Kapitel 77 Wahrheit
Elin beeilte sich, bei ihrem Weg durch die Dunkelheit. Der Morgen konnte nicht mehr fern sein und sie konnte es sich nicht erlauben, dass ihr Fehlen erneut Auffiel. Und doch wanderten ihre Gedanken immer wieder zu den Ereignissen der vergehenden Nacht zurück. Sie hatte jede Hoffnung eigentlich schon Aufgegeben gehabt aber… Galren schien tatsächlich, endlich, wieder zu sich selbst gefunden zu haben. Elin fühlte sich alleine dadurch schon, als wäre ihr eine gewaltige Last abgenommen worden. Als
wäre die Aufgabe, die noch vor ihr lag, ganz einfach…. Aber das war sie nicht, erinnerte die Gejarn sich selbst. Ihr war durchaus klar, wie gefährlich es sein konnte, den Thanen der Mardar über die Geheimnisse seines Königs zu informieren und gleichzeitig… wie konnten sie guten Gewissens gehen ohne es zumindest versucht zu haben?
Sie musste Kasran einfach dazu bringe, sie anzuhören egal ob ihm die Wahrheit nun gefiel oder nicht und dann… wenn ihm sein Volk wirklich so viel bedeutete, wie er sagte, wenn er ihr wirklich traute… dann konnte er nicht anders, als sich gegen den König aufzulehnen und die Wahrheit ans Licht
zu bringen. Eine Wahrheit, welche die Zwerge vielleicht retten würde. Kasran meinte, sein Volk sei stur, aber es konnte unmöglich so blind sein, das es sich bei einer solchen Bedrohung nicht endlich zusammenraufte um zusammen nach einer Lösung zu suchen. Und wenn diese darin bestand, die Zwerge nach Canton zurück zu bringen, dann war das ebenso. Die Isolationisten konnten ihren Stolz nicht über das Leben aller stellen. Zumindest hoffte Elin das. Der Thane war ihr bisher immer vernünftig erschienen, jemand dem sie, trotz des unsicheren Stands den sie bei ihm hatte, zumindest etwas vertrauen konnte. Aber wenn sie falsch lag, wie Galren
befürchtete ?
Aber er hatte sie zu seiner Vertrauten machen wollen, oder nicht? Das musste doch ins Gewicht fallen, auch wenn der Gedanke über das, was sie beinahe getan hätte, ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Das war es nicht wert, sagte sie sich und wenn sie ehrlich war, hatte sie wirklich nur annehmen wollen, weil sie hoffte, das Kasran ihr dann eher glauben würde? Nein, entweder er traute ihr oder er traute ihr nicht, ihre Fähigkeit zu sprechen zu verlieren konnte dabei kaum eine Rolle spielen. Wenn der Thane ihr erneut ein Angebot unterbreitete, würde sie es einfach höflich ablehnen, entschied Elin sich. Geister, ein wenig
hatte sie sich wie ein richtiges Kind Verhalten. Sicher Galren war ihr…. Wichtig, aber sie hatte darüber fast alles andere aus den Augen verloren. Das geschah ihr nicht noch einmal, schwor Elin sich.
Hieß das aber, das Algim am Ende Recht hatte? Wenn ja, dann hatte Kasran genau gewusst, was er tat, als er den Marschall auf sie losließ. Und sie genauso wie Algim hatten getan und reagiert, wie der Thane es wollte. Puppen die an Fäden tanzten nicht mehr…
Er hatte immerhin auch von ihrer ersten Flucht gewusst, so viel hatte er zugegeben, aber wusste er auch, wie es um Galren gestanden hatte? Wie
zerrissen die anderen alle waren? Wenn ja, dann hatte sein Freundlichkeit eine perfide Methode gehabt… Er gewann einen Verbündeten, wurde seine vermeintlichen Feinde los… und gleichzeitig bliebe ihr keine Möglichkeit mehr, sich jemanden zu erklären-
Elins Schritte wurden langsamer, als sie den schmalen Lichtstreifen vor sich erkennen konnte, der zeigte, wo die Lücke in der Decke des Tunnels war. Nach wie vor stand die Kiste an ihren Platz über dem Durchstieg und sie atmete kurz erleichtert auf.
Aber hatte der Thane am Ende wirklich die ganze Zeit darauf spekuliert sie zu einem Gefährten zu machen? Wenn ja,
wie mochte er reagieren, wenn er erfuhr, dass es nicht funktionieren würde?
Es spielte keine Rolle, sagte die Gejarn sich. Wenn er ihr glaubte, schön, wenn nicht, wäre sie noch vor Sonnenaufgang wieder auf der Immerwind und mit den anderen auf dem Weg nach Hause. Zuhause… Sie hatte lange nicht mehr daran gedacht. Was ihre Eltern wohl sagen würden, wenn sie wieder auftauchte? Vermutlich nicht zu viel, wie sie sie kannte. Oh sicher, sie würde sich die Predigt ihres Lebens anhören können, aber es war ja nicht so, dass sie die einzige war, die sich bei jeder Gelegenheit in ein Abenteuer stürzte.
