin und ich war bereit alles dafür in kauf zunehmen.

„Der Fisch ist fertig", riss Anna mich aus meinen Gedanken und führte mich wieder, aus den drei Jahre alten Erinnerungen, zurück in die Gegenwart. Ich setzte mich zu

den anderen an den Tisch und brachte das Notwendigste in den Magen.

„Es wird Zeit, dass wir unseren Ausbruch planen", sagte Jonas zwischen zwei bissen. Alle wurden hellhörig.

„Wie kommst du jetzt darauf?“, wollte Kai wissen.

„Heute hat mir einer der Lieferanten erzählt, dass der freie Ort im Dschungel Afrikas liegt", erzählte Jonas.

„Wie kommt er darauf?“, fragte Ben.

Jonas erzählte uns, dass dieser Lieferant zum Zeitpunkt des Vorfalls in Afrika auf Safari gewesen war. Zwar hatte er Lichter am Himmel gesehen, aber dort mitten im Dschungel und in der Steppe sei nichts passiert. Er selbst sei erst gefangen

genommen worden, als ihn die Neugier nach Norden trieb. Er sagte, dass für sie die Wüste und der Dschungel uninteressant seien, da sich dort keine Machtzentren befinden, die ihnen auch nur im Geringsten gefährlich werden könnten.

„Dann sollten wir uns auf machen.“, sagte ich.

„Sind alle dafür, dass wir nach Afrika aufbrechen, die lange beschwerliche Reise auf uns nehmen, um endlich wieder frei zu sein?“, fragte Jonas hoffnungsvoll.

Wir alle hoben zeitgleich die Hände.

„Dann ist es beschlossen, wir verschwinden. Die Frage ist nur: wie?“




4

Wir hatten beschlossen, dass die Zeit zur Flucht gekommen war. Wir wussten nun in etwa, wohin wir gehen konnten. Dieses wissen, alleine dieser Beschluss erweckte in mir sämtliche Lebensgeister. Die Freiheit war nun in fast greifbare nähe gerückt, allerdings bedachte ich in meiner Euphorie nicht das größte Problem: diese Uhr an unserem Handgelenk.

„Um von hier verschwinden zu können, müssen wir dieses Ding an unserem Arm loswerden. Ich mein, ich hab zwar Ahnung von Technik, dennoch wäre es besser, wenn ich mir diese Uhr einmal von innen ansehen könnte", meinte Ben.

„Dann werde ich wohl beim Leichendienst,

eine Leiche verschwinden lassen müssen", antwortete Kai leichthin, ohne dass er es wirklich ernst meinte.

„Das ist doch eine super Idee", ermunterte ich Kai. „Erzähl doch mal allen, was du da genau machen musst?“

„Ja, sag mal.“, Ben und Silke sprachen die Worte gleichzeitig.

„Nun ja, ich muss hier durch das Gebiet laufen und die Leichen einsammeln. Dabei helfen für gewöhnlich noch drei Leute aus den anderen Baracken. Bernd, Michael, Sascha und ich. Wobei wir alles getrennt abgehen, niemals gemeinsam, so schaffen wir es in kürzerer Zeit. Bevor wir die Toten auf den Schubkarren laden, nehmen wir ihren die Uhren ab. Bei den Toten geht das, weil kein

Puls mehr da ist. Na ja, und dann legen wir die Leichen auf einen Haufen und sie werden verbrannt. Danach gibt einer von uns die Uhren bei den Mächtigen ab.“

„Werden die Leichen noch mal von ihnen gezählt?“, wollte Jonas wissen.

„Nein.“

„Dann ist es ja kein Problem jemanden verschwinden zu lassen.“, Jonas grinste.

„Wenn es nur die Leichen wären, dann nicht. Bei den Uhren mache ich mir Gedanken“, erwiderte Kai.

„Wieso?“, wollte Ben wissen.

„Sie haben eine Überwachungsstation. Damit überwachen sie ihren Sklavenbestand. Wenn nun einer von uns stirbt, also kein Puls mehr da ist, wechselt das jeweilige Licht auf der

Überwachungsstation die Farbe von Grün nach Rot, dann werden wir losgeschickt, die Leichen zu suchen und ihnen die Uhren zu bringen.“

„Dann fällt ja sofort auf, wenn eine Uhr fehlt.“, ein Hauch von Verzweiflung tat sich in mir auf. Es ist hoffnungslos, wir kommen hier nie raus.

„Bei zwei oder drei Signalen auf jeden Fall, aber wenn mehr als 10 gleichzeitig sterben und dann am besten auch noch eine krumme Zahl, neunzehn oder so, haben wir eine Chance, obwohl es immer noch ein Risiko darstellt.“

„Wir sollten es auf jeden Fall ausprobieren, sobald die nächste größere Menge Menschen verstirbt", sagte Jonas.

„Kein Problem. Ich werde mich darum

kümmern.“, als Kai das sagte, sah ich in seinen Augen wieder etwas Lebensfreude aufflackern. Endlich, nach all den Jahren, hatten wir wieder ein Ziel, das es zu verfolgen galt.

Am nächsten Morgen nahmen wir ganz normal unsere Arbeit auf und vermieden es unseren Fluchtplan außerhalb der Baracke zu erwähnen. Es regnete wieder einmal, und ich kniete am Wassersammelbecken, um das Regenwasser in die Flaschen abzufüllen. Ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde, und blickte mich um. Etwas weiter sah ich den großen Mächtigen stehen; ich glaubte, seinen Blick fast körperlich zu spüren. Ich verbeugte mich kurz, um meine Unterwürfigkeit zu

demonstrieren. Er lachte amüsiert. Seinen Blick auf mir zu spüren fand ich unangenehm. Die ganzen drei Jahre, seit unserer ersten Begegnung, fühlte ich mich von ihm beobachtet. Als hätte er nichts Besseres zu tun als mir Tag für Tag nach zu stellen. Ich fragte mich warum er das tat; was er von mir wollte. Was war denn jetzt noch an mir interessant? Bevor sie unsere Erde heimgesucht hatten, hatte ich mich selbst auch als hübsch empfunden. Aber jetzt, nach all den Strapazen und dem Hunger, war ich doch nichts mehr. Eine graue Maus unter vielen, nicht mehr halb so ansehnlich wie früher. Ich wunderte mich sogar darüber, dass Kai mich noch mit Liebe in den Augen ansah.

„Wenn mich jemand fragen würde, wo seine

Schwäche liegt, würde ich sagen sie liegt bei dir", hörte ich eine Männerstimme hinter mir sagen. Erschreckt drehte ich mich um. Es war Dominik, er lebte in Baracke Nummer zwei.

„Ich weiß, was du meinst. Es nervt schon, ständig unter Beobachtung zu stehen.“

„Mich würde ernsthaft interessieren, was er denkt, wenn er dich so ansieht", meinte Dominik.

„Er wird wahrscheinlich darauf achten, dass wir unsere Arbeit richtig machen. Was denkst du denn?“, antwortete ich leicht genervt von dem speziellen Unterton, den er in seine Stimme gelegt hatte.

„Nun ja, er ist immerhin männlich. Seine Blicke folgen dir ständig. Er sucht quasi nach dir. Wäre er einer von uns, würde ich fast sagen,

dass er sich vorstellt wie du und er zusammen …“

„Sieht das wirklich so aus?“, unterbrach ich Dominiks Ausführungen.

„Vermutlich stellt er sich gerade vor, wie er dich auch in einem anderen Sinne benutzt.“

„Hör auf, das will ich mir gar nicht vorstellen", gab ich verärgert zurück. „Bisher hat er mich immer nur aus der Ferne begafft, und das soll auch so bleiben.“

„Wenn du mich fragst, ich finde, du solltest dich für uns alle opfern, mal etwas freundlich zu ihm sein. Vielleicht ging es uns dann allen besser.“

„Erstens hat dich niemand gefragt und zweitens, glaubst du wirklich das dieses Wesen tatsächlich ein amouröses Interesse

an einem Menschen haben kann?“, sagte ich kühl und begann schnell weiter Wasser in die Flaschen zu füllen, als ich sah, dass der Große sich direkt auf uns zu bewegte. Dominiks schelmisches Lachen verstummte.

„Was gibt es hier zu quatschen, hast du nichts zu tun, zurück an die Arbeit, aber sofort.“

Dominik verbeugte sich schnell und lief zurück zu den Feldern. Auch ich sah zu Boden, da ich bereits kniete, brauchte ich nur noch meinen Blick zu senken, um Demut zu beweisen.

„Du darfst wieder aufsehen", sagte er schroff.

Unsere Blicke trafen sich, doch anstatt ihn hasserfüllt anzusehen lag Dankbarkeit in meinem Blick. Dankbarkeit dafür, dass ausgerechnet er mich vor weiteren

demütigenden Worten geschützt hatte. Ein schüchternes Lächeln huschte über meine Lippen. Unwillkürlich beugte er sich ein Stück zu mir herunter, nur wenige Zentimeter. Sein Blick war starr. Was bezweckte er damit, wenn er mir so in die Augen sah? Was würde er nun machen? Er war zu nah. Eine gespaltene Zunge kam zum Vorschein. Die Zunge einer Schlange, passend zu seinen Augen. Ein weiterer Beweis dafür, dass ich es hier nicht mit einem übergroßen Menschen zu tun hatte, der einfach nur böse war. Er will dich besitzen, mehr noch als alles andere auf dieser Erde fuhr es mir, angesichts Dominiks Mutmaßungen, durch den Kopf. Ich machte mich bereit zu laufen, für den Fall das er sich noch mehr nähern würde. Doch er zog sich

zurück.

„An die Arbeit, Wildkatze", sagte er ungewohnt ruhig. Als er ging, sah ich, wie er kurz seine Hand zu einer Faust ballte. Eine solche Reaktion kannte ich als Zeichen, der Selbstbeherrschung.

Der Regen wurde stärker, viel stärker und es zog ein unnatürlich wüster Wind auf. Er pfiff wild über die Felder. Es begann zu hageln, ich hob meine Flaschen auf und versuchte gegen den Wind anzukämpfen, um in meine Baracke zu gelangen. Selbstschutz trieb mich an; es war mir egal, dass die Mächtigen wollten, dass wir unsere Arbeit fortsetzten. Ich wollte irgendwo hin, wo ich vor dem geschützt war, das vom Himmel auf uns niederschlug. Doch

ich hatte kaum eine Chance gegen den Wind. Nur mühsam kam ich voran. Die Hagelkörner, golfballgroß trafen mich schmerzhaft an Kopf und Rumpf. Sie würden gut sichtbare Spuren hinterlassen. Ich sah Kai, wie er zu den Baracken lief. So laut ich konnte, rief ich nach ihm. Doch ich hatte Zweifel, dass er mich durch das laute Pfeifen des Windes hören konnte. Aber ich hatte mich geirrt: Kai hatte mich gehört oder zumindest gesehen, denn er kam auf mich zu und zog mich mit sich in die Baracke. Wir waren die Ersten, die zu Hause ankamen, ich stellte die Wasserflaschen auf den Boden. Kai zündete die Feuerstelle an. Laut knallten die Hagelkörner auf das Wellblechdach und der Wind ließ das Gebäude beben. Kurz nach uns kamen auch

Anna und Silke. „Das sind keine Körner mehr, das sind Bälle.“, rief Anna mir zu. Durch den Krach, der von dem Dach ausging, konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Jonas und Ben kamen. Ben hatte etwas in der Hand. „Seht euch das an!“, rief er und zeigte uns ein Hagelkorn von der Größe eines Tennisballs. Jetzt konnten wir nichts tun als warten, bis dass sich das Unwetter gelegt hatte. Der Wind wurde noch stärker. Die Baracke vibrierte unter den kräftigen Windstößen. Ich hatte Zweifel daran, dass dieses Gebäude dem Sturm standhalten würde. Kai ging gerade zu unserem Schlaflager, er wollte sich ein wenig hinlegen, als uns ein extrem lauter Schlag zusammenzucken ließ. Dort wo Kai noch vor

einer Sekunde gestanden hatte, war ein Hagelball durch das Wellblech geschlagen. Er war etwa so groß wie ein Handball; so etwas hatte ich noch nie gesehen. Du Glückspilz, dachte ich, der hätte dich erschlagen können. Kai war die Erleichterung, darüber das er einige Schritte beiseite gegangen war, deutlich anzusehen. Kleinere Körner fielen durch das Loch im Dach und der Wind pfiff unangenehm und wild in die Baracke. „Das werden wir schnellstmöglich reparieren müssen.“, rief Jonas.

Der Sturm hatte einige Opfer gefordert, daher musste Kai noch an diesem Abend zum Leichendienst. Ich war bereits eingeschlafen, aber als tief in der Nacht die Barackentür

geöffnet wurde saß ich wieder hellwach in meinem Schlaflager. Auch die anderen standen auf, langsam kamen sie in den Gemeinschaftsbereich. Wir setzten uns zusammen an unseren Tisch, während Kai eine Uhr auf denselben legte.

„Jetzt sind wir aber gespannt.“, damit sprach ich für alle.

„Der Sturm hatte dreiundzwanzig Tote zur Folge. Wobei zwei von ihnen über die unsichtbare Grenze gelaufen waren", begann Kai zu erzählen.

„Was ist mit ihnen passiert?“, fragte Anna.

„Ihre Uhren waren zerstört. Die Leichen waren in Ordnung, keine besonderen Merkmale, lediglich einen Einstich in die Hauptschlagader.“

„Wie bist du denn zu den beiden Toten hin gelangt, ohne selbst dabei zu sterben?“, wollte ich wissen.

„Als ich gemerkt hab, dass die Leiche außerhalb des sicheren Gebiets lag, ging ich zurück zum Raumschiff und bat um Hilfe. Da ihnen die Uhren wichtig sind, wurde ich von einem der Mächtigen, der einen gesonderten Sender hatte, begleitet, in dessen Gegenwart konnte ich die Grenze überschreiten, ohne dass mir etwas zustieß.“

So wussten wir wenigstens, was passierte, wenn man das immer schneller werdende Piepsen und das rote Warnlicht in den Uhren ignorierte.

„Gibt es keine Möglichkeit an so einen Sender zu kommen?“, fragte Ben.

„Die sind sehr gut unter Verschluss und wer die Schlüssel hat weiß ich nicht", antwortete Kai.

„Jetzt erzähl weiter. Wie bist du denn jetzt an die Uhr gekommen?“, drängte ich ungeduldig.

„Als die Mächtigen sich wieder zurückgezogen hatten, suchte ich nach weiteren Leichen, eine lag im Wald. Es war eine Frau, sie hatte ein Messer neben sich liegen, sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich nahm ihr die Uhr ab, steckte mir diese in die Tasche und begrub sie in der Nähe des Hauses mit der Bibliothek. Als wir uns am Scheiterhaufen trafen, gaben mir die anderen ihre Uhren und ich brachte sie zu den Mächtigen.“

„Und haben sie etwas gesagt? Ist ihnen aufgefallen, dass eine Uhr fehlte?“, wollte

Anna wissen.

„Die waren von irgendetwas abgelenkt. Für mich sah es so aus, als würden sie mit einem anderen Lager kommunizieren. Einer von ihnen sagte nur ‚Leg sie da drüben auf den Tisch und dann verschwinde.“

„Bleibt zu hoffen, dass die fehlende Uhr nicht doch noch auffällt", meinte Jonas.

„Dreiundzwanzig Tote - wisst ihr, was das bedeutet? Wir werden jetzt noch härter arbeiten müssen. Das ist fast ein Viertel der Leute hier", sagte Silke entsetzt, wobei ihr entsetzten eher der Mehrarbeit als den menschlichen Verlusten galt.

„Ich glaube, der Sklavenverlust wird schon sehr bald wieder ausgeglichen werden. Also mach dir über die zusätzliche Arbeit keine

Gedanken", meinte Jonas trocken mit einem leichten Anflug von Ärger. Wie konnte Silke nur so kalt sein, dass sie sich mehr über die Arbeit als über den Verlust von Menschenleben sorgte?

Ben hingegen interessierte Silkes Einwand weniger. Er experimentierte gleich mit der Uhr herum und verglich sie mit der, die er am Arm trug. Alles ganz normal, nur das grüne LED leuchtete nicht mehr. Er drehte die Uhr um, damit er die Auflageseite genauer betrachten konnte. „Da ist ja ein kleines Loch drin. Hat mal jemand einen kleinen Schraubenzieher für mich?“, fragte Ben.

„Wir haben kein Werkzeug", sagte Jonas. Anna allerdings kramte in ihrer Handtasche herum und holte zwei Haarnadeln und eine

Nagelfeile heraus. Sie gab sie Ben. „Versuch es mal hiermit.“

„Was soll ich denn damit?!“, sagte Ben abfällig über diese eine Möglichkeit, die uns blieb.

„Du brauchst doch etwas, das schmal genug ist, um in den Schlitz der Schraube zu passen, damit du sie drehen kannst. Ich gebe dir etwas und das ist das Einzige, was wir haben. Also mach es damit, oder lass es!“, Anna war regelrecht beleidigt über Bens verhalten. Völlig perplex von Annas Ansage versuchte Ben zuerst mit einer der Haarnadeln und danach mit der Nagelfeile die Schrauben in der Uhr zu lösen. Es dauerte eine Weile. Ich für meinen teil, hätte nicht Bens Geduld gehabt und die Uhr schon längst in eine Ecke

geschmissen. Doch dann hatte Ben die Uhr oben am Gehäuse geöffnet. „Ha! Ich hatte Recht. Ein Computer, aber wir müssen aufpassen. Hier ist eine Nadel drin und eine kleine Ampulle mit einer Flüssigkeit; das könnte Gift sein. Du sagtest, die Leute die über die Grenze getreten waren hatten einen Einstich, an ihrem Handgelenk“, sagte Ben an Kai gewandt.

„Ja.“

„Sieh mal hier, das ist alles miteinander verbunden. Hier der Sender, die Nadel und die Ampulle. Und das hier scheint der Pulsmesser zu sein", sagte Ben und zeigte dabei auf die kleinen Apparaturen, die er meinte.

„Bei dieser Uhr hier ist die Nadel im Gehäuse

geblieben", sagte Ben weiter.

„Wie bei allen anderen die innerhalb der Grenze gestorben waren", warf Kai ein.

„Das heißt, wenn der Puls aufhört, zu schlagen wird der komplette Mechanismus deaktiviert?“, mutmaßte ich, wobei sich das Ende des Satzes als Frage darstellte.

„Genau so denke ich mir das.“, Ben nickte, „Wenn wir also den Pulsmesser deaktivieren könnten, hätten wir eine Chance darauf die Uhr gefahrlos abzunehmen.“

Ben sprang auf, ging in seinen Schlafbereich und kam mit seinem Handy wieder. „Ich weiß zwar nicht, ob sich das bei dieser Uhr noch lohnt, aber ich muss das einfach ausprobieren", erklärte Ben.

Er baute den Akku aus, legte sich die

Haarklammern zurecht. „Haben wir irgendwo Tesafilm?“, wollte Ben wissen. Wir alle schüttelten den Kopf, nur Silke suchte in ihrer Handtasche. „Ich hab Pflaster.“

„Das ist gut Schatz, gib her.“, er nahm die Pflaster entgegen und warf Silke einen Luftkuss zu. Mit den Pflastern fixierte er die Haarklammern am Akku, damit erzeugte er eine Überspannung am Pulsmessgerät.

Ein kleiner Funke stieß hervor, aber die Nadel war an Ort und Stelle geblieben. „Ich denke es hat geklappt, damit dürfte es gehen.“

„War das jetzt nicht überflüssig?“, wollte ich wissen, „Schließlich hast du an einer Uhr herum experimentiert die keinen Puls mehr wahrnahm. Es muss eine andere Lösung geben", fügte ich hinzu. Ich wandte mich Kai

zu, „Also noch einmal von vorne. Kai, die Uhren lassen sich nur dann öffnen, wenn kein Puls mehr gemessen werden kann, hab ich das richtig verstanden?“

„Ja. Wenn kein Puls da ist, kann ich das Band ohne Probleme öffnen. Da dann das Licht nicht mehr leuchtet. Solange das Licht leuchtet, bleibt sie verschlossen.“

„Dann brauchen wir doch nur einen Weg zu finden, wie wir den Puls für eine gewisse Zeit unterdrücken können und du machst die Uhr dann ab", mutmaßte ich weiter.

„Das stimmt. Und das dürfte ja ein Leichtes sein. Entweder mit einem Druckverband oder wir schauen, dass wir eine Münze oder so was zwischen Haut und Uhr geschoben bekommen", bestätigte Kai.

„Sehr gut, jetzt müssen wir uns nur noch überlegen wie wir hier weg kommen ohne das es auffällt", meinte ich.

„Dazu brauchen wir noch mehr Leichen", meinte Jonas.

„Wieso brauchen wir noch mehr Leichen?“, wollte Anna wissen.

„Wenn ein Signal an ihrem Bildschirm ausgeht, muss es eine Leiche geben. Und wenn es Leichen gibt, besteht eher die Chance, dass unser verschwinden nicht sofort auffällt. Also werden wir, nachdem wir die Uhren abgenommen haben, unsere Uhren den anderen Leichen ums Handgelenk legen", erklärte Jonas, „Oder wäre das ein Problem?“

„So lange wir die Uhren nicht brauchen ist das

kein Problem, immer wenn genug Leute sterben hol ich mir eine Leiche mit.“, Kai war ganz euphorisch.

„Was wir definitiv noch brauchen ist Verbandszeug, falls das mit den Münzen nicht klappt", meinte Ben.

„Dann lasst uns am besten zu den Häusern, am Wald gehen. Die haben wir ja schon ein paar Mal aufgesucht. Da werden ja wohl noch irgendwo Verbandsmaterialien zu finden sein", bemerkte Kai.

Jonas stimmte zu. Gleich machte er sich zum Aufbruch bereit. Er steckte sich ein Messer in seine Stiefel und legte sich eine Umhängetasche um, welche er vormals aus einem der Häuser entwendet hatte. Kai gab mir noch einen flüchtigen Kuss. „Ich bin bald

wieder da, Schatz.“ Daraufhin gingen die beiden zur Tür.

Wir anderen legten uns wieder schlafen. Nur Ben ging noch einmal kurz raus: „Ich geh schnell hinter die Baracke und vergrabe die Uhr.“ Er war wirklich nur fünf Minuten fort.

Der Weckton klang laut und schrill in meinen Ohren. Müde und benommen fühlte ich neben mich. Kai war nicht da. Ich schreckte auf und versuchte mich daran zu erinnern, was passiert war. Ach ja, Kai ist ja mit Jonas unterwegs; Materialien für unsere Flucht zu sammeln, fiel es mir wieder ein. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert, sie hätten schon längst zurück sein müssen, dachte ich besorgt.

Ich rappelte mich auf, trank etwas aus meiner

Wasserflasche. Anna, Ben und Silke kamen müde in den Gemeinschaftsbereich der Baracke getrottet. „Wo sind Kai und Jonas?“, gähnte Anna.

„Ich weiß nicht, sie müssten eigentlich längst wieder hier sein.“, die Besorgnis in meiner Stimme war für niemanden der Anwesenden zu überhören.

Meine Schwester nahm mich in den Arm. „Sie kommen sicher gleich", versuchte sie mich zu trösten.

Ich ging nach draußen vor die Baracke, um zu sehen, ob ich die Vermissten im Zwielicht des Morgengrauens entdecken konnte. Zuerst war nichts zu sehen. Ich atmete tief durch und füllte meine Lungen mit der kühlen Luft dieses Morgens. Als ich zwei Gestalten zwischen den

Baracken herumschleichen sah. „Mach mal die Tür auf, Schatz", keuchte Kai, der nun direkt auf mich zulief und völlig außer Atem war. Als er an mir vorbei ging, lag ein fröhliches Grinsen auf seinem Gesicht.

Kai legte erst einmal alles, was er in den Armen trug, achtlos auf den Tisch. „Was ist das? Und wo habt ihr das her?“, wollte ich wissen.

„Essen. Erzähl ich euch später, wir haben jetzt nicht mehr so viel Zeit", grinste Kai mich an.

„Lasst uns das alles am besten hinter dem rosa Duschvorhang verstecken, da hat niemand von uns sein Nachtlager, daher können wir das als Vorratsraum nutzen", schlug Jonas vor.

