„HO HO HO“
„Ho Ho Ho!“ Macht der Mann in dem billigen blauen Anzug der da vor ihnen steht.
„Ho Ho Ho!“ Wiederholen sie artig.
Der Mann in dem billigen Anzug scheint zufrieden mit ihrem „Ho Ho Ho“ zu sein. Schwer zu sagen, der einzig sichere Ausdruck in diesem Gesicht ist grenzenlose Langeweile. Sicher macht er diese Arbeit nicht zum ersten mal.
„Für den Anfang war das nicht allzu
schlecht. Doch ich rate Ihnen in Ihrer Freizeit hartnäckig weiter zu üben. Leidenschaftliche Inbrunst ist das Ziel.“
Leises Gelächter erhebt sich über die versammelten Männer, unterbrochen von einem Hustenanfall, Stöhnen und Ächzten. Füße scharren über die abgewetzte Auslegware. Einem der Männer entfährt ein gewaltig dröhnender Furz. Einer der Männer sagt: „Gesundheit!“ Ein anderer lacht. Der Mann in dem billigen blauen Anzug verzieht sein Gesicht in Richtung Abscheu, er verordnet hastig eine zehnminütige Zigarettenpause.
Die Versammelten tasten erfreut nach Tabaksbeuteln, Feuerzeuge werden
gezückt, jemand rempelt ihn unsanft auf dem Weg nach draußen.
Malte Piepjohn raucht seine Zigarette, schaut seinem ausgeatmeten Rauch hinterher, hoch in den Wolkengrauen Himmel. Ein feuchter Windstoß fährt ihm unangenehm durch die Haare. Dezember - Wetter. Nasskaltes Pflaster greift nach den Füßen der Rauchenden. Ein Mann spuckt etwas Ekliges grün - gelbes auf die Straße. Kippen fliegen hinterher. Die zehn Minuten sind vorüber.
Sie versammeln sich erneut in dem Raum, verteilen sich auf die unbequemen
Stühle hinter den U - förmig formierten Tischen und erwarten mäßig interessiert die nächste Lektion.
Der Mann in dem billigen blauen Anzug, der sich gestern als Seminarleiter vorgestellt hat, und dessen Name Malte längst vergessen hat, mustert verdrossen die Versammelten.
Sie sind ein gutes Dutzend Männer. Die meisten sind alt, gebrechlich, abgenutzt und verbraucht. Ein paar von ihnen offensichtlich Obdachlose, die hier nur ein paar wenige Stunden Wärme und Schutz abgreifen wollen, haben sich umeinander gesellt. Abgegrenzt. Die anderen Männer, in abgelatschten Schuhen und Mänteln von der Wohlfahrt
gehüllt haben sich locker im Raum verteilt. Unter ihnen Malte. Der einzige unter ihnen, der durch eine halbwegs gepflegte Garderobe, einen unlängst vollzogenen Haarschnitt und durch einen moderaten Körpergeruch auffällt.
Außerdem ist er der Einzige der an Schreibzeug gedacht hat. Sogar einige Notizen hat er sich gemacht - und wurde sogleich äußerst merkwürdig und irgendwie misstrauisch von den Männern angeschaut.
Typisch Streber.
Dabei gab es in diesem Seminar nichts Erstrebenswertes.
Es ging lediglich darum die Männer in halbwegs ansehnliche Weihnachtsmänner
zu verwandeln. Weihnachtmänner für Betriebsfeiern, Dekoration für Shopping - Malls, Weihnachtsmänner für die Privatfeier. Einfach zu mieten. Preiswert und Problemlos.
Die acht Stunden Seminar wird ihnen nicht bezahlt. Für jede Stunde Dienst die ihnen die Agentur vermittelt zahlt man ihnen den Mindestlohn.
Malte ist fest entschlossen den Job zu machen, seine Notizen, die restlichen drei Stunden Einweisung des Mannes in dem billigen blauen Anzug.
Sicher, Malte könnte es einfacher haben. Er könnte sich beim Jobcenter melden, Arbeit suchend. Da müsste er nur einige seiner Rechte aufgeben,
seinen Stolz und den Rest seiner Würde. Malte hat den anderen Weg gewählt.
Mit roter Nase, weißem Wattebart, abgetragenen Stiefeln und einem verfilzten roten Mantel verkleidet steht Malte im abgesperrten Bereich eines Einkaufs - Centers und wartet auf Kundschaft. Man kann sich mit ihm fotografieren lassen, mit ihm reden, ihm seine Wünsche anvertrauen.
Niemand bleibt stehen. Nur schnelle, scheue Blicke spürt er. Blicke, die an seinem albernen Wattebart hängen bleiben. Man tobt an ihm vorbei, hastig und getrieben auf der Suche nach dem nächsten Geschenk. Da bleibt keine Zeit
für ein Foto, ein Gespräch, ein Wunsch. Nur kleine Kinder bleiben kurz stehen, lächeln verlegen, oder Winken verstohlen. Malte freut es. Und zumindest steht er im Warmen.
Abends der nächste Auftritt. Familienfeier. Malte klingelt an der Tür. Geschrei ertönt, Türen knallen, etwas fällt schwer zu Boden. Dann wird geöffnet. Eine Frau steht da. Zerzaustes schmutzig blondes Haar, Jogginganzug und fleckige Haut. Sie starrt ihn an.
„Ho Ho Ho,“ macht Malte. Und bei der Ollen fällt der Groschen. Sie lächelt sogar, und man sieht dass ihr ein Schneidezahn fehlt. Malte schnuppert an
ihrer Schnapsfahne.
„Dann mal rein.“ Fordert sie ihn auf.
Er betritt die Bude. Es riecht nach vollen Windeln, kaltem Zigarettenrauch und billigem Parfüm. Kinder überall, etliche, unterschiedlichen Alters. Ein paar hocken auf einer löchrigen Couch und streiten um kalte Pizzareste, eins liegt auf dem verstaubten Teppich. Andere hört er irgendwo rumoren.
„Ho Ho Ho!“ Macht Malte seinen Spruch. Eilig legt er die zuvor empfangenen Geschenke auf den Tisch. Noch mehr Geschrei, ein richtiger Kampf entbrennt. Eine kleine Rotznase tritt ihn heftig gegen sein Schienbein. Der geliehene Sack wird ihm kurzerhand
entrissen. Malte guckt erstaunt, erschreckt und ratlos. Er schaut sich um. Da kommen noch mehr Kinder, hinter einer offenen Tür kann er einen Kerl in Unterwäsche auf einem ungemachten Bett liegen sehen. Ihm wird übel, Gänsehaut auf seinen Armen.
Die Alte grient ihn an.
„Komm doch heute Abend mal vorbei wenn dir einsam ist. Ich mach es uns schön kuschelig. Und bring Geld mit.“
„Ich glaube nicht.“ Erwidert Malte, schnappt sich flink seinen Sack und macht sich davon. Draußen atmet er. Ganz tief, ein und aus. Dann geht er. Heiter - besinnliche Musik schallt durchs Treppenhaus.
Text: harryaltona
Cover: Astrid Götze - Happe www.pixelio.de