Kapitel 58 Am Feuer
Mittlerweile waren von dem lodernden Feuer nur noch ein paar glühende Kohlen geblieben, auch wenn der Geruch nach Gebratenem und dem Starkbier der Zwerge nach wie vor in der Luft hing. Letzteres war ein süßliches, fast schwarzes Gebräu von dem Hedan offenbar einige Fässer hatte auftreiben können. Merl hatte sich so gut es ging davon ferngehalten, während sie um das Feuer herumsaßen und aßen. Die Erinnerung brachte ihn nach wie vor zum Lächeln. Obwohl der Tag alles andere als gut verlaufen war, an diesem
Abend hatten sie gegessen, geredet , gelacht und getrunken ohne das ständige Gefühl der Bedrohung, das über der Stadt zu hängen schien. Selbst Hadrir lachte mit ihnen, als Hedan schließlich auf die Idee kam, Elin ihren Krug wegzunehmen.
Die junge Gejarn schien dem Bier um einiges mehr zuzusprechen als er selbst und hatte bereits den dritten oder vierten Becher geleert, bis der Kapitän dazwischen ging. Vielleicht war das ganze um einiges trinkbarer als der Rum, den Hedan ihr einmal Angeboten hatte, seine Wirkung hatte es jedoch trotzdem. Elin schwankte mittlerweile deutlich, wenn sie versuchte aufzustehen
und
,, Ich glaube ihr hatte genug.“ , erklärte Hedan und es viel ihm überraschend leicht, der angetrunkenen Gejarn den Krug abzunehmen. Diese sah einen Moment verwirrt auf ihre leere Hand, als ob ihr nicht ganz klar wäre, was grade passiert war. Der Kapitän fand darin nur seine Vermutung bestätigt und stellte den halb vollen Krug außer Reichweite neben sich.
,, Ich glaube, das werdet ihr dann auch nicht vermissen…“ , meinte Elin darauf nur. Offenbar hatte Hedan die Rechnung ohne ihr Geschick gemacht, das noch nicht unter dem Bier gelitten hatte. Mit einem triumphierenden, schiefen grinsen
hielt sie eine glitzernde Silbermünze hoch. Der Beutel aus dem sie stammte war scheinbar wie aus dem Nichts auf ihrem Schoß aufgetaucht.
Mit weit aufgerissenen Augen tastete der Kapitän nach seiner Gelbbörse und fand sie zur allgemeinen Belustigung der Umstehenden tatsächlich nicht mehr. Einzelne Lacher kamen aus der Menge, als er schließlich nach dem Bierkrug griff und der Gejarn zurückreichte.
,, Ich will verflucht sein wenn ich jemals herausfinde, wie ihr das macht.“ , murmelte er , grinste dabei jedoch und Elin reichte ihm den Beutel zurück. Einen Moment überlegte er, diesen wieder an seinen Gürtel anzubringen,
ließ ihn dann jedoch in seiner Tasche verschwinden. ,, Ich schätze es ist ziemlich egal, was ich damit mache, ihr findet ihn trotzdem oder ?“
Hadrir lachte schallend und verschüttete dabei fast sein eigenes Bier. ,, Ihr könnt sie ja losschicken um meinem Vater die Krone zu stehlen. Vielleicht redet er dann mit euch.“
Merl konnte nicht anders als in das Lachen des Zwergs mit einzustimmen und selbst über Galrens Züge huschte zumindest der Anflug eines Lächelns. Eigentlich konnte er den Mann gut verstehen, seine Frustration zumindest. Sie alle hatten ihre Aufgabe bereits erfüllt, in dem sie nur hierher gelangt
waren. Armell hatte ihr Ziel längst erreicht und Hedans Aufgabe wäre nur, sie wieder zurück zu bringen. Und er selber… vielleicht hatte er bereits mehr gefunden als er wollte. Aber das war ein geringer Preis, dachte er, während er einen Arm um Armell legte. Die Adelige ließ sich gegen seine Schulter sinken. Nach wie vor fürchtete er morgen einfach aufzuwachen und festzustellen dass er alles nur geträumt hätte. Und allein das Wissen, das dem nicht so sein würde, das Armell ihn tatsächlich liebte… Nein eigentlich, dachte er, konnte er Galren nicht verstehen. Er war der einzige von ihnen der bisher absolut nichts hatte. Und mit jedem Tag hier
wurde er nur mehr enttäuscht.
Vielleicht hatte er ja sogar noch die schwache Hoffnung das alles einfach…klar werden würde sobald sie einmal hier waren. Dass das Schicksal seines Vaters sich schon erschließen würde… In diesem Sinne war er mehr als nur enttäuscht worden.
,, Ehrlich gesagt finde ich das weniger witzig.“ , bemerkte Hedan, der als einziger Ernst geblieben war. ,, Das gefällt mir alles nicht. Wenn es nach mir ginge sollten wir die Segel hissen und zusehen das wir wieder hier weg kommen… aber selbst das ist für die nächsten Tage keine Option.“
,, Zwei Wochen.“ , erinnerte Galren ihn
und der kaum merkliche drohende Unterton brachte selbst den Kapitän einmal zum Zögern. ,, So viel Zeit müsst ihr mir lassen.“
,, Nichts anderes hatte ich vor.“ , gab der Kapitän kühl zurück. ,, Aber wenn ich eines nicht mag, dann der Gnade von jemanden ausgeliefert sein. Schon gar nicht der eures Königs.“ Er sah zu Hadrir. Von einem Augenblick zum nächsten hatte sich die Stimmung merklich abgekühlt. Der Zwerg erwiderte nichts, während es am Feuer langsam still wurde.
,, Ich würde sagen zur Sicherheit holen wir uns einfach tatsächlich seine Krone. Würde euch das beruhigen Hedan ? “ Es
war Narias Stimme, die das Schweigen brach. Die Schakalin saß mit unterschlagenem Beinen und hochgeschlagener Kapuze da, trotzdem konnte Merl das schwache Lächeln auf ihrem Gesicht sehen. Einen Moment lang folgte noch schweigen, dann jedoch fing erst der Kapitän und schließlich der ganze Rest der Besatzung an zu lachen.
,, Ja, doch.“ , meinte Hedan während er sich nach wie vor kichernd eine Träne aus den Augenwinkeln wischte. ,, Was meint ihr, Hadrir, könnt ihr euren Vater eine Weile ablenken ? Ich könnte das Ding auch verlaufen und mich zur Ruhe setzen. Würde mich vor weiteren Abenteuern dieser Art
bewahren.“
So unglaublich es schien, die sonst so verschlossenen Zauberin hatte grade mit wenigen Worten die gesamte Stimmung verändert. Merl musterte sie einen Moment und konnte nicht anders als sich zu fragen ob das völlige Absicht oder Zufall gewesen war. Doch Naria schien von den anderen bereits kaum mehr Notiz zu nehmen, während sie in ihrem zerfledderten Notizbuch blätterte. Vermutlich ging sie die Runen des Alten Volkes durch, die sie im Tempel abgezeichnet hatte. Nun mit etwas Glück half ihnen das ja weiter…
Der Rest des Abends verlief in einer Mischung aus Gesprächen die sich um
Nichts und alles treten und den letzten Bratenresten, die Hedan unter der Crew aufteilte. Auch das Bier, von dem Merl nach wie vor nicht wusste woher der Kapitän es überhaupt hatte, ging bald zur Neige, so das die ersten sich auf dem Weg zurück zum Schiff oder in die Stadt machten.
Jetzt, Stunden später, saß Merl im Schneidersitz an den heruntergebrannten Kohlen. Außer ihm waren nur noch ein paar Matrosen hier, die es nicht mehr zurück an Bord geschafft hatten und an Ort und Stelle eingeschlafen waren. Galren, Naria und all die anderen waren vermutlich längst zurück im Gasthaus und Hadrir hatte sich bereits vor einer
Ewigkeit verabschiedet. Nur er fand keine Ruhe. Jetzt wo der Trouble endete hatte er zum ersten Mal wirklich Zeit über alles nachzudenken. Für einen einzigen Tag hatten sie gleichzeitig viel… und gar nichts erfahren. Möglichkeiten, ja, Andeutungen und Hinweise, aber nichts Konkretes. Vor allem Hinweise auf ihn selbst. Naria wusste vielleicht mehr über praktische Magie als er, aber das hieß doch nicht, dass sie Recht hatte, was ihn betraf. Oder ? Die Frage ließ ihn nicht mehr los. Genau so wenig wie die, ob Zachary ihr Wissen denn teilte, wenn sie recht hatte. Am Ende blieb ihn ja sowieso nur abzuwarten und so begann er schließlich,
sich wieder in die Übungen zu versenken, die ihm sein Meister gezeigt hatte. Es kam ihm so lange vor, seit dem letzten Mal, dabei konnten es aller höchstens ein paar Tage gewesen sein. Merl wusste nicht, wie lange er dasaß und versuchte sich zu entspannen oder kleinere Zauber aufrecht zu erhalten. Jede Übung diente einem Zweck, sagte er sich. Aber nach den Wochen auf See musste er sich eingestehen, dass der Zweck dieser Übungen ihm immer weniger praktisch erschien. Es schien, Zachary wollte ihm mehr Selbstbeherrschung lehren als wirklich etwas Neues beibringen.
,, Du sitzt da, als würdest du auf deine
eigene Hinrichtung warten…“
Armells Stimme riss ihn endgültig aus seiner Konzentration und heimlich war er sogar dankbar dafür.
,, Was machst du denn hier ?“ , fragte er, als sie sich zu ihm setzte. Sentine an ihrer Seite hatte wie so oft die Gestalt eines Zaunkönigs angenommen, der auf ihrer Schulter kaum auffiel ,, Ich dachte du wärst schon lange vorgegangen.“
,, Bin ich auch aber… ich habe auf dich gewartet. Allerdings könnte ich dich wohl dasselbe fragen. Was machst du noch hier?“ Armell schlang die Arme um die Knie, während sie auf eine Antwort wartete.
,, Ein paar der Übungen, die Meister
Zachary mir gezeigt hat.“ , erklärte er. ,, Ich hatte sie fast vergessen aber jetzt… nach dem Tempel… wenn ich herausfinden will, was ich bin, sollte ich wohl erst einmal meine Fähigkeiten meistern. Nicht wahr? Vielleicht helfen mir diese Übungen ja dabei…“
,, Ich glaube nicht, das sie dir viel helfen wenn du dasitzt wie eine Statue mit Muskelkater. Du bist ja völlig verkrampft.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte sie ihm einen Kuss auf die Lippen. ,, Und nur damit du das weißt, es ist mir völlig egal ob Naria mit ihren Behauptungen recht hat oder nicht. Und es wird mich auch nie interessieren. Du bist du. Daran ändert sich
nichts.“
,, Danke.“ , brachte Merl schließlich hervor. ,, Ich denke… das hilft. Vielleicht fällt es mir auch einfach nur schwer, mich nach heute noch zu entspannen.“
,, Was genau versuchst du denn zu tun ?“ , wolle Armell wissen.
,, Nun bei dieser Art von Übung geht es wohl vor allem darum, seine Angst abzulegen. Oder trotz ihr noch auf sich selbst konzentriert zu bleiben. Auch wenn ich nicht weiß, was Zachary damit bezwecken will im Hinsicht auf Narias Behauptung macht es leider Sinn…“
,, Ich würde sagen es macht immer Sinn, seine Angst beherrschen zu lernen. Wenn
du das könntest hätten wir keine Expedition ins Nirgendwo gebraucht um uns zu finden. Oder ?“
Merl schüttelte grinsend den Kopf. ,, Das stimmt. Aber erinnerst du dich was ich dir über die Seelenwanderung des alten Volkes erzählt habe?“
,, Das sie keine Angst davor haben durften ? Du glaubst also Zachary hat versucht dir beizubringen was dafür nötig war?“
,, Oder vielleicht hofft er auch, dass ich die fehlenden Teile finde, wenn ich es versuche. Ich… Wir haben seit Jahren daran gearbeitet und nach wie vor nicht alle Puzzleteile gefunden. Wenn er mir nur gesagt
hätte…“
Armell legte ihm eine Hand auf den Arm bevor er weitersprechen konnte. ,, Und was wäre passiert, hätte er es getan ? Das er glaubt das du der Schlüssle zu seinen Jahrzehntelangen Forschungen bist? Das alles was er diese Jahre getan hat… am Ende für dich war? Damit du ergründen kannst wer du wirklich bist?“
,, Ich wäre vermutlich so nervös geworden, das ich keinen zusammenhängenden Satz mehr herausgebracht hätte.“ , gestand er. Und das war nur die halbe Wahrheit. Vermutlich hätte er sogar aufgegeben. Sein altes Selbst hätte das. Aber er hatte sich verändert nicht… erneut musste er
sich fragen ob Zachary das alles nicht irgendwie geplant hatte. Zumindest hatte er wohl darauf gehofft, nicht?
,, Und jetzt ?“
,, Jetzt nicht mehr. Ich meine… das ist…“
,, Der Grund aus dem du uns begleiten musstest.“ , beendete Armell den Satz und hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Wange. ,, Das und andere Dinge… Wir haben immer aufeinander geachtet.“
Er nickte. ,, Ja… Warn mich also bitte, sollte ich plötzlich aufhören zu existieren, wenn ich eine dieser Übungen versuche, ja? Wobei das wohl beweisen würde das Naria recht hat. Wenn nicht… bin ich eben auch nicht schlauer als
vorher.“
,, Ich schätze jedenfalls für heute Abend hat es keinen Sinn mehr noch weiter hier draußen zu sitzen.“ , meinte Armell schließlich und stand auf. ,, Kommst du mit ?“
Sie streckte ihm eine Hand hin und ehe Merl auch nur darüber nachdachte, hatte er sie bereits ergriffen und lies sich auf die Füße und in eine kurze Umarmung ziehen.
,, Ich weiß nicht ob alles irgendwie gut werden wird…“ , setzte er an.
,, Aber wir achten ja aufeinander nicht ?“
Ihre Lippen fanden sich erneut und für den Moment war das die einzige Antwort
die er brauchte. Nur hoffentlich würde auch jemand auf die anderen achten, dachte Merl .