„Auf jeden Fall besser als es hier offen rum

stehen zu lassen", erwiderte Kai und nahm wieder einige von den Konserven, die er mitgebracht hatte. Ich half ihm, diese in unseren Vorratsraum zu bringen. Auch Jonas folgte uns hinter den Vorhang und begann die Dosen zu stapeln. Hühnersuppe, Erbsen-, Bohnen- und Linsensuppe, Ravioli, Chili con Carne. „Da war noch einiges mehr und alles noch haltbar.“, Kai kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus.

„Wahnsinn, endlich mal wieder was anderes…“, freuten sich Anna und Silke.

„Genau deswegen hab ich die Fischkonserven gar nicht erst mitgebracht", lachte Kai.

„Und womit sollen wir das Kochen, wenn ich fragen darf.“, meine Skepsis sorgte dafür,

dass ich Kais Freude noch nicht teilen konnte.

Jonas zog grinsend einen Esbitkocher, ein kleines dreibeiniges Gestell mit einer Halterung für Teelichter, aus seiner Umhängetasche. Er präsentierte uns die Teelichter und einen Topf. Jonas kramte weiter in seiner Tasche herum, dann holte er einen Dosenöffner hervor und legte diesen in den Topf. Kai griff in seine hinteren Hosentaschen und holte je sechs Löffel und Gabeln hervor. Echtes Besteck, kein selbst gebasteltes aus Holz, wie wir es vorher verwendet hatten.

Ben kam hinzu: „Habt ihr auch die anderen Sachen gefunden, die wir zur Flucht benötigen?“

„Aber sicher, alles hier drin.“, Jonas deutete in seine Tasche.

Schrill ertönte der Ton, der uns zur Arbeit rief. „Mist, jetzt müssen wir wieder ran. Seid ihr sicher, dass ihr Arbeiten könnt? Schatz, du hast noch gar nicht geschlafen.“, als ich das sagte, hörte ich mich an wie eine überfürsorgliche Mutter.

„Ja, ich kann arbeiten, bin nicht mal müde.“, entgegnete Kai.

5

Erst jetzt, in der Morgenröte, sah ich das ganze Ausmaß der Zerstörung, welches das Unwetter auf den Feldern hinterlassen hatte. Die selbst zusammengebauten Gewächszelte

waren vollkommen zerstört. Die Abdeckplanen, die auf den Feldern liegen sollten, waren vom Wind fortgerissen worden. Wir würden alles wieder neu aufbauen müssen. Die Ernte war teilweise zerstört.

Dieser Arbeitstag zog sich viel länger als die sonstigen, nicht nur, wegen dem Wiederaufbau, sondern auch, weil ich unbedingt wissen wollte, was genau passiert war, dass es mir einen so fröhlichen Ehemann bescherte. Die Neugier trieb mich an. Vielleicht hat er etwas gefunden das uns die Flucht erleichtert, mutmaßte ich gedanklich, während ich meinem Tagewerk nachging. Ich sinnierte über diverse Möglichkeiten, die es geben, könnte von hier fortzukommen, dabei spielte es keine Rolle, ob es im Rahmen des

Möglichen lag oder nicht. Die Gedanken sorgten dafür, dass sich meine Laune hob, so konnte ich mich jetzt auch darüber freuen, dass es heute Abend mal wieder etwas anderes zu Essen gab. Mich würde zwar kein Gala-Dinner erwarten, aber ich hatte hier lernen müssen, dass es gerade die Kleinigkeiten waren, die das Leben besonders machten.

Allerdings störten mich jetzt die immerwährend auf mir liegenden Blicke des großen Mächtigen umso mehr. Ständig musste ich mich darauf konzentrieren, meine Freude zurückzuhalten. Schließlich sollte er keinerlei Verdacht schöpfen. Nicht mal jetzt, wo ich tatsächlich einen Grund zur Freude gehabt hatte, konnte ich sie ausleben. Und

das nur, weil ich seinerseits unter permanenter Beobachtung stand. Aber auch das würde bald vorbei sein.

Endlich Feierabend. Wie gewöhnlich holte ich meine Ration Fisch ab und ging schnellstmöglich zu unserer Baracke. Als ich dort ankam, bereitete Jonas des Esbitkocher vor. Ich legte den Fisch auf den Tisch und zog meinen Überpulllover aus, setzte mich an den Tisch und begann meinen Fisch zu entgräten. Nun kamen Anna und Silke in unsere Hütte, auch sie hatten ihre Rationen Fisch dabei. Ich nahm sie ihnen ab, wo ich einmal dabei war, den Fisch vorzubereiten, konnte ich ihre Rationen auch gleich mitmachen.

„Ha! Steht doch", hörte ich Jonas neben mir sagen. Scheinbar hatte er tatsächlich einen

Weg gefunden, uns eine vernünftige Kochstelle zu bauen. Er zündete einige Esbitstäbchen an, die den handelsüblichen Grillanzündern ähnelten.

„Ich würde sagen, dass es heute Fisch in Bohnensuppe gibt", schlug ich vor und schnitt den Fisch in kleine Stücke.

Alle bisher Anwesenden waren einverstanden. Anna holte die Löffel und zwei Dosen Bohnensuppe aus unserem Vorratsraum. Sie öffnete diese mit dem Dosenöffner, den Jonas mitgebracht hatte.

„Wo bleiben Ben und Kai?“, wollte Silke wissen.

„Die werden schon noch kommen.“, völlige Ruhe und Gelassenheit steckte in Jonas Stimme.

Ich schmiss den Fisch in den Topf um ihn schon mal etwas anzubraten, ehe ich die zwei Dosen Suppe darüber schüttete. Und gleich stieg mir ein Geruch in die Nase, der mich ein klein wenig an Mutters hausgemachte Suppen erinnerte. Es gab mir ein winziges Gefühl von Geborgenheit und Heimat. Ausgerechnet in dem Ort, in dem ich aufgewachsen war. Anna schien es genau so zu gehen, denn ich sah wie in ihrem Augenwinkel eine kleine Träne, im Schein des Feuers, glitzerte.

Die Tür ging auf. Endlich kamen auch Kai und Ben nach Hause. Beide grinsten bis über beide Ohren. „Seht mal was wir euch noch mitgebracht haben", sagte Ben. Es waren sechs bunte Frühstücksschalen, jede in einer anderen Farbe. „Die können wir als Teller

nutzen. Was anderes gab es leider nicht mehr", fügte Kai hinzu.

„Auf jeden Fall besser als die kleinen Sperrholzbretter", lachte ich.

Kai verteilte die Frühstücksschalen. „Ach ja hier, das brauchen wir auch noch.“, Ben griff nach hinten unter seinen Pullover und holte eine Suppenkelle hervor.

Die Stimmung war wirklich auf einem ungeahnten Höhepunkt angelangt. Es hatte fast etwas von den Grillpartys, an denen ich früher immer teilgenommen hatte. Fast schon unbeschwert und frei.

Während Silke jedem von uns etwas Suppe in die Schalen füllte, konnte ich es nicht mehr aushalten. „Was hast du denn nun entdeckt, Schatz?“, fragte ich ungeduldig.

„Lass uns erst mal Essen, danach erzähl ich euch alles.“, erwiderte Kai. Wieso musste er es immer so spannend machen? Ich wartete nun doch schon lange genug auf die ersehnten Auskünfte. Doch Kai ließ sich nicht erweichen und bestand darauf zuerst zu essen.

Gemeinsam saßen wir am Tisch, jeder von uns hatte ein Funkeln in den Augen. Nie hatte mir ein Konservenprodukt so gut geschmeckt wie in diesem Augenblick. Die heiße Suppe lief meinen Hals hinunter, wärmte mich von innen und spendete mir neue Energie. Neue Hoffnung. Dies war wahrlich ein Zeichen dafür, dass es nun endlich bergauf gehen würde. Wir ließen keinen Rest übrig, schleckten sogar die Schalen aus - nur um

den Genuss unseres ersten richtigen Essens seit Jahren, noch so lang wie möglich auskosten zu können.

Satt und zufrieden räumten wir die Schalen weg. Endlich begann Kai zu erzählen. Wir anderen hörten andächtig zu, verschwendeten nicht einen Gedanken daran Kai zu unterbrechen.

„Als Jonas und ich auf der Suche nach Werkzeug und anderen nützlichen Dingen waren, ging ich in dem großen Haus, ganz links von hier aus gesehen, in den Keller, in der Hoffnung dort etwas Brauchbares zu finden. Als ich dort versehentlich ein paar Kisten umstieß, wurde eine Tür sichtbar, sie war groß und schwer. Zu schwer als dass ich sie alleine aufstemmen konnte. Gerade als

ich nach Jonas rufen wollte, damit er mir half, sah ich unter dem Müll der umgestürzten Kisten einen Schlüssel liegen. Er passte und die Tür ließ sich leichter öffnen, als ich zunächst gedacht hatte. Ich ging in den Raum, der sich mir eröffnete. Es war ein versteckter Panik-Raum oder so etwas in der Art, vollgestopft mit Konserven und Wasserflaschen. Da können wir noch locker von Leben, bis wir alles für die Flucht zusammen haben. Ich ging weiter in den Raum hinein. Da waren noch Schlafsäcke, und am anderen Ende des Raumes eine weitere Tür. Dahinter war ein Tunnel, der Richtung Wald führt, würde ich sagen. Ich ging, soweit ich konnte. Bis das Warnsignal ertönte, waren es leider nur ein paar Schritte,

aber der Tunnel schien noch viel weiter raus zu gehen. Raus aus dem sicheren Bereich. Raus in die Freiheit. Als ich wieder zurück in den Keller ging rief ich nach Jonas um ihm meine Entdeckung zu zeigen. Dabei sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir durch diesen Tunnel fliehen werden.“, Kai beendete seine Erzählung.

Nach all der Zeit hatte ich nicht mehr geglaubt, dass das Schicksal mir wohl gesonnen sein könnte, doch all das hörte sich an, als wäre dieser Ausweg genau für uns bestimmt gewesen. Als ob es sagen würde: wenn nicht jetzt wann dann!

„Das klingt sehr gut, wenn der Tunnel irgendwo im Wald endet, können wir im Schutz des Waldes weiter in die Stadt laufen", sagte

ich.

„Genau so haben wir uns das auch gedacht. Wir bräuchten nur jemanden der sich hier in den Wäldern auskennt", stellte Jonas fest.

„Anna und ich kennen uns hier gut aus. Wir haben unsere Kindheit hier in dem Dorf verbracht. Von daher gibt es kein Problem", sagte ich gleich mit schnellen Worten.

„Wie sollen wir hier verschwinden? Ich meine alle gemeinsam oder in Gruppen?“, fragte Ben.

„Am besten wäre es in Gruppen, dann fällt es weniger auf, aber darüber sollten wir uns später Gedanken machen, wir haben schließlich erst eine Leiche", antwortete ich Ben.

Wir saßen alle noch ein klein wenig

zusammen und sinnierten über unseren Fluchtplan, bis die Müdigkeit uns übermannte. Selig und voller Vorfreude auf das Kommende schlief ich in Kais Armen ein.

Der Wiederaufbau war immer noch nicht ganz abgeschlossen. Zu meinem persönlichen Bedauern musste ich mit Dominik arbeiten. Wieder belästigte er mich mit der Tatsache, dass der Große ein gewisses Interesse an mir hatte. Und ich fragte mich, wann er endlich damit aufhören würde mir nahe zu legen ein wenig freundlich zu dem Außerirdischen zu sein. Doch das Thema, welches er danach anschlug, war noch unangenehmer. „Bei euch hat es gestern Abend aber lecker gerochen, wo habt ihr denn jetzt noch etwas zu Essen

gefunden?“, fragte er mit einem verächtlichen Grinsen.

„Da war noch eine Dose in dem Haus da drüben.“, da ich nicht mehr leugnen konnte, dass es bei uns etwas anderes zu Essen gab als üblich, konnte ich wenigstens seine Fährte ablenken, indem ich auf ein anderes Haus am anderen Ende des Waldes zeigte. Sofort rieb ich mir den Bauch. „Die war aber schon abgelaufen. War wohl noch aus dem Zweiten Weltkrieg oder so. Mir war danach richtig übel.“

Sein Blick war unergründlich. Ich konnte nicht annähernd daraus lesen, ob er mir glaubte oder nicht. Aber immerhin hatte ich es versucht. Immer wieder löcherte er mich mit fragen, immer in der Hoffnung ich könnte mich

verraten. Doch ich hielt mich so kurz wie möglich und an meine Geschichte.

Als endlich der Feierabendton erklang, holte ich mir meine Nahrungsration und ging ohne jeglichen Umweg zur Baracke. Anna wollte gerade zwei Dosen Ravioli in den Topf kippen, als ich rein kam. „Nein!“, rief ich ihr zu.

„Warum nicht?“, fragte sie perplex.

Jetzt kamen auch die anderen. „Wie? Gibts heute nichts zu essen?“, fragte Ben.

„Wir sollten von heute an kalt Essen", sagte ich kurz und begann den anderen von Dominiks Neugier zu berichten.

„Ach, der Arsch kann von mir aus als Nächstes verrecken.“, Kai klang richtig wütend, als er das sagte. Ich konnte den Grund mir denken. Dominik war hinterhältig

und könnte uns noch richtig gefährlich werden. Wir mussten unbedingt darauf achten, dass er sich von uns fernhielt.

Es vergingen einige lange Tage ohne einen einzigen Toten. Nicht dass uns der Tod unserer Kameraden nicht Leid getan hätte. Wir trauerten um jeden Einzelnen, der uns auf diese Weise verlassen musste. Aber wir waren auch dankbar, denn mit jedem Verstorbenen würde unsere Flucht näher rücken. Der Gedanke daran, kam mir irgendwie krank und egoistisch vor. Moral und Ethik ließen ein schlechtes Gewissen in mir aufwallen. Wie üblich gewann das Teufelchen auf meiner rechten Schulter, welches mir nur allzu leicht einreden konnte, das ich zu allererst nach meinem Leben schauen sollte.

Auch wenn das Engelchen von links immer wieder in meine Gedankenwelt einbrach.

Silke hatte Recht behalten. Durch die menschlichen Verluste, die wir durch den Sturm erlitten hatten, mussten wir noch härter und schneller arbeiten. Der einzige Trost, an jedem der so harten Tage war, dass wir am Abend etwas anderes zu Essen hatten als den ständigen Fisch. Diese andere Ernährung, auch wenn wir sie kalt essen mussten, machte sich bei mir gleich bemerkbar. Ich spürte regelrecht, wie meine Kräfte wieder anstiegen.

Genau diese konnte ich auch gebrauchen als Greta mich eines Abends, kurz vor Feierabend, beiseite nahm und mich um Hilfe bat. Ich sollte mit ihr zusammen einen Wagen

zum Raumschiff der Mächtigen schieben. Der Wagen war schwer, es war eine riesige Kiste darauf, sehr gut verschlossen. Ich hätte gerne gewusst, was darin war. „Entschuldige, die ist für dich sicher auch noch zu schwer", keuchte Greta, als sie sah, dass auch ich nach Luft schnappen musste. „Kein Problem, wir schaffen das schon.“, meine Worte kamen mir nur abgehackt über die Lippen. Ich hätte gerne noch eine dritte Person um Hilfe gebeten, aber ausgerechnet jetzt war niemand mehr in der Nähe. Es wäre kein Problem gewesen, den Wagen alleine zu den Mächtigen zu bringen, wenn es hier einen geteerten Weg gegeben hätte. Aber wir mussten diesen Karren über das matschige, unebene Feld schieben, um zum Raumschiff

zu gelangen. Wir brauchten gefühlt ungefähr eine Stunde für das, eigentlich, kurze Stück. Die Dämmerung musste über dem Wolkenfeld begonnen haben, denn es war schon sehr dunkel. Ich dachte an die anderen, die jetzt bereits am Tisch saßen und sich unser Dosenfutter schmecken ließen. Aber jetzt hatten wir es endlich geschafft. Wir waren im Raumschiff.

„Wurde aber auch Zeit, dass ihr kommt!“; fuhr uns einer der Mächtigen an. Greta ging sofort in die Knie und zog mich mit runter.

„Steht auf! Hier!“, der Mächtige drückte uns wirsch eine Flasche Wasser in die Hand. Ich öffnete diese gleich und trank sie mit wenigen Zügen leer. Aus dem Augenwinkel, sah ich wie Greta bereits ging. Nun stand ich allein, in

dem Raumschiff, um mich herum die Mächtigen, aber das war mir egal. Ich sah mich mit schnellen Blicken um, während ich bewusst langsam die Flasche wieder verschloss und sie in die Kiste zu meiner linken stellte. Alles um mich war metallisch, kalt, steril und voll mit technischem Schnickschnack von dem Ben wohl Träumen würde. Auf einem großen Bildschirm blinkten Lichter in den verschiedensten Farben. Wieder spürte ich die Blicke des Großen auf mir ruhen. Ich sah auf, wollte mich gerade umdrehen und gehen, doch ich war unfähig mich zu bewegen. Der Große kam direkt auf mich zu. Mit seiner großen Hand berührte er meine Wange. Seine Hand zitterte leicht, während er sie unter mein Kinn führte, um

mein Gesicht anzuheben, damit ich ihm ins Gesicht sehen musste. „Sie mich an", flüsterte er fast. Was wollte er denn nun schon wieder? Starr und kalt sah er mir in meine Augen; ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Würden sich meine Befürchtungen nun bestätigen oder versuchte er mich zu Hypnotisieren, damit ich nicht zu viele schmerzen hatte, wenn er sich auf mich stürzte wie die Schlange auf seine Beute? Stille lag in dem ganzen Raum, sie war erdrückend, also nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte leise: „Darf ich bitte noch eine Flasche Wasser haben.“ Damit tat ich etwas, was sich niemand sonst gewagt hätte. Ich hatte den großen Mächtigen um etwas für mich gebeten. Ich erwartete eine

Strafe; ich glaubte jeden Moment unter Schmerzen zusammenzusinken. Doch ich hörte nur ein lautes Zischeln, das ich nicht genau zu definieren wusste. Im ersten Moment hätte ich es für ein Lachen gehalten. Nach einer kleinen Geste seitens des Großen begannen auch die anderen Außerirdischen zu zischeln, was sich in meinen Ohren wie Gelächter anhörte.

„Du darfst noch etwas zu trinken haben, wenn du mir eine Frage beantwortest. Was macht ihr nachts?“

Oh nein, hatten sie etwa unser treiben bemerkt? Wussten sie, das wir im Begriff waren zu fliehen? „Was genau meinen sie?“, fragte ich dabei versuchte die Unsicherheit in meiner Stimme zu verbergen.

„Was macht ihr nachts, ihr Männchen und Weibchen. Irgendetwas müsst ihr doch gemeinsam tun, um eure Rasse zu sichern.“

Zuerst überlegte ich, was genau er damit meinen könnte. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sie brauchten Sklavennachschub. Es hatten über sechs Milliarden Menschen auf diesem Planeten gelebt. Sollten sie tatsächlich schon alle ausgerottet sein?

„Dir scheint der Durst vergangen zu sein, oder warum antwortest du mir nicht.“

„Verzeiht, ich suche nur nach den richtigen Worten", antwortete ich schnell.

„Schwing keine Reden, beantworte einfach nur meine Frage!“, befahl er.

„Naja, wir machen Sex.“

„Sex? Was ist das? Erzähl mir mehr darüber.“

Super, jetzt kann ich hier auch noch Aufklärungsarbeit leisten, dachte ich bei mir; war ich doch froh gewesen, das mir derartige Fragen, mangels eigener Kinder erspart geblieben waren.

„Wir Männer und Frauen sind biologisch so gebaut, dass wir ineinander passen. Der Mann produziert in seinem Hodensack Samenzellen mit unserer genetischen Struktur und mit Hilfe seines Penis' spritzt er die Samenzellen in das Loch der Frau. Wenn alles zeitlich passt, befruchtet er damit die Eizelle der Frau und sie lässt in ihrer Gebärmutter ein Kind heranwachsen. Nach neun Monaten kommt es unter Schmerzen heraus...“

„Ach, das will ich gar nicht wissen. Wie geht der Sex?“, er wirkte ungeduldig.

„Der Mann steckt seinen Stab in das Loch der Frau!“, antwortete ich nun leicht genervt. „Dabei kommt man sich ganz nah und hält sich fest in den Armen, damit alles genau zusammenpasst", fügte ich hinzu, als der Große mich weiter verständnislos ansah. Doch jetzt schien er es verstanden zu haben, so hoffte ich. Erneut begann er wieder etwas zu zischeln; wandte sich dabei an seine Untergebenen. Dieses Zischeln klang unangenehm in meinen Ohren und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich wieder gehen zu können.

„Gut, jetzt kannst du deine Flasche Wasser haben.“

Ich bedankte mich für seine unendliche Güte, nahm mir die gewährte Flasche und ging; immer noch verstört von den Geräuschen, die ich soeben vernommen hatte und den Kopf voll mit Mutmaßungen darüber, was hier noch geschehen würde.

Auf dem Weg zur Baracke kam Kai mir entgegen. Er lächelte mich an und zeigte mir einige Uhren. Also hatte es endlich wieder einige Tote gegeben. „Ich komme gleich nach", flüsterte Kai mir im Vorbeigehen zu.

Es dauerte eine Weile, bis Kai kam. Er war leichenblass und kalter Schweiß lag ihm auf der Stirn. Er war gerade die Tür rein gekommen, als er sich wieder umdrehte und nach draußen rannte. Ich nahm die Flasche Wasser, die ich soeben zusätzlich erhalten

hatte, und ging Kai hinterher. Er übergab sich in das karge Skelett eines Gebüschs gegenüber der Baracke. Ich reichte ihm die Flasche Wasser, damit er sich den Mund damit ausspülen konnte.

„Was ist passiert?“, fragte ich Kai besorgt.

„Erzähle ich dir gleich", keuchte er, während wir langsam wieder zu unserer Hütte gingen.

Als wir uns an den Tisch setzten, brachte Anna uns kalte Chili con Carne. Kai aß recht wenig, scheinbar war ihn wirklich etwas auf den Magen geschlagen. Als ich ihn nochmals darum bat endlich zu erzählen, was der Grund für seine Übelkeit war, lehnte er sich auf dem klapprigen Stuhl zurück und begann zu erzählen: „Ich hatte heute wieder Leichendienst. Bei dieser Gelegenheit sah ich

auch noch mal nach unserer Frauenleiche. Sie ist nicht mehr zu gebrauchen, total verwest und aufgeschwemmt, widerlich. Bei diesen Witterungen sollten wir keine Leiche länger als zwei Tage liegen lassen.“

„Und deswegen ist dir so schlecht?“, unterbrach ich Kai.

„Nein, das kommt später. Jedenfalls hatte ich bemerkt, dass Dominik mir gefolgt war, er hatte alles gesehen.“

„Und jetzt? Der wird uns noch verraten", entfuhr es Ben.

„Darum hab ich mich schon gekümmert.“, Kai zögerte eine Weile, „Ich hoffe, ihr werdet mich dafür nicht verurteilen. Aber ich konnte dieses Risiko nicht eingehen, daher traf ihn rein zufällig ein großer schwerer Ast am

Hinterkopf. Ich nahm seine Uhr und verbuddelte ihn. Jetzt wird er doch noch zu etwas nutze sein.“, obwohl er die Worte ‚rein zufällig mit einem sarkastischen Unterton versehen hatte und sein letzter Satz wenig mit Reue zu tun hatte, konnte ich in seinen Augen lesen, dass er ein schlechtes Gewissen anlässlich seiner Tat verspürte. Ich schloss meinen Mann in die Arme und versicherte ihm, dass ich immer noch voll hinter ihm stand und er sich von mir nie ein Wort des Vorwurfes anhören müsste. Dies war der Anstoß für die anderen, Kai ebenfalls ihr weiteres wohlwollen und vertrauen auszusprechen.

„Du hast es nur getan um uns alle zu schützen. Wer dich dafür verurteilt, bekommt

es mit mir zu tun", meinte Anna.

„Wo kein Kläger, da kein Richter", fügte Jonas hinzu und klopfte Kai auf die Schulter.

