Kapitel 75 Entscheidug
Einen Moment wurde ihm schwindlig, als sich das Schiff vor ihnen aus der Dunkelheit schälte. Galren wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Die letzten Tage waren nur eine unbestimmte Abfolge von Bildern und Sinneseindrücken ohne dass er dabei hätte sagen können wann etwas Bestimmtes geschehen war. Nur eines wusste er, er war nach wie vor keinen Schritt weiter gekommen.
Lias lief schweigend neben ihm her,
während sie die Rampe zum Deck der Immerwind hinauf stiegen. Der Mann hatte seit Tagen kein Wort mehr mit ihm gesprochen… und trotzdem kam er immer mit, wenn er und Hadrir erneut aufbrachen um die Stadt weiter zu durchforsten. Nach was, wusste er längst nicht mehr… Vielleicht die Hoffnung irgendwo auf eine Spur zu stoßen. Aber was sollte er den sonst tun? Einfach aufgeben? Und warum nicht ? , fragte eine leise Stimme aus dem hintersten Winkel seines Bewusstseins. Weil es nicht ging, antwortete er. Dass er Lias geschlagen hatte tat ihm im Nachhinein leid aber… warum verstand den außer ihm niemand, das das hier wichtig war.
Er konnte sich nicht einmal entschuldigen, ohne zuzugeben, dass sie recht hatten und das… hatten sie nicht.
Naria hatte ihm wiederholt versucht irgendwelche Zauber aufzuerlegen, das hatte er gemerkt. , doch was immer sie versuchte, entweder funktionierte es nicht oder er bekam es zumindest nicht mit. Die Schakalin verhielt sich seit Elin wieder aufgetaucht war mindestens genauso schweigend wie der alte Paladin und was Merl oder Armell anging so war keiner der beiden eine wirkliche Hilfe, dachte er grimmig. Die beiden waren ohnehin bereits zurück zum Gasthaus gegangen, zusammen mit Naria , die verschwand ohne sich auch nur zu
verabschieden. Zumindest nicht bei ihm… Alle wendeten sich von ihm ab oder versuchten ihn zu meiden wo es ging…
Er jedoch wollte zurück zur Immerwind. Schlaf wäre ihm ohnehin verwehrt, nicht wenn ihm die Zeit davonlief und… Galren wurde langsamer, als er und Lias auf das Schiffsdeck hinaus traten. In Hedans Kabine brannte noch Licht, ein warmer Schein, der die Planken in Gold tauchte. Auch wenn es dem Kapitän durchaus nicht ähnlich sah, so lange wach zu bleiben das war es nicht, was ihn stutzig machte. Durch das kleine Fenster konnte er nicht bloß einen Schatten erkennen, sondern zwei und
einer davon war ein gutes Stück kleiner als der andere. Das konnte doch nicht wahr sein!
Lias, der wohl ebenfalls merkte, was vor sich ging, versuchte ihn noch am Arm zu packen, während er auf die Tür zu marschierte und diese ohne anzuklopfen aufstieß.
,, Was macht sie hier ?“ , rief er und sein Blick wanderte sofort zu Elin, die dem Kapitän gegenüber an einem breiten Kartentisch saß, einen halb vollen Krug vor sich. Die Gejarn zuckte sichtlich zusammen, als die Tür aufflog und krachend gegen die Rückwand der Kajüte knallte. Galrens eigene Stimme klang in seinen Ohren harsch und scharf wie ein
Messer. Hatte er das grade wirklich so gesagt?
,, Was glaubt ihr denn ?“ , fragte Hedan wirsch und stand halb von seinem Platz auf. Er konnte sehen, wie die Hand des Kapitäns zum Griff einer Pistole an seinem Gürtel wanderte. ,, Und was glaubt ihr dagegen tun zu wollen ?“
Galren war sich der schweren Klinge Atruns an seiner Seite plötzlich viel bewusster. Bevor jedoch irgendetwas geschehen konnte, erhob sich Elin. Ohne ein Wort drängte sie sich an ihm und Lias vorbei auf das Deck.
,, Wo wollt ihr hin ?“ , rief er , bevor er ihr nachsetzte. Erneut war Galrens Stimme lauter, als er beabsichtigt hatte.
Hedan machte ebenfalls Anstalten, ihnen zu folgen, wurde jedoch von Lias zurückgehalten. Der Kapitän versuchte sich von dem Gejarn loszureißen, doch dieser Redete lediglich leise und eindringlich auf ihn ein. Galren selbst verstand kein Wort und er achtete auch nicht darauf.
