Kapitel 85 Angebot
Als Galren am nächsten Morgen den Hafen erreichte, war dort alles bereits in heller Aufregung. Eine Unmenge an Leuten drängte sich auf den Pier zusammen und so groß die gesamte Hafenanlage auch sein mochte, bot sie doch kaum Platz für die Massen. Weitere tausend Männer kamen hinzu, die Kisten durch das Gedränge trugen und weitere, die versuchten ihnen einen Weg zu bahnen.
Über ein duzend Schiffe ankerte Bug an Bug , jeder einzelne Landungssteg war
besetzt...
Der König schien sein Versprechen wirklich wahrmachen zu wollen, noch heute aufzubrechen, dachte er, als er sich einen Weg bis zur Immerwind durchgekämpft hatte. Das Schiff war schon lange bereit abzulegen und wenn Hedan doch noch etwas brauchen sollte, würde Brunar es ihm wohl zur Verfügung stellen.
Nach wie vor fiel es ihm schwer, den letzten Tag zu verarbeiten. Selbst nachdem sich die Erkenntnis langsam gesetzt hatte, das sein Vater die ganze Zeit hier gewesen war... das war der kleinerer Haken an der Sache. Er konnte sich beim besten Willen keinen Reim auf
all das machen. Nicht völlig jedenfalls...
Galren war wenig überrascht, festzustellen, das der König, in Begleitung Kasrans und Hadrir, bereits auf ihn wartete, als er sich dem Schiff näherte. Vor allem der Thane der Mardar war mit seinem roten Mantel kaum zu übersehen, ein leuchtender Farbfleck inmitten von grauer Arbeitskleidung und glänzendem Stahl. Ein kleiner Ring aus Wachen stand um die drei Zwerge herum und hielt die meisten Schaulustigen und Arbeiter davon ab, ihnen zu nahe zu kommen.
,, Ich hatte mir schon gedacht, das ihr früher oder später hier auftaucht.“ , meinte Hadrir und kam ihm entgegen,
einen unsicheren Ausdruck auf dem Gesicht. ,, Alles in Ordnung ?“
,, Ihr habt es gewusst, die ganze Zeit, oder ?“ Seine ganze Wut war bereits verraucht, als er seinen Vater in dessen momentanen Zustand gesehen hatte. Ein Schatten des Mannes, der er einmal war mit nur wenig, das noch an ihn erinnerte. Konnte er noch wütend auf diesen Mann sein, oder die Leute, die versucht hatten, ihn vor der Wahrheit zu bewahren ?
,, Ich wünschte ich könnte sagen , das stimmt nicht, aber...ja.“
Galren schüttelte den Kopf und wendete sich an Kasran und Brunar.
,, Warum habt ihr es mir verschwiegen ?
Nur aus Angst, das ich ihn dann vielleicht unterstützen würde ?“
,, Tut ihr das jetzt nicht ?“ , warf Kasran ein. Obwohl die Bemerkung alles andere als höflich war schwang keine Spur von Arroganz in der Stimme des Thanen mit. ,, Man könnte meinen , all unsere Befürchtungen erfüllen sich. Und doch was bleibt mir anderes übrig, als euch auch noch dabei zu unterstützen ?“
,, Das heißt ihr glaubt uns.“ , stellte Galren fest.
,, Ich habe eine Gruppe meiner eigenen Leute noch in der Nacht hinab in die Katakomben geschickt.“
Das sollte dann wohl heißen, ja. ,, Nur verratet mir eines, Galren... was glaubt
ihr zu erreichen? Ich meine außer einen Haufen Fremder in die Fremde zu bringen.“
,, Ich hoffe den Mann den ich kannte irgendwann wiederzufinden.“ , erwiderte er. ,, Und jetzt könntet ihr mir etwas verraten... was ist eigentlich aus der Mannschaft meines Vaters geworden ?“
,,Ich fürchte, das wisst ihr. Nachdem er das Schwert gefunden hatte und seine Crew nicht länger bleiben wollte, bestand Varan darauf, das sie zumindest eine Nachricht von ihm mit sich nehmen, wenn sie schon nicht blieben. Und nach allem was ihr uns erzählt habt, ist diese Nachricht auch angekommen.“
,, Aber die Crew nicht mehr.“ , stellte
Hadrir fest.
Nein. Aber sein Vater hatte doch nicht gewusst, das die Männer, die er Ausschickte ihr Ziel nicht Lebend erreichen würden. Oder doch ? Galrens Blick ging aufs Meer hinaus , bis zu der nur zu erahnenden Front aus Sturmwolken. Der Himmel war mittlerweile wieder klar und es war tatsächlich kein einziger Tropfen Regen gefallen. Dieses Land war wirklich trostlos, bis auf das, was die Zwerge daraus gemacht hatten. Und selbst darüber konnte man sich Streiten...
