Kapitel 70 Verdammung
Elin war nur froh, wieder hier zu sein, als man sie unter Deck brachte, in ein dutzend Mäntel gehüllt, die langsam die Wärme in ihre Glieder zurück brachten. Auf dem letzten Stück Weg durch die Tunnel hatte sie schwimmen müssen und war mehr als einmal mit vorbeitreibenden Moosstücken in Kontakt gekommen. Der Saft der Pflanzen hatte schwarze Flecken auf ihrer Kleidung hinterlassen. Ihr war selber klar, wie viel Glück sie gehabt hatte, vor allem, als die Tunnelmündung sie schließlich ins Meer spülte, keine
drei Steinwürfe vom Rumpf der Immerwind entfernt.
Alle hatten sich um sie herum versammelt, während Elin von ihrer Flucht erzählte und Naria sich ihre Verletzungen ansah. Die meisten waren nur Oberflächlich. Kratzer, die sie sich in den Tunneln zugezogen hatte , ein paar Verbrennungen wo sie einer der Grünpflanzen nicht mehr ausweichen konnte… Lediglich die Kopfwunde rief sich noch immer bei jeder Bewegung wieder in Erinnerung. Ein schmerzhaftes Pochen, das manchmal so stark wurde, das ihr schwindelte. Das würde eine Narbe geben, das wusste sie jetzt schon. Und dennoch könnte es die Gejarn nicht
weniger kümmern. Sie hatte es geschafft. Und die anderen schienen ihre Erleichterung zu teilen. Alle… außer Galren.
Aber vielleicht zeigte der Mann das nur nicht so offen? Oder er war mit seinen Gedanken einfach schon wieder Meilen voraus… Trotzdem musste sie unwillkürlich kurz an Kasrans Worte denken. Das es Galren gewesen war, der so völlig uninteressiert an den Forderungen des Thanen gewesen sei….
So oder so, seine Gesichtszüge blieben völlig Nichtssagend, während er sich am Rand der kleinen gruppe hielt, die sich um eine Nische im Bauch des Schiffes gesammelt hatte. Elin selbst saß auf
einer kleinen Bank und ließ zu, das Naria die Wunde an ihrer Stirn mit irgendetwas auswusch, dessen Geruch furchtbar in der Nase stach… und noch einmal so schlimm brannte, wenn es mit der offenen Haut in Kontakt kam.
Elin versuchte sich irgendwie von den Schmerzen abzulenken und ihr Blick wanderte wieder zu Galren. Sie lächelte ihm kurz zu. Nicht ihr übliches, schelmisches Grinsen, das wollte ihr bei ihm einfach nicht gelingen.
Doch der Mann reagierte nicht einmal ansatzweise, wie sie gedacht hatte. Er machte lediglich eine kaum wahrnehmbare wegwerfende Handbewegung… bevor er sich einfach
wegdrehte. Er sagte kein Wort, es gab nicht einmal die kleinste Veränderung in seinem seltsam blassen Gesicht. So wenig Elin das zugeben wollte, so sehr sie sich sagte, dass es ja nichts zu sagen hatte… es tat weh. Sie schien ihm schlicht völlig egal zu sein… Elin wäre am liebsten aufgestanden um ihn zur Rede zu stellen, egal ob sie dann als Idiotin dastünde. Das schien nicht der Galren zu sein, den sie kannte und sie war erst wenige Augenblicke wieder hier. Als hätte jemand den Mann mit jemand völlig anderem Ausgetauscht. Was war nur los mit ihm?
,,Aua…“ Scharfer Schmerz riss sie zurück in die Wirklichkeit. Naria hatte
erneut irgendeine Tinktur auf die kleineren Verätzungen aufgetragen, welche ihre Arme und Beine überzogen. ,, Ihr schimpft euch doch Magierin. Könntet ihr die nicht mal nutzen?“ , fragte Elin ungehalten und erntete damit nur ein Schmunzeln von Seiten der Gejarn.
