Kapitel 32 Dieb
Zwei Tage später hatte Galren den ganzen Vorfall bereits wieder so gut wie vergessen. Der Sturm hatte sich am gestrigen Abend gelegt und auch wen sein Gefühl ihm nach wie vor sagte, dass sie in die falsche Richtung unterwegs waren… sie kamen zumindest gut voran. Der Wind stand ihnen im Rücken und trieb die Immerwind weiter nach Westen. Und damit einer fremden Küste zu. Galren wusste das es dafür zu früh war, aber manchmal glaubte er tatsächlich kurz bereits die Umrisse von etwas ausmachen zu können, das nur
knapp über dem Horizont lag. Es konnte nicht die Nebelküste sein, das wusste er, aber vielleicht speilten seine Sinne ihm ja auch nur einen Streich. Hier draußen war er sich vieler Dinge nicht länger sicher.
,, Ihr seid wirklich ein hoffnungsloser Fall, oder ?“ Merls Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. ,, Verzeiht.. ich wollte nicht… ihr starrt immer aufs Meer hinaus.“
Galren wendete sich von der Rehling des Schiffs ab und drehte sich zu dem jungen Magier um, der ein Stück von ihm entfernt an Deck stand. Der Windbauschte typischen braunen Umhang des Zauberers, während er zu ihm trat.
In jeder Hand trug er einen großen Flechtkorb, wozu jedoch, das wusste Galren nicht.
,, Es ist schön.“ , meinte Galren. ,, Ich war zwar immer wieder auf Schiffen unterwegs aber noch nie so weit draußen, das man gar nichts anderes mehr sieht.“ Es hatte beinahe etwas meditatives, beruhigte die immer zu drängende Stimme in seinem Kopf. Vielleicht war er mittlerweile einfach zu ungeduldig geworden. Fernweh, dachte er. Vielleicht war es nicht das richtige Wort aber das treffendste.
,, Mir macht diese Vorstellung ehrlich gesagt eher Angst.“ , meinte der Zauberer. ,,Ich meine… man könnte
schwimmen bis man vor Erschöpfung ertrinkt ohne auch nur…. Irgendetwas zu erreichen.“
,, Genau deshalb haben wir ein Schiff.“ , meinte Galren auch wenn er genau wusste, dass es Merl kaum beruhigen würde. Er mochte den jungen Magier aber wenn er seine Unsicherheit endlich einmal in den Griff bekommen würde… Das war unfair, sagte er sich selbst. Merl war ein guter Mann und er war selber nicht fehlerfrei, oder?
,, Ich habe übrigens mit Armell gesprochen.“ , wechselte Merl schließlich das Thema.
,, Und ?“ , fragte Galren. Er konnte sich nur zu gut an ihr Gespräch in der
fliegenden Stadt erinnern…
,, Das erzähle ich euch vielleicht wenn ihr mir helft.“ Mit diesen Worten reichte er Galren einen der Körbe die er mit sich trug. ,, Ich komme mir ehrlich gesagt etwas nutzlos vor. Ich bin ein Zauberer… aber daran herrscht hier kein Bedarf. Also habe ich dem Schiffskoch Angeboten für ihn Vorräte zu holen. Also seid ihr dabei?“
Galren grinste, bevor er den Korb auf die Schulter nahm.
,, Geht vor. Dafür erzählt ihr mir allerdings alles.“ Vielleicht hatte er den Mann ja doch unterschätzt. In den letzten Wochen schien er einfach… mutiger geworden zu sein als der schon
fast verängstigte Junge, den er in Silberstedt kennengelernt hatte.
Gemeinsam stiegen sie schließlich die Treppe zum Schlafdeck und über die weiteren der Immerwind hinab zum Laderaum. Es war helllichter Tag und bei dem Wetter hielt sich niemand gerne freiwillig hier unten in den stickigen Eingeweiden des Schiffes auf. Das hieß mit Ausnahme der Köche, die aus den wenigen Zutaten die ihnen zur Verfügung standen ab und an eine warme Mahlzeit für die Mannschaft bereitstellten.
,, Also, was ist passiert ?“ , wollte Galren wissen, als sie die Kombüse passierten. Durch die schmalen Fenster
des Raums konnten der Rauch und der Dampf der von dutzenden vor sich hin brodelnden Töpfen aufstieg nur ungenügend abziehen. Dünne Nebelschwaden quollen aus dem Raum auf den Gang hinaus und verschlechterten die Sicht im Halbdunkeln noch.
,, Na ja nicht wirklich viel ich meine…“ Merl räusperte sich. ,, Sie hat mich geküsst.“
,, Und er nennt mich einen Hoffnungslosen Fall…“ murmelte er , als sie die Leiter zum Laderaum erreichten. Er ließ den Korb einfach nach unten fallen, bevor er die erste Sprosse ergriff und
hinabstieg,.
