Kurzgeschichte
Der Junge im Nebel

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"Der Junge im Nebel"
Veröffentlicht am 02. November 2015, 46 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Vielleicht hatte ich es immer schon in mir, obwohl ich in der Schulzeit mit Aufsätze gar meine liebe Not hatte. Dazu gibt es auch eine Anekdote. Ich war in der Volksschule und ich hatte als Aufgabe einen Aufsatz zu schreiben. Doch wieder einmal fiel mir zu dem vorgegebenen Thema nichts ein. So versuchte meine Mutter mir zu helfen und setzte sich zu mir. Mit der Zeit gesellte sich auch mein Vater dazu und wollte ebenfalls seine Ideen ...
Der Junge im Nebel

Der Junge im Nebel

                      Ankunft Die Abenddämmerung brach inzwischen ein, als sie nach einer langen Autofahrt endlich ihr Ziel, eine kleine Ortschaft in der Provinz Padua, erreichten. Stefan zog die Handbremse und schaltete den Motor aus und blickte zu seiner Familie. Evelyn, seine Frau, saß am Beifahrersitz und beugte ihren Oberkörper vor, um mehr von der Umgebung und ihrem gemieteten Ferienhaus wahrzunehmen, während Emma immer noch ihre Kopfhörer auf hatte und mit ihren Teenagergedanken irgendwo anders war. Jenny hingegen, die mit ihren sechs Jahren Autofahren

als ein Abenteuer empfand, war neben Emma am Rücksitz eingeschlafen und wurde erst durch die Stimmen ihrer Eltern geweckt. „Sind wir schon da?“, fragte Jenny und gab sich Mühe ihre Augen zu öffnen. Stefan musste schmunzeln, als er sah, wie sie blinzelte und sich aufrecht setzte und schließlich den Sicherheitsgurt löste. Emma nahm es gelassen und schaltete ihre Musik aus. Während Stefan bereits aus dem Auto stieg, um sich um das Gepäck zu kümmern, ging Evelyn zu dem Gartentor aus Holz und klingelte an. Daraufhin wurde im Garten vor der Eingangstür ein Licht eingeschaltet und eine ältere Dame

kam ihr entgegen. „Buona sera! Guten Abend. Haben sie eine gute Fahrt gehabt?“, sprach die Dame Evelyn mit italienischem Akzent an und lächelte. „Ich bin Anna und wohne … come si dice ...um die Ecke. Es ist alles fertig. Bitte, kommen sie.“ In der Zwischenzeit waren auch die beiden Mädchen ausgestiegen. Jeder nahm ein Gepäckstück und folgte Anna zum Haus. Das Ferienhaus war aus Stein gebaut und hatte zwei separate Eingänge, wodurch es zwei Familien problemlos und ungestört Platz bot. Um das Haus befand sich ein kleiner Garten, der von Jasmin, Rosen und Oleandersträuche umgrenzt war. Die

Fläche hinter dem Haus war etwas größer angelegt und beinhaltete einen eleganten Gartentisch und dazu passende Stühle. Eine Küchentür aus Glas war das Verbindungsstück zwischen dem Haus und dem hinteren Bereich des Gartens, sodass man bequem von der Küche direkt in den Garten gelangte. Anna erklärte Stefan und Evelyn noch ein paar Einzelheiten bevor sie ging und gab ihnen eine Telefonnummer, mit der sie erreichbar wäre, falls sie Fragen hätten oder Hilfe benötigen. Sie übergab Stefan die Schlüssel und mit dem Hinweis, dass als Willkommensgruß der Kühlschrank mit Lebensmittel gefüllt war, verließ sie die

Familie. Doch bevor die restlichen Taschen aus dem Auto geholt wurden, unternahmen die Neuankömmlinge eine Entdeckungstour durch das Haus. Sie waren zu neugierig um nur eine Minute länger darauf zu warten und ihre Neugier wurde belohnt. Das Ferienhaus entpuppte sich als ein kleines Schmuckstück und trotz dem sicherlich hohen Alter des Gebäudes, war es liebevoll restauriert und hatte sämtliche Annehmlichkeiten um sich wohl zu fühlen. Im Erdgeschoss waren ein Wohnzimmer, die Küche, ein Essbereich und ein Bad untergebracht, während im ersten Stock

zwei Schlafzimmer und ein weiteres Badezimmer sich befanden. Abgesehen von den beiden Bäder, die aus Marmor waren, hatten die Räume einen warmen Holzfußboden. Als Stefan die Küchentür öffnete, entdeckte er eine Holzbank an der Steinwand und freute sich schon, mit einem Glas Rotwein in der Hand, darauf zu sitzen. Selbst wenn der Herbst sich langsam zeigte und die Abende bereits deutlich kühler waren, war er überzeugt davon, seinen kleinen Wunsch sich zu erfüllen. Als Evelyn ihn an die Taschen im Auto erinnerte, schloss er die Tür wieder ab und ging zum

Auto. Nur Emma blieb noch eine Weile vor der Glastür stehen und sah hindurch. Mit ihren Gedanken war sie wieder in ihrer eigenen Welt. Sie war nicht der Typ, der stets mit ihren Freundinnen zusammen sein, shoppen und ausgehen wollte. Natürlich gefiel ihr das auch, aber es gab noch mehr, das sie liebte. Das war ihre Musik, ihre Bücher und ihre Malerei, mit der sie Emotionen und Eindrücke festhalten konnte. Sie war auch empfänglich für Stimmungen und den Blick, den sie durch die Küchentür hatte, löste ein eigenes Gefühl in ihr aus. Es war jedoch nicht der Garten, der sie beschäftigte, sondern die Landschaft, die

dahinter lag. Hinter dem Garten befanden sich sogleich großangelegte Felder und Weinberge in der Ferne. Als sie genauer die Landschaft auf sich einwirken ließ, entdeckte sie einen Weg, der vom Haus direkt begann und bis weit in die Felder ging und gleich daneben einen kleinen Kanal, der wie ein Bach aussah. Der Kanal schien sich im Verlauf auch zu verzweigen, doch mehr konnte sie von ihrem Platz nicht erkennen. Sie bemerkte gar nicht, wie plötzlich Jenny neben ihr stand und um ihre Aufmerksamkeit zu wecken, zupfte sie ihre große Schwester am Ärmel. „Du hast uns gar nicht geholfen, aber

jetzt sind wir fertig!“, sagte Jenny mit einer etwas beleidigten Stimme. Dann drehte sie sich wieder um und hüpfte durch das Wohnzimmer. Ihre Müdigkeit vergaß sie, denn ihr neues Heim für die nächsten Tage waren doch zu aufregend für sie. Stefan beobachtete seine Kinder vom Eingangsbereich. Er ging auf Emma zu und legte seinen Arm um sie. Emma wendete sich ihm zu. „Tut mir leid. Ich habe nicht mitbekommen, dass ihr zum Auto gegangen seid.“ Dann entfernte sie sich von ihm und der Küchentür, nahm ihre Taschen und brachte sie hinauf in eines der beiden

Schlafzimmer. Stefan sah ihr nach, lächelte verständnisvoll und schließlich verweilte auch er für eine kurze Zeit vor der Glastür und sah hinaus. Langsam kam ein Nebel auf und legte sich über die Felder...                  Erster Tag „Frühstück ist fertig! Aufstehen!“ Stefans Stimme hallte durch das Haus. Obwohl er von der Autofahrt, aber vor allem von den letzten arbeitsreichen Monaten erschöpft und mitgenommen

war, wollte er es sich nicht nehmen lassen, als Erster aufzustehen um seine drei Frauen zu überraschen. Die Abwechslung war schon lange nötig und er hoffte, dass er in den vorliegenden Urlaubstagen sich von seiner Tätigkeit in der Finanzwelt etwas loslösen und Zeit mit seiner Familie verbringen konnte. Doch nicht nur er er hatte diese Zeit nötig, auch Evelyn hatte als Ärztin in einem Krankenhaus viel Stress und es war längst überfällig, Auszeit zu nehmen, selbst wenn es nur paar Tage waren. Nachdem Stefan keine Reaktion auf sein Rufen vernommen hatte, nahm er eine Tasse Kaffee und ging damit die Treppen

