Kapitel 74 Zweite Rückkehr
Elins Hände zitterten, den Kelch nach wie vor umklammert. Wenn sie das jetzt tat… was verlor sie schon noch groß? Aber sie konnte etwas gewinnen… Kasran hatte gemeint er traue seinen Gefährten mehr als Algim. Würde sie trinken… der Thane musste sie einfach beachten, wenn sie ihm von den Wasservorräten und dem Verrat des Königs berichtete. Sicher sie würde alles aufschreiben müssen, aber das würde sie nicht aufhalten. Es war ihre beste Chance…
Aber war sie wirklich bereit, das alles
für eine Chance aufzugeben? Die dunkle Hoffnung, das Kasran ihr vielleicht glaubte und dann auch entsprechend handelte? Aber wenn nicht, machte sie sich dann nicht mitschuldig am Untergang der Stadt?
Sie schaffte es nicht, den Kelch so zu stürzen, dass etwas von seinem Inhalt ihre Lippen berührte. Ihre Arme fühlten sich an wie aus starrem Holz, ohne Kraft ohne jede Beweglichkeit. Elin verharrte wo sie war, wie eine Statue. Sie konnte es nicht. Zumindest nicht so… Was tat sie den hier anderes, als zuzugeben, dass alle Hoffnung verloren war? Sie wäre nicht mehr in der Lage den anderen überhaupt zu erklären, was sie tat. Oder
warum. Es gab immer noch Leute denen sie etwas bedeutete. Es gab ungesagte Dinge, die ausgesprochen werden musste… Ihr Blick wanderte zu Kasran, der sich seelenruhig auf seinem Platz zurückgelehnt hatte. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Schlichte, vollkommene Zufriedenheit. Wie jemand… der genau da war, wo er sein wollte und nicht jemand der grade eben erst von einem seiner engsten Vertrauten hintergangen wurde… Der Thane schien nicht einmal zu bemerken, wie sie ihn beobachtete… Dafür jedoch waren auch Algims Augen wie gebannt auf seinen einzigen Herrn gerichtet und das
Entsetzen in seinen Zügen wich Verstehen.
Langsam setzte Elin den Kristallkelch ab. Der kurze Moment ihres eigenen Wahnsinns, war vorbei. Klirrend traf Kristall auf Holz als sie den Kelch auf einem niedrigen Beistelltisch am Feuer stellte.
,, Darf ich darüber nachdenken ?“
Als sie zu Kasran sah, war der Ausdruck auf seinem Gesicht, der sie so erschreckt hatte fort. Dort saß nur noch der Mann den sie mittlerweile zu kennen glaubte. Alt, niedergeschlagen und scheinbar ein wenig Enttäuscht. Doch seine Stimme war freundlich, sogar Verständnisvoll, als er schließlich
sprach: ,, Natürlich. Nehmt euch so viel Zeit wie ihr braucht. Mir ist selbst klar, dass dies keine leichte Entscheidung ist. Und ist sie einmal gefallen ist sie endgültig. Dennoch, ich heiße euch jederzeit willkommen.“
Elin atmete erleichtert auf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, hätte der Mann sie direkt vor die Wahl gestellt. Ihr war klar, das Kasrans Angebot ehrlich war… Tatsächlich reizte die Idee sie, dem Mann zu helfen. Am Ende war er vielleicht der einzige hier, der noch nicht den Verstand verloren hatte. Und mit ihrem Wissen könnte es ihm vielleicht tatsächlich gelingen diese Stadt irgendwie zu retten. Aber sie
konnte nicht so plötzlich darüber entscheiden wie sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Nicht… so. Elin wusste, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann waren ihre Gründe anzunehmen nur Ausreden. Mochte sein, dass etwas Wahres daran war, doch der eigentliche Grund… Das war keiner, bei dem sie ehrlich mit sich sein wollte. Wen wollte sie damit wirklich nutzen… oder bestrafen wenn sie das Angebot des Thanen annahm? Doch nur sich… Es ging einfach nicht. Vielleicht hoffte ein ferner Teil von ihr auch noch… Sie musste zumindest mit den anderen sprechen. Und das hieß, sie musste erneut hier
raus.
