DIE BLUME DES BÖSEN
Heini Kerbholtz sitzt in seiner Laube bei Bier und Bratwurst und labbrigem Brot. Trotzdem ist er rundum zufrieden. Mit sich, seinem Leben und der Welt an sich. Alles hatte sich in seinem Sinne entwickelt. Und jetzt war es an der Zeit Ruhe zu bewahren, abzuwarten, um vollkommen unschuldig die verdiente Beute einzufahren.
Er denkt an die unfreiwillig Beteiligten in seinem famos ausgetüfteltem Plan. Die verlieren immer mehr die Nerven,
gehen jetzt schon hemmungslos aufeinander los. Gut so, denkt sich Heini, ein wenig zu schnell, doch umso besser. Und nur so um sich zu Recht zu feiern, öffnet er sein zweites Bier. Das Brot schmeißt er aus dem geöffneten Fenster. Auch für die Vögel ist heute Feiertag. Da ist er gönnerhaft, der Heini.
Und das ist eine ganz neue Seite an ihm, wie er schwach erstaunt feststellt. Er kann tatsächlich ohne groß empfundene Bitterkeit etwas abgeben; eine selbstlose Spende tätigen. Natürlich bedient er solche Gesten sozialer Verantwortung nur mit Kleinigkeiten: Einem Stück Brot, einem halben Apfel oder einem netten
Wort für den Postboten. Das ist aber auch schon das äußerste. Denn sonst im alltäglichen Miteinander ist der Heini Kerbholtz ein weit weniger netter Mensch. Und das sieht man ihm zu allem Überfluss auch noch an.
Er wurde ungefragt ausgestattet mit einem fiesen Frettchengesicht, stets verschlagen blickenden blassbauen Augen und einem dünnen Schwanenhals der auf einem schmächtigen Brustkasten mit ebensolchen Schultern ruht. Sein Bauch ist vorgewölbt wie ein Alkoven, dafür hat er keinen Hintern in der Hose, und seine Beine sind einfach zwei formlose Gehwerkzeuge.
Alles in allem ein nicht sehr attraktiver
Anblick. Den nur noch sein ausgeprägt schuftiger Charakter überbietet. Einige entfernt mit ihm Bekannte sind der Meinung dies liege allein an seiner etwas merkwürdigen Erziehung - verwöhntes Einzelkind mit ungezügeltem Verlangen nach Stofftieren. Andere Mitbürger sahen das Übel in der Scheidung seiner Eltern, und wieder andere waren schlicht der Meinung dass er das geborene Arschloch ist.
Und wie immer hatte jeder ein wenig Recht.
Doch das alles interessiert Heini Kerbholtz jetzt nicht mehr. Er beschäftigt sich mit seinem Plan, der unbeabsichtigt zu einer richtigen
Obsession angewachsen ist. Einer echten Leidenschaft, die ihn Dinge hat tun lassen, die er vor kurzer Zeit
noch zutiefst verabscheut hat.
Zum ersten wäre da das „Nett - sein.“ Freundlich grüßt er jeden der ihm über den Weg läuft auserlesen und freundlich, bietet außerdem ungefragt seine Hilfe bei niederen Verrichtungen an und schmeißt keine Steine mehr nach fremden Hunden.
Kurzum: Er schleimt sich ein bei den Schreberkollegen.
Das hatte es vorher noch nicht gegeben.
Denn da war er echt stinkig mit diesen mistigen Kleinkrämern die sich hinter ihren Vereinsstatuten versteckten. Die
mieseste Parzelle haben sie ihm überlassen. Ganz hinten, in der letzten Ecke, und im ewigen Schatten großer Linden. Und so Sonnenlos wuchs hier nicht mal ne einsame Bohne. Echt Schade. Denn der Heini Kerbholtz ist trotz seines abstoßenden Charakters ein großer Blumenfreund. Alles was bunt blüht und wohltuend duftet liegt ihm zärtlich am Herzen. Rosen, Nelken, Tulpen, Gerbera. Das ist seine bunt blühende Welt.
Doch hier auf seinem Schattenland wuchsen allesamt Kümmerlichkeiten. Da hatte er keine rechte Freude an, der Heini.
Und deshalb hatte er seinen famosen Plan
ausgeheckt.
Neues Land musste her. Schönes fruchtbares Sonnenüberflutetes Land. So einfach war das. Und doch ziemlich schwer. Die Laubenkolonie ist voll besetzt, seine Parzelle mit einem anderen tauschen kam nicht in Frage. Für so etwas war er zu unbeliebt.
Und so wurde er kurzerhand zum Gurkendieb. Der Blumenkönig zog in den Krieg. In einer einsamen Nacht schlich er sich über die knirschenden Kieswege hin zum Gewächshaus von Hauke Landbrodt, dem allseits gefürchtetem Gurken - Champion und Mustergärtner. Und Heini räumte in aller gebotenen Hast die Lieblinge aus der
Schatzkammer, häufte sie mit Stumpf und Stiel auf die mitgebrachte Schubkarre und machte sich eiligst wieder davon.
In seiner eigenen Laube und im Schutze nächtlicher Finsternis setzte er sich erstmal hin. Sein Herz schlug ihm donnernd in der Brust. Das erinnern seiner schuftigen Missetat schlug ihm heftig auf die Nerven.
Und er tat was er äußerst selten getan hatte: Er aß eine von den Gurken! Nicht das er Hunger hatte, oder den Geschmack liebte, nein. Das war so etwas wie das Herz eines besiegten Feindes zu verspeisen, so dass dessen Kraft und Mut nun auf ihn selber
übergehen möge.
