Kurzgeschichte
letztes Puparium - ...und niemand hat es gesehen / FB 46

0
"letztes Puparium - ...und niemand hat es gesehen / FB 46"
Veröffentlicht am 23. November 2015, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Manchmalschreiberin Gerneleserin
letztes Puparium - ...und niemand hat es gesehen / FB 46

letztes Puparium - ...und niemand hat es gesehen / FB 46

Beitrag zum Forumsbattle 46 /Motto :


"... und niemand hat es gesehen!"


Zudem gilt: "Erlaubt ist, was gefällt."

Optional können folgende Worte verwendet werden :


Klimpern Schnattern Exorbitant Zweifel Minimalistisch Front Puparium Schnüffelblumen Hamsterkäufe

Ich liege auf dem Boden. In Zeitlupe baut sich Gegenwart auf. Zeitlupenartig höre ich einen durchdringenden dumpfen Knall. Wieder und wieder und wieder. Ich liege auf dem Boden, um mich herum ist es dunkel. Ich kann kaum atmen. Ich spüre keinen Schmerz.

Ich kann mich noch bewegen. Meine Hand berührt etwas Hartes. In der Ferne höre ich Rufen.

Ich starre ins Dunkle. Meine Hand tastet Enge. Gerade noch habe ich an meinem Computer gesessen und auf der Tastatur geklimpert.



Jetzt liege ich hier.

In Zeitlupe und im Dunklen. Ich habe keine Schmerzen. War das eine Explosion? Ein Erdbeben? Mir fällt sofort Paris ein. Mir fällt mein Vater ein. Er wird auf mich warten. Gleich, in der Mittagspause. Wir sind verabredet. Wollten einfach mal schnattern, naja, so wie Männer das eben tun. Wenn das ein Attentat war hier, wird er zu mir kommen können, wird er mich suchen? Weiss er es schon?

Hoffentlich war es kein Attentat. Nicht schon wieder.

Einfach nur ein Erdbeben.

Ich versuche meine Beine zu bewegen.

Ich kann sie nicht finden, ich spüre sie nicht. Ich kann sie nicht mehr bewegen. Das Rufen höre ich auch nicht mehr. Vielleicht bin ich ernsthaft verletzt. Vielleicht bin ich blind und taub. Querschnittsgelähmt. Meine Beine müsste ich doch spüren. Das ist doch exorbitant wichtig um gehen zu können. Etwas Warmes rinnt von der Stirn mein Gesicht herunter.

Hoffentlich war es doch ein Attentat. Kein Erdbeben. Dann würde mein Vater noch wohlauf sein. Er war noch Zuhause. Bitte kein Erdbeben, es soll ihm gut gehen.


Wenn es ein Attentat war, hoffentlich schreibt er nichts an die Täter.

Ohne Zweifel, er hätte das Zeug dazu Terroristen auch noch eine deutsche Angehörigenbotschaft hinterlassen zu wollen. Aber sie wollen Dich nicht hören, hörst Du. Es kümmert sie nicht, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann. Daß ich es bin der hier liegt, das ist ihnen nicht wichtig. Dein Schmerz kümmert sie doch nicht. Pass bitte auf Dich auf.

Ich bin dann Teil eines größeren Plans. Das hatte ich mir immer gewünscht, mal Teil von etwas Großem zu sein. Ganz vorne an der Front gesehen werden. Nur so, so hätte ich mir das doch nicht ausgesucht.

Aus einem Puparium vermutlich terroristischer Architektur entschlüpfend meinem Ich zu entkommen.

Um von der Welt betrauert zu werden im Namen des Kampfes gegen das Unsägliche. Welches mich wiederum vor seinen Karren gespannt hat. Mich und all die Menschen, die mit mir in diesem Gebäude waren. Sind. 


Aber was sucht man sich schon aus letztendlich. Das wenigste. Ich kann niemanden mehr rufen hören. 

Weshalb rufe ich eigentlich nicht. Laut. Um Hilfe.  

Mein Mund öffnet sich nichtmals. Vielleicht bin ich längst ohnmächtig, betrachte mich nur noch gedanklich? Alles erscheint mir so irreal.

Mir schwinden die Sinne. Also sind sie wohl noch da. Ich spüre jetzt Tränen in meinen Augen.

Trauer, dass ich mit meinem Vater kein Essen mehr essen werde. Trauer, was für eine Welt ich gerade verlasse. Und ein Lächeln spüre ich auf meinen Lippen. Ein Lächeln über so viel Schönes, das ich mitnehme, die Verbindung zu meinem Vater, die ich so sehr spüren kann. 


Vielleicht bin ich taub geworden. Wenn mich jemand rettet werde ich taub und blind und querschnittsgelähmt sein. Ein minimalistisches Leben, doch voller unbekannter, neuer Eindrücke. Auf meinen Lippen liegt weiterhin das Lächeln.

Ich fühle mich geborgen. Denn ich habe Vögel singen gehört, Hamstereinkäufe getätigt, diese mit Freunden weggeschlemmt, geliebt, Schnüffelblumen umarmt und bin durch duftende Wiesen gelaufen. Langsam gleite ich weg, bin nicht mehr so ganz in dieser Welt. Was ich noch spüren kann ist eine Träne, die meine lächelnden Lippen berührt. Das fühlt sich schön an. Worte aber hören nun auf für mich.








Himbeere, November 2015

0

Hörbuch

Über den Autor

Himbeere
Manchmalschreiberin
Gerneleserin

Leser-Statistik
31

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Andyhank Sehr schöne Umsetzung!
Vor langer Zeit - Antworten
Himbeere Danke, es freut mich, daß es Dir gefällt. LG Himbeere :)
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen 
Wunderbar - ergreifend - in Erinnerung an Paris - verstöhrend - und dennoch tröstlich.
Es hat alles, was das Leben - oder auch das Sterben - zu bieten hat - sehr gut ♥
Vor langer Zeit - Antworten
Himbeere Oh, danke :) freut mich, daß Du mit dem Text etwas anfangen kannst . LG Himbeere :)
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Spannend geschrieben, aber ich werde nicht so recht schlau draus. Ist Dein Protagonist nun ein Terrorist oder nicht, klang irgendwie zwiespältig.
LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Himbeere Nein, er ist kein Terrorist. Es durchziehen ihn einfach nur letzte ihm naheliegende Gedankenfetzen, die sich viel um seinen Vater drehen, den er ja eigentlich gleich treffen wollte. Und dem er wünscht wohlauf zu sein, daher der einfache Wunsch, es möge doch lieber ein Anschlag gewesen sein, als ein Erdbeben, das ihn dann ja auch verschüttet haben könnte. Falls das Deine Verwirrung ausgelöst haben sollte.... Danke für Deine Rückmeldung :) LG Himbeere.
Vor langer Zeit - Antworten
Lindenblatt 
Mit starken Gefühlen geschrieben. Sensationell Dein Beitrag, liebe Himbeere.
LG, Linde
Vor langer Zeit - Antworten
Himbeere Freut mich, daß Dich die Worte berühren. LG Himbeere :)
Vor langer Zeit - Antworten
Magnolie Mir bleibt die Sprache weg ...
Liebe Grüße
Manu
Vor langer Zeit - Antworten
Himbeere Hui, dann belasse ich es jetzt auch mal bei einem : LG Himbeere :)
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
20
0
Senden

137603
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung