Susanne
Karl und Werner saßen wie jedem Freitag wieder in ihrer Stammkneipe und aßen Bohnensuppe.
„Darf`s noch ein Bier sein“ mit diesen Worten forderte Gisela ihre Stammkunden zum Trinken auf.
„Ja gerne, Püppchen“ antwortete Werner, der Ältere von den beiden.
Sie und ihr Mann Peter führten das Lokal schon seit Jahren. Das Geschäft ging recht und schlecht, aber die beiden fanden ihr Auskommen. Die Einrichtung des Lokals hatte die besten Jahre schon
hinter sich, aber an Renovierungsarbeiten dachten die beiden Besitzer nicht. Hier in einer kleinen Vorstadt von Berlin, wo Jeder Jeden kannte war eigentlich nie viel los. Außer ein paar Stammgäste die täglich am Abend hier ihr Bier tranken war niemand da. Nach wenigen Minuten brachte Gisela den beiden Kriminalbeamten ihr gewünschtes Bier. Die zwei unterhielten sich über die Geschehnisse der letzten Tage.
Peter, der gerade aus der Küche nach dem Rechte sah, kam in die Wirtsstube und stellte den Fernseher an. Bundesliga war angesagt. Das hieße, Werners Frau würde heute wieder lange auf ihn warten
müssen. Bei Karl war das anders, denn als Junggeselle wartete niemand zu Hause.
Er konnte tun und lassen was er wollte, und das genoss er in vollen Zügen.
Das Spiel war gerade voll im Gange, als die Eingangstür aufgedrückt wurde. Langsam, fast schüchtern kam eine Frau in die Wirtsstube. Sie nahm gleich neben dem Eingang, beim ersten Tisch Platz. Sie setzte sich so, dass sie mit dem Rücken zu den anderen Gästen saß. Ihre Haare waren durch die Kapuze ihrer Jacke, die sie nicht abnahm, verdeckt. Sogleich ging ein leises Murmeln durch den Raum. Denn die Frau wurde hier
noch nie gesehen. Sie bestellte ein Menü und ein Glas Soda.
Karl und Werner musterten die Fremde, konnten aber aus dieser Distanz und wegen dem schlechten Licht nicht viel erkennen, außer, dass ihre Gesichtsfarbe sehr blass war. Werner stieß Karl in die Seite und mit einer Geste deutete er auf die Dame, denn er wollte wie schon so oft, seinem Kollegen eine Freundin zukommen lassen. Dieser lächelte nur und verneinte mit einer leichten Kopfbewegung.
Beide schauten weiter dem Spiel am Bildschirm zu, und achteten nicht weiter auf die fremde Frau.
Die beiden bekamen auch nicht mit, dass
die Frau gleich nach dem Essen bezahlte, und das Lokal verließ. Denn als sie nach einiger Zeit zu dem Tisch blickten, war dieser leer. Gisela räumte gerade das Geschirr weg und brachte den beiden unaufgefordert noch ein Bier. „Geht aufs Haus“ meinte sie nur mit einem Lächeln, denn sie wusste, dass die Burschen ohnehin noch weitere bestellen werden.
Nach dem Match verabredeten sich Karl und Werner noch für Sonntag zum Stadtfest, bezahlten und gingen.
Werner und seine Frau Pauline machten sich schon früh auf dem Weg zum Stadtfest. Beide genossen die wenigen freien Stunden die sie zusammen
verbringen können. Das Stadtfest kam ihnen gerade Recht. Da sie sich an den leckeren Speisen, die an den Buden feilgeboten wurden, labten, braucht Pauline an diesen Sonntag nicht kochen. Bei der Bierausschank trafen sie auch Karl, der sofort für seine Freunde welches bestellte. Sie schlenderten die Straße entlang, als Werner die Frau aus dem Lokal sah. „Ist das nicht die…“ Karl schnitt ihm sofort das Wort ab und prostete Werner nochmals zu.