Kai war fast zu Tränen gerührt, als er weiter erzählte: „Gerade als ich die Uhren zu den Mächtigen gebracht hatte, geriet ich in einen Aufruhr. Irgendetwas war bei ihnen los. Einer von ihnen musste einen Streit mit dem Boss angefangen haben. Ich konnte leider nicht verstehen, worum es ging. Sie zischelten wie Schlangen, das muss wohl ihre Sprache sein. Ich war neugierig und blieb draußen vor der Tür stehen. Ich beobachtete im Dunkeln, durch einen Türspalt, von ihnen unbemerkt, was vor sich ging. Der Große packte sich einen von seinen Leuten, zischelte ihm irgendetwas zu. Auch wenn ich nichts von

dem Verstand was er sagte, konnte ich den Befehlston genau heraushören. Der Untergebene änderte seine Gestalt. Sie sind Schlangen oder etwas Ähnliches. Die Haut, schuppig, glänzend. Der Kopf einer Schlange. Der Oberkörper, der eines Menschen mit den Oberarmen eines Bodybuilders, jedoch reptilienartig schuppig, fast schon wie eine undurchdringliche Rüstung. Dort wo bei uns die Beine anfangen, waren sie wieder wie Schlangen. Allerdings kroch er nicht am Boden, sondern stand irgendwie aufrecht, in etwa genau so groß, wie in seiner Menschengestalt. Dort wo bei uns die Füße sind, lief sein Schlangenkörper weiter nach hinten aus, wie ein Schwanz, noch mal fast genau so lang wie der restliche Körper.“

Wir anderen hörten interessiert zu. Nie vorher hatte jemand von uns die Mächtigen so privat gesehen.

„Es ist wirklich schwer für mich, zu beschreiben was ich gesehen habe aber eines ist mir sofort ins Auge gesprungen. Die Schlange hatte dort, wo sich bei uns Männern der Adamsapfel befindet, ein leuchtend gelbes Geschwür. Es schien sogar leicht zu pulsieren und war etwas kleiner als ein Adamsapfel. Es sah eher wie ein viel zu groß geratener Eiterpickel aus. …“

Silke und Anna verzogen ihr Gesicht bei der Vorstellung an einen so großen Pickel am Hals.

„… Der Große sah seinen verwandelten Untergebenen an, dieser konnte sich nicht

mehr rühren. Während der Große ein leuchtendes Messer oder so etwas Ähnliches zückte, zischelte er etwas an die Zuschauer gewandt. Dann stach er mit dem Messer zu, genau in diesen Pickel hinein. Daraus quoll eine dicke, schleimige, gelb-transparente Flüssigkeit. Kurz darauf stieg mir ein fruchtbarer Gestank in die Nase.“

„Ist ja ekelhaft.“, Anna verzog bei der Vorstellung an das, was Kai gesehen hatte, das Gesicht zu einer angewiderten Fratze. Kai sah mich an. „Davon wurde mir so übel.“ Die bloße Erinnerung an das Gerochene löste einen weiteren Würgereiz bei Kai aus, den er aber wieder unter Kontrolle brachte und weiter erzählte: „Die Schlange brach zusammen, schnappte nach Luft. Er schien

an seiner eigenen Körperflüssigkeit zu ertrinken. Ein qualvoller aber doch recht schneller Tod. Jedenfalls wissen wir jetzt, wo sie verwundbar sind, sollten wir ihnen bei unserer Flucht, in ihrer ursprünglichen Form begegnen.“, mit diesen Worten beendete Kai seine Erzählung.

„Allerdings. Das ist eine sehr wichtige Information, die wir mit Sicherheit in Zukunft nutzen können. Es scheint ja gerade alles zu unseren Gunsten zu laufen", meinte Jonas, „Aber was jetzt erst mal noch wichtiger ist: Du sagtest, wir können die Leichen nicht lange aufbewahren. Das heißt, wir müssen definitiv einzeln oder höchstens zu zweit verschwinden", wechselte Jonas das Thema.

„Genau. Ich schätze, zwei Tage sind das

höchste der Gefühle", antwortete Kai.

„Gut wir haben also eine männliche Leiche, dann sollte auch ein Mann morgen gehen", schlug Ben vor.

„Also wer wagt es als Erstes?“, fragte Anna.

„Kai muss als Letzter gehen, wegen dem Leichendienst, und er hat eine Frau, genau wie Ben. Als einziger männlicher Single hier werde ich das Versuchskaninchen spielen", beantwortete Jonas Annas Frage.

„Wenn es klappt, wovon ich ausgehe, wo willst du hingehen?“, wollte ich wissen.

„Ich denke, ich werde mich mal umsehen, schauen, was ich noch so Nützliches finden kann. Und denjenigen die mir folgen schon mal ein sicheres Lager bereiten, bis der Letzte fliehen kann", antwortete Jonas.

„Aber wie halten wir den Kontakt zueinander?“, brachte Silke sich in das Gespräch ein.

„Da hast du recht, dazu sollten wir uns noch etwas zu überlegen", meinte Kai.

Wir sinnierten gerade über diverse Kommunikationsmöglichkeiten, als die Barackentür laut aufschlug. Innerhalb von Sekunden sah ich meine Freunde bewusstlos zu Boden fallen. Nur ich stand wie gelähmt daneben. Einer der Mächtigen kam auf mich zu und hob mich über die Schulter. Ich konnte mich nicht wehren, ich konnte nicht mal schreien. Er brachte mich in ihr Raumschiff, das neben der hohen Säule, das Zentrum des Lagers war. Er sperrte mich in einen Raum, der mehr oder weniger Ähnlichkeit mit einem

Schlafzimmer hatte.


6

Der Raum war recht steril, in der Mitte des Raumes war ein Schlaflager, bestehend aus einigen Fellen, von Tieren, die ich nicht kannte. Zu meiner Linken stand eine Kommode; auf ihr ein Gefäß etwa so groß wie ein Waschbecken.

Die Tür öffnete sich, unwillkürlich stellte ich mich in Abwehrhaltung, wie ich es beim Training gelernt hatte. Greta kam hinein. „Oh du bist es, bitte hilf mir", flehte ich sie an. Doch Greta reagierte nicht. Sie wirkte nicht wie sie selbst, sie war leer und ausdruckslos, wie eine Puppe geleitet von den Fäden an der Hand des Puppenspielers. Sie trug einen

Kanister mit Wasser; sie füllte das Wasser in das waschbeckenähnliche Gefäß. Daneben legte sie einen Schwamm, den sie aus ihrer Jackentasche zog. „Hiermit kannst du dich frisch machen.“, ihre Stimme klang monoton, als wäre es nicht die ihre. Sie verließ den Raum. Ich sprang ihr hinterher, doch die Tür war bereits wieder verschlossen. Nein, nein, nein, nicht jetzt, schoss es mir durch den Kopf. Hatten sie uns belauscht? Wofür sollte ich mich frisch machen? Für ein Verhör, bei dem sie mich dazu zwangen unsere Fluchtpläne offen zu legen?

Mir stieg ein betörender Duft in die Nase. Er kam aus dem Wasserbecken. Ich versuchte, dem zu widerstehen doch dieser Geruch lähmte meinen freien Willen, zwang mich dazu

mich meiner Kleidung zu entledigen, den Schwamm mit dem Wasser zu tränken und ihn über meinen Körper gleiten zu lassen. Ich genoss es, mich noch einmal so richtig waschen zu können; mit etwas Pech würde es das letzte Mal sein, ehe sie mich zu Tode foltern würden. Und was war nun mit Kai, Anna und den anderen? Waren sie schon Tod? Würde nur ich alle Folter ertragen müssen? Schmerzliche Gedanken fuhren mir durch den Kopf, bei denen ich mich fragte, ob es sich überhaupt lohnte, unseren Fluchtplan preiszugeben. Wenn Kai und die anderen bereits tot waren; welchen Grund zum Weiterleben hätte ich dann noch? Keinen! Von mir würden sie kein Sterbenswörtchen erfahren.  

Die Tür öffnete sich erneut. Ich erschrak, als ich den Großen vor mir stehen sah. Ein Schreck, der mich aus dem Bann des Duftwassers wieder in die Wirklichkeit zurückholte. Unwillkürlich ging ich in die Knie, doch diesmal nicht um Unterwürfigkeit zu beweisen, sondern um meine Blöße zu bedecken. Er griff mir unter das Kinn und zwang mich dazu ihn anzusehen. „Sieh mir in die Augen", sagte er scharf. Wieder legte ich allen Hass in diesen Blick und versuchte mich dabei auf den Moment zu konzentrieren, auf meine Abscheu, nur um die Gedanken an die bevorstehende Flucht zu verbergen. Sein Blick war durchdringend, ich versuchte ihm standzuhalten.

Er zog mich nach oben. Nun betrachtete er

mich in meiner ganzen Nacktheit. Er ging um mich herum, beäugte mich von oben bis unten. „Du bist etwas dünner geworden, seit ich dich das letzte Mal so gesehen habe. Immer wieder sehe ich deinen zufriedenen Ausdruck in den Augen, wenn dein Partner dich auf diese primitive Art der Vereinigung gezähmt hatte, die sich heute als Sex herausstellte. Immer wieder hast du mich mit diesem Funkeln in den Augen angesehen und gelacht. Dein Partner strahlte vor Zufriedenheit, mit dem was er erreicht hatte.“

„Ich habe euch nicht angesehen. Ich wusste ja nicht mal das ihr da …“, begann ich mit vor Angst zitternder stimme.

„Schweig.“

„… seid", verschluckte ich tonlos. Nicht fähig

auch nur einen Ton von mir zu geben.

„Heute wirst du mich zufrieden machen, und diese qualvollen Gelüste, die dieser menschliche Körper mit sich bringt, befriedigen. Zu lange habe ich dem standgehalten. Doch so langsam habe ich das Gefühl, dass dieses Gehänge an meinem Körper platzt. Jetzt, da ich weiß, wie das bei euch Menschlein funktioniert, werde ich mich nicht länger quälen.“

Jetzt war ich mir gewiss, dass mir keine Gefahr mehr durch Folterung, wegen des Fluchtplans drohte; eher, dass mir etwas anderes blühte. Etwas, das ich nicht für möglich gehalten hatte. Dominik hatte Recht behalten. Der Große wollte etwas von mir; damals schon. Doch dessen war er sich, bis

zu unserm Aufklärungsgespräch am Abend, selbst noch nicht wirklich bewusst gewesen. Er hatte Kai und mich beobachtet, wusste aber noch nichts damit anzufangen; hatte nur gesehen, dass es uns spaß machte. Seit heute wusste er es zu benennen. Vielleicht erinnerte ihn die ganze Prozedur an die Fortpflanzungsmethode seiner eigenen Rasse. Nur so konnte ich mir angesichts dieser Situation erklären, warum er mich nach der Sicherung unserer Rasse gefragt hatte. Kurz leuchtete Erleichterung in mir auf. Wir Menschen waren noch nicht ausgerottet.

Er riss mich aus meinen Gedankengängen und deutete auf die Mitte seines Körpers. Unter der Lederhose zeichnete sich ein riesiges Genital ab.

Er beugte sich zu mir hinunter, mit seiner langen, dünnen, gespaltenen Zuge, gleich der einer Schlange, versuchte er mein Gesicht zu erreichen. „Nein!!!“ Ich wich zurück, holte zum Schlag aus. Doch er packte meine Arme und drückte diese hinter meinen Rücken. Er zog mich an sich ran. Ich war wehrlos. Er hob mich etwa einen Meter hoch, so dass er mir ins Gesicht schauen konnte. Ich strampelte mit den Beinen, versuchte ihn gegen seinen Unterleib zu treten, doch meine Beine wurden schlaff. „Du willst spielen, kleines Miezekätzchen. Du wirst schreien vor Lust und am Ende wirst du mich mit demselben zufriedenen Blick ansehen, wie deinen Partner", zischte er drohend.

Er ließ mich wieder runter, da ich noch kein

Gefühl in meinen Beinen hatte, fiel ich hinterrücks zu Boden. Er öffnete seinen Gürtel und zog ihn von der Hose, er hielt diesen fest wie ein Dompteur seine Peitsche. Ich spürte meine Beine wieder, versuchte mich wieder aufzurappeln, doch er packte mich gleich wieder und schubste mich unsanft auf das Schlaflager. Sofort war er über mir, seine Hände wühlten überall an meinem Körper. Er ließ all seinen Trieben freien Lauf, seine Lippen auf meinem Hals, meinem Busen meinem Bauch. Er tat all das, was er bei Kai und mir schon vor langer Zeit beobachtet hatte. Aller widerstand war sinnlos. Nun widmete er sich meinem Schatzkästchen. Bei meinem Mann wäre ich spätestens jetzt schwach geworden. Aber das hier war so

anekelnd, dass ich nur noch weg wollte. Doch wie sollte ich das anstellen, mir blieb nichts anderes übrig als das Spiel mitzuspielen. Ich versuchte an die leidenschaftlichste Liebesnacht mit Kai zu denken und begann ihm Lust vorzuspielen. Er ließ kurz von mir ab. „Na siehst du, zahmes Kätzchen, geht doch", sagte er mit einem belustigten Grinsen im Gesicht. Ich rang mir ein zufriedenes Lächeln ab. Er zog sein T-Shirt aus. Als er es gerade über seinen Kopf zog, verpasste ich ihm einen Tritt ins Gesicht und rappelte mich auf Richtung Ausgang. Es war mir egal, dass ich keine Kleidung trug, ich wollte jetzt einfach nur weg. Er fluchte etwas vor sich hin. Ich lief zur Tür, blickte nicht zurück. Noch ehe ich die Tür erreichte, packte er mich wieder von

hinten und presste mich gegen die Wand. „Du bist echt ein kleines gerissenes Wildkätzchen, genau so liebe ich das. Aber jetzt muss ich dich erst einmal bestrafen“, flüsterte er mir ins Ohr.

Während er mich ohne jeglichen Kraftaufwand gegen die Wand drückte, merkte ich, wie er sich mit der anderen Hand die Hose etwas runter zog. Jetzt konnte ich nichts mehr machen und musste mich diesem Schicksal ergeben. Als er mit einem Ruck in mich hinein stieß, schrie ich auf vor Schmerz, ich glaubte, mir würde alles aufreißen. Er hatte Recht behalten. Ich schrie, nicht vor Lust aber vor Qualen, als er mit seinem Prügel meinen Unterleib malträtierte. Jeder seiner ausladenden Stöße trieb mir die

Tränen in die Augen. Wie lange er sich an mir verging, konnte ich nicht sagen. Mein Geist errichtete eine Mauer, die alle Gedanken und unbeantworteten Fragen, nach dem Warum, abschirmen sollte. Wenn ich schon dazu gezwungen war, die körperlichen Schmerzen zu ertragen, so sollte wenigsten Gleichmut meine Seele vor der endgültigen Zerstörung bewahren. Mein Unterleib betäubt von den Schmerzen, keinerlei Kraft mehr zur Gegenwehr, spürte ich nur noch, wie ich zu Boden glitt. „Du hättest es zärtlicher haben können", sagte er mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht. Er beugte sich zu mir herunter, sah mir erneut eindringlich in die Augen. „Beim nächsten Mal wirst du zahmer sein, kleine Wildkatze.“, er lachte lauthals,

während ich in die erlösende Tiefe der Bewusstlosigkeit sank.

Als ich erwachte, lag ich auf dem Boden meiner Baracke. Ich spürte meine Kleidung auf meiner Haut, aber meine Muskeln waren zu schwach, als dass ich hätte aufstehen können. Dumpf erinnerte ich mich an das, was vor der Dunkelheit passiert war, und fragte mich, ob das nur ein böser Traum gewesen war, doch der Schmerz in meinem Unterleib erinnerte mich an die bittere Realität. Ich blieb noch eine Weile liegen und beobachtete Kai, der neben mir auf dem Boden lag. Was sollte ich ihm sagen, falls er wieder aufwachte. Er würde ausrasten, doch ich hatte keine Wahl. Ich musste es ihnen sagen. Schon allein, damit das mit der Flucht

weiter voranging. Mehr denn je wünschte ich mir, dass andere Menschen starben.

Ich hatte das Gefühl, es würde ewig dauern, bis das die anderen aufwachten, und zweifelte noch mehr daran, dass sie überhaupt wieder erwachen würden. Die Mauer um meinen Geist war zertrümmert. Es machte mich wahnsinnig allein mit meinen Gedanken; mit meinen Erinnerungen, zu sein und ich fühlte mich schmutzig. Beschmutzt von einem Dreck, der sich nicht so leicht wegwaschen ließ wie der Staub und Matsch draußen von den Feldern. Er hatte nicht nur Spuren auf meinem Körper hinterlassen, sondern auch in meiner Seele. Dieser seelische Schmerz ließ den körperlichen noch um ein vielfaches ansteigen. Meine Seele brannte, es dürstete

ihr nach Rache und mein Verstand potenzierte allen Schmerz, allen Hass, in dem er mir klar machte, dass meine Situation ausweglos war. Verzweiflung stieg in mir auf und ich begann zu weinen. In der Hoffnung mit meinen Tränen würde auch das Vergangene ungeschehen, ließ ich alles raus. Tausende von Tränen hatten meine Wangen berührt doch die gewünschte Leere kam nicht. Erst als ich die Hand meiner Schwester auf meiner Schulter spürte, die versuchte mich zu trösten, konnte ich auch in Worte fassen, was mich so bewegte.

Nun kam auch Silke hinzu, sie gab mir Wasser. Unter Schluchzen erzählte ich den beiden, was geschehen war. Mit den Worten trat auch langsam die Leere in meine Seele

und ich konnte mich ein wenig beruhigen. Sie waren schockiert, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Schweigend nahmen sie mich in die Arme. Sie wollten mir Geborgenheit und Halt geben, doch im Moment fühlte ich nichts außer dem Schmerz im Unterleib.

Wir hörten, wie auch langsam die Männer aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachten. „Ich kümmere mich um sie", sagte Silke. Ich wollte auch aufstehen. Breitbeinig humpelnd schleppte ich mich auf meine Matratze. Allerdings ließ ich den Duschvorhang offen, damit ich sah, was vor sich ging. Zwar suchte ich nach Ruhe, aber alleine wollte ich auch nicht sein.

Noch ehe die Männer wieder richtig auf den Beinen waren, fragten sie sich natürlich, was

passiert war; was der Grund für das Eindringen der Mächtigen gewesen war. Bens erste Vermutung lag darin, dass sie über unseren Fluchtplan bescheid wussten.

„Ich“, flüsterte ich.

„Was sagst du?“, fragte Kai und kam gleich zu mir rüber. Er blickte mich besorgt an. Nie hatte er mich als ein Häufchen Elend zusammengekauert in einer Ecke sitzen sehen.

„Der Grund für ihren Überfall war ich", wiederholte ich.

Nun kamen auch die anderen in mein Schlafzimmer. „Was meinst du?“, Kai sah mich verständnislos an. Ich versuchte noch einmal, das Geschehene über meine Lippen zu bringen. Doch als mir weitere Tränen in die

Augen schossen, übernahm Anna das Wort: „Sie wurde von dem Großen brutal vergewaltigt.“

Kais Gesichtszüge entgleisten. Er stand auf und schlug so fest gegen die, recht instabile, Wand der Baracke, dass sie darunter erbebte. Jonas und Ben waren fassungslos.

„Du musst so schnell wie möglich weg von hier. Die nächste Leiche, die ich hole ist für dich.“, Kai war innerlich richtig aufgewühlt. Ich konnte mir vorstellen was er jetzt am liebsten tun würde. Auch wenn ich gerne dasselbe getan hätte, wäre dies ein fataler Fehler gewesen, der uns mehr als unsere Freiheit kosten würde.

„Das wird nicht möglich sein", warf Jonas ein, ehe ich antworten konnte.

„Warum nicht?“, fuhr Kai Jonas an.

„Der Große hat sich scheinbar auf Ami geprägt oder so etwas Ähnliches. Wer weiß, ob er sie nicht in Zukunft noch öfter zu sich holen will. Dadurch besteht die Gefahr, dass er selbst nach ihrer Leiche sucht, wenn ihre Uhr deaktiviert wurde.“, erklärte Jonas ruhig.

Obwohl ich daneben saß, redeten sie als wäre ich nicht da. Es reichte mir schon, dass der Große so extrem in mein Leben - in meine Freiheit, in meinen freien Willen - eingegriffen hatte, in dem er mich nicht nur als Sklave hielt, sondern auch für seine persönlichen Begierden benutzt hatte. Jetzt musste ich auch noch zuhören wie sich Kai und Jonas darüber unterhielten, wie mein Leben weiter zu gehen hatte. Das passte mir überhaupt

nicht, aber ich kam gar nicht zu Wort.

„Dann nehme ich eben eine Leiche, die Ami ähnlich sieht, und wenn ich dafür wieder einen Mord begehen muss", gab Kai immer noch aufgebracht zurück.

„Wie viele Frauen hier sehen Ami ähnlich und dennoch ist sie die Einzige, die eine dermaßen starke Wirkung auf ihn hat. Würdest du ihm eine andere Frau vorsetzen, würde er es vermutlich bemerken. Wenn sie jetzt schon stirbt und es nicht ihre Leiche ist, die er findet, wird er wissen, dass etwas nicht stimmt. Das bedeutet, dass du und deine Schwägerin, Ben und Silke in Lebensgefahr schweben", gab Jonas weiterhin ruhig zu bedenken.

Irgendwie fühlte ich mich auf der einen Seite

schuldig, unsern Plan zu erschweren, doch andererseits dachte ich mir: Was kann ich denn bitte dafür! Doch letztendlich hatte Dominik recht behalten, ich sollte mich opfern zum Wohl meines Mannes und meiner Freunde.

Nun endlich kam ich zu Wort: „Das heißt ich werde als Letztes gehen müssen und bis dahin alle Qualen ohne ein Wort über mich ergehen lassen.“

„Ich sehe keine andere Möglichkeit.“, Jonas sah Kai bei diesen Worten eindringlich an.

„Nein, ich lasse dich nicht allein zurück und ich werde nicht zulassen, dass er dir noch einmal so etwas antut", sagte Kai in einem angestrengt ruhigen Ton.

„Ich fürchte, du wirst das zulassen müssen.

Genau wie ich auch. Aber du wirst mich nicht allein zurücklassen. Wir beide werden gemeinsam unseren Tod vortäuschen, sobald die anderen in Sicherheit sind.“, auch wenn es mich komplett zerstören würde, ich am Ende wahrscheinlich nur noch ein Schatten meiner selbst sein würde, konnte ich nicht zulassen das den anderen, vor allem Kai, etwas zustieß. So schwer es mir fiel, jetzt musste ich stark sein. Dies würde die wohl härteste Prüfung meines Lebens werden.



7

Das Einschlafen viel mir schwer, immer wieder sah ich den Großen vor mir, spürte den Schmerz, den er verursacht hatte. Und

irgendwann wurde ich von dem Weckton aus meiner Starre gerissen, wie nach einer Hypnose. Jetzt musste ich wieder ich sein, vollkommen wach, schließlich sollte er nicht sehen, dass er mich fast gebrochen hatte.

Am Tisch fragte mich jeder, wie es mir ginge, ob ich noch schmerzen hätte und ob ich nicht lieber in der Baracke bleiben wollte. Doch genau dies widerstrebte mir. Was sollte ich denn tun, wenn er mich hier aufsuchen würde und mich noch einmal nehmen würde? Ich war mir ziemlich sicher, dass mir auf den Feldern weniger Gefahr drohte.

Pünktlich zum zweiten Signalton erschienen wir an der Säule, diesmal war auch der Große da. Als er mich so gequält dahin schleichen sah, verzog er seine Lippen so, dass es

einem Grinsen ähnelte. Ich sah, wie Kai einen Schritt schneller und geradewegs auf den Großen zuging. Ich konnte mir vorstellen, dass er sich am liebsten jetzt sofort auf den Außerirdischen gestürzt und getötet hätte. Auch Jonas hatte das bemerkt und hielt ihn zurück. Was genau er Kai sagte, konnte ich nicht hören. Doch es schien Kai etwas zu besänftigen. Seine Zeit für Vergeltung würde kommen.

Einer der anderen Mächtigen teilte die Sklaven ein, nur noch Greta und ich standen als Letztes da. „Wir bekommen heute eine Fuhre neue Sklaven, ihr beiden werdet sie einweisen", sagte der Große. Er wandte sich an mich. „So werde ich dich heute Nacht besser gebrauchen können", flüsterte er mir,

immer noch grinsend zu. Er drehte sich um und ging. „Wir sollten zur Scheune gehen“, sagte Greta. Langsam folgte ich ihr. „Wieso hast du mir letzte Nacht nicht geholfen?“, fragte ich sie direkt.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“, sie sah mich verwirrt an.

