Kurzgeschichte
Plötzlich blind

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"Gerade eben noch sehend im Taxi sitzend, im nächsten Moment blind im kh aufwachen"
Veröffentlicht am 22. November 2015, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Gerade eben noch sehend im Taxi sitzend, im nächsten Moment blind im kh aufwachen

Plötzlich blind

Titel

Als ich aufwachte, dachte ich, das ich meine Augen noch nicht aufhatte. Deshalb zwang ich mich dazu, meine Augen zu öffnen. Auch wenn ich noch nicht ganz wach gewesen war. Ich wollte wissen, wo ich war. Ob ich den Unfall nur geträumt hatte, oder nicht. Aber die Schmerzen allein hätten mich schon davon überzeugen müssen, das es kein Traum gewesen war. Mein Schädel brummte und ich spürte jeden Knochen in meinem Leib. Als ich meine Augen rieb, um sie endlich zu öffnen und zu erfahren, wo ich mich befand, bemerkte ich, das sie

geöffnet waren. Es gab nur drei Theorien: Erstens, ich träumte, das ich wach war. Zweitens, wir waren immer noch in dem Auto und es war mitten in der Nacht. Oder drittens, ich war blind geworden, weswegen ich nicht einmal den Hauch eines Umrisses erkennen konnte. Ziemlich schnell musste ich feststellen, das es Drittens war. Hoffte aber, das es nur eine vorübergehende Blindheit war. Das ich bald wieder sehen konnte. Schließlich hatte ich noch rund fünfzig Seiten vor mir, bis ich mein Buch zu Ende gelesen hatte. Außerdem standen noch viele ungelesene Bücher in meinem Regal. Der Taxifahrer, der mich nach Hause

fahren sollte, hatte den Unfall nicht überlebt. Als ich das erfuhr, fragte ich mich, warum er sterben durfte und ich erblinden musste. Gerne hätte ich mit ihm getauscht. Blind geboren zu werden, ist das Eine. Aber in der Mitte des Lebens von einem Tag auf den anderen zu erblinden... Damals stand meine Exfrau noch als Kontaktperson im Computer. Immer wieder wollte ich sie raus nehmen lassen. Aber mir fiel sonst keiner ein, wen ich sonst als Nächststehenden hätte nehmen sollen. Mit meiner Familie hatte ich schon seit geraumer Zeit nichts mehr am Hut gehabt. Und meine Freunde? Denen wollte ich es nicht

antun. Außerdem wohnten die Meisten zu weit weg. Also blieb nur noch sie über. Als sie mich das erste mal im Krankenhaus besuchte, begrüßte ich sie mit den Worten: „Ich bin blind. Also frag mich nicht, ob mir deine neue Frisur gefällt.“ So was nennt man: Mit der Tür ins Haus fallen. Ärger an jemanden ablassen, der nichts dafür kann. Was in diesem Fall nicht so schlimm war, weil sie so oft ihren Frust an mir ausgelassen hatte und ich nicht einmal erfahren durfte, was sie so stinkig gemacht hatte. Wie oft hatte ich mich besoffen aufs Rad gesetzt und war nach Hause

geradelt? Das Schlimmste, was passierte, war, das ich gestürzt war und meine Handballen abschürfte. Plus blaue Flecken an verschiedenen Körperstellen und Verlust meines Mobiltelefons, welches aus meiner Jackentasche gefallen war, ohne, das ich es mitbekommen hatte. Nicht einmal von der Polizei wurde ich erwischt. Und ich war eine Zeitlang ziemlich oft betrunken Fahrrad gefahren. - Dann fahr ich nüchtern im Taxi, weil ich keine Lust hatte zu laufen und ich werde in einem schweren Unfall verwickelt, bei dem ich erblinde. Ironie des Schicksals? War das nun die Strafe dafür, das ich so oft besoffen Rad gefahren

war? Lange Zeit lebte ich mit meiner Ex zusammen. Als wir das erste mal wieder miteinander schliefen, war es unglaublich gewesen. Ich dachte nicht an meine Blindheit, sondern genoss, was ich spürte, wie ihre zarte Haut. Es war, als hätte ich die ganze Zeit über meine Augen geschlossen gehalten. Als hätten wir uns nie getrennt und würden uns immer noch lieben. Ich tat mich schwer, alles neu zu lernen. Meine Exfrau machte es mir manchmal auch gar nicht leicht. Entweder lag sie den ganzen Tag im Bett, weil sie zu nichts Lust hatte, oder sie räumte um. Was bedeutete, das ich

ständig irgendwo dagegen lief. Wenn wir zur Blindenschule fuhren, vergaß sie gern mir zu sagen, das unsere Bahn da ist und wir einsteigen. Wenn in der Bimmel nicht angesagt werden würde, wie die nächste Haltestelle heißt, wäre ich oft zu weit gefahren. Schlimm ist auch mein Orientierungssinn. Schon damals, als ich noch sehen konnte, verlief ich mich häufig. Ich brauchte immer eine ganze Weile, bis ich mir Wege und markante Punkte eingeprägt hatte. Als ich dann blind war und nichts mehr sehen konnte, war es noch schlimmer gewesen. Ich war völlig von meiner Exfrau abhängig. Ohne sie war ich total