,, Ich gehe ein Stück.“ , erwiderte Elin kalt und war schon die halbe Rampe zum Hafen hinab gestiegen, bevor er schließlich zu ihr aufschloss. ,, Oder wollt ihr versuchen mich daran zu hindern ?“
Das herausfordernde Funkeln in ihren Augen sagte ihm nur zu deutlich was ihre Antwort darauf wäre. Er hatte noch
nicht vergessen, dass sie Hedan leicht hätte bewusstlos schlagen können… bei ihrem ersten Treffen. Götter, es schien so lange her, damals… Galren schüttelte den Kopf. Was ? Er konnte sich nicht richtig erinnern. Beinahe als würde ein Nebel über allem liegen was jenseits dieser Stadt geschehen war. Aber er wollte sie doch nicht zum Feind. Er wollte keinen der anderen verletzten… aber verstand sie den alle nicht? Doch sie verstehen dich, antwortete eine leise, geduldige Stimme, fast verstummt im Laufe der letzten Tage. Sie würden dir bis zum Ende folgen. Sieh dir Elin an, sie tut es sogar noch, nach allem. Aber du überstrapazierst die Sache. Das weißt
du, wenn du ehrlich bist, Galren… Denk nur einmal daran wer du warst.
Aber das war das Problem. Es gab keine Erinnerungen. Nur Nebel, durch den einzelne Sinneseindrücke huschten. Ein Geruch, ein Gesicht… Blätter, in einem reißenden Sturm.
,, Etwas dagegen wenn ich mitkomme ?“ , fragte er schließlich.
,, Ich vermute ein Nein bedeutet euch ohnehin nichts.“ , antwortete die Gejarn schulterzuckend, bevor sie auf die Hafenmole hinaus trat. Galren folgte ihr zögernd. Irgendwie taten ihre Worte doch weh. Aber das war alles nötig, sagte er sich. Das war es doch oder?
Nein war es nicht, antwortete wieder die
dünne kaum hörbare Stimme für ihn. Es war zumindest nicht das Leben seiner Freunde wert. Es war es nicht wert, das er dafür fast alle seine Gefährten gegen sich aufgebracht hatte. Und wofür genau ? Weniger als nichts , bisher.
Der Hafen glitzerte im Mondlicht und die silbrigen Strahlen ließ die Kronen der Wellen als weiß blitzende Schatten erkennen. Türme und die schweren Steinbauten der ersten Häuser warfen tiefe, scharf geschnittene Schatten auf das Pflaster. Galren lauschte und bis auf ihre Schritte und das Rauschen der Wellen war es fast totenstill. Lediglich in der Ferne hörte er laute Stimmen, vielleicht aus einer Taverne und das
verklingende Bellen eines Hundes.
,, Warum sie ihr hier ?“ , wollte Galren schließlich wissen. Sie waren mittlerweile ein gutes Stück gegangen und so weit draußen lagen nur noch wenige Schiffe vor Anker. Stattdessen starrte man von der Kante des Hafenbeckens nur in die Nachtschwarzen Fluten hinab wie in einen gähnenden Abgrund. Er war sich gar nicht darüber bewusst, wie dicht er am Wasser stand, keinen Schritt mehr vom Ende der Mole entfernt.
,, Der Thane der Mardar, Kasran, hat mir das Angebot gemacht zu bleiben. Und damit in die Ränge seiner Leibwächter einzutreten. Ich werde es
Annehmen. Dann kann ich vielleicht etwas in dieser Stadt verändern. Diese Leute sind verdammt, wenn sie nichts tun… so egal das euch zu sein scheint. Warum ich also hier bin?“ Ihre Stimme klang bitter, als sie sich zu ihm umdrehte. ,, Um mich zu verabschieden, Galren. Wir werden uns nicht wiedersehen.“
Ein Teil von ihm wollte wütend werden, wollte Fragen, was das sollte. Elin wendete sich gegen ihn, sagte er sich. So wie die anderen, jeder einzelne und sie ging sogar noch einen Schritt weiter. Sie wollte sich wirklich mit dem Mann Verbünden der…
Ein scharfer Schmerz in seinen Schläfen
ließ ihn zusammenzucken und Galren machte einen taumelnden Schritt Richtung Wasser. Und warum ? Wer hat sie so weit getrieben, hm?
Er hatte Elin als ein überdrehtes und lebenslustiges Mädchen kennengelernt. Doch davon schien nichts mehr geblieben zu sein. Die Frau vor ihm war Todernst, jedes Wort scheinbar überlegt. Oh sie hatte ganz genau darüber nachgedacht, was sie da tat…
,, Stimme ich zu, wird Kasran mich kaum weiter als Druckmittel gegen euch nutzen können. Ich denke, Galren, ihr wisst auch was das heißt.“
Er blinzelte verwirrt, versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Grade
eben hatte noch alles in ihm danach geschrieben, die Gejarn eine Verräterin zu schimpfen was… Nach allem was er getan hatte, wollte sie noch weiter gehen?
Erneut gruben sich Unsichtbare Messer in seinen Schädel. Dann erreichst du ja was du willst, meinte er zu sich selbst. Aber um welchen Preis ? , fragte gleich darauf ein ersticktes Flüstern. Elin ist gewillt dir noch mehr Zeit zu verschaffen… Woher diese Loyalität stammte, er wusste es nicht, auch nicht womit er sie sich verdient hatte. Oh doch, das weißt du. Die Frage ist jedoch, bist du bereit dazu, die Hoffnungen eines kleinen Mädchens derart
auszunutzen?