So schnell ließ sich Werner nicht von seinem Plan abhalten. Er kniff Karl in die Seite und zwinkerte ihm zu. Die junge Frau schien allein zu sein und Werner ging auf sie zu. „Entschuldigen
sie, wenn ich sie so anspreche, aber möchten sie meinem Freund nicht ein wenig Gesellschaft leisten?“ Verdutzt starrte die Frau in Werners Gesicht, der gerade ein charmantes Lächeln aufsetzte, und mit der offenen Hand Richtung Karl zeigte. Ohne auf eine Antwort zu warten nahm Werner Karl bei der Schulter und schob ihn vor die noch immer verstört blickende Frau. Karl wollte kein Spielverderber sein, er streckte der Unbekannten seine Hand hin und stellte sich vor. „Susanne, Susanne Rauch“ Dies waren die ersten Worte die sie von der Fremden hörten. Es war ihm zwar sichtlich peinlich, was Werner da inszeniert hatte, doch nahm er es mit
Humor. Die Frau nahm zögerlich Karls Hand, denn auch sie kam sich irgendwie überrumpelt vor. Pauline, die noch ein Stückchen weiter stand, hatte ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. Nach kurzer Zeit, als sich alle vorgestellt hatten, entstand dann auch das erste Gespräch. Werner sprach fast ohne Pause, während Karl Susanne ins Gesicht schaute.
Ihr schwarzes Haar hatte sie wieder unter der Kapuze versteckt. Ihr Gesicht hatte eine ovale Form das zum Kinn spitz zulief. Ihre grünen Augen hatten etwas Trauriges an sich und ihre Nase war sehr zart. Karl hörte überhaupt nicht was sein Freund sprach, umso überraschter war er
als er plötzlich aufhörte und Susanne zu Karl sagte: „ Du bist also Karl, und möchtest mich kennenlernen?“
Karl war so perplex, dass er eine kleine Ewigkeit braucht um sich zu fangen. Denn Susanne war gerade so wie er sich immer eine Frau vorgestellt hatte. Besonders ihre schwarzen Haare hatten es ihm angetan. Wie ein verliebter Teenager stand er da und brachte kein Wort heraus. Werner rettete die Situation. „Gehen wir einmal ein Bier trinken.“ Karl bejahte mit einem Nicken ohne nur den Blick von Susanne zu lösen. „Bist du neu hier in der Gegend?“:sagte Karl. „Ja, erst vor wenigen Tagen zugezogen.“ An ihrer
Aussprache konnte man erkennen, dass sie nicht von hier war.
„Aus dem Raum Kassel.“ kam die Antwort. „Und was verschlägt dich hierher?“ Jetzt war es Susanne, die unsicher wurde. Ihre sonst so blassen Wangen nahmen leicht rote Farbe an. Sie atmete erst dann kurz auf als das Gespräch in eine andere Richtung ging. Die Vier unterhielten sich zusehends gut bis zu dem Zeitpunkt wo herauskam, dass die zwei Freunde Kriminalbeamte waren. Susanne war der Schrecken ins Gesicht geschrieben und sie wich instinktiv einen Schritt zurück. Karl legte seine Hand um ihre Schultern. „Nicht erschrecken, wir werden dir schon kein Knöllchen
verpassen.“ „Und auch keine Punkte in Flensburg zukommen lassen.“ gab Werner seinen Senf dazu. Schnell hatte Susanne sich selbst im Griff und musste sogar lächeln. Am Abend ließ es sich Karl nicht nehmen, seine neue Bekannte nach Hause zu bringen. „Sicher ist sicher, es passiert schon genug.“ Er legte noch seinen Arm um sie und führte sie bis vor ihre Haustür. „Können wir uns wiedersehen, Susanne?“ Mit einem fragenden Blick schaute er ihr in die Augen. Da sie zögerlich Antwortete, konnte er ihr Gesicht noch eine Weile betrachten und meinte: „Morgen nach Dienstschluss vielleicht?“ Susanne nickte noch kurz bevor sie hinter der
schweren Eingangstür verschwand.