,, Wisst ihr wie schmerzhaft ein Heilzauber sein kann ?“ , wollte sie im Gegenzug wissen. ,, Es gibt einen Grund warum ich es auf mich genommen habe, zu lernen Leuten ohne Magie zu helfen. Die meisten fürchten sich sogar davor…“
,,Nein…“ Halb tat es ihr schon wieder Leid die junge Magierin angefahren zu haben und sei es auch nur aus dem
Affekt heraus. So unheimlich Naria sein konnte, sie tat alles um ihnen zu helfen. Halb rechnete sie damit, das Galren sie fragen würde, ob ich nun doch der Tee lieber wäre. Aber der Mann war tatsächlich nirgendwo mehr zu sehen… Elin lehnte sich zurück in die Polster und wartete einfach darauf, dass das Brennen nachließ. Am Ende fühlte sie sich zum ersten Mal seit einer Weile wieder sicher. Alles andere würde sich schon klären.
,, Ihr seid wirklich wie ein verdammter Floh.“ , meinte Hedan grinsend. ,, Die wird man auch nicht mehr los wenn man sie einmal hat. Aber was bei allen Seegöttern ist mit euch passiert? Das
nenne ich mal einen blauen Fleck…“
Er deutete auf die Platzwunde, die nach wie vor nicht aufgehört hatte zu bluten, während Naria ihre übrigen Kratzer versorgte. Trotz seines lockeren Tonfalls konnte Elin die Sorge in seiner Stimme hören. Sorge und Wut, weil er die Antwort offenbar schon ahnte.
,, Der Marschall schlägt wie ein Mädchen.“ , erklärte sie nur ernst und der Kapitän brach fast im gleichen Augenblick in schallendes Gelächter aus. Schwer atmend und nach wie vor gelegentlich kichernd, griff er schließlich hinter sich und förderte zwei Zinnbecher und eine kleine Silberflasche
zutage.
,, Zwergenmädchen vielleicht.“ , meinte Hedan und lachte erneut kurz auf. ,, Aber wenn die schon so zuschlagen, glaubt mir, dann will ich in dieser Stadt nie in eine Kneipenschlägerei geraten.
Glaubt mir ich kenne Gestandene Männer die nach so was heulend am Boden lägen und sich nicht mehr rühren würden… Hier.“
Mittlerweile hatte er die beiden Becher mit einer goldenen Flüssigkeit gefüllt und bot ihr einen davon an.
,, Was ist das ?“ , Elin zögerte kurz, während sie an dem Getränk schnupperte. Es hatte etwas vertrautes, den würzigen Geruch von Obstgärten im
Spätherbst, wenn die Früchte Schwärme aus Wespen anzogen…
,, Pflaumenschnaps aus Risara. Ich sage ihre Weine sind um Längen besser, aber das Betäubt um einiges schneller. Ich habe dort mal einen Mann gekannt, der damit prahlte ein Fass ihrer Süßweine alleine leeren zu können. Aber nach einer Flasche von dem Zeug ist er umgekippt ohne noch einen Ton von sich zu geben.“
Elin zuckte lediglich mit den Schultern und stürzte den Inhalt des grade einmal Daumentiefen Bechers hinunter. Hedan lachte lediglich als sie kaum einen Herzschlag später darum kämpfte, die Fassung zu bewahren. Geister, der Mann
hatte nicht übertrieben. Sie fühlte sich einen Moment als hätte sie flüssiges Blei getrunken. Blei mit einem alles Überdeckenden, Übelkeit erregenden Zimtgeschmack.
,, Ich nehme an, euer Bekannter ist kleiner als ich gewesen.“ , murmelte sie schließlich, als sie ihrer Stimme wieder traute.
,,Scheint so. Naria. Sie wird doch wieder, oder?“ , fragte Hedan, als die Gejarn sich daran machte, die Platzwunde auf Elins Stirn endgültig mit einem sauberen Leinen-Streifen zu verbinden.