Grinsend bei diesem Gedanken tastete sie
nach dem Boden der Kiste, schob ihn beiseite und zog sich hinauf in den schwach erleuchteten Keller. Das Lächeln gefror jedoch auf ihrem Gesicht, als sie nach oben sah, halb über dem Loch im Boden baumelnd und in die kalten, dunklen Augen von Algim Mardar starrte.
Sie dachte nicht lange nach, sie reagierte nur noch. Mit einem Satz war sie auf dem harten Boden des Kellers, während der Marschall mit einer Faust ausholte. Diesmal jedoch blitzte darin die Klinge eine fast armlangen Messers auf. Diesmal wollte er sie unter allen Umständen töten…
Elin jedoch war darauf vorbereitet. Was
ihr an Stärke fehlte, hatte sie Algim an Flinkheit voraus. Sie spürte den Luftzug der Klinge an ihrer Wange, als sie seinem ersten Angriff auswich, konnte den tödlichen Stahl fast schmecken, ihr Puls raste…
Und dann schlug sie selber zu, legte alle Kraft in den Hieb, der Algim an der nach wie vor bandagierten Schläfe traf. Der Zwerg taumelte mit einem Aufschrei zurück, während Elin sofort nachsetzte. Das war ihr einzige Chance, das wusste sie. Ohne auf etwas anderes zu achten, trat sie dem Mann den Dolch aus der Hand und warf den Marschall zu Boden, bevor er sich wieder fangen konnte. Doch bevor sie dazu kam, erneut
zuzuschlagen, wurde sie plötzlich von vier Händen gepackt und von Algim weggerissen, der sich blutend, aber grinsend wieder erhob. Erst jetzt wurde Elin klar, dass sie nicht alleine mit ihm im Keller war. Hinter ihr hatten sich zwei Wachen in schweren Stahlpanzern postiert. So sehr sie auch ersuchte, sich ihrem Griff zu entwinden, alles was ihr das einbrachte, war ein schmerzhaftes Ziehen in ihren Muskeln, während die Männer unbeeindruckt stehen blieben, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wenn ihr nicht schnell etwas einfiele…
,, Ich habe euch davor gewarnt, noch einen Fluchtversuch zu unternehmen.“ ,
drang eine Stimme aus der Tür des Kellers. Kasran trat langsam und auf seinen Rubinstock gestützt ein. Hinter ihn folgten weitere Soldaten während er sie traurig, aber wissend betrachtete.
,, Ich habe euch gesagt, das man ihr nicht trauen kann.“ , erwiderte Algim, der sich das Blut von der aufgeplatzten Wunde auf seiner Stirn wischte.
,, Das habt ihr wohl.“ , erwiderte der Thane betrübt.,, Und ich habe euch dafür gescholten und ignoriert. Sieht aus, als müsste ich mich grade zwischen zwei Verrätern entscheiden, was meint ihr?“
Er trat auf Elin zu, die mittlerweile nicht einmal mehr versuchte, die Wachen abzuschütteln. Es hatte keinen Zweck.
Sie hatte etwas Wichtiges vergessen… es konnte immer schlimmer kommen…
,, Ich…“ Elin suchte nach Worten. Der Mann klang wirklich verletzt, so seltsam das schien und ihr wollte nichts einfallen, das sie sagen konnte, um Kasran wieder für sich zu gewinnen.
,, Es war wohl töricht zu hoffen, ihr würdet euch meine Warnung zu Herzen nehmen Elin. Aber was tut ihr stattdessen? Ihr nutz meine Gastfreundschaft und meine Großzügigkeit aus, indem ihr euch gegen uns wendet. Oder welchen anderen Grund habt ihr, euch davonzustehlen?“
,, Ich bin nach wie vor eine Gefangene.“
, erklärte sie lediglich. War der Mann wirklich überrascht, dass sie versuchen könnte, zu fliehen? Wenn ja, warum ? Weil er glaubte, sie längst auf seiner Seite zu haben, dachte Elin.
,, Ich dachte, es wäre möglich, diese Sache sanft zu Ende zu bringen.“ , erklärte er. ,, Ich dachte wirklich man könnte euch für uns gewinnen…. Das ihr zu überzeugen wärt…“
,, Ihr meint, indem ihr mich manipuliert euch zu folgen.“ , rief sie, der Verdacht, den Algim in ihr geweckt hatte nun einen Namen gebend. Kasran erwiderte nichts, doch das brauchte er auch nicht
Sein Blick in dem sich tatsächlich so etwas wie eine Entschuldigung zu
verbergen schien, war alles, das sie als Antwort brauchte. Sie hatte Recht…
,, Es geht hier um unser Überleben.“ , erklärte der Thane schließlich, während er zu Algim trat. ,, Und ich weiß, wer das eher für uns sicher kann.“
,, Jetzt reicht es aber. Euer Volk wird sterben, wenn ihr nichts unternehmt und ich bezweifle, das euch wirklich bewusst ist, wie ernst die Sache ist. Vergesst den Propheten, Kasran. Vergesst den König. Verdammt vergesst euch selbst nur mal für einen Augenblick und hört mir zu…“ Elin warf sich erneut gegen den Griff der zwei Posten, die sie hielten und diesmal schaffte sie es sich den gepanzerten Fingern zu entwinden. Mit
zwei, für sie, großen Schritten war sie bei Kasran, der den Wachen hinter sich nur ein Zeichen gab, zu bleiben, wo sie waren.
,, Wenn ihr mir etwas zu sagen habt, sprecht.“ , erklärte der Thane ruhig. ,, Es kann wenig ändern.“
,, Ich glaube schon. Das Wasser geht euch aus. Ich war in den Katakomben, Kasran, die Seen dort unten sind praktisch verschwunden. Auf Dauer braucht euer Volk Hilfe oder ihr reißt euch endlich zusammen und sucht gemeinsam nach einer Lösung. Aber wenn ihr weitermacht, wie bisher, wird keiner Gewinnen. Ihr werdet lediglich alle in ein paar Monaten verdursten, weil
ihr keine Reserven habt um zu bleiben und auch nicht genug Wasser um einen Weg über das Meer zu suchen. Bitte…“
Zu Elins entsetzen bestand die Antwort auf ihre Worte in heißerem Lachen. Algim schwankte nach wie vor von dem Schlag, den sie ihm versetzt hatte und doch schien er sich gar nicht mehr einkriegen zu wollen.
,, Natürlich…“ , erwiderte er höhnisch. ,, Wenn dem so wäre, Kleine, dann müsste der König lange davon wissen. Und warum sollte er das Geheimhalten?“
,, Na vielleicht damit der Prophet nicht plötzlich die Kontrolle erlangt ? Was glaubt ihr würde passieren, wenn er ehrlich wäre? Der König weiß durchaus
davon.“ , entgegnete Elin ihm kalt. ,, Und deshalb ist es auch so wichtig, das ihm jemand dabei hilft, einen Weg aus dieser Misere zu finden. Darum bitte ich euch. Und wenn euch euer Volkwirklich so viel bedeutet, dann werdet ihr genau das auch tun.“
,, Das ist lächerlich.“ Algim machte eine wegwerfende Handbewegung und drehe sich zu Kasran um. Elin sah hilfesuchend zu ihm. Am Ende war es nach wie vor egal, was der Marschall dachte, solange nur der Thane vernünftig wäre…
,, Ich weiß nicht ob ich euch glauben kann…“ , sagte er nachdenklich.,, Es ist wahr, das der König sich in diesem Konflikt bisher immer recht seltsam
verhalten hat. Aber er verhält sich schon eine ganze Weile so und ehrlich gesagt habe ich ihm auch nie ganz vertraut….“
,, Er weiß auch schon lange von dem Wasser.“ , antwortete sie.
Algim schüttelte den Kopf. ,, Klingt, als hättet ihr euch das grade ausgedacht.“
Kasran gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. ,, Vielleicht sagt ihr die Wahrheit, Elin. Vielleicht versucht ihr aber auch nur euch hier heraus zu reden…“
,, Das ist nicht…“ Der Thane hob eine Hand und tatsächlich hörte sie sofort auf zu sprechen.
,, Vielleicht glaubt ihr aber auch tatsächlich mir die Wahrheit zu sagen,
doch seit selber einer Lüge aufgesessen. Käme ans Licht, was ihr mir grade sagt, der einzige der dabei Gewinnen würde, wäre der Prophet. Ich traue es ihm durchaus zu, diese Lüge ohne euer Wissen fabriziert zu haben. Ihr kennt diesen Mann nicht, wie wir es tun. Wenn dann ist es aber nicht eure Schuld. Punkt ist… ich kann euch nicht trauen und wenn ihr die Wahrheit sagt… nun, wir werden uns damit auseinandersetzen, wenn ihr fort seid.“
,, Fort…“
,, Ich habe vor , weiterzumachen, wie gehabt.“ , erklärte der Thane und seine Stimme klang plötzlich kalt. ,, Eure Freunde und ihr werdet diese Stadt
verlassen. Und zwar spätestens Übermorgen. Keine Verzögerungen mehr und keine Ausflüchte. Und Algim….“
Der Marschall verbeugte sich kurz.
,, Ich will das ihr diese Sache übernehmt. Seht es als meine zweite Chance für euch an. Ich schlage vor, ihr nutzt sie weise.“
,, Keine Sorge, Herr, das werde ich. Ich werde alles zu eurer Zufriedenheit Regeln, das schwöre ich. Ich habe einen Kontakt unter unseren neuen… Freunden.“ Das triumphierende Grinsen auf dem Gesicht des Mannes ließ ihr das Blut in den Andern gefrieren. Das sie und die anderen quasi aus der Stadt gejagt wurden, damit konnte sie Leben
aber irgendetwas an Algims auftreten war schlicht… falsch. Er hatte nicht bloß vor, die Bedingungen für ihre Freilassung zu übermitteln. Und ein Kontakt ?
Wer bei allen Geistern, war das ?