hinauf zu Evelyn. Mit der freien Hand ließ er den aromatischen Geruch des heißen Getränks in Evelyns Nase steigen, bis sie etwas murrend die Augen öffnete. Er küsste ihre Wange und flüsterte: „Frühstück, Schatz. Es ist alles vorbereitet.“ Dann ging er in das andere Schlafzimmer, wo er seine nicht weniger muntere Kinder im Bett, die Decke über das Gesicht gezogen, vorfand. „Jenny, Emma, habt ihr keine Lust auf Frühstück?“ Wie schon bei seiner Frau zuvor, bekam er nur murrende Stimmen zu hören. „Na, dann bleibt für mich mehr übrig.“ „Nein!“, protestierte Jenny, „ich

komme.“ Nur langsam kam die verschlafene Truppe in Schwung und es dauerte einige Zeit bis sie gemeinsam am Esstisch eintrafen. Stefans gute Laune steckte schließlich auch seine Frau und die Kinder an und sie begannen Pläne für den Tag zu schmieden. „Wie wäre es mit Padua? Wir könnten uns ein wenig die Stadt ansehen, gut essen gehen. Die Straßenbahnen sind auch interessant. Die fahren auf Gummiräder.“ „Mich würde das Teatro Anatomico und die Lehrkanzel Galileo Galileis

interessieren.“ „Das lässt sich sicherlich kombinieren.“ Die beiden Erwachsenen waren sich rasch einig, nur Jenny war von der Idee nicht sehr begeistert und warf eine Frage ein: „Gibt es hier denn nicht einen Vergnügungspark? Ihr habt gesagt, hier gibt es einen.“ Evelyn stöhnte, aber es war sie selbst, die zu Hause Jenny von dem Park erzählte und sie wusste, sie müsste dem Kind entgegen kommen. „Liebling, nur nicht heute. Der Park ist doch weiter weg und wir haben gestern schon eine lange Fahrt gehabt. Wir machen das ein anderes Mal.

Einverstanden?“ Zwar war Jenny immer noch nicht begeistert nach Padua zu fahren, aber sie war ein pflegeleichtes Kind und vertraute ihrer Mutter, dass sie ihr Versprechen hielt. „Emma, Du bist so still. Was ist mit Dir?“, fragte Evelyn. „Das ist schon okay. Können wir auch mal in eine Galerie gehen oder einen Palazzo besuchen?“ Diese Frage war für eine Vierzehnjährige zwar außergewöhnlich, doch Emma mochte Gemälde und selbst wenn sie nicht einen ganzen Tag in einem Museum verbringen wollte, so war ein Besuch dieser Art doch nicht

unwillkommen. Gegen Abends kamen sie wieder von Padua zurück. Nachdem sie zuvor noch bei einem Supermarkt einiges eingekauft hatten, bereitete Evelyn ein Abendessen mit diversen Produkten aus der Region vor. Emma half ihr beim Tisch decken, während Jenny im Garten mit einem Plastikball herumtollte. Stefan, der darauf bestand hatte, eine Flasche Merlot mitzunehmen und diese zu öffnen, um mit einem eingeschenkten Glas Rotwein die Holzbank auszuprobieren und um zu entspannen, realisierte nun sein Vorhaben.

Es war ein angenehmer Tag. Alle waren heiter, hatten Spaß beim Fotografieren und obwohl sie sich eigentlich nur von außen alles ansahen, sammelten sie viele Eindrücke der Stadt. Nur Evelyn war etwas enttäuscht, als sie vor geschlossenen Toren der Universität stand und ihr die geschichtsträchtigen Räume, in denen schon Galileio unterrichtete, verborgen blieb. „Mach dir nichts draus, Mama“, meinte daraufhin Jenny, „Wir machen das ein anderes Mal.“ Stefan musste lachen, als er an die Worte seiner kleinen Tochter dachte. Er schloss die Augen, lauschte den

Stimmen seiner Familie, genoss die frische Luft und den guten Wein. Es war spät geworden. Das Abendessen war längst beendet, das Geschirr war weggeräumt. Evelyn und Stefan saßen noch im Wohnzimmer auf der Couch und unterhielten sich. Jenny schlief bereits und Emma, die noch im Bett bei eingeschalteter Nachttischlampe ihr Buch weitergelesen hatte, wurde immer müder, bis sie beschloss, ihr Buch zu schließen und nochmals kurz ins Bad zu gehen. Als sie zurückkam, fühlte sie sich vom Fenster angezogen und wollte kurz davor verweilen. Das Fenster zeigte eine

ähnliche Aussicht wie die Glastür von der Küche mit dem Unterschied, dass sie auf Grund des ersten Stockes etwas mehr Fernsicht hatte. Emma vertiefte sich in die Dunkelheit, die nur durch den Mondschein unterbrochen war. Obwohl es Nacht war, bemerkte sie, wie Nebel abermals die Felder einhüllte. Doch dann hielt sie inne. War es eine Täuschung oder konnte sie trotzdem dort draußen etwas erkennen? Ihr Gesicht berührte beinahe das Glas, in der Hoffnung, sie könnte besser etwas ausnehmen. Es war im Feld, ganz nahe neben dem Weg. Es war eine Art Lichteinfall, die

durch den Nebel diffus wirkte. Dieses Licht, auch wenn es nur matt war, gab die Umrisse einer kleinen Gestalt wieder. Es war die Gestalt eines kleinen Jungen.




                    Zweiter Tag An diesem Morgen wurde Jenny von Geräuschen aus dem Garten geweckt. Es waren Kinderstimmen, die aufgeregt kreischten und offensichtlich in ein Spiel vertieft waren. Von der Neugier getrieben, krabbelte Jenny aus dem Bett und lief zum Fenster. Es waren zwei Buben, die sich sehr

ähnlich sahen und Fußball spielten. Jenny war irritiert und fragte sich, was zwei fremde Kinder im Garten zu tun hatten. Als sie merkte, dass ihre Eltern bereits aufgestanden waren, ging sie empört die Treppen hinunter in die Küche. „Da draußen sind zwei fremde Buben, die Lärm machen!“ „Jenny, das sind die Kinder von nebenan. Wir wohnen ja in einem Haus, wo noch eine andere Familie wohnen kann. Du hast doch sicherlich die andere Eingangstür gesehen“, klärte Evelyn sie auf. Jenny war ein aufgewecktes und neugieriges Kind und wollte wissen, wer

genau da draußen war. Nachdem sie um Erlaubnis gefragt hatte, zog sie sich ihre Jacke über, öffnete die Haustür und rief: „Hallo, wer seid ihr?“ Die beiden Buben hielten inne und wendeten sich ihr zu. „Ich bin Marco.“ „Ich bin Fabian.“ Die Kinder waren etwa acht Jahre alt und als Jenny in ihre Gesichter blickte, war sie verblüfft über die starke Ähnlichkeit der zwei. Evelyn, die sich neben ihrer Tochter stellte, begrüßte ebenfalls die Kinder und erkannte, dass es sich um Zwillinge handelte. Sie sah Jenny an, dass sie gerne sich zu

den Buben gesellt und mit ihnen gespielt hätte, doch mit dem Argument, sie wollten an diesem Tag zu dem Vergnügungspark am Gardasee fahren, den sich Jenny gewünscht hatte, brach das Mädchen in Jubel aus und verkündete den Zwillingen ihre gute Nachricht, die sie sogleich beneideten. Mit dem Zuruf, dass sie ein anderes Mal miteinander spielen würden, schloss Jenny wieder die Tür und lief zu dem bereits gedeckten Frühstückstisch, an dem auch Emma mittlerweile mit noch zerzaustem Haar Platz genommen hatte. Der Tag verging wie im Flug und Jenny genoss das laute und bunte Treiben im

Vergnügungspark. Doch als sie am späten Nachmittag wieder heimkehrten, war Jenny dennoch nicht müde. Sie war von all den Eindrücken noch reichlich aufgedreht und wollte nicht hinnehmen, dass sie nun wieder zurück waren. So versuchte sie ihren Vater zu überreden noch einen kurzen Spaziergang neben den Feldern mit ihr zu unternehmen. Sicherlich war auch ihr Beweggrund für einen Spaziergang, dass sie vom Park ein gewisses Erinnerungsstück bekommen hatte, das im Dunkeln leuchtete und dies wollte sie ausprobieren, selbst wenn es noch nicht dunkel genug war. Stefan konnte ihr die Bitte nicht

abschlagen und einigte sich mit ihr auf längstens eine halbe Stunde. Der Weg begann direkt hinter dem Haus. Es war jener Weg, den Emma schon seit Beginn ihres Urlaubes in gewisser Weise in den Bann zog. Schon nach kurzer Zeit merkte man, wie es deutlich kühler wurde und wieder, wie schon die Tage bevor, zog Nebel über die Felder und hüllte erneut die Landschaft ein. Langsam begann es zu dämmern und Stefan blieb mit seiner Tochter stehen. „Kleines, wir werden langsam umdrehen. Es wird dunkel.“ „Nein, noch nicht!“, protestierte sie, obwohl sich langsam eine Müdigkeit in

ihr einstellte. In dem Moment, gerade als Stefan ihr die Hand reichte und sie sich Richtung Haus machen wollten, sah Jenny eine Gestalt in einer gewissen Ferne... Es war die Gestalt eines Jungen. „Marco? Fabian? Hallo!“, rief Jenny. Sie war überzeugt, einen der beiden Zwillinge zu erkennen und zog Stefan, da sie schneller gehen wollte. „Hallo! Bleib stehen! Wir sind es!“ Der Junge war nicht zu weit von ihnen entfernt und in Folge musste es möglich sein ihn einzuholen. Stefan jedoch merkte eine gewisse Eigenheit. Dem Jungen umgab einen matten Lichtschimmer, doch es gab keine

Lichtquelle. Auch hatte er den Eindruck, dass die Distanz zu dem Jungen nicht kleiner wurde, obwohl sie ihm entgegen gingen. Als Jenny erneut nach dem Jungen rief, war er im nächsten Moment jedoch verschwunden. Es dauerte nicht lange, bis Jenny und Stefan das Haus wieder erreichten. Im Garten sahen sie die Zwillinge, die vergnügt mit ihrem Ball spielten. Jenny war irritiert, denn es hatte den Anschein, dass sie vertieft im Spiel waren und nicht gerade erst seit einer Minute herum tobten. Trotzdem ließ sie sich vom Gedanken

nicht abbringen und war überzeugt, in Marco den Jungen im Nebel wieder zu erkennen und sprach ihn an. „Warum bist Du nicht stehen geblieben? Wir hätten doch gemeinsam nach Hause gehen können.“ Marco blickte sie verständnislos an. „Jenny, wieso glaubst Du, dass es Marco war?“, wendete Stefan ein. Daraufhin zeigte sie auf den weißen Pullover, den Marco trug. Fabian hingegen war mit einer roten Joggingjacke bekleidet. Stefan musste zugeben, dass eine gewisse optische Ähnlichkeit bestand und auch das Gewand dazu beitrug. Doch Marco

verneinte. „Ich war nur hier im Garten. Fabian auch.“ Dabei warf Marco einen Blick zu Fabian, den Jenny nicht verstand. Weiter ging er auf ihre Frage nicht ein. Jenny konnte von ihrer Meinung nicht abgebracht werden. Selbst Stefan war sich nicht sicher und wunderte sich, doch konnte er seinem Kind weder erklären, dass es sich irrt, noch dass es recht hatte. Auch Marcos Verhalten konnte er nicht wirklich interpretieren und so wollte er das Thema nicht weiter verfolgen und es auf sich beruhen lassen. Indessen rief Emma die beiden zum

Abendessen.                    Dritter Tag Der Vormittag war trüb und regnerisch, sodass die Familie im Haus blieb und sich mit Gesellschaftsspielen die Zeit vertrieb. Am frühen Nachmittag wollten sie schließlich nach Abano fahren um ein wenig sich das kleine Städtchen anzusehen oder in die Therme zu gehen. Doch dann trat etwas Unerwartetes ein. Gerade, als sie sich fertig machten, um außer Haus zu gehen, hörten sie die Eltern der Zwillinge, die Fabians Namen

riefen. Es war zunächst ein Rufen, dem man nicht an Bedeutung schenkte, doch dann wurden die Stimmen aufgeregter und nervöser. Evelyn ging hinaus und wollte mit den Eltern sprechen. „Fabian ist weg. Wir wissen nicht, wo er ist,“ sagte seine Mutter verzweifelt. Stefan musste an den Jungen denken, den er mit Jenny am Abend zuvor im Nebel gesehen hatte. Er überlegte dieses Ereignis zu erzählen und ob es tatsächlich Bedeutung hätte. Gleichzeitig wollte er vermeiden, die Eltern in weitere Sorgen zu verstricken. „Haben die Buben schon einmal etwas im

Alleingang unternommen?“, versuchte Stefan diplomatisch zu fragen. „Doch. Damals betraf es aber beide und Marco war derjenige, der auf die Idee kam. Fabian ist der Ruhigere, der Einsichtigere der beiden. Deshalb frage ich mich wirklich, was dem Buben eingefallen ist. Ich hoffe nur … daran darf ich gar nicht denken.“ „Vielleicht hat er sich versteckt. Haben Sie schon das Grundstück komplett abgesucht?“ Die Mutter nickte, den Tränen nahe. Es war eine Sorge, die jeder nachempfinden konnte, denn das Schlimmste daran war die Ungewissheit. Jenny, die mit Emma das Gespräch vom

Haus aus verfolgte, flüsterte ihrer Schwester zu: „Ich habe gestern einen Jungen im Nebel gesehen. Vielleicht hat er doch damit etwas zu tun. Wollen wir Papa fragen, ob wir nochmals den Weg gehen sollten?“ Emma stimmte ihr zu, denn auch sie musste zugeben, dass sie bereits eine Gestalt gesehen hatte, wenn ihr auch die Zusammenhänge nicht klar waren. Währenddessen blieb das Wetter unverändert. Erneut stellte sich Nebel ein und blieb beharrlich über den Feldern liegen. Emma schaffte es, Stefan zu überreden, mit ihr den Feldweg abzugehen, in der

Hoffnung, Fabian möchte seinen Eltern nur einen Schrecken einjagen. Auch Jenny wollte mitgehen, doch ihr Vater lehnte ab. Stefan musste zugeben, dass er nicht wusste, was er von der Gestalt halten sollte, die er mit Jenny gesehen hatte, aber wollte nichts unversucht lassen, bevor die Polizei eingeschaltet wurde, selbst noch einmal den Weg zu gehen. Kurz danach brachen Emma und Stefan auf, während der Vater der Zwillinge die Gassen abging und die Mutter mit Marco beim Haus blieb. Das Verhalten von Marco fiel der Familie doch ein wenig auf. Er war zwar ein Kind, aber er schien keinesfalls

besorgt zu sein. In gewisser Weise schien es ihm gleichgültig zu sein und er strahlte eine Ruhe aus, obwohl sein Zwillingsbruder unauffindbar war. Es war eine eigene Atmosphäre. Obwohl es Nachmittag war und die Sonne ab und zu schaffte, einige ihrer Strahlen durch den Dunst zu bringen, brachte der Nebel eine Stimmung mit sich, die Emma als unheimlich empfand. Man hatte zwar ein wenig Sicht, doch die tatsächliche Weite blieb einem verborgen. Sie waren bereits einige Minuten zwischen dem kleinen Kanal und den Feldern gegangen und konnten immer

noch die Stimme Fabians Mutter hören, die versuchte, durch Rufen etwas zu erreichen. Emma war empfänglich gegenüber Umgebungen und Stimmungen und obwohl der Nebel seinen eigenen Reiz hatte, empfand sie gleichzeitig eine gewisse Beklemmung und eigentlich wollte sie am liebsten wieder umkehren. Doch dann sah sie eine Lichtquelle. Zunächst glaubte sie, dass die Sonne einfach einen Weg fand, um den Nebel zu durchbrechen. Emma sah genauer hin. Es war jedoch nicht die Sonne. Schon einmal hatte sie dieses diffuse Licht wahrgenommen. Es war bei Tag zwar

