Hauke Landbrod und der gemeine Gurkenkrieg
Hauke Landbrod, 52 Jahre alt, Frührentner und fanatischer Schrebergärtner stand vor dem Tor und beguckte sich mit ernsthaftem Stolz sein gepachtetes Grundstück.
Äußerst zufrieden mit sich genoss er den Anblick der sauber getrimmten Rasenkanten, den akkurat abgezirkelten Blumenbeeten und den malerisch gestutzten Hecken die in einer exakt
rechtwinkligen Form sein Land umschloss. Eine sanfte Brise zauste an den Blättern seiner Apfelbäume. Hauke seufzte sein Glück hinaus in die heimelige Welt der Kleingartenanlage „Harmoniebeet.“
Die Sonne brannte herrlich warm auf den speckigen Nacken des frohen Hobbygärtners als er durchs Tor trat und den hübsch angelegten Pflasterweg hin zu seiner Laube ging. Ein Vogel piepste sein Liedchen, entfernt begleitete Hundegebell den lieblichen Gesang.
Hauke schien fast zu platzen vor lauter Vorfreude auf diesen wunderbaren Tag, die Arbeit die er mit sich brachte, die
unvermeidlichen Pausen mit kühlem Bier und Wurststullen. Vor allem freute er sich an der Routine die sich in den letzten Jahren eingestellt hatte. Diese mechanischen Verrichtungen die ihn stets begleiteten verhinderten noch am besten das ewige Grübeln das ihm seit dem Tode seiner Ehefrau Gisela im letzten Jahr hartnäckig verfolgte. Dieses melancholische Erinnern brachte ihn oftmals den Tränen gefährlich nahe; ein Zustand den er zeitlebens verabscheut hatte. Echte Männer weinen eben nicht, wie sein Vater mehr als einmal von ihm forderte. Und tatsächlich hatte er beim Abgang des Ollen keine Träne vergossen.
Da konnte er schon eher Freudentränen verschütten wenn er sich seine Gurken ansah. So eine Pracht! So ein wundervoller Wuchs! Und diese Farbe! Plus ihre enorme Größe! Fast wie der Oberarm eines kräftigen Mannes!
Einfach enorm! Famos und Fantastisch!
Hauke hat mit seinen famosen Gurken die letzten drei Wettbewerbe beim Erntedankfest der Kleingartensiedlung haushoch gewonnen. Keine andere Gurke reichte auch nur entfernt an seine heran. Und Hauke Landbrod sein mächtiger Brustkasten wollte schier zerbersten vor lauter inniger Freude und Stolz als er den mickrigen Pokal an seinen Kugelbauch drückte, sein Arm
eine Geste falscher Bescheidenheit beschrieb, und sein Mund ein erhabenes „Danke“ hauchte.
Und auch dieses Jahr würde er mit Sicherheit wieder als Sieger das Vereinsheim verlassen. Seine Gurken sind eben echt unschlagbar.
Mit dieser grandiosen Gewissheit wendete sich Hauke dem Hort seines Schatzes zu - einem genormten handelsüblichen Gewächshaus. Das Milchglas reflektierte galant die Sonnenstrahlen, Staubflocken schwirrten in der Luft als Hauke die Tür öffnete und ihn fast der Schlag traf.
Alles leer!
Keine Gurken mehr, weit und breit.
Rein gar nichts mehr da. Keine einzige Gurke, keine Pflanze, kein Stengel, nicht mal mehr ein einziges Blatt ist zu finden.
Für einen Schlag stellte Haukes Herz den Betrieb ein, der Schock traf ihn tief und mit immenser Wucht. Automatisch legte sich seine abgearbeitete Hand vor seinen weit geöffneten Mund, trotzdem entfuhr ihm ein kurzer Schrei des Schreckens. Er betrat das Gewächshaus, unfassbar verwundert starrte er auf die Leere. Das durfte einfach nicht wahr sein. Und wenn doch, was war dann hier geschehen?
Seine Hände wühlten in der schmierigen Erde. Da musste doch noch etwas zu
finden sein. Eine einsame Wurzel, ein Keim, ein winziges Molekül. Doch nichts außer feuchter schwarzer Erde blieb unter seinen Fingernägeln hängen.
Das kann doch einfach nicht wahr sein, dachte Hauke, war das ein übler Scherz? Oder ein perfider Anschlag? Womöglich eine Entführung? Ein Gurken - Kidnapping? Doch was es auch war, sicherlich war es das Werk eines überaus bösen und neidischen Unholds.
Hauke war schwer angeschlagen. Wie in tiefer Trance taumelte er auf die kleine Terrasse seiner Laube, ließ sich in einen unbequemen Gartenstuhl sinken und langte automatisch nach einer Flasche Bier die zusammen mit fünf anderen in
einer ordinären Plastiktüte neben dem Stuhl lag. Er tat einen tiefen Zug direkt aus der Pulle.
Immer noch sichtlich verstört wirkte Hauke Landbrod als er zum dritten Bier griff. Was war das bloß für eine Welt in der ein Mann nicht in Ruhe seine Gurken wachsen lassen konnte? Fragte er sich. Und weiter: Was war bloß aus diesem Land geworden? Was würde wohl noch alles kommen? Wenn man einem braven unschuldigen Mann seine einzig verbliebene Freude böswillig vermasselte? Ebenso gut hätte man ihm das Herz heraus reißen können. Was für eine elende Sauerei!