Langsam lenkte Karl seine Schritte nach Hause. In seinem Kopf tobte ein Sturm an Gedanken. Er hatte Gefühle, die er bis jetzt nicht kannte.
Wie konnte es geschehen, dass diese Frau ihm so aus der Bahn geworfen hatte? Noch zu Hause im Bett hatte er Probleme mit dem Einschlafen. Wie soll ich nur ruhig schlafen können wenn meine Gedanken nicht die Fresse halten, dachte er bei sich. Doch schließlich siegte der Schlaf und Karl fand sich im Land der Träume wieder.
Als der Wecker rappelte, kannte er sich
im ersten Moment nicht aus. Verschlafen ging er in die Küche um Kaffee zu machen, dabei fiel ihm Susanne wieder ein. Jetzt fing es auch noch in seinem Kopf zu rappeln an. Es fühlte sich an als ob er ein mechanisches Gehirn besäße. Susanne, Susanne fegte es durch seinem Kopf. Vor seinem geistigen Auge sah er ihr wunderschönes Gesicht mit den unsagbaren schönen schwarzen Haaren. Er dachte, jeder Mann müsste dieser Frau verfallen. Schwarze Haare, murmelte er noch in sich hinein bevor er sich den Kaffee einschenkte. Im Büro traf er dann Werner der ihm sofort verschmitzt zuzwinkerte. „Was war noch mit deiner Schönheit?“ Werner traf ein stechender
Blick von Karl und er wusste gleich, dass er sich jetzt zurückhalten musste.
Karl war bei der Arbeit ein sehr sorgfältiger Typ, wenn nicht sogar ein Perfektionist. Er wollte doch befördert werden und lies keine Möglichkeit aus, bei seinem Chef Punkte zu sammeln.
Chefinspektor zu werden, war sein großes Ziel. Aber heute konnte er sich beim besten Willen nicht konzentrieren und die Zeiger an der Uhr schienen angeschraubt zu sein. Endlich hatte er Dienstschluss, er nahm seine Tasche und wollte gerade weggehen, als ihm Werner noch am Arm packte. „Wohin so schnell, ich dachte wir gehen noch Bier trinken?“ „Keine Zeit“ Werner erkannte
seinen Kollegen nicht mehr.
Karl ging zielstrebig zu dem Haus wo er gestern Abend Susanne hingebracht hatte. Hatte er es sich vorgenommen, mit Susanne den Abend in Berlin zu verbringen.
Aufgeregt suchte er die Wohnung von Susanne. Ein schier unmögliches Unterfangen in diesem großen Wohnhaus. Er wollte schon weg gehen als er die Stimme von Susanne hörte. Irgendwie war auch sie froh, hier einen Menschen zum Sprechen zu haben. Bis lange hatte sie ihre Sorgen und Nöte mit sich alleine umhergetragen. Karl verriet ihr seinen Plan und die beiden gingen zu Karls
Wagen der in einer Seitengasse parkte, und fuhren nach Berlin. Er war so stolz, dass er Susanne die Weltstadt zeigen konnte. Er führte sie über den Ku-Damm bis hin zum Alexanderplatz.
Susanne kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie hatte schon lange Zeit so etwas nicht gesehen.
Die vielen bekannten Geschäfte bis hin zum Fernsehturm, den Karl Telespargel nannte.
Karl lacht „Jetzt sind wir bis in die Puppen gelaufen.“ Susanne verstand kein Wort wovon Karl sprach und sah ihn nur fragend an. Mit verstellter Stimme sagte er:„Ick bin ein Berliner.“ Beide lachten herzhaft und Karl spürte, dass er sich
gerade verliebte. Er nahm Susanne genau in den Zeitpunkt wo so den Fernsehturm passierten, in den Arm und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Das ist der Alex.“ erklärte er mit einem gewissen Stolz.
Da es schon spät war, beschlossen sie den Rückweg mit einem Taxi zu fahren. Susanne war das gerade recht, denn ihre Beine schmerzten auch schon. Karl brachte sie mit seinem Wagen noch bis zum Haustor und die beiden verabredeten sich gleich für den nächsten Tag. Glücklich kehrte er in seine Wohnung und er spürte ganz intensiv Schmetterlinge im Bauch.