,, Ich… werde euch meine Entscheidung morgen mitteilen.“ , erklärte Elin. Sie würde schnell sein müssen, wenn sie hinaus und noch vor dem Morgengrauen wieder zurück gelangen wollte.
Kasran nickte, bevor er sich dem Gefährten, der Algim bewachte zuwendete. ,, Ich möchte das ihr den Marschall wegbringt. Sein Hausarrest beginnt ab jetzt. Vergesst das nicht.“
Der stumme Mann verneigte sich nur kurz und Elin folgte ihm und Algim schließlich aus dem Saal hinaus. Elin atmete erneut tief durch, als sie hörte, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Die ganze Tragweite dessen, was sie
grade fast getan hatte, wurde ihr erst nach und nach bewusst und je länger sie darüber nachdachte… Die Gejarn schüttelte den Kopf und machte sich daran an Algim und seinem Bewacher vorbei in Richtung Treppe zu gehen. Ihr lief die Zeit davon.
Doch bevor sie auch nur zwei Schritte machen konnte, packte der Marschall blitzschnell ihr Handgelenk. Halb rechnete sie damit, dass er auf sie losgehen würde oder vielleicht wollte er ihr auch nur einen letzten Fluch hinterherwerfen. Elin konnte sehen, wie der Wächter hinter ihm sich bereit machte, Algim niederzuschlagen, sollte es nötig werden. Doch als er sprach war
seine Stimme zum ersten Mal seit langem nicht von Wut gezeichnet.
,, Offenbar seit ihr ihm jetzt schon ein williges Werkzeug.“ , meinte er düster. ,, Und ich war es auch…ich habe es nur zu spät gemerkt.“
Elin bedeutete dem Wächter, dass alles in Ordnung sei. Auch wenn sie sich mit Algim so nah alles andere als wohl fühlte… ,, Wovon sprecht ihr ?“ , verlangte sie zu wissen. Sie musste zu ihm Aufblicken doch der Mann den sie sah hatte nur noch wenig von seiner einstigen Überheblichkeit behalten.
,, Kasran. Ob es euch klar ist oder nicht, aber der Alte hat euch jetzt genau da wo er euch die ganze Zeit haben wollte,
Kleine. Glaubt ihr er hat sich für über 400 Jahre als Thane gehalten weil er so Freundlich ist?“
,, Nein.“ Elin weigerte sich nach wie vor zu verstehen. Ein Teil von ihr Begriff ganz genau, worauf der Marschall hinaus wollte.
,, Was für einen größeren Sieg könnte es für ihn geben, als einen Feind offen auf seine Seite zu ziehen. Denkt darüber nach. Das sieht dem Alten ähnlich. Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er würde eure Freunde loswerden und den Propheten Lügen strafen. Den welchen anderen Grund könnte es schon dafür geben, das ihr stattdessen Kasran
folgt?“
,, Aber ich…“
,, Und ihr würdet ihm nicht einmal wiedersprechen können.“ , schnitt Algim ihren Protest ab. ,, Es ist mir egal warum ihr ihm wirklich folgen solltet , oder warum er solche Hoffnungen in euch setzt, der Punkt ist, ihr wärt danach wenig mehr als eine Figur auf seinem Schachbrett. “
Die Anschuldigungen des Marschalls trafen sie wie ein Schlag… aber gleichzeitig, wie viel konnte sie grade Algim schon glauben? Kasran war nicht derjenige gewesen, der einen Verrat geplant hatte…
Wenn, dann war es eher so, das Algim
versuchte ihr ein letztes Mal Angst zu machen, wenn nicht mit Waffen, dann eben mit Worten. Das war alles…
Elin riss sich mit einem Ruck los und trat an Algim vorbei, der ihr mit einem Ausdruck aus Missgunst und dem alten Hass nachsah. Es könnte sie nicht weniger kümmern, dachte die Gejarn, als sie schließlich die Stufen erreichte und sich daran machte, in den Keller hinab zu steigen.