„Na, von gestern Nacht, als ich Schlafzimmer des Großen eingesperrt war und du mir Wasser und einen Schwamm gebracht hast.“, natürlich erinnerte ich mich daran, dass sie überaus abwesend wirkte. Ich wollte einfach nur wissen, ob sie mitbekommen hatte, was da geschehen war, oder ob sie tatsächlich nur eine Puppe gewesen war.

Sie reichte mir ihre Hand, sah mir tief in die Augen. Eine Träne lief ihre Wange hinab.

Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde wurde mir klar, dass Greta ein ähnliches Schicksal ereilt haben musste. „War es auch der Große?“, fragte ich leise. Sie schüttelte den Kopf. Dann musste es einer der anderen gewesen sein, oder gar mehrere. Ich setzte eine weitere Frage an, doch sie wehrte sogleich ab. „Ich möchte nicht darüber sprechen.“ Mittlerweile glaubte ich, dass nicht das Alter, sondern die Taten der Außerirdischen, für ihr Aussehen verantwortlich waren. Ein unglaublicher Hass und Ekel gegenüber den Mächtigen stieg in mir auf, viel stärker als ich ihn bisher verspürt hatte. Im nächsten Moment verstand ich, warum sie mir nicht geholfen hatte. Sie war gebrochen, nur noch eine leere Hülle, ohne

jedes Gefühl, ohne jede Hoffnung, innerlich tot nur noch darauf wartend, dass auch ihr Körper endlich starb, aber zu feige dem Selbst ein Ende zu setzen. Andererseits war sie vielleicht insgeheim sogar froh darüber, dass ich nun ihr Schicksal teilen musste. Es war in einer stillschweigenden Vereinbarung, in der wir uns versprachen, kein Wort mehr darüber zu verlieren. Für mich entschied ich, dass die Zeit der Flucht so schnell wie möglich kommen sollte. Ich wollte nicht so Enden wie Greta.

Seit meiner Ankunft hier war ich nicht mehr in der Scheune gewesen. Die kleinen Fenster waren mittlerweile eingeschlagen, ich vermutete, dass dies noch Schäden von dem

Hagelsturm waren. „Jetzt heißt es erst mal warten“, erklärte Greta. Doch im selben Moment kam ein großes, silbrig glänzendes, futuristisches Gefährt um die Ecke. Es hatte scheinbar die Funktion eines LKW, allerdings schwebte es über dem Boden. Ich kannte dieses Gerät, mit so einem Gefährt wurden täglich unsere Fischrationen gebracht und auch die Kiste, die mein Unglück besiegelt hatte.

Zwei Mächtige stiegen aus. Einer von ihnen winkte uns zu sich. „Da drin sind zweiunddreißig Neuankömmlinge aus anderen Lagern, während wir ihre Sicherheitssysteme umstellen, schafft ihr die zusätzlichen acht Bewusstlosen in die Scheune.“

Wir kletterten in den LKW, um die

Bewusstlosen in die Scheune zu schleppen. Die anderen zweiunddreißig Neuen wirkten irgendwie benommen. Saßen mit gesenktem Kopf dort und sahen nicht auf, scheinbar waren sie in körperliche Starre versetzt worden. In der rechten Ecke des LKW stand eine Kiste, sie war gefüllt mit Waffen aller Art, Gewehre, Handfeuerwaffen, Messer und sogar Handgranaten lagen darin. „Die haben sie von den Bewusstlosen", flüsterte Greta mir zu, als sie meinen Blick auf die Waffenkiste bemerkt hatte.

„Woher weißt du das?“, fragte ich völlig erstaunt. Doch sie winkte ab und sagte: „Erfahrung.“

Am Boden lagen vier Männer, die ich zwischen dreißig und vierzig Jahren tippen

würde. Ein junge, der wohl gerade erst das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte und drei Frauen, deren Alter ich auch so zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig schätzen würde. Aber keiner von ihnen kam mir auf den ersten Blick, von damals, bekannt vor. Greta und ich schleppten gemeinsam einen Bewusstlosen. Den scheinbar Schwersten nahmen wir uns zuerst vor. Ich packte die Arme, Greta die Beine.

Nach den ersten Dreien hatte mich meine Kraft schon deutlich verlassen. Den Vierten schleiften wir mehr über den Boden, als das wir ihn trugen. „Jetzt beeilt euch aber mal. Wir haben nicht den ganzen Tag zeit", fuhr uns einer der Mächtigen an. Jetzt waren nur noch die drei Frauen und der Teenager übrig.

Greta und ich nahmen jeweils eine der Personen in den Erste-Hilfe-Griff und schleiften diese so in die Scheune. Damals, im Erste-Hilfe-Kurs, hatte ich gesagt bekommen, dass sogar ich, mit diesem Griff, eine weit schwerere Person von der Gefahrenstelle wegziehen könnte. Nun, da ich diesen Griff tatsächlich einmal anwenden musste, kam mir das gar nicht so leicht vor. Im Gegenteil, die zierliche Frau, kam mir schwerer vor als der dicke Mann, den wir als Erstes fortgeschleppt hatten. Das konnte aber auch daran liegen, dass ich am Ende meiner Kräfte war.  

Als wir gerade die letzten beiden Bewusstlosen in die Scheune gebracht hatten, rief einer der Mächtigen uns zu sich.

Er drückte Greta eine Liste in die Hand. „Du weißt ja, was du zu tun hast.“ Sie ging zu dem LKW der Außerirdischen. Scheinbar sollte sie sich um die benommenen Neuankömmlinge kümmern. Ich stand noch da und wartete auf meine Anweisungen. Ich beobachtete, wie der weisungsbefugte Mächtige seinem Begleiter etwas zu zischelte. Es wäre nichts Besonderes gewesen, hätte ich nicht plötzlich in meiner Sprache die Worte, „… die kleine Hure vom Captain …“ gehört. Seine Mimik hatte sich während der Worte nicht verändert. Es war, als wäre nichts geschehen. Ich war mir nicht sicher, ob er dies wirklich bewusst so gesagt hatte, dass ich es verstehen konnte. Es war mir ein Rätsel.

Kurz darauf kam er auf mich zu. „Du holst jetzt

noch die Wasserkisten aus dem Transporter und danach bleibst du hier um die Neulinge zu versorgen!“, befahl er mir, während der zweite Mächtige an mir vorbei schlenderte und zusammen mit Greta und den anderen neuen Sklaven Richtung Säule verschwand.

Als ich die Wasserkisten in die Scheune geschleppt hatte, versuchte ich natürlich einen Blick auf das zu ergattern, was der Mächtige da tat. Doch das Einzige, was ich sehen konnte, war, dass er ihnen die Uhren anlegte und ein kleines Gerät, ähnlich einem wissenschaftlichen Taschenrechner daran angeschlossen hatte. Er zischelte irgendetwas vor sich hin. Obwohl ich diesmal ganz deutlich hörte, dass er zischelte, verstand ich, was er sagte. In meinem Kopf

wurde seine Sprache in meine umgewandelt, so schien es mir. Er murmelte so etwas wie: „Mist Ding. Muss mal wieder aufgeladen werden.“ Aber es hörte sich immer noch irgendwie dumpf an, nicht real, so als ob ich es durch eine Muschel hören würde.

Ich setzte mich vor die Wasserkästen, presste meine Hand gegen meine Stirn, die mit einem Mal unglaublich kribbelte. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, ob ich noch etwas verstand, wenn er etwas sagen würde. Doch er gab den Rest der Zeit keinen Laut von sich, weder einen menschlichen noch einen in seiner Sprache. Irgendwann ging er ohne ein Wort.

Nun saß ich alleine in der Scheune, dem Ort

an dem mein Albtraum begonnen hatte. Was geschieht mit mir? Wieso kann ich sie verstehen? Nicht nur diese Fragen, auch Bilder, an die ich mich nicht mehr erinnern wollte, stiegen in mir auf. Es vergingen Stunden. Stunden, in denen ich nutzlos herumsaß und versuchte an etwas Anderes zu denken als an das, was sich mir aufdrängte. Lieber wäre ich auf den Feldern gewesen, als hier zu sitzen, ganz alleine mit mir selbst. Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen, in dem Glauben er würde kommen. Ich redete mir ein, dass er mich bewusst von den anderen isolierte, nur um noch einmal in die klaffende Wunde zu stoßen, die er hinterlassen hatte.

Noch immer rührte sich keiner der acht

Bewusstlosen. Ich ging zu ihnen rüber um sie mir noch mal genauer anzuschauen, um zu sehen, ob ich einen von ihnen, von damals, kannte. Aber nichts. Ich sah mir den Jungen an, den ich für sechzehn getippt hatte. Ich dachte an mich, wie frei und ungezwungen ich in seinem Alter gewesen war. Diskotheken, Partys ohne Ende, all das würde er niemals kennen lernen. Mein Blick viel auf ihre Kleidung. Sie wirkten in ihrer Outdoorkleidung, mit den Springerstiefeln fast militärisch. Wenn die Waffen in dem LKW wirklich ihre gewesen waren, dann mussten sie bis jetzt in Freiheit gelebt haben, schlussfolgerte ich. Ein Umstand, um den ich sie beneidete. Hatten sie doch die letzten drei Jahre in Freiheit leben können, aber immer

zum Kampf bereit, wenn ich bedachte, wie viele Waffen die Mächtigen ihnen weggenommen hatten. Dennoch hatten sie sich über die ganze Zeit gut vor der Schlangengrube schützen können. Wenngleich sie nun auch Gefangene waren, so gaben sie mir doch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass es auch hier in der Gegend noch freie Menschen und Gruppierungen gab. Zu gerne hätte ich in ihre Rucksäcke geschaut, doch in dem Moment, da ich jeden Respekt vor der Privatsphäre Anderer aufgegeben und die Neugier triumphiert hatte, regte sich eine der drei Frauen. Schnell holte ich eine Flasche Wasser und gab es ihr zu trinken. Als sie sich aufrichtete, schien sie noch völlig benebelt. Ich wusste, wie sie sich

fühlte, war ich selbst vor drei Jahren an ihrer Stelle gewesen.

„Wo bin ich?“, flüsterte sie.

„Du bist in einem Sklavenlager, der Außerirdischen, die unsere Erde überfallen haben", antwortete ich mit sanfter Stimme.

„Haben sie uns letztendlich doch in die Finger bekommen? So ein Mist.“. Sie sah sich um. „Warum sind die alle bewusstlos? Oder sind sie tot?“, wollte sie wissen.

„Sie sind bewusstlos, warum genau kann ich dir leider nicht sagen. Das hätte ich damals auch gerne gewusst. Woran erinnerst du dich?“, fragte ich. Sie dachte nach, versuchte sich an das, was vor dem Dunkel war zu erinnern. „Ich weiß nur noch, dass das Letzte was ich wahrgenommen hatte, ein hellgrüner

Blitz war.“

Sie raffte sich auf, krabbelte zu einem der Männer hinüber und schlug ihm fest gegen die Wangen. „Wach auf, Marcel, mach schon, wir müssen hier weg. Sie haben uns gefangen genommen.“, die Frau klang fast hysterisch.

„Das wird nichts nützen, ihr habt ein Sicherheitssystem an eurem Handgelenk.“, ich zeigte ihr meines. „Wenn es anfängt, zu piepsen und das rote LED leuchtet, kommt ihr nicht mehr sehr weit. Ihr kippt einfach um und seit tot.“

„Nein, nein, das kann nicht sein.“, sie brach in Tränen aus. Ich ging zu ihr, streichelte ihre Schulter um sie zu trösten. Mit der Zeit wachten auch die anderen auf und ich gab ihnen zu trinken. Als alle mehr oder weniger fit

waren, setzten wir uns zusammen und ich erzählte ihnen, was hier auf sie zukam. Sie waren bestürzt, aber auch neugierig. Dem Jungen war anzusehen, dass ihn etwas Anderes schwer bedrückte; dass er etwas bereute. „Nachdem ich euch jetzt alles erzählt habe, sagt mir, was gibt es aus der Welt da draußen zu berichten?“ Bereitwillig erzählten sie mir, was ihnen aufgefallen war, sie erzählten von kuriosen Wesen mit Schuppen, die auf vier Beinen liefen und Ähnlichkeit mit großen Hunden hatten. Sie erzählten davon, dass sie Menschen gesehen hatten, die sich bekämpften. Das hatte ich nicht erwartet. Daher wollte ich wissen, wo sie herkamen und ob es dort noch mehr Menschen gab und ob sie friedlich miteinander lebten.

„Wir kamen gerade aus Köln; wir suchten dort nach Nahrung oder anderen friedlichen Menschen. Allerdings ist von Köln nichts mehr übrig. Nur noch ein paar der äußeren Stadtteile. Der Stadtkern ist ein Loch, gefüllt mit dem Wasser des Rheins. Allerdings war unser Rückweg zu unserem Domizil nicht derselbe, den wir nach Köln gegangen waren. Dies und die freien Felder der Gegend wurden uns zum Verhängnis. Als wir die Feinde und ihr Gefährt sahen, hatten wir keine Möglichkeit mehr uns zu verstecken. In der Hoffnung, der Gefangenschaft zu entgehen und die Feinde zu töten, stellten wir uns ihnen entgegen und schossen; trafen jedoch nur das Fahrzeug. Sie kamen sehr schnell näher, während sich einer von ihnen

aus dem Fahrzeug heraus beugte; er zielte mit seiner Waffe auf uns; ein grünes Licht und dann kam die Dunkelheit.“, erklärte Marcel.

„Und wo …“, ich wurde von dem Erscheinen der Mächtigen unterbrochen, die gekommen waren, um ihre neuen Sklaven zu begutachten. Ich verbeugte mich tief, so dass ich den Großen nicht ansehen musste. Schmerzensschreie erfüllten die Scheune. Bevor sie mit der Durchsicht begannen, schickte der Große mich fort. Da Greta mit den Außerirdischen zurückgekommen war, würde sie Marcel und die anderen zu ihrem Quartier bringen.

Wenngleich ich mich gerne noch länger mit Marcel unterhalten hätte, war ich froh jetzt gehen zu können. Ich holte meine

Essensration, ehe ich mich in meine Baracke zurückzog. Zu weiteren Gesprächen würde sich noch Zeit finden lassen.

Ich wartete auf die anderen, doch es dauerte noch eine Weile, bis sie kommen würden, also flüchtete ich mich in eines der Bücher, die wir noch gebunkert hatten. Ich schreckte auf, als sich die Tür öffnete, und seufzte erleichtert, als ich sah, dass es Anna und Silke waren, die zur Tür herein kamen. „Wo sind die Männer?“, fragte ich, wo ich doch darauf brannte, ihnen allen zu erzählen, was ich Neues über die Außenwelt herausgefunden hatte. „Die suchen noch ein paar Häuser, nach einem Funkgerät oder etwas Ähnlichem ab", antwortete Silke. Doch bald darauf kamen auch Kai, Jonas und Ben in die

Baracke zurück, alle drei wirkten recht unzufrieden.

„Und habt ihr was gefunden?“, fragte Silke.

„Nein, leider nicht", antwortete Ben.

„Wir haben es jetzt so verabredet, dass wir uns jeden Tag nach Einbruch der Dunkelheit im Panik-Raum treffen, um uns über den neuesten Stand der Dinge auszutauschen, bis wir vollzählig sind", sagte Kai.

„Ich glaube, das ist eine gute Idee. Es besteht schließlich die Möglichkeit, dass sie auf unser Treiben aufmerksam werden, weil unser Funksignal ihre Signale stören könnte", gab ich zu bedenken.

„Das ist natürlich möglich, wieso hab ich nicht daran gedacht.“, Ben schüttelte den Kopf über seine eigene Gedankenlosigkeit.

„Ich hab euch übrigens noch etwas Wichtiges zu erzählen", begann ich, während wir uns ein paar Dosen öffneten und uns zum Essen an den Tisch versammelten. Natürlich waren alle neugierig und ich erzählte ihnen, was ich von Marcel und den anderen Neulingen über die Außenwelt erfahren hatte. Es war zwar nicht viel, aber immerhin konnte man sich einen Reim darauf machen, was da draußen, in der weiten Welt, vor sich ging.

Wir gingen in dieser Nacht gemeinsam zu dem Ort, an dem Jonas sterben sollte. Es hatte sich als Fehler herausgestellt, den anderen zu erzählen, dass der Große mit einer weiteren Liebesnacht gedroht hatte. Fortan war Ben dagegen, dass ich mit ihnen

gehen würde. Im Gegenteil, er war der Meinung, dass ich hier bleiben und auf meinen Peiniger warten solle. „Was ist, wenn er Ami ausgerechnet jetzt holen will? Dann schauen die doch bestimmt auf ihrer Überwachungsstation nach, um zu sehen wo sie ist. Dann werden sie uns folgen und sehen, dass Jonas flieht. Das wird unser Todesurteil sein.“, begründete Ben seinen Einwand. Kai war richtig sauer und musste sich zusammen reißen. „Ben, es ist jetzt weit nach Mitternacht. Soweit ich mich erinnere, kann jeder von uns hier herum laufen wo er will. Keiner von uns ist seiner Baracke gefangen auch Ami nicht. Wenn es dir lieber ist, erledigen wir das schnell und gehen dann auf dem Rückweg getrennte Wege.“,

antwortete Kai so ruhig es seine Gemütslage zuließ. Klar, Ben hatte gut reden, seine Frau, war ja nicht diejenige, die vergewaltigt worden war und Kai wollte mich nur vor weiteren Angriffen dieser Art schützen. Mir persönlich war es auch lieber, wenn ich nicht allein zurück bleiben musste.

Jonas war sehr nervös. Wenn unser Vorhaben nicht so funktionierte, wie es sollte, waren dies Jonas letzte Atemzüge, die er in diesem Leben tat. Kai trug Dominiks Leiche und legte sie ab. „Also, wenn du jetzt stirbst, wirst du erst morgen vom Leichendienst aufgesammelt. Es wird keine gesonderte Wache darauf aufmerksam. Mal abgesehen von meiner Frau, sind ihnen alle anderen Menschen egal.“, erklärte Kai. Ben schnaufte

verächtlich, immer wieder wandte er sich um, um zu sehen, ob einer der Außerirdischen kam, um mich zu holen. Derweil schob Jonas langsam eine Zwei-Euro-Münze zwischen das Uhrenziffernblatt und sein Handgelenk. Das Geldstück passte genau unter die Uhr. „Seht, das LED wird blasser.“, sagte Jonas. Kurze Zeit später war es komplett erloschen. „Das war ja einfach.“, grinste Ben. Jonas war seine Anspannung anzusehen, er hatte die Luft angehalten. Mit gewohnten Handbewegungen ergriff Kai das Armband der Uhr: „Merke dir die Punkte gut. So kannst du später Anna oder Silke die Uhren abnehmen, damit ich nicht immer in der Nähe eines Toten bin.“, meinte Kai kurz.

„Ach, glaubst du jetzt auf einmal doch, dass

sie unsere Standorte im Auge behalten?“, fragte Ben leicht provozierend.

„Nein, das nicht, aber sicher ist sicher. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich es tun. Wir können von Glück reden, dass sie nicht so clever sind, wie sie selbst glauben. Denn sonst würde unser Aufenthalt außerhalb der Baracke ja schon bestraft werden. Für meine Verhältnisse, lassen sie uns zu viele Freiheiten und das wird ihnen, so hoffe ich, irgendwann zum Verhängnis werden", antwortete Kai kühl, nun wandte er sich wieder an Jonas: „Hast du dir alle Punkte gemerkt, dann kann es jetzt losgehen.“

Jonas nickte und atmete tief durch. Kai drückte die Punkte an der Uhr, bis sie sich mit einem leisen Klicken öffnete. Jonas sah

erleichtert auf; er stand noch. Das war ein gutes Zeichen. Kai nahm Jonas die Uhr ab und legte sie sofort dem toten Dominik an.

„Keine Zeit für Abschiede. Lauf Jonas. Wir treffen uns morgen nach Sonnenuntergang im Panik-Raum. Mit etwas Glück können wir dir Anna dann schon mitgeben", sagte Kai und gab Jonas einen freundschaftlichen, leichten Klaps auf die Schulter. Wir anderen verabschiedeten uns schnell mit einem „Ciao.“ von Jonas. Er verschwand im Dunkel der Nacht und wir trennten uns. Silke und Ben wählten einen anderen Weg als Anna, Kai und ich zurück in die Baracke.




8

JONAS

Das ist es also, unser Tor zur Freiheit, dachte ich, als ich nach oben sah und die quadratische Falltüre betrachtete. Vor mir, an der Wand, am Ende des Ganges waren Tritte befestigt, die mich an die Abstiege in einem Kanal erinnerten.

Ich versuchte mir vor Augen zu rufen, was passiert war. Aber die Erinnerung war verschwommen, mehr intuitives Handeln als bewusstes Erleben hatte mich bis hier hergebracht. Seit Kai mir die Uhr abgenommen hatte, war ich einfach nur gelaufen, hatte die Tür des Panik-Raums geöffnet, mir die Sachen geschnappt, die wir bereitgelegt hatten, und war dem Tunnel bis

hierher gefolgt. Jetzt stand ich hier, meine Freiheit zum Greifen nah, und doch wagte ich es nicht, die Trittleiter zu besteigen und die Luke zu öffnen.

Was hatte Ami noch mal gesagt, ehe wir aufgebrochen waren, um mich sterben zu lassen?

„Wenn der Tunnel Richtung Westen verläuft, wie ihr sagt, dann müsstest du, wenn du ihn verlassen hast, nach rechts gehen. Da geht es zu einigen Häusern die am Waldrand liegen.“

„Woher weist du das?“, hatte ich sie gefragt.

„Wenn der Tunnel dort endet, wo ich es vermute …“, es war ihr deutlich anzusehen, dass sie in ihren Erinnerungen grub. „… und der Aufgang des Tunnels mit einer

quadratischen Metalltür verschlossen ist, müsstest du an der alten Burgruine herauskommen.“ Sie wandte sich an Anna: „Weißt du noch, wie wir als Kinder immer dort gespielt haben?“

Annas Gesicht erhellte sich: „Ja, aber wir haben nie herausgefunden, wofür die Luke war.“

„Scheint so als würden wir das jetzt herausfinden", sagte Ami mit einem Lächeln im Gesicht, dann wandte sie sich wieder an mich. „Jonas sei bitte vorsichtig, wenn du da draußen bist. Marcel hatte erzählt, dass sie so eine Art Wachhunde haben, die da draußen herumstreunen. Sie haben die Körperform von Hunden, aber anstatt mit Fell, ist ihr Körper mit kleinen Schuppen

überzogen.“

„Ich werde die Augen und Ohren offen halten.“

„Am besten schlägst du in einem der Häuser dein Lager auf, bewege dich nur nach Einbruch der Dunkelheit und ohne Taschenlampe. Diese Viecher sollen wohl eher tagsüber unterwegs sein. Suche alles Nützliche, was du finden kannst, Essen, Wasser, Waffen, Karten, Kompass. Versuch einfach alles in deine Tasche zu packen, was du auch in deinem Bundeswehr Equipment hattest. Es muss alles bereit sein, wenn Kai und ich als Letztes kommen, damit wir direkt weiter laufen können.“

„Natürlich, ich kümmere mich darum.“

„Die Außerirdischen sind da draußen nicht

unsere einzigen Feinde. Auf den Straßen herrscht Krieg, nicht nur, Menschen gegen Außerirdische. Unsereins hat wohl immer noch nicht gelernt, wie man richtig zusammenhält. Jeder, der da draußen noch lebt, kämpft für sich, anstatt sich als Gemeinschaft gegen den Feind aufzulehnen.“

Es war erstaunlich, wie die Zufälle, der letzten Tage, sich zu unseren Gunsten ausgewirkt hatten. Ich hatte erfahren, dass es noch einen freien Ort auf dieser Welt gibt, zu dem wir gehen konnten. Wir hatten es geschafft, mit den einfachsten Mitteln, das Sicherheitssystem auszuschalten. Kai hatte die wahre Gestalt der Außerirdischen gesehen dabei ihre Schwachstelle entdeckt

und den Tunnel gefunden. Ami hatte genug über die, uns schon fast unbekannte, Außenwelt herausgefunden. Ich bewunderte Ami dafür, dass sie angesichts der Tat, die an ihr begangen wurde, so stark war und jetzt das Zepter in die Hand nahm, wo sie vorher immer so ruhig gewesen war. Oder vielleicht lag es auch gerade daran. Ich konnte verstehen, dass sie jetzt, mehr denn je, aus dieser Hölle entfliehen wollte. Ich hoffte für sie und für die anderen, dass meine Flucht unentdeckt blieb, dass Ami nicht doch noch an dem zerbrechen würde, was geschehen war und dass Kai stark genug war, um damit leben zu können und sich nicht zu überstürzten Handlungen hinreißen ließ.