Den Rest vergrub er sorgsam zwischen den Schattenbäumen. Dann noch einige anonyme Indiskretionen in Form perfider Drohbriefe. Und schon nahm die feine Feindschaft ihren Lauf. Diese blöden Gurken - Nazis gingen gnadenlos aufeinander los. Und er, Heini Kerbholtz, der geborene Intrigant, würde am Ende der Sieger sein. Er gönnt sich auf diese Tatsache hin noch ein Bierchen.
KABOOM!!!
Seine Tür fliegt auf, schmettert hart an die Laubenwand. Die ganze Bude zittert, schrecklich erschreckt lässt Heini die
Flasche fallen. Ein schneller Furz in seinen grauen Schlüpper bestätigt noch den Schrecken.
Zwei Gestalten stürmen herein.
Es sind die beiden Gurken - Gärtner, der Hauke und der Sönke. Und mit denen hat der Heini nu überhaupt nicht gerechnet. Was wollen die denn? Und dann auch noch gemeinsam. Haben die was gemerkt? Ist er schon aufgeflogen?
Doch die Beiden gucken ganz normal; keine Spur von Erkennen gegenüber dem Gurkendieb. Ruhig bleiben, denkt Heini, jetzt bloß nich in Panik geraten. Die beiden Blöden da kommen bestimmt aus irgendeinem Zufall vorbei.
„Moin, Heini. Ha ´m wir dir erschreckt?“
Fragt der Hauke.
„Moin Heini.“ Sagt Sönke.
„Moin,“ antwortet Heini, „war grad so in Gedanken, weißte.“
„Aha.“
„Und… ? Was wollt ihr? Kann ich was helfen?“
„Aber sicher kannste helfen. Wir ham da mal n paar Fragen, wa!“
Oho, die Sache scheint brenzlig zu werden, überlegt er sich, irgendwas ist da im Busch. Jetzt nicht verraten, durch ein unbedachtes Wort, eine Geste, oder das Zittern in seiner Stimme. Die Beiden setzen sich an seinen Tisch. Ihm gegen und über. Ihre feisten Fäuste auf der Wachstuchdecke.
„Also… was issen das für ne Frage?“
„Tja… wir ham uns überlegt was das hier is. Können uns aber nich einig werden. Und da dachten wir, wir fragen mal den Experten hier, den Blumenkenner, der muss das vielleicht kennen.“
Der Sönke öffnet seine Faust. Ein Blütenblatt schwebt auf die Tischplatte. Rot, zart und blumig.
„Was ist das?“
„Ein Blatt!“
„Das seh ich auch, du Eiernacken. Aber was für ne Blume könnt dat sein?“ „Tja, mal sehen… schwer zu sagen… so ohne Rest. Muss ich überlegen.“
„Dann überleg.“
Heini guckt und überlegt und denkt daran einen unschuldigen Eindruck zu hinterlassen. Vollkommen ahnungslos und wie unbeteiligt muss er jetzt sein.
„Auf den ersten Blick würd ich sagen: Das da ist n Blatt vom Antirrhinum majus. Dem Löwenmäulchen. Samtiges Aussehen, lippenartige Blüten… ja, das muss es sein. Kamen ursprünglich aus Südeuropa, Nordafrika.“
„Biste sicher?“
„So gut wie.“
„Dann is ja alles klar.“
Und der Hauke sagt das so mit einem entschiedenen Urteil, das Heini ganz anders wird. Ertappt fühlt er sich plötzlich, ganz elend und verloren. Sein
Gesicht entgleist ein wenig in Richtung Staunen, Beklemmung und Furcht. Ein Ausdruck den er sich eigentlich für die nächste Darmspiegelung reserviert hatte. Jetzt bloß keinen Verdacht wecken.
„Was is denn klar?“ Fragt er, so nebenher wie möglich.
„Das Du der vermaledeite Gurkendieb bist!“ Haut ihm Hauke vor die Fresse. „Ich…? Du spinnst doch Landbrodt. Weshalb sollte ich…“
„Du wirst schon wissen warum.“ Mischt sich der Sönke ein.
„Ach, ihr Beiden fantasiert doch.“
„Ach nee, dieses Blatt hier. Das hab ich vor meinem Gewächshaus gefunden,
unter einem Brocken Erde. Bei mir wächst so ne Blume nicht. Also muss sie von dem Gurkendieb verloren worden sein.“
„So ein einzelnes Blatt besagt noch gar nichts.“
„Doch, tut es. Wir ham uns umgesehen - und gehört. Du bist hier der einzige Schreber der so ne Blume im Garten hat. Stimmt doch, Du hast doch welche?“
„Ja, schon. Aber das kann auch der Wind gewesen sein… oder irgendjemand der mir was anhängen will.“
„Ach nee… und warum biste dann in den letzten Tagen bei unseren Parzellen rumgeschlichen? Meine Olle, die Gisela,
hat dich gesehen. Und nich nur einmal. Heimlich gepeilt haste da.“
„ist doch wohl Zufall. Ich kann ja hingehen wo ich will, wa?“
„Klar doch. Is ja auch nur Zufall wenn wir dir jetzt n paar Ohrfeigen verpassen.“
Dem Heini wird jetzt ganz anders. Sein schöner Plan scheint aufgeflogen, geplatzt und vorbei. Ihm läuft der Schweiß über die Stirn. Ertappt und schrecklich einsam fühlt er sich.
Eine frische Brise lässt die Blätter rauschen, während man deutlich das scharfe Knallen der ersten Ohrfeige hört.
Text: harryaltona