Das Deck der Windrufer lag im Dunkeln, als sie schließlich weit nach Mitternacht aus dem Hafenbecken auftauchte. Lediglich zwei nur noch schwach glimmende
Laternen hoben den dunklen Schatten der Bordwand von der umgebenden Schwärze ab. Soweit Elin das sagen konnte, war bereits niemand mehr hier… und ihr konnte es recht sein. Das hieß zumindest, das Galren ebenfalls nicht hier sein würde. Aber jemand anderes würde hier sein, das wusste sie sicher.
Geräuschlos kletterte sie bis zur Reling hinauf und zog sich hoch, bis sie die Planken des Schiffsdecks unter den Füßen spürte. Wasser troff aus ihrer Kleidung und ihr war mal wieder eiskalt von der Zeit in den Tunneln, aber immerhin… sie hatte es geschafft, dachte die Gejarn. Und sie war wieder draußen. Elin stand einen Moment nur da, halb
über die Reling gebeugt und atmete die klare Nachtluft ein, die vom Meer her herangeweht wurde. Ihr war klar, dass sie nicht viel Zeit hatte, doch diesen Moment musste sie riskieren. Erst nach und nach wurde Elin bewusst, wie lang diese vergangenen Tage wirklich gewesen waren. Kürzer als der erste Teil ihrer Gefangenschaft aber ungleich schwerer. Jetzt jedoch… war sie frei zu tun, was immer sie wollte. Ob das nun hieß mit den anderen zurückzukehren oder sich tatsächlich Kasran anzuschließen war egal. Sie könnte auch einfach verschwinden, dachte sie und der Gedanke hatte etwas Verlockendes. Sich wieder im Laderaum verstecken und
warten bis die anderen den Rückweg antreten mussten oder sogar in der Stadt bleiben. Am Ende war es ihre Entscheidung. Auf seine Art hatte der Schock, den sowohl Kasran als auch Algim ihr versetzt hatten etwas Heilendes. Sie war keinem etwas schuldig. Nicht mehr zumindest, sagte Elin sich.
,,He… Ihr da !“ Eine Stimme aus der Dunkelheit riss sie aus ihren Gedanken. Ein schwankender Schatten kam über das Deck auf sie zu und bevor Elin noch dazu kam, etwas zu erwidern, flammte in seiner Hand eine Laterne auf und ließ ein wettergegerbtes Gesicht mit grau melierten Haaren erkennen.
Hedan…
,, Elin ?“ Der Kapitän hätte die Lampe beinahe fallen lassen, als er sie erkannte. ,, Götter, seid ihr das wirklich ?“
,, Ich bins.“ , erwiderte sie nur, während sie endgültig an Bord kletterte.
,, Ich dachte wirklich wir sehen euch nie wieder. Galren hat den Verstand verloren, Kleine… das weißt du genau so gut wie ich. Ich wusste, dass ihr vernünftig werden würdet. Aber er ist immer noch mit Hadrir unterwegs, also kann er uns diesmal egal sein. Wir können morgen weg sein…“ Während der Kapitän redete, führte er sie rasch zur Kajüte und die Bewegung brachte wieder etwas Leben in ihre durchgefrorenen
Glieder.
,, Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich euch begleiten werde.“ , erklärte Elin schließlich, als sie sich an den Kartentisch setzte. Es schien ein Leben her zu sein, das sie hier gewesen war, zuletzt um dem sturen Kapitän seine Fehler aufzuzeigen. Seit dem war einiges passiert…
,, Wie meint ihr das ?“ Hedan, der soeben noch zwei Krüge geholt hatte, erstarrte einige Schritte vom Tisch entfernt. ,, Elin ?“
Die Gejarn zögerte, während sie überlegte, wie sie dem Kapitän das ganze bloß erläutern sollte. Langsam begann sie alles zu erzählen, was sich seit ihrer
Rückkehr in das Anwesen ereignet hatte, angefangen von dem Moment in dem sie das Schiff verlassen hatte, über den Brief bis hin zum Angebot, das der Thane ihr unterbreitet hatte.
,, Und warum bei allen Göttern, Ahnen und was es sonst noch so geben mag, solltet ihr darauf eingehen ?“ , wollte Hedan wissen und schlug mit dem mittlerweile vollen Krug auf den Tisch.
,,Wenn ihr an meiner Stelle währt… würdet ihr nicht darüber nachdenken ?“
,, Dazu rede ich zu viel und gern.“ , gab der Kapitän zurück und rang sich ein kurzes Lächeln ab.
,, Und kann ich das Schicksal dieser ganzen Stadt darüber stellen ?“ ,
erwiderte sie. ,, Ich weiß es klingt seltsam aber ich glaube Kasran würde uns tatsächlich glauben, sollte er erfahren, das der König die Wahrheit über die Seen unter der Stadt verheimlicht… Aber nicht wenn ich als eine Gefangene zu ihm spreche, Hedan.“
Danach schwieg er eine Weile und Elin war die Stille willkommen. Im Augenblick reichte es ihr , dazusitzen und zu trinken, während der Morgen unweigerlich näher rückte. Noch war draußen vor den Fenstern alles dunkel, doch wusste sie, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der erste graue Schimmer des Morgens sich zeigen
musste.
,, Ich kann nicht sagen, dass ich wüsste, was ihr tun sollt, Elin. Manchmal lässt uns das Leben eben nur die Wahl zwischen einer schlechten Entscheidung… und einer noch viel schlimmeren. Es lieg an euch zu wissen, welche davon ihr nachher weniger bereut. Bereuen werdet ihr sie aber in jedem Fall.
Ich glaube genau solche Entscheidungen sind der Grund, warum die Menschen Alkohol erfanden.“
,, Trinkt ihr deshalb so viel ?“ , wollte Elin wissen.
Hedan lachte zur Antwort. ,, Sagen wir einfach ich habe meine Erfahrungen mit
schlechten Entscheidungen. Manche habe ich länger bereut als andere.“
,, Sagt mir… wie immer ich mich entscheide… würdet ihr meinen Eltern einen Brief von mir überbringen, sollte ich hier bleiben ? Ich muss es ihnen zumindest erklären…“
,, Natürlich. Allerdings auch wenn ich euch nicht sage, was ihr tun sollt… ich darf doch zumindest darauf hoffen, das ihr uns begleiten werdet, Elin.“
,, Habt ihr Angst euch ohne mich auf dem Rückweg zu verirren, ja ?“
,, Ich habe Angst mich im Zweifelsfall auf Galren verlassen zu müssen.“ , gab Hedan zurück und klang dabei so Todernst, das Elin sich fragte, wie
schlimm es mittlerweile wirklich um den Mann stand.
,, Er kommt nicht wieder zur Vernunft, oder ?“ , fragte sie und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
,, Wenn ihr wüsstet… Ich erkenne den Jungen kaum wieder, Lias spricht kein Wort mehr mit ihm und Hadrir führt ihn nur noch weiter durch die Stadt, weil er ihn beschäftigen will. Ehrlich gesagt ich bin froh, dass er grade nicht hier ist. Aber solltet ihr Vorhaben uns doch zu begleiten, Elin ist heute vermutlich die beste Gelegenheit. Die anderen werden ihn vermutlich begleiten, wenn er zurückkommt. Dann könnt ihr ihn vor die Wahl stellen und wenn er nicht mit
will kann er von mir aus sehen wo er bleibt.“