Ohne noch weiter darüber nachzudenken,

was mich da draußen erwarten könnte, stieg ich die Leiter hinauf, packte den Griff der Luke, drückte ihn nach links und nach rechts. Obwohl ich mich mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, dagegen stemmte, rührte sich nichts. Mist, das war wohl nix, das verfluchte Ding klemmt!, dachte ich wütend, doch das durfte mich jetzt nicht aus der Ruhe bringen. Ich stieg die Leiter wieder hinab, leuchtete noch mal mit der Taschenlampe die Luke aus und erkannte das Problem: Der Griff war vollkommen mit Dreck verkrustet. Ich kramte in meiner Tasche nach dem kleinsten Messer, das ich bei mir trug, kletterte wieder hinauf und versuchte den Dreck mit dem Messer abzuschaben. Dabei fielen mir größere Dreckklumpen ins Gesicht, kleinere

Staubkörner brannten in meinen Augen. Aber ich hörte nicht eher auf, bis sich der Griff endlich bewegen ließ.

Ich stieg erneut hinab um meine Augen mit etwas Wasser aus meinen Flaschen auszuwaschen, als ich hörte, wie etwas Kleines, Metallenes zu Boden fiel. Wieder leuchtete ich mit der Taschenlampe umher und direkt unter den Tritten der Leiter blinkte ein kleiner Schlüssel auf, der an einem Lederband befestigt war. Dich muss ich wohl bei meinem letzten Abstieg losgetreten haben. Du wirst mir sicher noch nützlich sein, dachte ich, als ich den Schlüssel aufhob und mir diesen, wie Heinz Bunkerschlüssel, um den Hals hing.

Langsam presste ich die schwere Luke nach oben, immer in der Hoffnung, dass es von jedem Lebewesen da draußen unbemerkt blieb. Vorsichtig blickte ich nach draußen, doch ich sah nichts, die Nacht war zu dunkel. Stufe für Stufe stieg ich nach oben, verharrte dabei auf jeder Einzelnen um mich erneut umzusehen, doch weiterhin sah ich nichts, außer dem schwarzen Kleid der Nacht, welches sich über den Wald gelegt hatte. Ich setzte mich auf den Rand des Abstiegs, gab meinen Augen Zeit sich an diese Dunkelheit zu gewöhnen, denn jetzt war die Taschenlampe absolut tabu. Zusätzlich schärfte ich mein Gehör, um jedes Geräusch um mich wahrnehmen zu können.

Langsam taten sich die Bäume vor mir auf,

noch dunkler als die Nacht, wie dämonische Schatten. Links vor mir konnte ich ein großes Mauerwerk erkennen. Das muss die Burg sein, von der Ami gesprochen hatte. Nachdem ich jetzt einigermaßen sehen konnte, tastete ich den Deckel der Luke nach einem Griff ab. Als ich endlich gefunden hatte, wonach ich suchte, kletterte ich noch einmal in den Tunnel hinab um meine Sachen zu holen. Wieder oben angelangt schloss ich die Luke und ging nach rechts, wie Ami gesagt hatte. Ich kam nur langsam voran. Ständig blickte ich mich um, sobald ich das Rascheln des Windes in den Blättern hörte oder, wenn ich glaubte, etwas gesehen zu haben. Immer wieder stolperte ich über irgendwelche Wurzeln, was mir meinen Weg

nicht erleichterte. Obwohl sich meine Augen nun an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, war der Wald immer noch dunkel. Ich befand mich mitten im nirgendwo, ohne einen Anhaltspunkt zu haben, wo ich genau war. Das Einzige, was ich wirklich sehen konnte, waren die blinkenden Lichter am Sendeturm des Lagers, rechts von mir. Ich war nicht so weit vom Lager weg, wie ich gehofft hatte. Das machte es für mich unmöglich mich tagsüber draußen aufzuhalten, schließlich bestand die Gefahr, dass sie am Rand des Lagers wache gingen und mich möglicherweise entdecken würden.

Auch wenn ich es nicht wirklich erkennen konnte, schien der Wald um mich lichter zu werden. Hoffentlich weiß ich morgen Abend

noch, wie ich zu der Luke komme, dachte ich besorgt. Endlich ein Haus, ich suchte nach dem Eingang. Als ich diesen gefunden hatte, brach ich das Schloss so leise wie möglich auf. Glücklicherweise hatte Anna mir noch eine Haarnadel mitgegeben. Drinnen war alles staubig, aber wenigstens stieg mir kein Verwesungsgeruch in die Nase, daher mutmaßte ich, dass die ehemaligen Eigentümer ebenfalls Sklaven geworden waren. Ich, an Stelle der Außerirdischen, hätte alle Dorfbewohner zu Sklaven gemacht, wenn ich mich so nah an einem Wohngebiet niederlasse.

Während ich mich durch die Zimmer tastete, ließ ich die Fenster-Rollos hinab, so konnte ich die Taschenlampe einschalten. Nach der

Möblierung, die unter der dicken Staubschicht zu erkennen war, schloss ich, dass dieses Haus einmal von älteren Menschen bewohnt worden war. Ich öffnete jede Tür, doch in allen Räumen das gleiche verstaubte Bild, bis ich eine Tür fand, hinter der sich eine Treppe hinab in den Keller verbarg. Langsam stieg ich die Steinstufen hinunter. Der Keller war geräumig. Es gab einen Vorratsraum mit Regalen voll mit Dosennahrung, Getränken, Kerzen, Batterien und Anderem. Eine Waschküche und einen weiteren Raum, der wohl als allgemeine Abstellkammer genutzt wurde. Darin standen einige ausrangierte Möbelstücke, die mit Bettlaken abgedeckt waren. Unter anderem etwas, das aussah wie ein Sofa. Eine etwa hüfthohe Kommode und

mehre Kisten.

In der Waschküche stand ein Besen. Ich nahm ihn mit in den großen Abstellraum und kehrte die Staubteppiche beiseite. Der Staub brannte in meinen Lungen und ständig musste ich husten. Ich nahm die Bettlaken von dem Sofa und stellte fest, dass dies auch, durch seine Ausziehfunktion als Schlafmöglichkeit nutzbar war. Ich ließ es gleich offen, damit ich mich später direkt hinlegen und schlafen konnte. Doch zunächst ging ich in den Vorratsraum und holte einige Kerzen, stellte diese auf die Kommode und zündete sie mit meinem Feuerzeug an. So hatte ich wenigstens in diesem Raum etwas Licht. Nun lag ich auf dem Sofa, hatte eines meiner Messer griffbereit neben mir liegen

und dachte darüber nach, dass ich jetzt zwar nicht mehr in Gefangenschaft war, mich aber dennoch nicht wirklich frei fühlte. Freiheit würde ich erst verspüren, wenn wir diese Wesen von unserem Planeten vertrieben hatten.

Ich wurde von trübem Tageslicht geweckt, das durch ein kleines Fenster direkt unter der Zimmerdecke hineinschien. Mist! Das hab ich gar nicht gesehen, hoffentlich ist das Kerzenlicht nicht aufgefallen. Sofort nahm ich mir eines der Sofakissen und stopfte es vor, das Fenster. Viel hatte ich nicht geschlafen, ständig war ich aufgeschreckt, weil ich glaubte, etwas gehört zu haben. Doch jetzt lohnte es sich auch nicht mehr, sich noch einmal hinzulegen. Mein Magen knurrte und

ich hatte noch viel zu tun. Ich ging in den Vorratsraum, um mir eine Dose zu nehmen, und stieg ins Erdgeschoss hinauf in die Küche, um nach einem Dosenöffner zu suchen. Ich zog die Rollos leicht hoch, so dass durch die Schlitze ein wenig Tageslicht hineinkam. In einer Küchenschublade fand ich endlich, was ich gesucht hatte. Ich öffnete die Dose, nahm mir einen Löffel und aß.

Für heute nahm ich mir vor, das ganze Haus nach nützlichen Gegenständen zu durchsuchen. Vorsichtig stieg ich die Stufen der Holztreppe nach oben. Das Holz knarrte und ächzte gefährlich unter meinen Füßen. Mir wehte ein kühler Wind entgegen und der Boden war nass, als ich aufsah, erkannte ich warum. Das Dach war zum Teil eingestürzt. Ich

konnte noch nicht mal alle Räume betreten, lediglich einen. Das Schlafzimmer war nicht betroffen gewesen und doch war jeder weitere Schritt eine Mutprobe. Zunächst hievte ich die Matratzen auf, ließ sie hochkant die Treppe hinunter rutschen und warf ich die Kissen und Decken ins Erdgeschoss. Im Kleiderschrank suchte ich nach weiteren Decken, dabei stellte ich fest, dass der damalige Eigentümer meine Kleidergröße hatte. Die Kleidung war zwar nicht ganz mein Stil, aber es wurde wirklich Zeit sie zu wechseln. Ich sah aus dem zerstörten Fenster hinaus. In direkter Umgebung standen noch zwei weitere Häuser, welche ich durch die Gärten erreichen konnte. Ich ging hinunter, um die Matratzen und die Decken in den

Keller zu schaffen und damit für die anderen ein Schlaflager zu errichten. Danach nahm ich mir die Kisten im Keller vor. Oh man, da hab ich ja einiges zu tun, dachte ich bei mir, als ich die ganzen Kisten genauer betrachtete. Sie waren hauptsächlich gefüllt mit überflüssigem Kleinkram wie Porzellanfiguren. Nichts Nützliches. Stundenlang durchsuchte ich die unzähligen Kisten, doch nichts. Langsam ödete mich das alles an und ich sehnte mich nach Gesellschaft. Es würde sicherlich mehr spaß machen, wenn noch jemand bei mir gewesen wäre. Als ich mir eine weitere Dose zu Essen öffnete, sah ich, dass die Dämmerung langsam eintrat, und entschied nach dem Essen wieder nach der Luke zu suchen.

Ich steckte mir zwei Messer und die Taschenlampe an den Gürtel. Vorsichtig öffnete die Tür und schlich hinaus. Es war noch nicht ganz dunkel, aber wenn ich die Luke sicher finden wollte, musste ich das restliche Tageslicht nutzen. Als ich sah, dass die Luft rein war, lief ich schnell nach rechts, robbte von Baum zu Baum, die Augen und Ohren immer offen, bis ich endlich die Burgruine sah. Ich kletterte auf einen Baum hinauf, beobachtete meine Umgebung genau. Nachdem ich alles überblickt hatte, sprang ich von dem Baum hinunter und rannte zu der Luke. Packte den Griff, doch er ließ sich nicht bewegen. Ich nahm den kleinen Schlüssel, den ich im Tunnel gefunden hatte, und steckte ihn in das Schlüsselloch auf dem Griff,

nachdem ich den Schlüssel umgedreht hatte, bewegte sich auch der Griff und ich konnte die Luke öffnen. Schnell stieg ich hinab und schloss den Deckel über mir. Unten im Tunnel schaltete ich die Taschenlampe ein und ging bis zum Panik-Raum. Dort wartete ich auf Nachricht von den anderen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen Kai und Anna in den Raum. Anna war außer Atem, aber sie lächelte. Kai hingegen wirkte gedrückt. Ich konnte mir vorstellen, was los war, zumal Ami nicht dabei war, um ihre Schwester zu verabschieden. Ich klopfte ihm auf die Schulter, versuchte ihn zu ermuntern, weiter durchzuhalten. Seine Frau hatte eindeutig das schlimmere Los gezogen.

Natürlich konnte ich mich nicht annähernd in Kai rein versetzten, ich wusste nicht was ich tun und denken würde, wenn ich an seiner Stelle wäre. Doch es war wichtig, für uns alle, dass er Ruhe bewahrte.

„Ben wird morgen mit Silke kommen, wir können die Leiche, die wir für Anna benutzt haben morgen noch einmal verwenden. Zumal ich sie versteckt habe und kein Anderer aus dem Leichendienst sie finden wird", sagte Kai gedrückt, „Ich komm dann morgen etwas später hierher.“

„Das ist gut, je schneller es geht, desto besser", sagte ich. Anna nahm Kai zum Abschied noch einmal in den Arm, ehe wir den Tunnel entlang zur Luke gingen.

„Es ist so befreiend, dieses Ding am Arm los

zu sein", sagte Anna mit einer Euphorie, wie ich sie bei ihr noch nie wahrgenommen hatte.

„Wie geht es Ami und Kai?“, das interessierte mich, nachdem ich Kai gesehen hatte, viel mehr.

„Ami gehts richtig schlecht. Als wir gestern wieder zur Baracke kamen, stand bereits einer der Mächtigen da. Mit relativ ungehaltenem Tonfall hatte er uns beschimpft und Ami gleich zum Raumschiff gezerrt. Heute früh kam Ami in die Baracke gekrochen und konnte sich nicht mal richtig rühren. Silke und ich hatten sie aufs Bett gelegt. Als ich ihr half die Hose auszuziehen, lief das Blut immer noch die Schenkel runter. Sie sagte, er habe sich drei oder vier Mal brutal an ihr vergangen und sie geschlagen, weil sie nicht

in der Baracke gewesen war und er deshalb auf sie warten musste.“

„Das tut mir so leid", erwiderte ich bestürzt, „Und Kai, was hat er getan?“

„Er war voll ausgerastet. Er hatte sich gleich eines der Messer geschnappt und wollte den Großen umbringen. Ben hatte alle Mühe Kai zurückzuhalten. Kai meinte nur, dass es ihm reiche, dass wir alle heute Abend verschwinden sollen. Wenn unsere Flucht später sowieso auffiele, könnten wir es auch gleich tun, war Kais Begründung.“

„Und was hat Ami gesagt?“

„Dass es nicht ginge, weil sie jetzt sowieso nicht laufen könne. Aber damit es schneller geht, benutzten wir meine Leiche für Silke noch einmal", erzählte Anna weiter.

„Nun, an sich ist sein Ansatz nicht verkehrt, ob es jetzt eine falsche oder gar keine Leiche von Ami gibt, macht eigentlich keinen Unterschied. Wenn sie fort ist, wird es dem Großen sowieso auffallen. Aber trotzdem sollten sie noch ein bis zwei Tage warten, zumindest bis Ami sich ein wenig erholen konnte. Ich werde es Ben morgen sagen, wenn er Silke bringt.“.

„Ich hoffe nur, dass Kai sich wieder einkriegt. Er schaut Ami ja nicht mal mehr an. Ich hab so Angst, dass das alles ihre Beziehung zerstören könnte. Sie sind doch so ein Dreamteam", sagte Anna traurig.

„Ich werde mit ihm reden, sobald ich die Gelegenheit dazu habe.“, ich nahm Anna in den Arm um sie zu trösten und dann waren

wir auch schon an der Luke angekommen. Ich öffnete sie wieder mit größter Vorsicht und sah mich erst mal um. Es war in der Dunkelheit nichts Gefährliches zu entdecken. Ich half Anna rauf, und nachdem ich die Luke wieder verschlossen hatte, gingen wir sofort los. Wir waren gemeinsam viel schneller an dem Haus, in dem ich mich eingenistet hatte. Sie führte mich noch einen anderen Weg entlang, als jenen, den ich gestern eingeschlagen hatte. Daran erkannte ich, dass sie wirklich lange hier gelebt hatte. „Wo habt ihr denn früher gewohnt?“, wollte ich wissen. „Weiter unten im Dorf, an der Hauptstraße, aber wir waren früher oft hier und haben gespielt. Wenn wir mit den Dorfjungs unterwegs waren, haben sie sich

mit Ästen bekämpft. Ami und ich waren Prinzessinnen, die von dem bösen Ritter entführt worden waren“, berichtete Anna in Erinnerungen schwelgend, „Das waren noch Zeiten, in denen wir Kinder noch mit Phantasie gespielt haben, nicht mit Konsolen oder Computern.“

Ich öffnete die Türe und ging gleich mit Anna in den Keller. Ich stellte wieder ein paar Kerzen auf die Kommode. „Wenn du müde bist, leg dich hin. Ich muss hier noch ein paar Kisten durchwühlen, hab bisher noch nichts Nützliches gefunden.“

„Nein, ich helfe dir.“

„Das ist lieb von dir. Ich werde mich morgen mal zu den Nachbarhäusern rüber schleichen, mal sehen, was ich da finden kann.“

„Ja, mach du nur", sagte sie, während sie sich eine Kiste schnappte und mir beim suchen half. Sie erzählte von ihrer Kindheit hier in dem Dorf und ich hörte aufmerksam zu. Es war, um einiges angenehmer jetzt wieder Gesellschaft zu haben. Nachdem wir drei Jahre auf engstem Raum miteinander gelebt hatten, waren mir die Stunden allein, wie eine Ewigkeit vorgekommen. Es war fast eine Qual gewesen, obwohl ich es doch eigentlich, von früher, gewohnt war, alleine zu sein.

„Hab eine Kiste mit altem Werkzeug gefunden. Meinst du, wir könnten davon etwas gebrauchen?“, fragte Anna.

„Im Moment wäre eine Heckenschere nicht schlecht. Damit ich mich durch die Hecken im Garten zu dem andren Haus kämpfen kann.“

Wir suchten weiter. „Da ist ja eine", sagte Anna und gab mir die Schere.

„Ah, und ich habe hier ein schönes Taschenmesser gefunden", sagte ich, während ich es Anna zeigte. „Kannst du haben", fügte ich hinzu. Sie nahm es an sich. „Danke. Aber kannst du das nicht besser gebrauchen?“

„Ich hab genug Messer. Das Militärmesser, fünf Wurfmesser, zwei Kampfdolche und noch ein kleines Klappmesser. Das reicht mir erstmal.“

„Ein Militäresser hatte mein Vater auch mal, das hatte im Griff sogar einen Kompass.“, erzählte Anna.

Anna untersuchte ihr neues Taschenmesser, es schien zwar nicht viele Funktionen zu

haben, Messer, Säge, Flaschenöffner, Dosenöffner Nagelfeile, Zahnstocher und Korkenzieher, aber für das zierliche Persönchen, das neben mir am Boden saß, völlig ausreichend.

„Waren in der Messersammlung aus dem anderen Haus, welches wir als Sklaven erreichen konnten, nicht noch mehr Militärmesser drin?“, wollte Anna wissen.

„Ja, noch zwei. Ich hatte eins Kai und eins Ben gegeben.“

„Ach so.“, sie blickte enttäuscht drein, für mich sah es so aus, als wollte sie auch eines haben.

Die Kerzen begannen zu erlöschen. Anna und ich legten uns auf die Schlaflager und redeten noch ein wenig. Da wir nun zu zweit

waren, hätte einer von uns Wache halten sollen, doch gerade, als ich das vorschlagen wollte, war Anna auch schon eingeschlafen. Ich selbst legte mein Messer neben mich um es für den Notfall bereit zu haben. Ich versuchte mich so lange wie möglich wach zu halten, indem ich meinen Kopf mit allerhand Gedanken füllte. Allerdings brachte das nicht viel, die Müdigkeit hatte meinen inneren Zweikampf gewonnen. Gegen meinen Willen schlief ich ein.

Als wir aufwachten frühstückten Anna und ich zunächst einmal. „Wenn du nachher in den anderen Häusern bist, durchsuche ich hier oben die Schränke. Was brauchen wir?“

„Nach ganz oben brauchst du nicht zu gehen, da ist nur noch das Schlafzimmer begehbar,

aber da ist nichts Besonderes drin. Im Erdgeschoss kannst du dich austoben.“

„Gut, aber worauf soll ich achten?“

„Kompass, Fernglas, Atlanten, Rucksäcke. Eure Handtaschen werden euch nur stören.“

„Na gut, ich schau mal, was ich hier oben noch alles finden kann", sagte Anna und begann sämtliche Schränke im Wohnzimmer zu durchwühlen.

„Wenn du etwas hörst, verbarrikadier dich im Keller. Ich lass dir das Militärmesser da, ich nehme die Kampfdolche mit.“, mit den Worten ging ich noch mal in den Keller hinab. Ich klemmte mir die beiden Dolche zwischen Gürtel und Hose und nahm die Heckenschere mit nach oben. Durch die Terrassentür ging ich in den Garten hinaus.

Mühselig kämpfte ich mich mit der Heckenschere durch das Gestrüpp. Die harten, kleinen Äste und Dornen zerrissen meine Kleidung; zerkratzten mein Gesicht und die Hände.

Natürlich hatte ich ein mulmiges Gefühl dabei, Anna alleine zurückzulassen. Für mich war sie immer noch ein hilfloses, kleines Mädchen. Deshalb nahm ich mir vor mich zu beeilen, damit Anna nicht allzu lang alleine zurückblieb.

Endlich hatte ich es geschafft durch die Hecken hindurch zu kommen. Ich schlich durch den Garten in Richtung Terrassentür. Das Glas der Tür war bereits zerstört, so konnte ich ohne Aufsehen zu erregen in das Haus eindringen. Dieses Haus war etwas

moderner eingerichtet, soweit ich das unter der dicken Staubschicht erkennen konnte. Zunächst durchsuchte ich alle Wohnzimmerschränke, doch hier war nichts Brauchbares zu finden. Auch in der Küche war nichts, also ging ich nach oben in den ersten Stock. Im Schlafzimmer gab es ebenfalls nichts Besonderes; einzig die Kleidung im Schrank war um einiges moderner, allerdings für mich eine Nummer zu klein. Daher ging ich die anderen Zimmer ab. Die beiden Kinderzimmer waren wohl zuvor von Jugendlichen bewohnt worden. In dem ersten Zimmer, das ich mir ansah, hatte eindeutig ein junger Mann gelebt, der gerade bei der Bundeswehr gewesen war oder sich zumindest für den Stil interessierte. In seinem

Zimmer fand ich zwei Bundeswehrrucksäcke, einen großen und einen kleinen. Ein Butterfly-Klapp-Messer, ein weiteres Taschenmesser, mit den Standardfunktionen, die Annas Messer auch hatte.

In dem zweiten Kinderzimmer fand ich nichts. Es war das typische Mädchenzimmer eines Teenagers, Spiegel, Make-up, schicke Kleidung, aber nichts was wir gebrauchen konnten. Obwohl ich mir sicher war, darin nichts Nützliches zu finden, sah ich in den Kleiderschrank. Das könnte Annas Größe sein, dachte ich und machte mich auf, Anna hier herüberzuholen.

„Ach, du bist es!“, rief Anna mir entgegen, die erschreckt zusammengezuckt war und mir ihr blutiges Militärmesser entgegen hielt.

„Ist was passiert? Du solltest dich doch im Keller verstecken", sagte ich.

„Nur eine Ratte", winkte Anna ab, „Konntest du etwas finden?“, wechselte sie das Thema.

„Ein klein wenig, aber du solltest mitkommen. Da drüben ist Kleidung, die dir möglicherweise passen könnte.“

„Das wäre gut.“, sie sah mich erleichtert an, „Wird auch Zeit, dass ich mal wieder was Neues zum Anziehen bekomme.“

Wir gingen wieder zu dem anderen Haus und ich führte Anna nach oben ins Zimmer des Mädchens. „Tob dich aus", sagte ich und ging wieder ins Zimmer des Jungen um die Messer in den Rucksack zu packen und nach weiteren nützlichen Dingen zu suchen. Etwas später kam Anna in das Zimmer des Jungen.

„Du hast nicht zufällig einen Rucksack gefunden? Ich möchte mir noch etwas zum Wechseln einpacken", sagte sie mit einem seligen Grinsen im Gesicht.

„Doch hier.“, ich reichte ihr den kleineren der beiden Bundeswehrrucksäcke.

„Danke.“

Ich folgte ihr, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete wie sie voller Eifer Slips und Socken einpackte, sowie noch zwei Jeans, vier Langarmshirts und zwei Tops. „Wofür brauchst du das alles? Ich mein, Unterwäsche kann ich ja noch verstehen aber den Rest", fragte ich.