hilflos. Irgendwo hatten wir uns neu gefunden. Aber sie konnte mit meiner Blindheit nicht umgehen. War frustriert, weil sie mich überall hin begleiten musste. Verstehen konnte ich es. Doch um ehrlich zu sein, war sie auch nicht wirklich besser. Wenn ich daran denke, was ich alles für sie tun musst, auch nach unserer Trennung... Die moderne Technik hat manchmal auch ihre Vorteile. So konnte ich, Dank ihr, im Internet surfen und nach Kontakten suchen. Dabei erkannte ich auch einen gewaltigen Vorteil meiner Blindheit. Ich achtete nicht auf das äußere Erscheinungsbild. Schließlich

konnte ich die Person ja nicht sehen. Vor mir konnte eine achtzigjährige Oma stehen und mir weismachen, das sie erst zwanzig ist, wenn sie danach klang. Eine ganze Weile hatte es gedauert. Dann fand ich eine nette Frau. Mit der chattete ich jeden Tag. Sie klang sehr sympathisch. Aber auch einsam. Ihr Gehfehler war sehr ausgeprägt, weswegen sie keinen für ihr Herz fand, beichtete sie mir. Vielleicht hatte es auch andere Gründe, warum sie keiner wollte. Wie sie aussah, wusste ich nicht. Habe sie auch nie danach gefragt. Ich wollte meiner Illusion nicht beraubt werden. In meinem Kopf habe ich mir ein Bild von ihr gemacht und das wollte

ich mir bewahren. Irgendwann hatten wir es satt, immer nur zu chatten. Wir wollte uns persönlich gegenüber stehen und mit einander reden. Unsere „Beziehung“ vertiefen. Also machten wir uns eine Zeit und einen Ort aus. Ich gestand ihr auch, das ich in Begleitung erscheinen werde, da ich sonst nie ankommen würde. Daraufhin machte sie den Vorschlag, mich abzuholen, um die Person zu entlasten. Der Vorschlag gefiel mir. Und so wartete ich auf den Tag, an dem sie zu mir kommen und mich abholen würde, damit wir gemeinsam ein paar schöne Stunden

erleben. Der Tag wurde wirklich schön. Sie erklärte mir, auf welcher Straße wir uns gerade befanden und was um uns herum war. Ich konnte alles ganz genau in meinem Kopf rekonstruieren. Jeder Baum und jedes Haus brannte sich in mein Hirn ein. Es half mir dabei, unabhängiger zu werden. Das merkte ich, als wir zu x-ten mal den selben Weg entlang gingen. Sie brauchte mir nicht zu sagen. Ich wusste ganz genau, wo wir waren und wie ich langlaufen musste. Nur über die Straße musste sie mir helfen. Denn da war ich mir zu unsicher. Wir verbrachten sehr viel Zeit

miteinander. Sehr zur Freude meiner Ex. Sie hatte schon ewig keine Lust mehr, mir ständig helfen zu müssen. Aber versuchen mir zu helfen, das ich selbstständiger werde, auf die Idee war sie nie gekommen. Zum Glück hatte ich jemanden gefunden, die es vom ersten Tag an tat. Und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Zwar kann auch sie nicht, mich von der Blindheit heilen, aber sie hat mir geholfen, das ich damit umgehen und leben kann. Das es mich nicht nach unten drückt. Als ich erfahren hatte, das ich blind bin und nie wieder sehen kann, hatte ich oft an Suizid gedacht. Auch als ich bei meiner Exfrau war, dachte ich daran.

Aber da dachte ich mehr an sie. Ich fühlte mich als riesige Belastung und die wollte ich ihr nehmen. Als dann die andere in mein Leben trat, bekam ich Lebensmut. Zwar blieb ich blind, aber ich hatte jemanden gefunden, der es nichts ausmacht, das ich nichts sehen kann und die meine Augen ersetzt. Meine Ex war froh, als ich bei ihr auszog. Wie es ihr seit dem geht, weiß ich nicht. Wir haben seit meinem Auszug keinen Kontakt mehr. Bei der Krankenkasse steht sie nicht mehr als die Person drin, die benachrichtigt werden soll. Das habe ich herausnehmen lassen. Dafür steht nun jemand anderes drin. Und da ich einmal dabei war, habe

ich mich gleichzeitig bei ihr herausnehmen lassen. Sie hat eine große Familie und irgendwann wird sie jemanden finden, der sie erträgt. Ich habe mit ihr abgeschlossen. Es war immer ihr Wunsch gewesen, das ich mir eine andere suche. Mehrfach hatte sie zu mir gesagt, das sie nichts mehr mit mir zu tun haben will. Das sie mich nie wieder sehen will. Nun habe ich ihr endlich den Wunsch erfüllt. Ich habe eine neue Freundin und keinen Kontakt mehr zu ihr. Also, ich freue mich.

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