Nur auf Wange, Galren.“ , rief Merl, der ihm einen Augenblick später folgte. ,, Es ist nicht so als hätten wir…“
,, Was ?“
,, Ihr wisst was ich meine.“ Der Zauberer hatte nun ebenfalls die letzte Sprosse der Leiter erreicht und sah sich kurz im Laderaum um. Nach wie vor konnte man sich zwischen den hoch aufgestapelten Kisten und Fässern kaum bewegen, während er ein Blatt Papier aus seiner Tasche zog und es entzwei riss. Eine Hälfte reichte er Galren, der sofort erkannte, dass es sich wohl um die Liste mit den Zutaten für den Koch handelte. Also ans Werk, dachte er. Merl
verschwand in einem Gang zu seiner rechten, während er weiter geradeaus ging. Generell gab es bei den Vorräten keine große Auswahl und entsprechend Kurz fiel auch die Liste aus. Galren suchte etwas Obst zusammen, das nach der Zeit hier unten bereits bräunlich wurde, sowie einige Säcke Kartoffeln und Brot. Wenn man trockenen Schiffszwieback denn so nennen konnte… Das Zeug war so hart, das man es kaum so essen konnte, allerdings würde ihnen wohl spätestens auf der Rückreise gar nichts anderes übrig bleiben, dachte Galren, während er sich einem Stapel aus Säcken näherte. Noch in Erinnerung an den letzten
Zwischenfall mit dem Mehl, ging er diesmal vorsichtiger vor. Galren setzte den schwer gewordenen Korb ab und griff nach dem obersten Beutel. Er musste jedoch feststellen, dass seine Vorsicht umsonst war. Der Sack war verräterisch leicht, als er ihn schließlich auf dem Boden absetzte, fast so als wäre er nur halb voll. Und dann sah er die Öffnung die sich an der Seitennaht des Beutels entlang zog. Diesmal war der Rest des Fadens allerdings nicht gerissen…
,, Merl…“ Vielleicht war es nichts, dachte Galren, als er den durchtrennten Faden näher betrachtete. Vielleicht… Aber er bezweifelte es wenn er ehrlich
zu sich selbst war.
,, Galren… Was ist den los?“ Der junge Magier trat um einen Kistenstapel herum auf ihn zu, ebenfalls einen vollen Korb im Arm.
,, Wart ihr heute schon Brot holen ?“ , wollte Galren von ihm wissen und deutete auf die Lücke im Stoff des Beutels vor ihm.
Merl schüttelte den Kopf. ,, Wie gesagt ich wollte… nicht unbedingt alleine hier runter.“ Er lehnte sich etwas vor und betrachtete die aufgelöste Naht. Wenn sich jemand nur Vorräte holen wollte, dann war die Öffnung dafür zu klein, dachte Galren. Er würde jedes Stück Zwieback quasi erst herausfischen
müssen. Aber wenn sein Bauchgefühl recht hatte…
,, Vermutlich nur ein paar Ratten. „ , meinte Merl ,, Ich weiß allerdings nicht ob mir die Vorstellung gefällt mir mein Essen mit den Plagegeistern zu teilen.“
,, Ratten ja ?“ Galren fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. Er konnte nicht sicher sein… aber der Faden war sauber durchtrennt. Nicht von Zähnen durchgenagt. Das war eine Klinge gewesen. Einer Eingebung folgend, zog er Atrun aus der Schwertscheide und durchtrennte eine der Schlaufen, die den Beutel jetzt noch zusammenhielten. Wie erwartet ging das Schwert fast mühelos durch den Stoff ohne auch nur eine Spur
von Fransen zu hinterlassen. Merl der ihm einen Moment verwirrt zusah schien langsam zu begreifen, als er die beiden durchschnittenen Fadenenden sah. Sie waren fast genau gleich. ,, Wenn das eine Ratte war, dann eine mit verflucht scharfen Zähnen.“
,, Ihr meint…“
,, Jemand bedient sich ungefragt an den Vorräten.“ , beendete Galren den Satz. Die Probleme nahmen langsam zu…
Die Sonne schien durch die Fenster der Kajüte und tauchte das innere in rötliches Licht. Licht, das durch das Gewebe eines Beutels gedämpft wurde,
den Hedan langsam zwischen den Händen drehte.
,, Das ist nicht gut.“ Armell stützte sich mit einem Arm auf dem Tisch ab. Die Finger ihrer anderen Hand trommelten nachdenklich auf dem Holz der Platte. Ihr gegenüber saßen sowohl Merl als auch Galren, die soeben von ihrer Entdeckung berichtet hatten. Wie lange ging das schon so? , dachte sie, während sie einen Blick zu Hedan warf. Die Mine des Kapitäns wirkte tatsächlich noch düsterer als sonst. Mochte sein, dass er auf Galrens schlechte Vorahnungen nichts gab, sie selber war sich ja nicht sicher ob der Mann nicht einfach zu ungeduldig wurde, aber das hier war
etwas völlig anderes.