„Na ja, ein komplettes Wechseloutfit für mich und für Ami auch was Frisches zum Anziehen. Und wir müssen noch mal mit Silke hierher

kommen.“

„Das könnt ihr ja machen, während ich das nächste Haus inspiziere. Aber wir sollten wieder zurückgehen. Es wird bald dunkel und ich muss Silke holen.“

„Soll ich mitkommen?“, fragte Anna.

„Ich denke, es ist besser, du bleibst im Keller.“

Wir gingen zurück zu unserem Lager und nahmen noch etwas Dosenfutter zu uns. „Hast du eigentlich hier noch etwas gefunden?“, fragte ich zwischen zwei bissen.

„In einem der Schränke waren ein Kompass und ein paar Atlanten. Ich hoffe, damit kommen wir zurecht.“

„Werden wir sehen, nimmst du das bitte gleich alles mit runter", sagte ich und nickte zu den beiden Rucksäcken hinüber.

„Klar, aber nur wenn du die paar Klamotten für Ami mitnimmst, es wird sie sicher freuen.“

„Aber sicher.“, ich fand es rührend, wie Anna sich um ihre Schwester sorgte.

Unten im Panik-Raum wartete ich auf Ben und Silke. Glücklicherweise war der Weg durch den Wald ereignislos gewesen. Keine außergewöhnlichen Aktivitäten von Tieren, die es hier nicht geben dürfte.

Es dauerte eine Weile bis Ben und Silke kamen und zu meinem Verwundern war Kai auch dabei. Ich nahm Kai beiseite, um mit ihm über den weiteren Verlauf zu sprechen. So hatten Silke und Ben die Möglichkeit sich in ruhe voneinander zu verabschieden.

„Wolltest du nicht später nachkommen?“

„Ich musste da raus. Aber ich bin auf einem anderen Weg hierher gekommen. Du weißt, nur für den Fall, dass sie unsere Wege doch beobachten.“

„Du hast Recht, was euere Flucht betrifft. Wenn es sowieso auffällt, warum dann noch mehr Zeit verlieren?“, versuchte ich Kai zu ermutigen.

„Es geht mir dabei nur um Ami, dass sie das nicht mehr ertragen muss", sagte Kai, doch an seiner Stimme war deutlich zu hören, dass es da noch um etwas Anderes ging.

„Wie geht es dir?“, fragte ich. Zum einen interessierte es mich wirklich, zum anderen wollte ich ihm damit zeigen, dass auch jemand da ist, der sich, in dieser Sache, auch um seine Gefühle sorgte.

„Na ja, wie soll es mir gehen? Ich hasse diese Wesen jetzt mehr denn je. Ich muss mich furchtbar zusammenreißen, dass ich ihm nicht mit meinem Messer die Kehle durchschneide. Es macht mich einfach wahnsinnig, dass ich nichts dagegen machen kann. Diese abrupte Flucht sehe ich als einzigen Ausweg, damit es aufhört.“

„Du wirst deine Rache noch bekommen. Wenn er uns folgt, bist du derjenige, der ihn töten darf, das verspreche ich dir.“

„Wenn Ami das überhaupt möchte.“, es lag etwas Gehässiges in seinem Tonfall.

„Wie kommst darauf, dass sie das nicht wollen würde?“

„Ach, keine Ahnung. Es ist halt nur so, dass sie mir gesagt hat, dass sie glaube zu

verstehen, was die Außerirdischen untereinander sprechen oder sogar denken. Sie glaubt, dass es von den Vergewaltigungen kommt. Und eben ist sie auch noch ohne sich zu sträuben mitgegangen. Nicht, dass sie noch eine von ihnen wird.“

„Tut mir leid, dass ich das jetzt so sagen muss, aber wenn es stimmt, was sie glaubt, kann das für uns nur von Vorteil sein. Bitte halte noch bis übermorgen aus. Danach ist es vorbei. Du schaffst das.“

„Ich versuch mich zu zügeln.“

„Gut, dann gib das bitte deiner Frau, sie soll es aber erst anziehen, wenn ihr flieht. Anna hat das ausgesucht.“, ich gab Kai die frische Kleidung für Ami.

„Mach ich, wir treffen uns dann übermorgen Abend am Ende des Tunnels.“

„Klar, ich mach alles bereit, damit wir direkt weiter laufen können", sagte ich zum Abschied. Ich ging zu Silke und Ben hinüber: „Wir müssen los.“

„In Ordnung, ich komme.“, Silke wirkte etwas nervös, gab Ben noch einen Kuss, doch dann folgte sie mir. Wir gingen schnell durch den Tunnel und bahnten uns im Wald den schnellsten Weg, den ich mir hatte merken können, bis wir das Haus erreicht hatten.

Anna hatte im Keller auf uns gewartet. Die beiden Frauen fielen sich in die Arme, um sich zu begrüßen. Doch ich musste ihre Wiedersehensfreude dämpfen: „Wir sollten jetzt schlafen, wir haben morgen noch viel zu

tun. Ich muss das Haus nebenan noch nach nützlichen Dingen durchsuchen.“

„Ich will aber noch mal in das andere Haus.“, Anna verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund und legte einen Hundeblick auf, so wie kleine Mädchen es zu tun pflegten, wenn sie ihren Vater um den Finger wickeln wollten.

„Ja, machen wir auch noch. Silke soll ja schließlich auch die Möglichkeit haben sich etwas Neues anzuziehen", gab ich nach.

„Oh ja, das wird aber auch langsam mal Zeit", sagte Silke, während sie sich auf eine der Matratzen legte.

Während die Frauen schliefen, nahm ich mir einen der Atlanten zur Hand. Auf welchem Weg sollten wir nach Afrika gelangen? Am

günstigsten erschien mir der Westeuropäische weg: Frankreich über die Pyrenäen, Spanien und wenn wir es schafften, die ‚Straße von Gibraltar zu überqueren, waren wir auch schon in Afrika. Aber zwischen uns und dem Dschungel würden dann immer noch einige tausend Kilometer liegen. Eine furchtbar beschwerliche Reise für unsere Freiheit. Niemand von uns wusste, wie es um die nordafrikanischen Länder bestellt war. Waren sie auch ausgerottet worden? Gab es noch terroristische Organisationen?

Der andere Weg, den ich in meinem Kopf durchspielte, war auch nicht viel besser und vor allem um einiges länger: über die östlichen Länder in die Türkei, Syrien,

Libanon, den Gazastreifen oder den Suezkanal nach Ägypten, dann auch nur Wüste. Ich zweifelte daran, ob wir überhaupt einen der Wege einschlagen sollten. Es konnte doch nicht sein, dass im Dschungel Afrikas der einzige freie Ort sein sollte. In Russland war doch auch weit und breit nichts, riesige Bereiche ohne Machtzentren. Da müssten doch auch noch freie Orte sein, an denen die Menschen noch ohne Furcht vor den Eindringlingen leben konnten. Doch dann dachte ich wieder an uns: Berlin, unser Machtzentrum lag mehrere hundert Kilometer von uns weg und dennoch haben sie sich hier auf dem Land breit gemacht und unsere kleine Stadt zerstört. Unsere Lage schien mir ausweglos. Es würde sich ja nicht mal lohnen

die freien Menschen dieses Landes zu vereinen, um einen offenen Krieg gegen die Außerirdischen zu führen; wir bekämpften uns lieber gegenseitig. Mal abgesehen davon, war zu erwarten, dass die Eindringlinge im Falle eines Kampfs Verstärkung anforderten, um uns wie lästige Insekten zu zerquetschen.

Am nächsten Morgen stiegen Silke, Anna und ich noch einmal in das Haus, welches vom Garten aus gegenüberlag, damit Silke sich etwas Frisches anziehen konnte. Doch mit der Kleidung im Zimmer des Mädchens konnte sie nichts anfangen. Aber im Schlafzimmer der Eltern fand sie etwas, das passte.

Während Silke sich umzog, machte Anna sich an der Frisierkommode des Mädchens zu

schaffen. Sie fand eine Bürste, eine Schere sowie mehrere Haargummis verschiedener Größen und natürlich Haarspangen.

„Silke, wenn du gleich fertig bist, kannst du bitte mal rüber kommen. Du müsstest mir mal die Haare schneiden", rief sie durch die geschlossene Tür des Schlafzimmers, während sie sich mit der Bürste durch ihr schmutziges Haar kämpfte.

„Ja, klar. Dann schneidest du mir meine Haare aber auch wieder kurz. Ich kann diese schulterlangen Spagetti auf meinem Kopf nicht mehr sehen", antwortete Silke.

Auf der einen Seite fand ich, dass wir Wichtigeres zu tun hatten, als Frisör zu spielen, andererseits gönnte ich ihnen den lang ersehnten Spaß. Sie waren ja noch jung,

und wenn es in dieser Zeit etwas gab, was ihnen einen Moment der Freude bereiten konnte, sollten sie diesen auch genießen können.

Silke kam frisch umgezogen aus dem Schlafzimmer, sie trug jetzt eine dunkle Jeans, ein graues Longshirt und darüber eine dunkelgraue Fleeceweste. Sie trug noch ein paar Kleidungsstücke in der Hand. „Ich brauch einen Rucksack", sagte sie trocken. „Klar, der Nächste, den wir finden, ist für dich", versprach ich ihr. Dann wandte Silke sich an Anna: „Wo soll ich abschneiden?“

„Einfach an dem Ansatz entlang, das blond weg", sagte Anna mit einem angewiderten Blick in den immer noch verstaubten Spiegel.

Silke schnitt langsam, versuchte die Frisur so

vernünftig wie möglich aussehen zu lassen. Die blondierten Haare fielen zu Boden. Nachdem Silke fertig war, bürstete Anna ihre Haare noch mal durch und machte sich rechts und links jeweils einen kleinen Zopf, mit ihrem jetzt kinnlangem Haar. Während nun Anna, Silke die Haare abschnitt, ging ich runter ins Erdgeschoss um es nach nützlichen Dingen für unsere Reise zu durchsuchen. Jedoch erwartete ich, hier nichts Besonderes zu finden. Ich nahm ein Bild, von einer der Kommoden im Wohnzimmer, und pustete den Staub runter. Hier hatte das klischeehafte Bild einer Vorstadtfamilie gelebt. Sie lächelten alle, allerdings wirkte es zu gedrungen, um echt zu sein. Dieses Foto hatte wohl den Schein einer perfekten Welt wahren sollen, obwohl sie gar

nicht mehr so perfekt war.

Als die beiden Frauen runter kamen, gingen wir aus dem Haus raus und versuchten uns, mit Hilfe der Heckenschere, durch das Gestrüpp zu kämpfen, welches die Gärten trennte. Mit einigen Kratzern kamen wir endlich im anderen Garten an. Hier war die Gartentür nicht eingeschlagen. Ich müsste sie einschlagen, doch zu meinem persönlichen Bedauern, waren wir nicht weit genug vom Lager der Außerirdischen weg. Ich befürchtete, dass einer von ihnen es hören könnte, vor allem, wenn er sich gerade am Außenrand des Lagers befand. Ich musste es riskieren, ich hatte keine andere Wahl und konnte nur hoffen, dass unsere Anwesenheit unbemerkt blieb.

„Wir bleiben zusammen", befahl ich meinen Begleiterinnen. Mit der Heckenschere schlug ich die Scheibe ein, die sogleich klirrend zerbrach und zu Boden fiel.

Im Haus bot sich dasselbe Bild wie in den anderen, Staubteppiche hatten sich ausgebreitet. Allerdings stieg mir hier der widerliche Geruch von Verwesung in die Nase. „Los durchsucht die Schränke und packt alles in den Rucksack, was wir brauchen könnten", sagte ich zu Anna und Silke, während ich meinen Rucksack auf den Couchtisch stellte.

Auch ich fing an die Schränke zu durchsuchen, spitzte dabei meine Ohren um jedes Geräusch, das nicht von uns kam, mitzubekommen. Ständig sah ich zu der

Terrassentür. Auch in diesen Schränken und Schubladen war mehr unnötiges Zeug als Nützliches. Anna hatte ein paar Feuerzeuge in den Rucksack gepackt. Silke hatte in einer Schublade ein paar Pflaster und eine Taschenlampe gefunden. „Habt ihr eigentlich schon irgendwo Verbände und Salben gefunden?“, fragte Silke.

„Nein, bisher noch nicht", antwortete ich, doch Silke schüttelte mit dem Kopf, „Wie unverantwortlich die Menschen sind. Eine Hausapotheke sollte doch jeder haben.“

Als wir unten fertig waren, gingen wir nach oben. Der Fäulnisgeruch wurde stärker. Im Schlafzimmer fanden wir den Grund dafür: Dort lag eine stark verweste Leiche, männlich, soweit ich das, anhand der Kleidung,

erkennen konnte. Neben dem Toten lag eine Pistole; er musste sich selbst umgebracht haben. Ich hob die Pistole auf, sicherte diese, damit ich mir das Magazin und den Lauf ansehen konnte. Insgesamt fehlte nur eine Patrone. Ich steckte die Pistole im gesicherten Zustand in meine Gürtelschlaufe und suchte nach weiterer Munition, welche ich auch gleich in einer der beiden Nachtkommoden, neben dem Bett, fand.

Wir gingen ins Bad und dort hatte Silke gefunden, was sie wollte: eine Hausapotheke. Silke packte sofort Pflaster und Verbandmaterial ein; begutachtete diverse Fläschchen und Tuben, ob sie noch etwas gebrauchen konnte. Das Einzige, was sie mitnahm, war eine Wundheilsalbe und

Schmerztabletten.

Weitere nützliche Dinge konnten wir im Obergeschoss nicht mehr finden. Deshalb gingen wir wieder zurück ins Erdgeschoss und von dort folgten wir der Treppe weiter in den Keller. Auch dieser stand voll mit Kisten. Wir würden einiges zu tun haben und ich hoffte, dass wir auch entsprechend viel finden würden. Stunden verbrachten wir unten in dem Keller, doch auch hier waren die Kisten voll mit altem Porzellan sowie alter Kleidung und ich fragte mich, warum die Menschen so etwas aufbewahrten. Unter all dem Müll, den ich schon längst weggeschmissen hätte, fanden wir lediglich noch einen Kompass, ein Fernglas sowie eine kleine Sammlung aus der asiatischen Kampfkultur, bestehend aus

sechs Dolchen, mehrere Wurfsterne und einen zusammensteckbaren Zweihandkampfstock. Zu guter Letzt fanden wir noch einen alten Rucksack.

Nach dieser recht guten Ausbeute gingen wir wieder zurück in unseren Keller, dort breitete ich unsere gesamten Fundstücke aus und teilte sie auf. Zunächst gab ich Silke den dritten Rucksack, damit sie dort ihre Ersatzkleidung einpacken konnte. Sie übernahm ebenfalls die Verantwortung für das Verbandmaterial, dazu bekam sie von mir das zweite Taschenmesser und zwei Kampfdolche.

Anna gab ich ebenfalls zwei Messer, die sie nun zu ihrem Inventar zählen konnte.

Alles andere behielt ich erst mal bei mir, wobei

ich vorhatte, Ami ebenfalls etwas von der Ausbeute zu geben. Kai sollte den zweiten Kompass und die Pistole samt Munition bekommen, da ich ihn für den besten Schützen hielt. Und für Ben legte ich das Butterfly beiseite.

Während Anna, ein paar Dosen fürs Abendessen öffnete, kletterte ich noch einmal nach oben ins Schlafzimmer, um mir ein wenig Unterwäsche zum Wechseln einzupacken.

„Morgen werde ich euch noch mal im Nahkampf mit den Dolchen trainieren, dann werden wir für jeden von uns eine Wasserflasche und Dosenfutter einpacken und natürlich Besteck", teilte ich Anna und Silke beim Abendessen mit, „Sobald es dunkel wird, werden wir zur Luke gehen und

dort auf die anderen warten.“

Ich hatte diese Nacht sehr schlecht geschlafen. Mich beschlich ein schlechtes Gefühl, Bens, Amis und Kais Flucht betreffend. Ich befürchtete, dass dort irgendetwas schief laufen würde. Bisher war einfach alles viel zu glattgegangen. Nachdem auch die Mädels aufgewacht waren, machten wir uns gleich an das Nahkampftraining. Wobei sich Anna als besonders talentierte Kämpferin darstellte; Silke hingegen noch ein paar Anlaufschwierigkeiten hatte.

Nach einem späten Mittagessen packten wir noch Essen, Wasser und Besteck in die Rucksäcke und ruhten uns noch einmal für den Abend aus. Wir unterhielten uns darüber, was wir möglicherweise in der Stadt vorfinden

würden. „Anna, wie weit ist es in etwa von der Ruine bis in die Stadt?“, wollte ich wissen. „Im Dunkeln und mit aller Wachsamkeit werden wir wohl unsere drei Stunden brauchen", antwortete sie.

„Wo werden wir denn als Erstes hingehen?“, fragte Silke.

„Ich dachte mir, wir gehen als Erstes zu Heinz Bunker, ich hab den Schlüssel noch und da sind Waffen. Danach sollten wir mal sehen, wie weit der U.S.-Army-Shop schon geplündert wurde oder die Outdoor-Abteilung in den Kaufhäusern, wir brauchen schließlich festeres Schuhwerk und noch drei Rucksäcke", erklärte ich. „Also, ich wäre dafür, wir gehen auch mal schauen, was aus unserem Haus geworden ist.“, schlug Silke

noch vor.

„Und außerdem brauchen wir einen sicheren Ort, an dem wir unser weiteres Vorgehen planen können", warf Anna noch ein.

Die Dämmerung brach ein. Ich packte mir meinen Rucksack auf den Rücken und fixierte meine Dolche und die Pistole am Gürtel. Die Frauen taten es mir gleich. Wir machten uns zu der Luke auf, um dort auf die anderen zu warten. Wir schlichen langsam von Baum zu Baum, und als wir die Ruine erreicht hatten, kletterte ich wieder auf einen Baum, diesmal nahm ich das Fernglas, in der Hoffnung einen Blick ins Lager zu erhaschen. Glücklicherweise konnte ich etwas erkennen, ich sah, wie Greta und Ami von unserer Baracke aus in Richtung Raumschiff gingen.

Ich kletterte wieder runter. „Wir werden wohl noch etwas warten müssen. Ami wird gerade wieder zu ihm gebracht", sagte ich, während ich einen langen Ast aufhob und seine Stabilität testete. „Hier, gib den gleich Ami, zur Stütze, falls sie das braucht“, sagte ich an Anna gewandt. Ich ging zur Luke und öffnete diese mit dem Schlüssel. „Silke, wir werden gleich sofort weiterlaufen, du wirst also keine Zeit haben Ben überschwänglich zu begrüßen.“, vielleicht sagte ich das etwas zu schroff, aber es ärgerte mich einfach, dass Ami jetzt noch einmal ran musste, um die Gelüste des Großen zu befriedigen.

JONAS ENDE




9

Ich wartete bereits auf das Unvermeidliche. Die Dämmerung brach gerade an. Seit der Nacht, in der Jonas gegangen war, hatte der Große, mich jeden Abend zu sich holen lassen. In jener besagten Nacht hatte er mich schwer, für mein Fehlverhalten, bestraft, was bedauerlicherweise seinen Gelüsten mir gegenüber keinen Abbruch getan hatte. Neben den Schmerzen im Unterleib wurde ich seither zusätzlich von Kopfschmerzen geplagt, welche mir auch meinen Arbeitsalltag erschwerten. Jedes Mal, wenn ich mich bücken musste, pochte es nur noch schlimmer in meinem Kopf. Jedoch kam noch

etwas Anderes dazu, was ich als relativ positiv empfand, nachdem ich länger darüber nachgedacht hatte: Ich verstand, was die Mächtigen untereinander, mit ihren zischelnden Lauten, besprachen. Teilweise schien ich sogar zu hören, was sie dachten. Es waren zwar immer nur Satzfragmente, aber von Tag zu Tag verstand ich mehr Worte. Auffällig war auch, dass es in meinem Kopf kribbelte, wenn sich einer von ihnen bewusst näherte. Auch hier merkte ich es von Tag zu Tag früher und heute, an dem Tag meiner Flucht, hörte das Kribbeln gar nicht mehr auf. Es hatte sich zu einem Dauerzustand entwickelt. Ob das was mit den Vergewaltigungen zu tun hat?, fragte ich mich. Hatte der Große mir mit seinen

Körperflüssigkeiten, natürlich unwissend, etwas von ihrer Macht übertragen? Falls ja, wäre das natürlich ein außerordentlich nützlicher Nebeneffekt, doch ob sich die Qualen dafür lohnten, wagte ich zu bezweifeln.

Kai litt sehr unter der ganzen Situation; er hatte sich von mir zurückgezogen. In einer ruhigen Minute erzählte ich Kai von diesen unnatürlichen Vorkommnissen. Dabei war mir egal, ob er es hören wollte oder nicht. Nachdem Anna geflohen war, konnte ich es nur noch ihm sagen. „Na toll, jetzt wirst du auch noch eine von ihnen!“, hatte er mir an den Kopf geworfen und blieb die ganze Nacht verschwunden, in der Silke gegangen war. Als er am nächsten Morgen wieder kam, hatte er

mir etwas Frisches zum Anziehen mitgebracht und er versuchte sich mir gegenüber so normal wie möglich zu verhalten, was ihm aber nicht ganz gelang. Die meiste Zeit verbrachte er immer noch schweigend.

Nachdem gestern niemand von uns gegangen war, wollten Ben, Kai und ich heute Nacht gleichzeitig und ohne Leichen verschwinden. Doch so wie Kai sich mir gegenüber zurückgezogen hatte, hatte ich Angst, dass er mich heute Nacht alleine zurücklassen würde.

Es klopfte an der Barackentür. Erschrocken zuckten Kai und Ben zusammen. Ich öffnete die Tür, es war Greta. „Er will dich sehen. Ich soll dich zu ihm bringen.“ Ich sah zu Kai, sein Blick war leidend und doch nickte er mir zu.

Das hatte mich, nach seiner Reaktion der letzten Tage, völlig verwundert. Ich vermutete, dass Kai vorgestern mit Jonas gesprochen hatte und dass Jonas Kai beruhigen konnte.

Die Dämmerung war schon weiter fortgeschritten, als Greta mich schweigend zum Raumschiff führte. Auch ich sagte kein Wort. Mit jedem Schritt hatte ich mehr und mehr ein mulmiges Gefühl im Magen. Ich kam mir vor, wie die Mätresse eines Königs, mit dem Unterschied, dass ich keinen Spaß daran hatte. Nicht so, wie ich es hier, in den Büchern eines Fremden, gelesen hatte. Vielleicht war der Ausdruck Hure doch treffender. Ja, ich fühlte mich eher wie eine gewöhnliche kleine Straßenhure, die, um ihr überleben zu sichern mit Männern schlief, die

sie verabscheute.

Als wir in das Raumschiff kamen, führte Greta mich durch die metallisch glänzenden Gänge, klinisch sauber, kalt und steril. Genau so hatte ich mir damals das Krankenhaus der Zukunft vorgestellt. Hier gab es nichts, was mir irgendein Gefühl des Wohlfühlens vermitteln konnte. Keine Bilder an den Wänden, keine Blumen, kein Teppich, nichts was ein zu Hause zu einem zu Hause machte. Da ist ja kein Wunder, das die immer so griesgrämig sind, dachte ich bei mir. Wir blieben vor einer Tür stehen. Davor war ein Mächtiger postiert, er öffnete mir die Tür, während er zu Greta sagte: „Du kannst jetzt gehen.“

Der König erwartete mich bereits in seinem

Schlafgemach. Er lag auf seinem Lager aus Fellen. „Da bist du ja endlich, zieh dich aus und komm her!“, befahl er. Doch ich zögerte, weigerte mich aufs Wort zu hören, wie ein gehorsamer kleiner Hund.

„Wie du willst", sagte er bedrohlich, als er aufstand und auf mich zukam. Er legte mir eine Hand in den Rücken und schob mich mit Leichtigkeit zu dem Waschbecken. Er hielt mich am Nacken fest, während er mit seiner freien Hand den Schwamm ins duftende Wasser legte, welches mich wieder zu betören versuchte. Als der Duft mir in die Nase stieg, wurde ich wieder, für einen kurzen Moment, meines freien Willens entzogen. Nun stand der Große hinter mir, zog mir meine zwei Pullover aus und öffnete meinen BH. Ich ließ

es ohne Gegenwehr zu. Er nahm den Schwamm aus dem Wasser und ließ diesen über mein Gesicht gleiten. Dabei betörte mich dieser Duft noch mehr, so dass ich bereit war, alles zuzulassen, was er mit mir anstellen wollte. Vielleicht sollte ich der Droge freien Lauf lassen, sie meine Gedanken vernebeln lassen, damit ich es leichter ertragen konnte. Der Große wusch meinen Hals und meinen Oberkörper. Dabei war er fast zärtlich. Ungewöhnlich. Was spielst du nur für ein Spiel? Ein zufriedenes Brummen entglitt seiner Kehle.