schlechter zu erkennen, doch sie war sich ziemlich sicher. Mit Anspannung wies sie ihren Vater darauf hin. Sie gingen ein paar Schritte näher. Da war wieder die Gestalt. „Fabian?“, fragte Stefan. Der Junge verhielt sich ruhig. Man konnte sein Gesicht nicht erkennen, da er noch zu weit von ihnen entfernt war, doch Emma bemerkte eine Handbewegung. Der Junge zeigte in Richtung des Hauses. Da läutete Stefans Handy. Emma zuckte durch den Rufton zusammen und glaubte auch bei ihrem Vater ein Erschrecken zu

bemerken. Stefan hob ab und meldete sich: „Ja? … Aha, na gut... Wir kommen.“ Als er das Handy wieder einsteckte, klärte er Emma auf. „Das war Mama. Fabian ist wieder zurück. Alles ist in Ordnung.“ Die Gestalt, die Emma und Stefan gesehen hatten, war jedoch verschwunden. Wieder zurück, bekamen die beiden erzählt, was passiert war. Fabian und Marco lernten den Enkel von Anna kennen, der ihnen ein Computerspiel bei sich zu Hause zeigen wollte.

Die Zwillinge waren sich jedoch nicht einig und begannen zum Streiten. Fabian wollte beweisen, dass auch er alleine etwas unternehmen konnte, ohne die Eltern zu fragen, und ging mit dem Enkel mit. Marco hingegen, der übers Fabian Vorhaben verärgert war, wollte den Eltern nichts sagen, wodurch Fabian mehr Ärger bekommen sollte. Als Anna gerade von ihren Einkäufen mit dem Auto zurückkam, wurde rasch die gesamte Geschichte aufgeklärt. Emma musste wieder an den Jungen im Nebel denken und begann zu

frieren...                   Vierter Tag Das Wetter blieb weiter schlecht. Zwar war der Nebel fort, doch es blieb sehr kühl und es regnete. Stefan freute sich, dass er zumindest schon einmal die Holzbank ausnutzen konnte und hoffte, dass er bis zum Wochenende noch einmal die Gelegenheit hätte, ein Glas Wein im Freien zu genießen. Um Emmas Wunsch zu erfüllen, fuhr die Familie nach Padua und ging in ein

Palazzo, das nun als Museum diente und viele Gemälde beinhaltete. Evelyn versuchte Jenny bei Laune zu halten und an Hand der Bilder erfand sie mit ihr dazu passende Geschichten, wodurch das Kind Gefallen an den Museumsbesuch fand. Der vergangene Tag war bei Emma noch nicht vergessen. Sie wusste nicht, ob es ihrem Vater ebenso erging und manchmal glaubte sie in seinem Gesicht eine gewisse Nachdenklichkeit zu erkennen. Sie gingen von Saal zu Saal. Emma liebte es vor den Bildern stehen zu bleiben, sie zu betrachten und diese auf sich einwirken zu lassen. Als sie den letzten Saal betraten, setzten

sich Evelyn und Stefan und verweilten auf den komfortablen gepolsterten Stühlen. Auch Jenny hatte genug von den Gemälden, bis ihr ein kleineres Bild in der Ecke auffiel. Sie ging zu dem Bild und zur Verwunderung ihrer Eltern blieb sie in Gedanken vertieft davor stehen. Leise rief sie Emma, die inzwischen in ihrer Nähe war. Mit einem verblüfften Gesichtsausdruck und offenem Mund zeigte Jenny auf das Bild. Emma konnte nicht glauben, auf was Jenny aufmerksam wurde und ihr Herz begann stärker und rascher zu klopfen. Das Bild zeigte zwei Buben. Der Ältere der beiden hatte seine Hand beschützend

auf die Schulter des Jüngeren gelegt. Jenny entdeckte im Saal einen Ständer mit Informationsblätter und lief hin, um eines davon Emma zu bringen. Als Emma das Blatt nahm, las sie den Teil des Textes, der sich mit dem Bild befasste: „Das Gemälde trägt den Namen Bruderliebe. Entstehungszeit um etwa 1900. Der unbekannte Maler greift die Legende zweier Brüder auf. Es soll sich ein tragisches Unglück ereignet haben. Der Geschichte nach, sollten die beiden Knaben in den Feldern gespielt haben. Als der Ältere sich für eine Weile auf den Boden legte, schlief er ein und bemerkte nicht, dass sein Bruder