,, Sicher. Allerdings würde ich ihr empfehlen eine Weile nicht zu klettern
zu rennen oder… generell irgendetwas zu tun außer sehr langsam zu gehen. Da ich allerdings weiß, das ihr sowieso nicht auf mich hörten werdet…“ Naria rang sich ein kurzes Lächeln ab, bevor sie Elin eine Handvoll olivgrüner, fleischiger Blätter in die Hand drückte. ,, Wenn euch schlecht wird, versucht eines davon zu kauen.“
,, Besser, Elin nimmt sie mit. Sie muss ohnehin so schnell wie möglich zurück!“ Die Stimme brachte sie alle dazu den Kopf zu drehen. Ihr Urheber stand auf den Stufen, die hinauf zum Deck des Schiffes führten. Trotz des Lichts, das durch die Öffnung hereinfiel schien es dort, wo er stand irgendwie… dunkler zu
sein als hier bei ihnen. Aber vielleicht war das auch nur die Erschöpfung, dachte Elin. Was ihr viel mehr Gedanken machte, war die Art, wie der Mann sprach. Und wovon…
Galren trat langsam die restlichen Stufen hinab und auf sie zu.
Hadrir war der erste, der seine Stimme wiederfand. ,, Entschuldigt mich ? Aber sie ist grade erst zurück. Was glaubt ihr…“
Er ließ dem Zwerg keine Zeit auszusprechen, sondern wendete sich jetzt direkt ihr zu. ,, Ihr müsst sofort zurück, bevor euer Fehlen noch jemanden auffällt…“
Zum ersten Mal seit sie wieder hier war
zeigte sich eine Emotion auf Galrens Gesicht… Wut. Er schien schlicht und ergreifend aufgebracht darüber das… ja was? Das sie entkommen war?
,, Hast du den Verstand verloren ?“ , fragte Lias.
,, Ihr könnt unmöglich auch nur daran denken, das Mädchen wieder in Gefangenschaft zu schicken.“ , begehrte Hedan fast zeitgleich auf. Beide Männer standen Galren gegenüber, einer nur sprachlos, der andere wütend.
,, Ich habe die Dinge selten klarer gesehen.“ , erwiderte der Mann kühl. ,, Wenn ihre Flucht entdeckt wird, glaubt ihr die Mardar lassen das auf sich sitzen
?“
,,Nein. Genau deshalb verschwinden wir jetzt auch baldmöglichst von hier.“ , mischte sich nun auch Armell ein.
,, Ich brauche mehr Zeit.“ , erwiderte Galren.
Die junge Adelige schüttelte ungläubig den Kopf. ,, Ach, und ich nehme an Elin hat dabei kein Wort mitzureden, ja ?“
,, Das habe ich nicht gesagt…“ Er sah plötzlich wieder in ihre Richtung. Nicht das Elin in der Lage gewesen wäre eine Antwort zu geben. Sie sollte was? Zurück ? Unbewusst strich sie über den Verband an ihrer Stirn. Die Schmerzen die grade angefangen hatten nachzulassen, waren sofort wieder da.
Das konnte Galren unmöglich ernst meinen das… Der Mann den sie kannte tat so etwas einfach nicht… Und doch schien es ihm absolut ernst, wie er mit vor der Brust verschränkten Armen auf eine Antwort wartete. Es gab nur eine Antwort. Aber gleichzeitig würde er sie dafür hassen. Er scheint dich jetzt schon nicht zu mögen, erwiderter eine sarkastische Stimme in ihrem Kopf.
,, Du wirst nichts dergleichen tun.“ Lias legte ihr eine Hand auf die Schulter und trat an ihr vorbei auf Galren zu. Die Arme weit ausgebreitet als wollte er sich als Schild zwischen sie alle und den Menschen stellen. ,, Bitte… Ich liebe dich wie den Sohn den ich nie hatte
also… bitte… tu mir und dir das nicht an. Hörst du dir überhaupt noch selbst zu?“
,, Das tue ich sehr wohl.“ Es gab keine Spur des Zögerns in seiner Stimme.