,, Nicht gut ist untertrieben.“ Hedan ließ den Beute sinken. ,, Unsere Vorräte sind zwar nicht knapp bemessen, aber wenn unsere Reise länger dauert als geplant, werden wir noch dankbar dafür sein. Wenn sich hier jemand nicht an die Rationierungen hält könnte das alles gefährden. Und ich hoffe wirklich das es sich dabei nur um eine Person handelt…“
,, Bleibt die Frage wer.“ , meinte Galren. Sentine war derweil, wieder in Vogelgestalt, von Armells Schulter geflattert und stakste als Nachtigall um die durchgeschnittenen Fäden am Beutel herum. Beinahe wirkte es so, als würde das Wesen den Schaden begutachten um
zu begreifen, wieso plötzlich so eine Aufregung deshalb herrschte.
,, Keiner meiner Leute.“ , erklärte Hedan fest. ,, Ich lege für jeden einzelnen meine Hand ins Feuer. Und euch zwei kann ich auch ausschließen.“ Seine Stimme verriet, dass er darüber alles andere als Glücklich war. ,,Ihr seid immerhin darauf Aufmerksam geworden. Und ihr Armell finanziert diese Expedition. Ich bezweifle einmal stark, dass ihr sie gefährden würdet. Bleiben die beiden Gejarn.“
,, Lias ?“ Galren schüttelte den Kopf. ,, Ihr seid verrückt wenn ihr glaubt er würde so etwas tun. Und Naria ist eine Magierin. Verzeiht aber ich glaube sie
könnte sich etwas Besseres einfallen lassen als unsere Vorräte offen zu plündern.“
,, Und wer bliebe dann noch ?“ , wollte der Kapitän von ihm wissen.
,, Das ist die Frage.“ , mischte sich Armell hastig ein. Das letzte was sie brauchen konnten warne jetzt voreilige Schuldzuweisungen. Sie glaubte ja selber nicht, dass es jemand aus ihrer Gruppe war. Gleichzeitig kannte Hedan aber seine Crew wohl auch besser als sie. Nur konnte er wirklich wissen, was jeder einzelne der Männer dachte? Nein.
,, Wir werden einfach ab jetzt ein Auge darauf haben müssen.“ , schlug sie schließlich vor. ,,Ich schlage vor wir
bewahren erst einmal Stillschweigen darüber. Wer immer der Dieb ist soll nicht wissen, dass er entdeckt wurde. Sonst taucht er einfach eine Weile ab, bis Und wenn er sich erneut zeigt sollten wir bereit sein ihn zu stellen.“
,, Mehr können wir ohnehin nicht tun.“ , stimmte Hedan ihr überraschend bereitwillig zu. ,, Und wer immer es wenn ich ihn erwische, kann er für den Rest der Reise mit halben Rationen rechnen, darauf könnt ihr euch verlassen…“
Damit schien die Sache für Hedan erledigt. Armell jedoch war mit ihren Gedanken bereits weiter, als sie aus der Kabine auf das Schiffsdeck hinaustraten.
Die Sonne stand bereits tief und war zur Hälfte hinter dem Horizont verschwunden.
,, Bleibt nur die Frage, wie wir unseren Dieb erwischen wollen.“ , meinte sie.
,, Ich denke… das wäre gar nicht so schwer.“ , bemerkte Merl kleinlaut. ,, Ich meine… niemand wäre so dumm bei Tag etwas zu stehlen, selbst im Laderaum. Die Chance dass ihn jemand sieht ist zu hoch. Wenn dann sollten wir uns nachts auf die Lauer legen. Jeder immer nur für ein paar Stunden. Es nützt uns nichts, wenn unsere Wache einschläft… oder?“
Armell nickte. Der junge Zauberer sprach praktisch ihre Gedanken aus. ,,
Das wäre meine Idee gewesen. Und das war gute Arbeit von euch. Wer weiß wie lange es gedauert hätte, bis jemand anderem aufgefallen wäre, das etwas fehlt…“
,, Ich habe eigentlich gar nichts gemacht.“ , erwiderte Merl. ,, Galren war es, dem aufgefallen ist, das etwas nicht stimmt. Ich hätte das nur als das Wer einer Ratte abgetan.“
Armell musste den Drang wiederstehen den Kopf zu schütteln. Merl würde sich einfach nie ändern, dachte sie. Und vielleicht tat sie ihm damit auch unrecht… Er hatte sich verändert, in den letzten Wochen. Sie brauchte nur an ihr letztes längeres Gespräch zurückdenken.
War es das, was Zachary in ihm sah? Oder nur sie selbst ? Armell wusste, würde sie ihm das sagen er würde wieder alles abstreiten, sich selber kleinreden. Und das war das Problem. Merl war so viel mehr, für sie… für alle… nur wie sollte sie ihm das beibringen wenn er es nicht akzeptieren wollte?
,, Wie auch immer, ich schlage vor, wir teilen für heute die erste Wache ein…“