Er drehte mich um, legte seine Hand um meinen Hals und sah mir bedrohlich in die Augen: „Und jetzt mach weiter, Wildkatze. Ich will mich heute noch erleichtern.“ Zunächst

wollte ich mich dagegen wehren, doch von der duftenden Droge benebelt, hielt ich es für besser, mich einfach ruhig zu verhalten. So geht es hoffentlich schneller und schmerzloser vorbei, dachte ich. Ich nickte demütig, während ich meine Schuhe und Socken auszog, wobei ich mir dabei bewusst Zeit ließ. Ich öffnete meine Hose und zog sie mir aus. „So ist brav, zahmes Kätzchen.“, er grinste darüber, dass er so leicht seinen Willen bekommen hatte, als er es sich wieder auf seinem Schlaflager bequem machte. Während ich mich weiter wusch, beobachtete er mich genau. Obwohl ich ihn nicht ansah, spürte ich seinen lüsternen Blick auf meinem Körper und das Kribbeln im meinem Kopf war so stark, dass ich es nicht zu ignorieren

vermochte. Seine Gedanken, Wünsche und Phantasien über das, was er mit mir anstellen wollte, brannten in meinem Kopf. Ausgerechnet das, was ich nicht hören wollte, hörte ich.

„Und jetzt komm her", befahl er, als er sah, dass ich fertig war. Doch ich reagierte nicht gleich, überlegte, ob meine Gedanken, den Kampf gegen die Droge aufnehmen sollten oder nicht. Ich wusste, sobald ich mich weiter von dem Waschbecken entfernte, würde auch die Wirkung des Duftwassers versiegen. Somit würde mein freier Wille und jedes Sträuben gegen den bevorstehenden Akt zurückkehren. Es würde nicht leichter werden.

„Es liegt an dir, ob du jetzt freiwillig kommst oder ich dich holen und züchtigen muss.“ Er

machte sich bereit erneut sein Schlaflager zu verlassen, als ich langsamen Schrittes auf ihn zuging. Er grinste erwartungsvoll. Als ich bei ihm ankam, packte er mich am Arm und zog mich zu sich herunter. Halb liegend, halb sitzend hielt er meine Arme hinter meinem Rücken fest während er versuchte mich zu küssen. Ich wand meinen Kopf, um diesem Kuss zu entgehen. Denn die Vereinigung in einem langen, leidenschaftlichen Kuss war für mich ein unvergleichlich größeres Zeichen von Gefühl, Zuneigung und Vertrauen. Der absoluteste Ausdruck tiefer Liebe. Dagegen war das, was mir noch bevorstand, nur die Befriedigung primitiver Gelüste und Instinkte. „Schluss jetzt!“, mit diesen Worten ergriff er mit seiner freien Hand mein Kinn und zwang

mich ihn anzusehen. „Nein.“, flüsterte ich. Doch er küsste mich. Da ich seinen Kuss nicht erwiderte, drückte er mir Daumen und Zeigefinger in den Kiefer, um meinen Mund zu öffnen. Seine Hand glitt zu meinem Hinterkopf, während seine Schlangenzunge ihren Weg in meine Mundhöhle suchte und versuchte meine Zunge zu liebkosen. Jetzt war es an der Zeit für mich, mich auszuschalten. Mich irgendwie zu entspannen an nichts zu denken, nichts zu fühlen und seinem Trieb freien Lauf zulassen.

Es fühlte sich an wie Stunden, bis er endlich von mir abließ. Sobald ich konnte, drehte ich mich von ihm weg. „Kann ich jetzt gehen?“, meine Stimme war kalt ohne jedes Gefühl.

„Sicher nicht", sagte er mit einem leichten

Anflug von Selbstgefälligkeit. „Ich bin noch nicht zufrieden.“

„Ihr habt euch entleert, was wollt ihr denn noch?“, Verzweiflung tat sich in mir auf, wollte ich doch heute Nacht mit Kai fliehen. Wir hätten schon längst fort sein können, würde er mich nicht aufhalten.

„Ich will, dass du es mir mal mit dem Mund machst, wie ich es mal bei dir und deinem Partner gesehen habe“, antwortete er, während er meinen Kopf zu der Mitte seines Körpers drückte und mich dazu zwang, ihn auf orale Weise zu befriedigen.

Nachdem ich seinen Wunsch widerwillig erfüllt und alles geschluckt hatte, was sich in mir ergossen hatte, befahl er mir zu gehen. Ich beeilte mich, zur Baracke zu kommen. Bereits

jetzt spürte ich, dass die Macht, die er mir übertragen hatte, noch um einiges stärker geworden war. Doch ich konnte noch nicht wirklich etwas damit anfangen. Ich wusste einfach, dass ich jetzt zu mehr fähig war, als sie nur zu verstehen oder ihre Gedanken zu lesen. Zwar hatte ich den innigen Wunsch mich zu übergeben, alles wieder raus zu lassen, doch ich fürchtete gleichzeitig, diese überaus praktische Macht dadurch wieder zu verlieren.

Kai und Ben standen in der Baracke, bereit zur Flucht, ihre Messer im Gürtel. Ich nahm mir gleich meine Flasche Wasser und nahm drei große Schlucke um den Würgereiz zu unterdrücken. „Alles in Ordnung, Schatz?

Kannst du laufen?“, fragte Kai besorgt.

„Ja, ich kann. Ich zieh mich nur noch schnell um.“ Es tat so gut, mal wieder eine Hose zu tragen, die nicht vor lauter Dreck in den Fasern alleine stehen konnte. Als ich fertig war, kam Ben direkt zu mir und gab mir eine Zwei-Euro-Münze. Ich nahm meine Handtasche und hing sie quer über meine Schultern, damit sie besseren halt hatte. Ich legte meine Wasserflasche dort hinein, allerdings musste ich die Tasche auflassen, weil die Flasche zu groß war.

Ohne noch einmal zurückzublicken, verließen wir, so unauffällig wie möglich, die Baracke und gingen in Richtung Waldrand. Erst jetzt sahen wir uns ständig um, aus Angst, es könnte uns irgendjemand folgen. Kurz vor

dem Haus mit dem Panik-Raum blieben wir stehen. „Wir sollten jetzt die Münzen unter die Uhr schieben", sagte Kai. Da auch schon bei Jonas funktioniert hatte, hegte ich keinen Zweifel an dieser, viel zu einfachen, Möglichkeit das Sicherheitssystem zu überlisten. Die Spannung stieg deutlich an, als wir darauf warteten, dass das LED erlosch. Mein Herz raste vor Nervosität. Ich fürchtete mein Puls wäre noch durch die Münze zu spüren. Dann endlich, das erlösende Dunkel auf der Uhr. „Es ist soweit.“, flüsterte ich. Schnell ergriff Kai das Band meiner Uhr und öffnete es. „Lauf in das Haus, runter in den Keller.“, befahl er mir. Gleich hinter mir lief Ben. Ein kurzer Blick nach hinten ließ mich gewahr werden, dass Kai die

Uhren in verschiedene Richtungen warf ehe er mir folgte. Wir liefen so schnell wir konnten ins Haus, immer noch darauf achtend, ob uns jemand verfolgte. Sofort führte Kai uns in den Keller. Hier, im Schutz dieses Gebäudes, öffnete Kai die Tür zum Panik-Raum. Sofort liefen wir hindurch. Kai beleuchtete den Tunnel mit einer Taschenlampe, die wohl von Jonas im Panik-Raum bereit gelegt worden war. In meinem Kopf hörte ich ein lautes „Neeiiin!!“. Es war die Stimme des Großen, der auch gleich seine Leute zusammen rief; sie sollten nach meiner Leiche suchen. „Wir müssen uns beeilen, er hat es schon gemerkt.“, drängelte ich. Jetzt, da ich wusste, dass er seine Leute ausgesandt hatte um mich zu finden, kam es mir vor als würde der

Tunnel niemals enden. Doch dann endlich kam der Aufgang. Er war schon geöffnet. Zuerst kletterte Ben hinauf. Kai ließ mir den Vortritt. Natürlich wollten sich jetzt erst mal alle begrüßen. Nur Kai, Jonas und ich hielten sich daran, sich auf ein „Hi.“, zu beschränken. Silke hingegen fiel Ben in die Arme. Anna wollte auch mich in die Arme schließen und mir, fürsorglich, wie sie war, einen Stock als Gehhilfe geben. Den Stock nahm ich natürlich an, aber hauptsächlich um mich im Notfall zu verteidigen. „Leute, wir haben keine Zeit.“, keuchte ich, „Er hat schon bemerkt dass ich tot bin und seine Leute ausgesandt meine Leiche zu finden. Wir müssen weg. Jetzt!“. Jonas reagierte sofort, gab mir zwei Dolche, welche ich mir in den Gürtel steckte und Kai

gab er eine Pistole. „Du bist unser bester Schütze", sagte Jonas noch. „Und jetzt kommt!“

„Nach Links", sagte ich und wir liefen weiter durch den Wald, dabei stolperten über einige Baumwurzeln. Wir liefen um unser Leben, fort von denen, die uns den sicheren Tod bescherten, falls sie uns wieder einfangen würden. Meine Lunge brannte, doch darauf nahm ich keine Rücksicht. Ich würde wieder atmen können, wenn ich weit genug von hier fort war. Dann hörte ich erneut seine Stimme in meinem Kopf. „Findet sie! Bringt mir die Wildkatze unversehrt zurück, die anderen könnt ihr töten.“, er klang wütend und vor meinem inneren Auge sah ich, wie er mit voller kraft auf einen Tisch schlug.

10

CAPTAIN SALESZ 

„Captain Salesz, Captain. Bitte entschuldigt die Störung, aber wir haben auf der Kontrolleinheit etwas entdeckt, das euch interessieren dürfte", riss mich einer meiner Unteroffiziere aus meinen Gedanken von meiner glorreichen Zukunft als General.

„Was gibt es denn?“, fragte ich genervt.

„Es wird euch nicht besonders gefallen, aber auf der Sklavenüberwachungseinheit ist das Licht der Sklavin 14369 erloschen.“

Ich ging zur Überwachungseinheit, um mich selbst von der Aussage meiner Leute zu überzeugen. Ich hielt dies für eine Lüge, hatte ich die Wildkatze diese Nacht doch nicht zu doll geschunden, als dass sie davon sterben

würde. Ihr war durch mich schon Schlimmeres widerfahren, und all das hatte sie überlebt. Sie war noch völlig funktionsfähig, als ich sie in ihre Baracke zurückgeschickt hatte. Sie musste also den Freitod gewählt haben und damit hatte sie meinen Plan vollkommen zunichte gemacht.

„Neeiiin!!“, entfuhr es mir zu laut, als ich sah, dass ihr Licht tatsächlich erloschen war. Die Wildkatze war tot, gerade als ich es geschafft hatte sie so weit gefügig zu machen, dass ich sie König Slazor III zum Geschenk machen konnte, um meine Beförderung zu beschleunigen. „Los, bringt mir ihre Leiche!“, befahl ich, obwohl ihre Leiche jetzt eigentlich genau so unwichtig war wie alle anderen, wollte ich wissen, ob ich Recht behielt, und

sich dieses Miststück in den Freitod gestürzt hatte.

Während meine Untergebenen sich bereitwillig auf den Weg machten, mir zu beschaffen, wonach ich verlangte, stieg die strenge Stimme meines Vaters und damit eine weit entfernte Erinnerung in meinen Gedanken auf.

„Sieh zu, dass du ein mächtiger Krieger wirst und du dir somit die Gunst und den Respekt deines Königs verschaffst. Du solltest wenigstens Oberster Kanzler und Berater an der Seite deines Cousins und Königs werden. Der reine Verwandtschaftsgrad bringt dich da nicht weiter, das muss dir klar sein. Denn seit Millionen von Dekaden wird nur der stärkste, mutigste und erfolgreichste Krieger zum

königlichen Berater ernannt. Du bist von königlichem Blut und solltest deshalb diese Stellung innehaben, wo du schon, nur, der Letzte in der Thronfolge bist.“

Genau das hatte mein Vater mir schon eingeimpft, als ich noch ein junger Kriegeranwärter war. Denn es war für mich, aufgrund der Erbfolge, fast unmöglich einmal König zu werden. Ich war der Dritte und bisher letzte in der Nachfolgerschaft um den Thron. Sollte Slazor II sterben, so wurde mein Vetter Slazor III König. Erst wenn er starb und keine lebenden Erben gezeugt hatte, würde mein Vater die Königswürde übernehmen; nach ihm wäre ich dann dran. Die Palastregeln besagten allerdings auch, dass die Verwandtschaft mit dem König nicht

gleichbedeutend mit Macht war. Diese musste man sich verdienen, und das konnte ich nur, indem ich ein persönlicher Günstling des Königs war oder mir die Stelle des königlichen Beraters hart erarbeitete.

Da mein Vater seinem königlichen Bruder nahe stand, stand es ihm frei, mich so oft, wie es möglich war, zu meinem Onkel in den Palast schicken, damit ich meinem Cousin und künftigen König Gesellschaft leistete. Doch wie mein Vater schon gesagt hatte: Verwandtschaft zählte bei einem solchem Amt nicht, egal wie vertraut Slazor III und ich waren. Zwar hatten wir gemeinsam viel Spaß gehabt, besonders wenn wir die Mächte nutzten, die nur jenen von königlichem Blut vergönnt waren. Wir amüsierten uns über die

Blicke der Palastangestellten, wenn diese sich plötzlich nicht mehr rühren konnten. Aber immer wieder hatte Slazor III mir klar machen wollen, wie wenig ich ihm gegenüber Wert war; würde er schließlich mal König werden und ich nur ein lästiges Anhängsel sein. Und doch hatte die Verwandtschaft seine Vorteile gehabt, wusste ich so über die Gelüste von Slazor III, die sonst jedem unbekannt waren. Ich wusste um seine Bestechlichkeit und um seine Sammelleidenschaft für kuriose Lebewesen aus anderen Welten.

Die Dekaden vergingen. Zusätzlich zu meiner Militärkarriere hatte ich mich um wissenschaftliche Studien anderer Lebensformen und Welten bemüht. Somit war ich zu einem sehr angesehen Offizier

aufgestiegen. Um meinen Heimatplaneten stand es schlecht, als ich es war, der, durch wissenschaftliche Analysen, entdeckte, was uns alle retten könnte: Die Erde besaß mehr als genug von unserer Energiequelle und ihre Einwohner wussten sie nicht, annähernd, richtig zu nutzen. Allein dadurch war ich in der Gunst des alten und kranken Königs Slazor II so weit gestiegen, dass er mich gleich zum Captain beförderte. Er schickte viele Captains und einige Obersten mit ihren Einheiten los, um die Erde abzuernten. Als Oberkommandant bestimmte er Vizegeneral Valdez, der hier auf der Erde die Geschicke zu Gunsten unseres Volkes zu leiten hatte. Notfalls mit Gewalt.

Zum Abschied bat mein Cousin mich ihm ein

Souvenir mitzubringen, wenn die Zeit zur Rückkehr gekommen war.

Unter den Menschen, die ich bisher versklavt hatte, war kein annehmbares Geschenk für Slazor III, doch dann fand ich sie, die Sklavin 14369 oder auch meine Wildkatze. In ihren Augen sah ich ein Karma von Feuer, wild und ungestüm, schier unbezähmbar, wie unsere wilden Slitß-Katzen. Genau das richtige Spielzeug für meinen hoch geschätzten Cousin - aber auch für mich. Und es tat mir wohl, dass diesmal er es war, der ein gebrauchtes Spielzeug bekam.

All die Dekaden, die ich nun hier auf der Erde war, hatte ich versucht, sie zu studieren. Wollte herausfinden, wie man sie zähmt, um sie zu Hause für meine Pläne nutzen zu

können. Denn in diesem zarten Körper versteckte sich eine verhängnisvolle Waffe, die mich möglicherweise doch noch zum König machen könnte.

Vor etwa zwei Dekaden meldete sich mein Vater, um mir mitzuteilen, dass der alte König gestorben und nun mein Cousin die Königswürde übernommen hatte. Und auch für mich war sichtbar geworden, dass ich in der Nachfolgerschaft um einen Rang gestiegen war. Lächelnd hatte ich zugesehen wie eines der drei überflüssigen Königsmale, die anzeigten, an welcher Stelle man in der Nachfolge um den Thron stand, verschwand. Erst wenn nur noch ein Königsmal meinen Körper zierte, wäre ich der rechtmäßige König. Des Weiteren erzählte er mir, dass

Slazor III beabsichtige, die Erde zu besuchen, um die weiteren Fortschritte der Ernte zu prüfen sowie sämtliche Weiterungen in der Angelegenheit zu erörtern. Und das ich zu diesem Treffen in dem Lager nahe Monaco eingeladen war. Jenes Lager, welches Vizegeneral Valdez befehligte und alle Handlungen der einzelnen Lager auf der ganzen Erde koordinierte.

In etwa acht Dekaden würde er hier sein. Die Zeit war gekommen, die Wildkatze zu zähmen, die Frage war nur: wie? Kurz dachte ich noch einmal über alles, nach was ich beobachtet hatte. Meine Gedanken blieben unwillkürlich an einem bestimmten Bild hängen. Die Wildkatze stand nackt am Waldrand im Regen. Ihre Aura, dieses faszinierende

Gebilde aus ungestümer Wildheit gepaart mit etwas Gefährlichem, umgab ihre Seele und schien regelrecht aus ihr hinaus zu strahlen. Hinter ihr kam ihr Partner, ebenfalls nackt, auf sie zu und umarmte sie. Sie wandte sich ihm zu und vereinte ihre Lippen mit den seinen. Er berührte sie am ganzen Körper. Ihre Auren leuchteten auf, als sich beide auf den Boden fallen ließen und ihre Körper aneinander rieben. Ein Anblick, der, ohne dass ich das wollte, dieses überflüssige Organ an meinem Körper zum Leben erweckte.

Irgendwie erinnerte mich dieses Bild, des eng umschlungen Paares, an unser Fortpflanzungsritual. Als die beiden fertig waren lachten sie und in ihren Auren war tiefe Zufriedenheit aber auch Ergebenheit zu

erkennen.

War das die Lösung meines Problems? Ich musste herausfinden, was es mit diesem kuriosen Akt auf sich hatte.

„Captain, die frische Fuhre ist da", riss mich Maras, einer meiner Gruppenleiter, aus meinen Gedanken. Was für ein Zufall, dass gerade meine Wildkatze dieses kostbare Gut brachte. Ich konnte nicht umhin gleich auf sie zu zugehen, ihr in die Augen zu sehen und in ihrer Aura zu versinken. Fände ich eines unserer Weibchen mit einer solchen Aura, ich würde sie sofort eine Partnerschaft mit ihr eingehen. Mit ihrer Bitte um noch eine Flasche Wasser gab sie mir den perfekten Vorwand um sie nach dem Akt zu fragen.

Ihre Antworten bestätigten meine Annahme,

dabei musste ich mit bedauern feststellen, dass unsere Rassen in der Lebensweise gar nicht so unterschiedlich waren. Im Gegenteil, diese unterentwickelten Wesen waren uns doch fast ebenbürtig. Hatten sie es schließlich auch geschafft, sich zur Herrenrasse auf ihrem Planeten zu entwickeln.

„Ach Captain, das hätte ich euch auch erklären können", meinte Maras mit einem überlegenen Lächeln, nachdem die Wildkatze fort gegangen war. Sein Lächeln demütigte mich. „Woher weißt du denn so was?“, fragte ich verärgert.

„Ich hab diesen trieben, die der menschliche Körper mir vorschrieb nachgegeben und mir diese Sklavin, die von den Menschen Greta genannt wird zu eigen gemacht. Also Captain

ich kann euch sagen, das ist wirklich eine Erleichterung. Ist es nicht so Jungs?“, antwortete Maras lachend. Meine Untergebenen rührten sich nicht; stimmten Maras nicht zu. Dabei konnte ich mir doch denken, dass einige von ihnen seinem Beispiel gefolgt waren.

„DAS hat jetzt ein Ende! Ich bin der Einzige hier, dem diese Erleichterung zusteht. Nimm sofort deine wahre Gestalt an, Gruppenleiter Maras!“, befahl ich, während ich ihn am Kragen packte.

Diese Demütigung konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich würde ein Exempel statuieren. Maras rang nach Atem. In unserer ursprünglichen Form waren einige unserer Sinne zwar ausgeprägter, aber die chemische

Zusammensetzung dieser Atmosphäre bekam uns nicht und machte uns körperlich schwächer.

„Nehmt dies als Warnung! Sollte ich noch einmal erfahren, dass einer von euch, gegen meinen willen Sex mit einem Menschen hat, wird ihm dasselbe widerfahren", sagte ich in die Runde, zog meinen Dolch und erstach Maras.

„Wenn er ausgelaufen ist, schafft den Dreck hier weg!“, befahl ich, während ich ging, mein Schlaflager aufzusuchen. Jetzt wollte ich diesen Sex erst recht, zumal es zwei positive Effekte zu haben schien: Zum einen würde es mir helfen diesen furchtbaren Druck an diesem hängenden Außenorgan loszuwerden. Zum anderen würde es sie, so glaubte ich,

auf mich prägen und mir unterwürfig machen.

Ich versuchte es genau so zu machen, wie ich es bei ihr und ihrem Partner so häufig beobachtet hatte. Doch sie war bei mir weit aufrührerischer. Heute hatte ich das erste Mal, das Gefühl es würde langsam funktionieren, und jetzt? Jetzt musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Sollte ich ein anderes Weibchen nehmen? Nein, kein anderes Weibchen hier in diesem Lager hatte eine so faszinierende und gefährliche Aura, wie meine Wildkatze. Slazor III würde jedes andere Souvenir als langweilig empfinden, denn er liebte die Herausforderung.

„Captain Salesz, wir haben das ganze Lager abgesucht, wir konnten keine Leiche finden, wir fanden lediglich ihr mobiles

Sicherheitssystem, sowie das von zwei weiteren Sklaven, die Nummern, 14370 und 14371.“, mein leitender Wachposten, überbrachte mir diese überaus schlechte Nachricht.

„Sie ist geflohen! Verdammt!“, das hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. Zwar konnte ich auf die Loyalität meiner Leute zählen, aber wenn die Flucht einiger meiner Sklaven publik wurde, konnte ich meine Beförderung vollkommen vergessen. Im Gegenteil, ich würde zum Gespött aller werden. „Sucht die Umgebung ab, sie kann noch nicht so weit weg sein.“

„Aber Captain, die Umgebung ist groß, wir wissen ja nicht mal, in welche Richtung sie geflohen sind.“, ich sah dem Wachposten an,

dass er sich ein Grinsen verkniff.

„Bringt alle nötigen Kräfte auf! Findet sie! Bringt mir die Sklavin 14369 unversehrt zurück, die andren tötet ihr!“, befahl ich und um dem Befehl noch mehr Nachdruck zu verleihen, aber auch um meinen Ärger Luft zu machen, schlug ich mit meiner Faust auf die Kontrollstation.

Natürlich hoffte ich, dass meine Leute sie wieder aufgreifen würden, es würde meine Weiterungen um einiges erleichtern. Außerdem hatte dieser Sex wirklich etwas Interessantes an sich. Ich will meine Wildkatze wieder haben. Doch mein Wachposten hatte Recht, es würde ein schweres Unterfangen werden, sie zu finden. Und mit jedem Tag würde sie weiter fort sein und ich könnte ihre

Rückkehr nur noch dem Zufall überlassen. Deshalb begann ich mir Gedanken darum zu machen, wie ich ihre Flucht verheimlichen konnte und auch ohne Bestechungsgeschenk an meine gewünschte Beförderung kam.


CAPTAIN SALESZ ENDE

11

Wir liefen einfach weiter, quer durch den Wald. Ein leichtes Kribbeln verriet mir, dass einige von ihnen uns auf der Spur waren, aber wir schienen noch genügend Vorsprung zu haben. Denn im Lager, als die Außerirdischen ganz nahe waren, war das

Kribbeln unerträglich stark gewesen, ähnlich einem lauten Tinnitus im Ohr.