Sie trafen sich nun regelmäßig und unternahmen viel miteinander. Die Tage und Wochen verflogen und ihre Liebe zueinander wuchs ständig. Susanne fühlte sich mit Karl richtig wohl. Ihre Vergangenheit verblaste immer mehr. Karl gab ihr die Sicherheit die sie so dringend nötig hatte.
Eines abends lud Susanne Karl ein um bei ihr zu übernachten. Sie hatte an alles gedacht.
Sie bereitete für Karl sein Lieblingsessen vor. Servierte dazu guten Wein und zu zweit saßen sie beim Kerzenschein und aßen zu Abend. Räucherstäbchen
veredelten die Atmosphäre. Es sah so romantisch aus, als sich immer wieder ihre Blicke im flackernden Schein der Kerzen trafen.
Leise Kuschelmusik sorgte für noch mehr knisternde Stimmung. Ihre Hände fanden zueinander und beide standen auf um sich zu umarmen. Mit langsamen Schritten gingen sie ins Schlafzimmer, ohne nur ein einziges Mal die Umarmung zu lösen. Wie in Trance ließen sie sich beide ins Bett fallen.
Auch hier hatte Susanne mit wohl riechenden Aromen die Luft geschwängert. Die beiden Körper verfielen in ein fast endlos dauerndes Liebesspiel. So etwas hatten beide in
ihren Leben noch nicht erlebt. Das herzerwärmendes, seelenstreichelndes Aneinanderschmiegen brachte alle Liebessäfte zum Fließen. Eng umschlungen und voller Glückseligkeit fielen sie in den Schlaf der Liebenden.
Lautes Schluchzen und bitteres Weine weckte Karl aus seinem Schlaf. Susanne saß am Bettrand und heulte sich die Augen aus. Sie musste es ihm sagen. Sie musste unbedingt es loswerden. Ihr Herz fühlte sich an wie von einem tonnenschweren Stein erdrückt. Nein sie konnte so nicht weiterleben. Ihre Vergangenheit wird sie immer wieder einholen. Jetzt wo sie so glücklich
geworden wäre. Ihre Hände wischten ihre Tränen vom Gesicht, aber nur um Neuen Platz zu machen. Die größte Last ihres Lebens schnürte Seele und Herz ein.
Karl versuchte sie zu beruhigen, seine Worte schienen bei ihr nichts zu bewirken. Immer wieder fiel sie in ein krampfhaftes Weinen. Wortfetzen presste sie zwischen lautes Schluchzen .Karl kniete vor ihr um zu verstehen was sie sagt. Ihr Mund zitterte vor Aufregung als sie endlich ihre Last vor Karl ausschüttete. „Ich habe vor einem Jahr meinen Mann umgebracht und die Ermittlungen verliefen im Sand.“ Karl hatte Mühe, diese Worte zu verstehen und in seinem Kopf aufzunehmen.
Susanne wurde von weiteren Weinattacken geschüttelt. Doch ihr war nun so zumute, wie wenn riesige Felsblöcke von ihrem Herz gefallen waren.
Gleich war er hellwach und seine Gedanken drehten sich um seine Karriere. Er würde jetzt seinem Chef einen gelösten Fall präsentieren können, seine Beförderung würde näher rücken. Ansehen und Anerkennung würde er jetzt in der Arbeit bekommen. Er ging im Zimmer umher und sah sich schon im Scheinwerferlicht stehen. Susanne bekam von den allen nichts mit. Ihre Augen waren voller Tränen und ihr Gesicht
vergrub sie in ihre Hände. Sein Blick traf sie und jetzt wurde sein Herz zugeschnürt. Er betrachtete sie, wie sie hier saß. Ein Bündel Elend. Seine Susanne. Er haderte mit dem Schicksal. Haderte mit dem Schicksal seiner Susanne.