Aber es war etwas anderes, das Galren dazu brachte, innezuhalten. Hatte sein Vater schon über die Natur der Stürme
dort draußen Bescheid gewusst, als er seine Crew ziehen ließ ? Wenn ja, dann hätte er sie tatsächlich in den sicheren Tod ziehen lassen. Ohne ihn, ohne jemanden der den sicheren Pfad für sie finden konnte mussten sie scheitern... Wer wusste schon, wie lange das zerschmetterte Wrack über die Wogen gespült worden war, bis es durch Zufall an Cantons Küsten strandete ?
,, Wir dachten, wenn ihr nicht findet, was ihr sucht, dann werdet ihr ebenfalls abreisen. Leider haben wir uns damit geirrt.“ , stellte der König fest. ,, Aber genug davon. Wir sind fast so weit, das wir aufbrechen können. Die Besatzung für die erste Überfahrt ist bereits
zusammengestellt und eure Freunde sind bereits an Bord eures eigenen Schiffs. Sobald wir den Hafen verlassen haben, werden die übrigen euch folgen. Danach liegt es an euch Galren. Wenn es einen sicheren Weg nach Canton gibt, dann müsst ihr ihn finden. Wenn ihr mich entschuldigen würdet... es gibt noch einige Dinge um die ich mich kümmern muss.“
Mit diesen Worten wendete der König sich ab und sowohl Hadrir als auch Kasran folgten ihm langsam, ersterer, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen.
,, Es ist irgendwie... seltsam sie so zusammenarbeiten zu sehen.“ , meinte
er.
,, Ich dachte ihr würdet euch freuen.“
,, Freuen ?“ Hadrir schüttelte den Kopf und tatsächlich wirkte er alles andere als glücklich.. ,, Kasran und mein Vater tun, was sie müssen, Galren. Ihnen ist klar, das wir so nicht überleben werden. Ich fürchte nur, was passieren könnte, wenn wir das hier alles wirklich überstehen sollten.“
,, Was sollte passieren ?“ , fragte Galren. Hadrir sah derweil den beiden sich langsam entfernenden Zwergen nach.,, Bisher scheinen sie ja ganz friedlich.“
,, Ihr müsst ja auch nicht so viel Zeit mit ihnen verbringen wie ich. Götter, ich
warte darauf, das die beiden sich darüber streiten welche Farben die Segel haben sollten. Sie sind sich einig, das wir fort müssen. Das wars aber leider auch schon. Ihr habt selbst erlebt, wie gespalten diese Stadt ist. Glaubt ihr, das wird einfach verschwinden ? Nein. Manche der Konflikte zwischen den Häusern mögen indirekt durch die Krise gestärkt worden sein, aber andere sind so alt wie unser Volk. Und wir sind schon einmal geflohen, Galren. Gelehrt hat es uns nichts.“
Er hatte Hadrir schon oft nachdenklich und auch frustriert über das Verhalten seines Volkes erlebt, aber selten so niedergeschlagen... trotz ihres
scheinbaren Erfolgs. Und im stillen gab er ihm sogar recht. Mochte sein, das Kasran die Isolationisten auf Linie hielt bis sie Canton erreichten und der König das gleiche mit seinen Getreuen tat... aber was danach werden würde...
Nicht zum ersten mal fragte sich Galren ob er wirklich das richtige tat. Ob es nicht eine andere Möglichkeit gab. Doch diesmal ging es dabei nicht um seinen Vater und dessen Vorhaben, das er nach wie vor nicht verstand. Und erneut gab es nur eine Antwort : Nein. Sie waren nicht mehr in der Situation irgendetwas zu beeinflussen, es sei den er würde sich weigern, den Zwergen ihren Weg zu zeigen. Und das wäre Mord... Die
Wahrheit war : Die Sache war längst nicht mehr unter seiner Kontrolle. Hoffentlich war sie wenigstens unter jemands Kontrolle.
Hadrir verabschiedete sich mit einer kurzen Geste, bevor er sich den grünen Umhang über die Schultern warf und sich beeilte zu seinem König und dem Thanen aufzuschließen. Die beiden Männer waren schon fast in der Menge verschwunden und nahmen ihren Ring aus Wachen mit. Trotzdem hielten die übrigen Leute am Hafen abstand von ihm, dachte Galren. Im Gegenteil, sie wichen sogar zurück und bildeten eine kleine Gasse. Doch nicht für ihn, erkannte er seinen
Fehler.
Der Mann, der auf ihn zutrat überragte die Zwerge um mehr als zwei Köpfe. Wenigstens, dachte Galren, war er dieses verdammte, schwarze Gewand losgeworden. Stattdessen trug er einen leichteren Mantel aus braunem Stoff, in dem goldene Ziernähte glitzerten. Darunter glänzte ein weißes Hemd und der Griff des Schwerts, das Varan Lahaye nach wie vor mit sich trug.
Aber immerhin sah er nicht mehr ganz so... Fremd aus ,dachte Galren. Die dunklen Ringe und die Anzeichen der Müdigkeit schienen ebenfalls etwas verschwunden, während sein Vater mit großen Schritten auf ihn
zukam.