indessen weglief um ein Kaninchen zu verfolgen. Als der Ältere aufwachte, soll er viele Stunden nach seinem Bruder vergeblich gesucht haben, bis schließlich ein Bauer den Jüngeren in einem Schacht leblos fand. Doch aus Vorwürfe, dass der Ältere seinen Bruder nicht finden und beschützen konnte, soll er selbst nach seinem Tod keine Ruhe finden und daher noch heute, an nebeligen Tagen, sich in den Feldern um Padua aufhalten.“ Das Gemälde zeigte den älteren Buben bekleidet mit einer braunen Hose und einem weißen Wollpullover. Jenny flüsterte Emma aufgeregt zu: „Das ist das

Gewand!“ Emmas Gesicht war kreidebleich. Auch sie erkannte in ihm den Jungen im Nebel.                          Ende

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Hörbuch

Über den Autor

SabineReihart
Vielleicht hatte ich es immer schon in mir, obwohl ich in der Schulzeit mit Aufsätze gar meine liebe Not hatte.
Dazu gibt es auch eine Anekdote.
Ich war in der Volksschule und ich hatte als Aufgabe einen Aufsatz zu schreiben. Doch wieder einmal fiel mir zu dem vorgegebenen Thema nichts ein. So versuchte meine Mutter mir zu helfen und setzte sich zu mir.
Mit der Zeit gesellte sich auch mein Vater dazu und wollte ebenfalls seine Ideen einbringen.
Und ich?Ich setzte mich auf den Boden und spielte weiter.
Doch ich hatte eine kluge Lehrerin.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, aber vielleicht handelte es sich genau um diesen Aufsatz. Als ich die Hausübung korrigiert zurück bekam, schrieb sie darunter: "Hast du gut gemacht, liebe Mutti!"

Und heute?
Schreiben hat sich für mich als eine Art von Hobby entwickelt und ich habe festgestellt, dass es mich entspannt.

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Trollmops Du hast es geschafft, dass ich deine Geschichte bis zum Schluss gelesen habe, trotz der vielen Seiten am PC. Das ist wirklich ein Problem ... Aber wenn eine Geschichte so lebhaft geschrieben daher kommt, bleibe ich schonmal dran.
Tolle Geschichte, die zum Miterleben einlädt, mit einet ebenso tollen Wendung am Schluss. Mir hats gefallen.

Gruß Det
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Obwohl ichfit langen Geschichten so meine Probleme habe, hat mich diese Story mitgenommen und nicht mehr losgelassen.
Einfach klasse
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
SabineReihart Das freut mich sehr! Vielen lieben Dank!
Vor langer Zeit - Antworten
schreiber2015 Bis zum Schluss spannend. Ich finde es gut das die ganze Familie den Geist sieht, das ist ja oft nicht so. Das macht die Geschichte besonders
Vor langer Zeit - Antworten
PeterHe Hallo Sabine,

da ist dir ja einiges eingefallen!
Eine interessante Handlung die bis zum Schluss alles offen lässt mit einem am Ende überraschenden Ausgang.

Einfach gut geschrieben und hat mir gefallen ;-)

Liebe Grüße
Peter
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SabineReihart Hallo Peter, Dankeschön!
Ich freue mich immer wieder, wenn ich so positive Kommentare bekomme!
Liebe Grüße, Sabine
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KaraList Eine lesenswerte, spannende Geschichte ist Dir hier gelungen. Sie gefällt mir sehr!
LG
Kara
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SabineReihart Vielen Dank für das schöne Kommentar! Ich freue mich wirklich darüber.
Liebe Grüße, Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
LeopoldF Hallo Sabine,
eine sehr spannende Geschichte hast du hier erzählt.
Sehr mysteriös und gut beschrieben.
Gerne gelesen.
Gruß
Leopold
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SabineReihart Herzlichen Dank, Leopold. Freut mich sehr! Liebe Grüße, Sabine
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