„Und, spürst du sie?“, fragte Kai keuchend.

„Ja, aber sie sind noch ein gutes Stück von uns weg. Sie wissen nicht, wo sie uns suchen sollen. Sie haben sich aufgeteilt und sind in alle Richtungen ausgeschwärmt", antwortete ich.

„Ich kann nicht mehr. Der Rucksack ist so schwer, mit dem ganzen Dosenfutter da drin", hörte ich meine Schwester schwer atmend sagen.

„Na komm, gib ihn mir", sagte Kai.

Wir blieben kurz stehen, damit Kai Annas Rucksack übernehmen konnte.

„Los kommt weiter, sie kommen näher", drängelte ich mit dem Wissen, das ihnen allen

der Tod drohte und mir damit gleichzeitig die schlimmste Strafe meines, dann noch unnötigen, Lebens.

Wir liefen weiter und wechselten ein paar Mal schlagartig die Richtung. Wir streunten quer durch den Wald abseits der Wege. Auf einmal spürte ich ihre Anwesenheit stärker. „Stopp! Verstecken und verhaltet euch ruhig!“, sagte ich. Die anderen reagierten sofort. Jonas kletterte auf einen Baum, Ben und Silke versteckten sich im Gebüsch. Kai, Anna und ich stiegen in eine kleine Baumgruppe, die sich gegenüber dem Gebüsch befand. Kai zog seine Pistole und hielt sie bereit. „Schatz warte bitte noch damit. Ich möchte noch etwas testen", flüsterte ich Kai zu.

Das Kribbeln wurde stärker, sie waren ganz

nah. Einen kurzen Augenblick später sah ich sie bereits und ich war entsetzt über den Anblick, der sich mir bot. Sie waren zu zweit und sahen aus wie riesige Schlangen doch, mit einem eher menschlichen Oberkörper und Armen. Komplett mit einem Panzer aus Schuppen übersäht, schlängelten sie aufrecht über den Waldboden. Sie trugen Waffen bei sich. „Ich hab hier doch eben etwas gesehen", wurde das Zischeln der rechten Schlange in meinem Kopf übersetzt. „Sie müssen in der Nähe sein, ich wittere sie ganz deutlich", zischelte der Andere. Waren sie deshalb als Schlangen unterwegs? Konnten sie so unsere Spur besser verfolgen? Ich sah sie an, trotz ihrer Masse wirkten sie eher schwach und beide rangen nach Atem, als ob

sie sich extrem angestrengt hätten. Ich konzentrierte mich - ich wollte sehen, ob ich es schaffte sie zu lähmen, wie es der Große schon oft bei mir getan hatte. Ich stellte mir vor meinem inneren Auge vor, wie sie reglos zwischen den Bäumen standen. Diese starke Konzentration, die ich dafür aufwenden musste, ließ meinen Kopf brennen. Ich wollte schon aufgeben, als ich plötzlich feststellte, dass sie nun doch starr wie Statuen zwischen den Bäumen standen. „Was ist das? Wieso kann ich mich nicht mehr bewegen? Ist der Boss in der Nähe?“, fragte eine der beiden Schlangen. Ich traute mich nicht Kai anzusehen und ihm mit einem Nicken zu bedeuten, dass er jetzt schießen sollte. Ich glaubte, die Feinde wieder aus der Lähmung

zu entlassen, wenn ich sie nicht mehr ansah. Plötzlich sah ich, wie Jonas auf einmal vor ihnen Stand und dem Rechten sein Messer in die Kehle rammte. Genauer gesagt, in diesen großen, leicht pulsierenden Pickel; der Punkt, den Kai als ihren Schwachpunkt beschrieben hatte. Ich spürte wie Kai vom Baum sprang, sah wie er sich vor den Linken stellte und ihm seinen Dolch in die Kehle rammte. Während eine schleimige, stinkende Flüssigkeit aus der Wunde hervortrat, die einen extremen Würgereiz auslöste, hieb Kai weiter unbeherrscht auf die Schlage ein. Immer und immer wieder stach er zu. Allen Hass, der sich über die letzten Tage in Kai aufgestaut hatte bekam nun der Außerirdische zu spüren, welcher mittlerweile leblos zu Boden

gesunken war. Meine Konzentration war gebrochen, mein Kopf schmerzte und pochte unerträglich. Dennoch war ich stolz auf mich, da ich es geschafft hatte die Außerirdischen zu lähmen. Hinzu kam, dass ich jetzt wusste, dass nur der Große diese Macht besessen hatte. Das machte die Gefahr, die von den anderen ausging etwas geringer. Anna, Silke und Ben übergaben sich, während Jonas und Kai die Waffen der Schlangen an sich nahmen.

„Kai, wieso hast du nicht geschossen?“, fragte Ben.

„Das hätten die anderen doch gehört, dann hätten wir noch mehr von denen am Hals gehabt", antwortete Kai gereizt. Diese Frage hatte ihn aus seinem Blutrausch gerissen. Er

betrachtete das verstümmelte Wesen zu seinen Füßen erschrocken, nun da er langsam wieder Herr seiner Sinne wurde.

„Wieso konnten die sich auf einmal nicht mehr bewegen?“, wollte Silke wissen.

Es kribbelte wieder. „Ich hab jetzt keine Zeit das zu erklären. Das mach ich später, aber jetzt müssen wir weiter. Sie sind immer noch da", sagte ich schnell und lief vor. Wir wechselten noch öfter die Richtung als zuvor, was mir die Orientierung in dem dunklen Wald erschwerte. Wir stolperten über Stock und Stein, was uns immer wieder aufhielt. Ich hoffte inständig, dass wir den Stadtrand noch vor dem Morgengrauen erreichten.

Das Kribbeln in meinem Kopf wurde

schwächer. Ich nahm an, dass wir es geschafft hatten, der Gefahr davon zu laufen. Dennoch wollte ich noch keine Verschnaufpause riskieren. Da ich nicht wusste, ob ich es noch einmal schaffen würde, einen oder sogar mehrere von ihnen zu lähmen. „Los kommt weiter, es kann nicht mehr weit sein", spornte ich die anderen atemlos an.

Endlich hatte der Wald ein Ende gefunden. Die ersten Häuser, die am Waldrand lagen, waren zu erkennen. Wir hatten die letzten Ausläufer der Stadt erreicht. Meine Lunge brannte und ich konnte nur noch kurzatmig nach Luft schnappen. Den anderen schien es auch nicht besser zu gehen. Doch wir liefen noch die Häuserreihe entlang, bis das

Kribbeln in meinem Kopf vollkommen erloschen war. „Stopp!“, brachte ich nur noch flüsternd über die Lippen. Ich beugte mich nach vorn und rang nach Luft. Anna presste ihre Hände in die Seite. Genau wie ich, wurde sie von Seitenstichen geplagt.

„Sind ... wir …sicher?“, nach jedem Wort musste Jonas mehrmals tief einatmen.

„Ich spüre nichts mehr, aber lasst uns besser hier rein gehen", schnaufte ich und zeigte auf das Haus rechts von mir. Soweit ich im Dunkeln erkennen konnte, waren hier bereits einige Fensterscheiben im Erdgeschoss zerschlagen. So konnten wir in das Haus einsteigen ohne sie, durch den Krach, in unsere Richtung zu lenken.

Noch immer erschöpft lehnten wir uns gegen

die Wände im Haus. Der Raum war von unserem atemlosen Hecheln erfüllt. Wir waren alle froh, mal wieder durchatmen zu können. „Lasst uns in den Keller gehen", schlug Kai vor. Wir gingen durch das dunkle Haus und suchten die Treppen, die in einen Keller führten. Ohne Erfolg. Stattdessen einigten wir uns darauf, es uns im Obergeschoss gemütlich zu machen. „Spürst du immer noch nichts, oder sind sie wieder näher gekommen?“, wollte Jonas wissen.

„Nein. Alles ruhig", antwortete ich.

„Gut. Silke schalt du auch deine Taschenlampe ein", meinte Jonas. So stiegen wir, im Lichtkegel der Lampen, vorsichtig die Treppe hinauf. Wir verbarrikadierten uns im Schlafzimmer des Hauses. Wir setzten uns auf

das große Bett und ruhten uns aus. Ich achtete auf jeden Hinweis meines Körpers; achtete darauf, ob es in meinem Kopf erneut anfing zu kribbeln, doch nichts. Wir hatten sie abgehängt.

„Was war das eben? Warum konnten sich die Außerirdischen nicht mehr bewegen?“, wollte Silke erneut wissen.

„Du hast gesagt, dass du uns es später erklärst. Jetzt ist später", fügte Ben neugierig hinzu.

„Also, ihr wisst, dass wir bei ungehorsam, in der Gegenwart des Großen, ohne den Einsatz von Waffen, immer wieder Lähmung und Schmerz ausgesetzt waren", begann ich zögernd, „Seit meiner ersten Vergewaltigung

begann ich zu verstehen, was sie sich untereinander, in ihrer Zischelsprache, sagten. Ich spürte ihre Anwesenheit und jeden Tag wurde es ein wenig stärker, bis ich auf einmal alles verstand. Und eben wollte ich testen, ob ich auch in der Lage bin, sie zu lähmen. Denn ich glaube: Der Große hatte mir durch seine Tat, unwissend, seine Macht übertragen, wie eine Geschlechtskrankheit. Eine Krankheit, von der ich nicht weiß, ob sie ansteckend ist.“, bei meinen letzten Worten sah ich Kai eindringlich an. Er sah weg und ich fühlte mich in meiner Befürchtung, dass wir nie wieder so unbeschwert miteinander umgehen könnten, bestätigt.

„Dann hatte das Ganze doch noch etwas Gutes. Deine neuen Erkenntnisse und

Fähigkeiten lassen es zu, dass wir ihnen immer einen Schritt voraus sind", sagte Jonas, während er Kai aufmunternd auf die Schulter klopfte.

„Ja, das können wir nutzen. Doch der Preis, den ich dafür bezahlt habe und womöglich noch bezahlen werde, war es nicht Wert.“, ich spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Anna kam und nahm mich in den Arm.

„Sie haben auch noch etwas gezischelt, als sie wie angewurzelt da standen. Was haben sie gesagt?“, wollte Jonas noch wissen.

„Sie haben sich gefragt ob ihr Boss, in der nähe sei. Dem entnehme ich, dass nur der Große über eine derartige Macht verfügt. Das heißt: er ist, zumindest in diesem Lager, der Gefährlichste von allen", erklärte ich.

„Das macht die anderen, die uns noch begegnen werden nicht ungefährlicher. Jeder von ihnen könnte ebenfalls diese Macht besitzen. Wir wissen ja nicht, wie er an die Macht gekommen ist, ob es zum Beispiel von Rang oder Größe abhängig ist", gab Kai zu bedenken.

Wo wir gerade in diesem Gespräch waren überlegte ich, ob ich den anderen sagen sollte, dass es für sie keine Überlebenschance gab, sollten wir wieder eingefangen werden. Doch ich entschied mich, dies einstweilen noch für mich zu behalten.

Die Müdigkeit überrannte uns und wir schliefen an Ort und Stelle ein. In dieser

Nacht wurde ich von schlimmen Albträumen verfolgt, die mir zeigten, wie mein Mann, meine Schwester und meine Freunde von den Schlangen gequält wurden. Während ich, nackt und in Ketten gelegt, neben dem Großen stand, wie ein Hund an der Seite seines Herrchens, und mir die Folterung ansehen musste. Ich sah meine Freunde, wie sie sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmten. Ich hörte ihre Schreie, bis diese, mit ihrem Körper, erstarben.

Schweißgebadet schreckte ich auf und hatte keine Ahnung, wo ich war. Erst als ich mich umsah und ein Schlafzimmer erkannte, wurde mir wieder bewusst, dass wir in einer trügerischen Sicherheit waren. Ich fragte mich kurz, wie wir es geschafft hatten, mit sechs

Personen, in diesem vier Quadratmeter großen Bett zu liegen. So vorsichtig wie möglich kletterte ich aus dem Bett, da ich die anderen nicht wecken wollte. Ich setzte mich auf den Boden und starrte hoch, zum Fenster hinaus. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, draußen war es schon oder noch hell. Noch einmal schossen mir die Bilder aus meinem Traum in meine Gedanken. Ich fragte mich, ob es wirklich ein Traum gewesen war, oder ob ich die Gedanken des Großen gesehen hatte. Aber ich spürte ihre Anwesenheit nicht. In meinem Kopf war es, schon fast ungewohnt, ruhig. Kein Kribbeln, welches ihre Anwesenheit verriet. Keine Worte, die ich eigentlich gar nicht hören konnte, weil sie nicht gesprochen

wurden. Einfach nur Stille. Eine bedrückende Stille, wie die so genannte Ruhe vor dem Sturm.

Ich nahm eine Wasserflasche aus Annas Rucksack, trank einen kräftigen Schluck. Doch das abgestandene Wasser konnte den fahlen Geschmack in meinem Mund nicht fortspülen. Ich stellte mich an das verschmutze Fenster, betrachtete die Häuser in der Nachbarschaft, die alles andere als bewohnbar waren. Sah den bewölkten Himmel, der keinen Sonnenstrahl durchließ. Die graue Wolkendecke drückte auf meine Seele und machte mir klar, dass ich immer noch nicht wirklich frei war. Ich glaubte, erst wieder wirklich frei sein zu können, wenn der Himmel wieder blau war. Irgendwie war ein

hellblauer, wolkenloser Himmel für mich schon immer die Assoziation für das Wort ‚Freiheit gewesen. Einen Moment zweifelte ich sogar daran, mit der Flucht das Richtige getan zu haben. Was erwartete uns denn hier draußen? Außerirdische, die auf der Suche nach uns waren. Irgendwelches giftiges Getier. Ein ständiger Überlebenskampf. Möglicherweise noch andere Menschen, die sich uneins waren und sich wegen Nahrung gegenseitig bekämpften, anstatt sich als Gemeinschaft gegen dem eigentlichen Feind zu stellen. Dann dachte ich wieder an Marcel und seine Gruppe, und wie ich sie um ihre Freiheit beneidet hatte. Ich schimpfte mit mir selbst. Hatte ich es doch früher immer gehasst, wenn ich einem Menschen begegnet

war, dem man mit nichts zufrieden stellen konnte. Jetzt gerade war ich doch genau so charakterlos. Nein, ich würde zu meiner Entscheidung stehen und mit den Konsequenzen leben! Wir hatten schließlich ein Ziel und vielleicht würde es mir auf unserer Reise noch gelingen wenigstens ein paar Menschen wieder zu vereinen.

Die anderen wachten nun auch langsam auf und wir machten uns auf die Suche nach Essbarem, um unsere Vorräte nicht angreifen zu müssen. Auch in diesem Haus fanden wir Dosennahrung, die wir schweigend aßen. Wir Frauen nutzten den Rest des Tages, um nach etwas Nützlichem zu suchen, während die Männer, von den Fenstern aus, die

Umgebung im Auge behielten. Silke fand noch einige Pflaster, die sie sich in ihren Rucksack packte. Aber alles Andere war nutzlos. „Es wird langsam dunkel, wir sollten bald aufbrechen. Wir schlagen uns, die Nacht, zu Heinz Bunker durch und holen dort die Waffen", schlug Jonas vor, was auf allgemeine Zustimmung stieß.

Es war nicht nur die Dämmerung, die die Wolkendecke dunkler erscheinen ließ. Nein, es waren auch die Regenwolken. Viele kleine Tropfen, die sich in unsere Kleidung saugten und uns frieren ließen. Ich hätte jetzt nichts gegen einen Regenoverall gehabt, wie sie einige Motorradfahrer besessen hatten. Doch weder der Regen noch der kalte, peitschende

Wind hielt uns davon ab, im Schutz der herannahenden Dunkelheit, weiter zu Heinz Bunker zu gehen. Immer wieder wurde ich gefragt, ob ich die Anwesenheit der Außerirdischen spürte. Obwohl ich es jedes Mal verneinen konnte, hatten Jonas und Ben ihre Messer in der Hand und Kai seine Pistole. Jonas blickte sich öfter um und horchte wachsam in die, alles durchdringende Stille, wodurch wir nur langsam vorankamen.

Die einst schönen Einfamilienhäuser dieser Straße, die früher ein Statussymbol

Wohlhabender Eigentümer waren, waren heute nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung. Eingeschlagene Fenster, Risse in den Fassaden, teilweise eingestürzte Dächer. Nichts mehr zu sehen von dem damaligen

beneidenswerten Glanz. Autos standen rostig auf den Einfahrten der Häuser oder auf den Straßen. Von Zeit zu Zeit nahmen wir Bewegungen war, aber es war nichts zu sehen, zu hören, oder, in meinem Fall, zu spüren. „Vielleicht sind es irgendwelche Tiere. Lasst uns einfach weiter gehen", flüsterte Jonas.

Wir folgten unseren Weg weiter durch diese Geisterstadt, die vom Verfall gezeichnet war. In keinem Horrorfilm hatte mich je ein so unheimliches Gefühl beschlichen wie jetzt und hier. Widersprüchliche Gefühle taten sich in mir auf. Faszination über die Tatsache, dass wir hier vollkommen alleine waren. Zum anderen glaubte ich, das irgendetwas fehlte; das Leben, das hier vor Jahren noch

allgegenwärtig gewesen war, war weg.

Die Nacht hatte uns eingeholt, als wir in die nächste Straße einbogen. Auch hier setzte sich dieses bedauernswerte Bild fort und dies begleitete uns weiter bei unserer, scheinbar ewig andauernden, Wanderung, die erst ein Ende hatte, als wir Heinz Haus erreicht hatten.

Mit einem mulmigen Gefühl gingen wir durch Heinz Haus in seinen Garten. Das letzte Mal, als ich diesen Garten gesehen hatte, waren die Büsche grau von Staub und Asche gewesen. Heute waren sie zerstört. Sie hatten zu viel Regen und gar kein richtiges Sonnenlicht bekommen. Die Wiese war durchweicht und matschig, erinnerte mehr an einen Sumpf als eine grüne Oase. Wir

stapften durch den Morast hinüber zum Gartenhaus. Jonas öffnete die Tür und schloss die Falltüre zum Bunker auf.

„Wollt ihr nicht lieber hier oben bleiben?“, fragte Kai, „Wir gehen nur schnell die Waffen holen.“

„Ja, bleibt lieber hier, es sei denn, ihr wollt Heinz Leiche sehen", sagte Jonas.

„Glaubst du wirklich, er ist tot?“, eigentlich sollte Silke wissen, dass diese Frage unnötig war. Nach drei Jahren ohne Vorräte im Bunker würde er uns wohl kaum freudestrahlend in die Arme fallen.

„In einem stillen Moment hatte er mir gesagt, dass er sich das Leben nehmen würde, sobald wir den Bunker verlassen", erklärte Jonas.

Jonas, Ben und Kai stiegen in den Bunker hinab, während Silke, Anna und ich zurück ins Haus gingen. Wir sorgten uns darüber, ob Heinz Seele es geschafft hatte an einen besseren Ort zu gelangen und wir beneideten ihn darum, dass er dieses Elend nicht mehr erleben musste - um den Mut, den er gehabt hatte, um es selbst zu beenden. Da gehörte für mich einiges zu, sei es das Aufschneiden der Pulsadern oder das Baumeln am Seil oder ein Schuss in den Kopf. Wenn wir den Mumm dazu gehabt hätten, hätten wir es viel einfacher haben können. Nur einen Schritt zu weit laufen und alles wäre vorbei gewesen.

Die Männer kamen sehr bald mit Gewehren, Pistolen und Munition zurück. Ben war kreidebleich, er drückte Silke alles in die Hand

und rannte wieder in den Garten um sich zu übergeben.

„Gut, das ihr hier geblieben seid, es war ein fruchtbarer Anblick", sagte Jonas.

„Wie hat er sich umgebracht?“, wollte ich wissen.

„Sieht aus, als hätte er sich in den Kopf geschossen. Die Details erspar ich euch.“

„Die wollen wir auch nicht wissen", sagte Anna bestimmt und sah mich finster an. Sie wusste, dass ich gerne alles bis ins kleinste Detail wissen wollte.

Jonas legte die Waffen auf den Tisch und ordnete ihnen die entsprechende Munition zu. „So, was haben wir hier? Drei Gewehre, sechs Pistolen und natürlich die beiden außerirdischen Schusswaffen. Wir sollten

sparsam mit der Munition umgehen", murmelte er.

„Und wir sollten langsam herausfinden, wie ihre Waffen funktionieren", fügte ich hinzu.

„Allerdings, aber nicht hier und jetzt.“

„Warum nicht?“, fragte Kai, während er sich eines von Heinz Gewehren nahm und es durchlud.

„Weil ich befürchte, dass sie bald hier aufschlagen werden", antwortete Jonas.

„Stimmt, wir sollten nicht allzu lange hier bleiben. Womöglich schickt er sie an den Ort zurück, an den sie uns gefunden haben und das war kaum ein Wohnblock entfernt", gab ich zu bedenken.

Nun kam auch Ben wieder rein, nahm sich eine Flache Wasser aus Silkes Rucksack um

sich den Mund auszuspülen. Er nahm sich ein Gewehr und eine Pistole. „Wieso hatte Heinz eigentlich so viele Waffen?“, fragte Ben.

„Keine Ahnung. Was auch immer ihn zu Lebzeiten dazu angetrieben hat, sich so viele Waffen zuzulegen, war für uns jetzt nützlich“, entgegnete Jonas, während er uns Frauen, je eine Pistole und die dazugehörige Munition reichte. Er selbst nahm sich das letzte Gewehr und die beiden übrigen Pistolen sowie eine der außerirdischen Waffen. Die Zweite gab er Kai.

„So, unser zweiter Anlauf von hier nach Hause zu kommen", grinste ich bei dem Gedanken, dass wir eine ähnliche Situation bereits erlebt hatten.

„Was willst du zu Hause?“, fragte Ben, „Wir

haben kein zu Hause mehr.“

„Falls unser Haus noch steht, habe ich gleich mehrere Gründe dort hin zurückzukehren. Zum einen möchte ich noch etwas Persönliches abholen. Zum Zweiten sind wir dort sicherer als hier, wie ich Kai eben schon gesagt habe. Und drittens brauchen wir einen Ort, an dem wir uns für unsere Reise nach Afrika vorbereiten können“, erklärte ich Ben.

„Ist schon gut", murmelte Ben kleinlaut.

„Spürst du sie?“, fragte Kai mich.

„Nein, gar nichts.“

„Dann können wir ja los. Aber diesmal gehen wir einen anderen Weg", sagte Jonas und ging voran.

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Hörbuch

Über den Autor

AngelaFinck
Meine Inspirationsquellen:
Meine kleine Tochter (für Kindergeschichten)
Märchen, Musik, Träume, Düsternis, Mystery, Horror

Referenzen:

Selfpublished:
Versklavt - Zurück zur Freiheit (Endzeit Si-Fi)

Kurzgeschichten in Anthologien:
Besuch in der Weihnachtswerkstatt / Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Bd.11
papierfresserchen-verlag
Flipps neue Freunde / Wie aus dem Ei gepellt Bd. 5
papierfresserchen-verlag
Das kleine Rentier / Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Bd. 12
papierfresserchen-verlag

Zusammenarbeit mit Verlagen:
Der betörende Duft von Jasmin als Laura Lee Logan
blue-panther-books-verlag

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Ameise Flucht nach Afrika, interessant. Besonders in der heutigen Zeit.LG Ameise
Vor langer Zeit - Antworten
AngelaFinck Danke, dass du dir die Zeit genommen und meinen Text gelesen hast.
Der Text entstand schon 2010 und 2012 erstmals veröffentlicht.
Ich habe damals jegliche Politik komplett außer acht gelassen, da die politischen Machtzentren ja komplett zerstört wurden, und die Angriffe wirklich überraschend kamen.
LG Angela
Vor langer Zeit - Antworten
Ameise Aber es passt in die heutige Diskussion über Flüchtlinge, regt zum Nachdenken an, wenn die anderen plötzlich flüchten müssen
Vor langer Zeit - Antworten
AngelaFinck Es gibt einen Showdown am Ende, denn ich denke man keine seine Freiheit nicht wirklich wieder erlangen, wenn man nicht dafür kämpft.
Vor langer Zeit - Antworten
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