Habe ich die eine Wahl?
,,Galren ?“ Er hörte ihre Stimme kaum, merkte nicht, wie blass er geworden war, oder das sein ganzer Körper zitterte.
Wenn du das zulässt, was ist dann aus dir geworden? , fragte er sich selbst.
Es war egal, er konnte nicht aufgeben.
Aber der Preis, den andere dafür zahlen würden…
,, Es geht euch nicht gut dabei.“ , erklärte er leise. ,, Das ging es nie, aber warum… warum habt ihr nichts gesagt, warum hast du weiter gemacht … Warum…“ Warum war sie überhaupt zurückgegangen.
,, Ihr habt mich darum gebeten. Und ich
hatte euch ein Versprechen gegeben… ihr erinnert euch? Galren ? Ich habe euch einfach vertrauen wollen…“
Stimmen wirbelten in seinem Kopf durcheinander, manche klangen nach ihm, andere leise, flüsternd und wieder einige brüllende Dämonen, die versuchten jeden Funken Vernunft zu übertönen, den er sich behalten hatte.
Dann soll sie das eben weiter tun…
Nein. Das konnte er ihr unmöglich antun. Keinem von ihnen. Nicht eine Sekunde länger.
Ach willst du etwa Aufgeben?
Sie hatte ihm vertraut. Und er hatte es grenzenlos enttäuscht oder nicht?
Elin schien kaum mehr etwas mit dem
aufgeweckten Mädchen gemein zu haben, das Hedan einen Floh getauft hatte. Und das war allein seine Schuld…
Ach ? Suhlen wir uns jetzt wieder in Selbstmitleid, ja? Entweder du machst trotz allem weiter oder du ziehst heulend wieder nach Hause. Aufgeben liegt dir nicht, das macht man nicht…
Doch… für die richtigen Gründe. Alle litten darunter, nicht nur Elin. Lias hatte kaum ein Wort mehr mit ihm gesprochen, die anderen distanzierten sich, selbst Merl… er hatte sich einmal so gut mit dem jungen Zauberer verstanden, hatte ihn als Freund gesehen seit jenen Abend in… Er konnte sich nicht erinnern, war es in der fliegenden
Stadt? Selbst das Gespräch das sie geführt hatten war kaum mehr als Fetzen in seinem Geist.
Er hatte alle verraten und enttäuscht, die mit ihm gereist waren, die ihm hatten helfen wollen... auch wenn die tosenden durcheinanderkreischenden Stimmen ihm etwas anderes einreden wollten.
Die wiederstreitenden Rufe lieferten sich einen waschechten Kampf darum, welcher Gedanke sich am lautesten Gehör verschaffte, vermischten sich zu einer gigantischen, misstönenden Symphonie.
Vernunft schrie gegen Wahnsinn, Rationalität und Mitleid gegen sein Bestreben, nicht klein bei geben zu
wollen. Und Galren, mittendrin, gefangen in dem Inferno, das seine Seele zu zerreißen drohte, blieb nichts, als dabei mitgerissen zu werden, während sich glühende Nadeln in seinen Kopf bohrten. Er konnte beinahe spüren, wie sein Geist gegen den absoluten Wahnsinn schleifte, konnte hören wie sich knirschend Stücke seiner Vernunft lösten und auf immer verschwanden. Keine der Seiten gewann hier, sein Selbst wurde lediglich zwischen den wiederstreitenden Ideen aufgerieben.
Er musste etwas tun… sich entscheiden oder von ihm würde nichts übrig bleiben. Wer war er wirklich? Wie sollte er entscheiden was richtig wäre, wenn es
nichts gab worauf er sich stützen konnte? Galren musste sich irgendwie erinnern…
Nebelfinger versuchten erneut nach seinen Erinnerungen zu greifen, lockten ihn mit der Gewissheit, dass er nur mehr Zeit bräuchte… Galren warf ihnen alles entgegen was er war, was ihn wirklich ausmachte. Nein… er würde nicht stumm akzeptieren, was aus ihm wurde, selbst wenn es ihn zerriss… Er stemmte sich dagegen und wenn das hieß, dass seine Suche hier und jetzt ihr Ende fand, dann war das ebenso…
Und dann war es, als ob plötzlich sämtliche Türen in seinem Verstand gleichzeitig aufsprangen. Der Mahlstrom
wurde noch einmal intensiver. Hamad… Freybreak… Silberstedt… Wie hatte er vergessen können? Die fliegende Stadt, Lasante, ihre Reise hierher, der Sturm…
Galren stieß einen Schrei aus und sank auf die Knie, erlaubte dem Feuer, durch ihn hindurch zu tosen und mit den reinigenden Flammen kamen Erinnerungen und Schmerz der nicht mehr nur geistiger Natur war…