Das durfte nicht so ohne weiteres
geduldet werden. Hauke überlegte, dachte angestrengt nach. Was ihm nicht gerade leicht viel, denn eine ziemlich passable Antwort löste eine ganze Reihe neuer Fragen aus. Gar nicht so einfach. Immer wieder landete er am Anfang seiner Überlegungen. Der Frage, wer am ehesten von dieser unglaublich frevelhaften Tat profitieren würde? Und die Antwort lautete: Sönke Haferkorn!
Dieser Strolch, dieser missgünstige Schubiack mit seinem gammeligen Strohhut und dem misstigen Charakter. Hauke wurde schlecht wenn er schon an diesen Mistkerl denken musste. Und dann noch dem Sönke seine Olle, die Gisela, das war auch so ne Nummer; ne
Zunge wie ne scharfe Heckenschere das Miststück. Die beiden steckten sicher gemeinsam hinter diesem hinterhältigen Attentat. Denen würde er schon Bescheid stoßen.
Das war mal sicher!
Leicht schwankend erhob sich Hauke Landbrod um sich auf einen mächtigen Rachefeldzug zu begeben. Sich auf eine altersschwache Forke stützend wackelte er auf den Weg hin zu Haferkorns Parzelle.
Der Weg schien kein Ende zu nehmen, und pinkeln musste er jetzt auch noch. Doch hier konnte er nicht. So im hellen Tageslicht und an die Hecken fremder Leute. Er verkniff es sich kurzerhand.
Haferkorn war ja nicht mehr weit.
Dann stand er vor dem Gartentor des mutmaßlichen Gurkendiebs. Er konnte sie sehen, diesen verdammten Saboteur und seine nicht weniger verdammte Komplizin.
Er stürmte hinein. Die Forke fest in der rechten Faust.
„Hey Haferkorn, du schuftiger Gurkendieb! Wo hast du meine Lieblinge versteckt, du vermaledeiter Räuber!“
„Hä? Ach der Herr Landbrod besucht uns. Schau mal Gisela.“
„Lass den Schmuh, du hinterhältiger Mistkerl!“
„Was is denn mit dir? Biste besoffen, oder was?“
„Nich besoffener als sonst auch, du Dorsch.“
„Aha, also muss es was ernstes sein. Was macht dir denn Sorgen, Hauke?“
„Du…! Du machst mir Sorgen, du durchtriebenes Aas!“
„Was is denn nu los mit dir?“
„Frag man nich so unschuldig, du mieser Saboteur!“
„Ich versteh gar nix!“
„Meine Gurken! Du hast meine schönen Gurken geklaut, du Mistsau!“
„Nee… da vertust du dich. Ich hab deine blöden Gurken nich! Du bescheuerter Krümelkacker! Frag doch Gisela…!“
„Stimmt. Er hat nur seine eigenen
Gurken. Ich hab geguckt. Und bei dir war er auch nich, ich war die ganze Zeit mit ihm zusammen.“ Meint die Gisela zur Verteidigung ihres Angetrauten beisteuern zu müssen.
„Ach, du lügst doch auch wie gedruckt, olle Planschkuh!“
„Was is das…? Du beschimpfst mich hier, Landbrod…? Mich…? In meinem eigenen Garten? Hast du Lack gesoffen, oder was?“
„Jetzt hör mal, Hauke. Wir haben nix zu tun mit dem was du da faselst. Und was mit deine Gurken is, is mir schnuppe. Und nu mach dich hier vom Acker!“ „Verdammte Bande von Gurkendieben! Wartet nur ma ab…, ich werd euch noch drankriegen!“
Mit dieser Drohung auf den feuchten Lippen stürmte Hauke Landbrod wieder davon, den Weg zurück. Und wieder in seiner Laube ging er erst mal ausgiebig pinkeln. Seine Gedanken rasten im Kreis. Dieses vermaledeite Pack da hinten, die steckten bestimmt dahinter. Da war er sich sicher.
Und damit begann der gemeine Gurkenkrieg. Es fing mit anonymen Drohbriefen an, böswillige Anschuldigungen, unappetitliche Mutmaßungen und perfide Verunglimpfungen folgten. Es folgten allerlei nächtliche Anschläge auf das Hab und Gut des Feindes. Stromkabel
wurden gekappt, Farbbeutel geworfen, Gartenwerkzeug zerstört und Rasenflächen verbrannt. Der Vorstand der friedlichen Schrebergärtner sah sich genötigt einzugreifen. Abmahnungen wurden verteilt, Gespräche versöhnlicher Natur wurden anberaumt.
Ohne ausreichenden Erfolg.
Also ging man über zu gelegentlichen körperlichen Attacken. Man bewarf sich bei jeder kurzen Begegnung heftig mit Steinen, Hundescheiße und anderen Fäkalien. Dazu beschimpfte man sich ausgiebig mit ausgesuchter Bosheit.
Und erst gestern war man gezwungen zu echten Handgreiflichkeiten überzugehen. Ohrfeigen klatschten hin und her,
Arschtritte wurden verteilt, ein Boxhieb ging ins Leere. Und nach drei Minuten heftigem Kampf waren beide Beteiligten schon ziemlich außer Atem, man verständigte sich keuchend auf eine spätere Wiederaufnahme des Kampfes.
Und nun sitzt Hauke Landbrod in seiner Laube und beobachtet. Er hat aufgerüstet. Ein neues Gewächshaus, Stacheldrahtbewehrt und mit enormem Vorhängeschloss. Bewegungsmelder an den Wänden, Scheinwerfer und Sirene an der Wand seiner Hütte. Drinnen sitzt Hauke, eine Schrotflinte auf den knubbeligen Knien, eine Flasche Bier in der Hand, und wartet geduldig auf den Feind.
Text: harryaltona
Cover: Th. Reinhardt/www.pixelio.de