,, Ich nehme an, der Tee den ich euch gegeben habe wirkt nicht…“ , stellte Naria leise fest, während sie sich von Elins Seite erhob. Mit wenigen Schritten war sie neben Lias und Hedan.
,,Hört endlich damit auf.“ Nun stellte sich auch Merl und mit ihr Armell an ihre Seite. ,, Bitte.“
,, Nein. Das hat er nie glaube ich.“ Es schien ihn gar nicht zu kümmern. ,, Also, was ist jetzt ?“
,,Galren…“ Lias trat noch weiter auf
ihm zu und ließ die Arme sinken. Seine Stimme war sanft, nicht wütend oder aufgebracht. Erst als kaum ein Schritt Platz mehr zwischen ihm und dem halb wahnsinnigen Menschen war, blieb er stehen. ,, Sei ehrlich, wann hast du das letzte Mal auch nur geschlafen ?“
Einen Moment glaubte Elin, das Lias irgendwie zu ihm durchkam. Galren machte einen halben Schritt zurück und schloss die Augen. Dann jedoch holte er mit der Faust aus und schlug zu. Sie konnte hören, wie der Schlag Lias mitten ins Gesicht traf.
,, Du bist nicht mein Vater.“ , zischte Galren leise, doch in der einsetzenden Stille war es unüberhörbar. ,, Also hör
auf so zu tun, als ob.“
Der Hieb hatte Lias kaum verletzt, doch was Galrens Faust nicht schaffte, schafften seine Worte. Elin konnte geradezu sehen, wie der Mann nach Worten suchte und wie seine Augen eine Spur dunkler zu werden schienen. Einen Moment lang starrte er den Mann nur wortlos an, voller Entsetzen und auch Galren zitterte. Sie konnte spüren, das ein Teil von ihm sich am liebsten sofort entschuldigen wollte doch auch ihm kam kein Wort mehr über die Lippen. Das war ein Alptraum… Algim hatte sie in Wirklichkeit bewusstlos geschlagen oder sie ertrank grade in den Tunneln oder… alles nur nicht
das.
,,Nein.“ , murmelte Lias schließlich. Seine Stimme war tödlich leise geworden. ,, Und es wurde vielleicht Zeit, das du mich daran erinnerst. Tu was du willst… aber ohne mich.“
Mit diesen Worten trat der Gejarn an Galren vorbei und verschwand mit eiligen Schritten die Treppe hinauf. Es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, bis sich wieder einer von ihnen rührte und diesmal war es Armell.
,, Galren, das geht jetzt zu weit. Ihr habt hier nicht alleine das sagen.“ , erklärte sie. ,, Ganz im Gegenteil. Diese Expedition hat ihr Ziel erreicht. Und so Leid mir das für euch tut… sie ist jetzt
und hier beendet. Und ich denke Hadrir und die anderen werden mir da zustimmen. Wir kehren morgen nach Canton zurück. Mit Elin und ob mit oder ohne euch ist mir dann ehrlich gesagt egal !“
,,Ist… schon gut.“ Elins eigene Stimme schien von weit herzukommen, als sie schließlich aufstand. Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit aller auf sie. Ihre nächsten Worte kamen ihr selber fremd vor, als würde jemand anderes sie für sie sprechen. ,, Ich mache es. Ich gehe zurück.“
,,Ihr wisst nicht, was ihr sagt, Mädchen.“ , rief Hedan. Leider, dachte Elin, wusste sie das nur zu
gut.
,, Ihr sagtet doch, ich solle sie fragen.“ , erwiderter Galren und der kalte Ton in seiner Stimme war alles, was sie hören musste. Es reichte… Alles war grade besser als einen weiteren Augenblick hier zu bleiben. Ein Wort, das wäre alles. Und trotz allem konnte sie es nicht übers Herz bringen... Sie konnte Galren nicht einfach aufhalten und das alles beenden. Und warum nicht ?
,,Ich komme zurück.“ , erklärte sie nur leise. Sie wusste es nicht. Den der Mann den sie zu kennen glaubte war ganz ohne Zweifel Tod, so sehr sie das leugnen wollte…