,, Diese Narren haben auch lange genug gebraucht um endlich zusammen zu arbeiten.“ , meinte er und grinste tatsächlich, während er den drei Zwergen nachsah. Beinahe wäre Galren bereit gewesne zu glauben, alles gestern wäre nur ein Alptraum gewesen, ein Streich dem ihm sein eigener, übermüdeter Verstand gespielt hatte und das Bild eines verwirrten, unsteten Mannes gezeichnet hatte. Beinahe. Und dann sah er seinem Vater in die Augen.
,, Du kommst mit uns ?“ , fragte er in der Stillen Hoffnung ihn etwas aus dem ganzen rauszuhalten. Ihn vielleicht sogar etwas zur Vernunft zu bringen, wenn er
nur einmal weg von hier käme. Dieser ganze Ort tat keinem von ihnen gut... Und wie sollte man in einem solchen Strudel aus Missgunst und Misstrauen auch nicht langsam den Verstand verlieren ?
,, Nein. Ich beabsichtige mit dem König zu reisen, Galren. Damit sind die Vertreter aller wichtigen Fraktionen in dieser Stadt im selben Boot. Wortwörtlich.“
Natürlich... soviel zu diesem Plan, dachte Galren. Oder besser, dieser wagen Hoffnung. Etwas anderes hatte er im Moment nicht.
,, Und sie lassen dich bewaffnet mit ihnen an einem Tisch sitzen ?“ , fragte
er. Er würde seinen Vater nicht davon abbringen können, das war ihm klar. Und doch änderte es wenig daran, das ihm ein kalter Schauer den Rücken hinab lief. Ein Schauer, der zu eisigen Fingern mit bösartigen Klauen wurde, wenn er daran dachte, was sein Vater in dieser Stadt gefunden hatte.
,, Ich werde das Schwert jedenfalls nicht hier lassen, Galren.“ , erklärte Varan, als hätte er seine Gedanken gelesen.
,,Vater ich bitte dich... Es gibt doch sicher jemanden der es für dich verwahren könnte. Irgendjemanden hier.“
,, Es gibt nur einen, dem ich das anvertrauen würde.“ Varan zog das
Schwert blank. Die Pechschwarze Klinge wirkte im Sonnenlicht nur noch dunkler, als hätte jemand einfach ein Stück aus der Welt geschnitten wo nichts geblieben war. Nur die Umrisse einer Waffe... Mit einer Bewegung drehte er die Waffe in der Hand und bot sie Galren mit dem Heft zuerst an. ,, Dann nimm du es also. Wenn du dich damit sicherer fühlst...“
Das war ganz und gar nicht, was er gemeint hatte, dachte Galren. Aber war das nicht besser, als die Alternative ? So instinktiv wie er seinen Weg fand, so sicher wusste er das dieses Ding einfach...böse war. Also dann ? Nimm es und wirf es weg, sagte er zu sich selbst. Das Hafenbecken ist gleich hinter dir, du
musst nur die Hand ausstrecken...
Vorsichtig hob er den Arm. Seine Finger näherten sich dem versilberten Heft, das im Gegensatz zu der Schattenklinge im Licht glänzte. Galren konnte sehen wo das Silber im Laufe der Äonen schlicht abgewetzt worden war, so das der blanke Stahl darunter zu Tage trat. Ihm war, als könnte er erneut hören, wie die Luft über die Klinge strömte. Jede kleinste Verwirbelung erzeugte einen Ton. Er konnte Stimmen darin erkennen, leise, flüsternd, sah das Feuer das in den Augen seines Vaters brannte... Ein Teil von ihm wollte zupacken. Die Waffe an sich nehmen. Behalten...
Das war Wahnsinn, sagte er sich. Und
doch schien er keine Kontrolle darüber zu haben. Es kostete ihn unglaubliche Mühen auch nur den Blick abzuwenden.
Langsam , fast wie gegen einen Wiederstand, zog er die Hand zurück und erst jetzt fiel Galren auf, das er zitterte. Ihm war kalt, ohne das er sagen könnte wieso. Warm schien die Sonne auf ihn und Varan hinab und er hatte schon fast wieder vergessen, was ihn grade solche Angst gemacht hatte...
,, Ich habe bereits eine Waffe. Also... vielleicht hast du recht. Behalte es...“
,, Dann eben nicht.“ Varan zuckte mit den Schultern, während er das Schwert sinken ließ. ,, Ich weiß wir haben viel zu bereden, Galren... ich weiß auch ,das
dass hier vielleicht nicht ist, was du erwartet hast aber... vertrau mir einfach, ja ?“
Galren fand sich unfähig eine Antwort zu geben, die nicht nach einer Lüge klang. Er wollte nichts lieber tun als das. Aber er konnte es schlicht nicht. Seinem Vater hätte er vertrauen können... aber war das dieser Mann überhaupt noch ? Götter, wenn er nur wüsste, was er tun sollte.