Kapitel 28 Lasanta
Lasanta lag wie von einer natürlichen Mauer umgeben, eingekeilt zwischen einem Berg und der See.
Ein endloses Häusermeer erstreckte sich vom Hafen und noch in die Berghänge hinauf, nur hier und dort unterbrochen von einem Palmenbewachsenen Platz oder einem Lagerturm für die per Schiff ankommenden Waren.
Auch wenn diese Stadt ebenfalls eine derjenigen gewesen war, die sich während des Bürgerkriegs vom Kaiserreich losgesagt hatten, war das Joch, das die nachfolgenden Fürsten zu
tragen hatten, hier kaum zu spüren. Anders als Freybreak war diese Stadt eine lebende, brodelnde Metropole und war dies wohl auch schon immer gewesen. Selbst das alte Volk musste einst hier eine Siedlung gehabt haben, wie tausende von Ruinen und Trümmer, die teilweise in die Architektur der Gebäude Lasantas integriert worden waren, belegten.
Die Sonne, die selbst jetzt am Abend auf das Pflaster der Straßen brannte, hielt die meisten Einwohner im kühleren inneren ihrer Häuser oder an den hier und dort vorhanden öffentlichen Brunnen und selbst die Träger, die für die Lagermeister am Hafen arbeiteten,
bewegten sich nur langsam und bedacht durch die Hitze. Dieser Ort war so gänzlich anders wie alles was Galren kannte, dass er die Temperaturen jedoch kaum bemerkte. Die Leute waren meist dunkelgebrannt und trugen Kleidung aus leuchtend bunten Stoffen, die in den kalten Wintern auf Hamad oder selbst in den Herzlanden kaum zu gebrauchen gewesen wäre.
Vom Hafenbecken selbst war fast nichts zu erkennen, so dicht lagen die einzelnen Schiffe beieinander und Galren hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie die verschiedenen Kapitäne bei diesem durcheinander einen Zusammenstoß verhinderten. Hunderte von Trägern,
Seeleuten und Soldaten strömten von oder zu den vor Anker liegenden Schiffen, löschten Ladung, brachten neue an Bord oder verrichteten Wartungsarbeiten. Der Geruch von Gewürzen. Kochendem Pech und nassem Leinen lag in der Luft und es war beinahe unmöglich, sich zu bewegen ohne in jemanden hineinzulaufen. Wie sollten sie hier bloß ihr Schiff finden?
,, Ich hätte nicht gedacht nach der fliegenden Stadt noch einmal mehr Menschen auf einem Haufen zu sehen.“ , bemerkte er und wusste nicht einmal ob seine drei Gefährten ihn bei dem Lärm der um sie herrschte überhaupt verstanden. Armell , die Sentine in
Gestalt einer Krähe auf der Schulter trug ging knapp hinter ihm, gefolgt von Lias , Merl und schließlich Naria.
,,Das hier ist zumindest schlimmer als die Kälte in Silberstedt.“ , grummelte Lias.
,, ich dachte ihr aus Helike seit Hitze gewöhnt ?“ , fragte Naria. Die Gejarn hatte sich während der vergangenen Wochen ihrer Reise eher still verhalten, aber zumindest schien sie einen Bogen um Lias zu machen anstatt den Konflikt zu suchen. Oder sie wartete einfach auf eine Gelegenheit… Galren wusste nach wie vor nicht, wieso sie sie überhaupt begleitete, wenn sie dem Löwen ganz offenbar nicht über den Weg traute.
,,Hitze ja. Nicht Luft, die man praktisch auswringen kann.“
Sie hatten mittlerweile das äußere Ende des Piers erreicht, während sie sich nach ihrem Boot umsahen.
,, Da vorne.“ Naria deutete ihnen voraus die Mole entlang auf einen fast leeren Steg an dem im Gegensatz zu den anderen nur ein einziges Schiff vor Anker lag. Der Dreimaster war ein Stück kleiner als die gewaltigen Handelsschiffe. Die blauen Banner mit dem Doppelwappen des Kaiserreichs jedoch, die darauf wehten vermittelten schon von weitem jedem, womit er es hier zu tun hatte. Einem kaiserlichen
Linienschiff, das Herz der Flotte, die Cantons Herrschaft auch auf dem Wasser sicherstellte. Drei Geschützdecks, deren Luken bis auf zwei jedoch leer waren machten deutlich über welche Feuerkraft ein einziges Schlachtschiff verfügen konnte. Vermutlich hatte man in ihrem Fall allerdings den Großteil der Kanonen ausgebaut um Platz für Vorräte und Crew zu schaffen. Wie bei den übrigen Schiffen auch war ein gutes Dutzend Matrosen , Arbeiter und Träger damit beschäftigt Kisten an Bord zu bringen, den Rumpf neu mit Pech abzudichten oder Planken auszuwechseln. Nur eine einzige Gestalt schien von dem ganzen Trouble recht unbeeindruckt und stand,
die Arme vor der Brust verschränkt am Beginn des Pier und unterhielt sich mit einer zweiten Person. Der Mann trug den blauen Mantel eines kaiserlichen Offiziers. Braune Augen sahen unter Strähnen von grauem, mit feuerroten Strähnen durchsetzen Haares hervor und Galren brauchte erst gar nicht das Wettergegerbte Gesicht zu erkennen um zu wissen, dass er diesen Mann kannte. Hedan… Der Bote des Kaisers, der ihm die Karte gebracht hatte. Langsam begann er sich zu fragen, ob der Kaiser überhaupt etwas dem Zufall überlassen oder bereits so weit voraus geplant hatte, als er den Kapitän zu ihm schickte.
Hedan schien sie jedoch nicht einmal zu
bemerken, sondern blieb weiterhin auf sein Gegenüber fokussiert. Dieses war deutlich jünger als er selbst und mindestens einen Kopf kleiner. Weißes Fell bedeckte ihren Kopf sowie Hände und Füße, die unter einem weiten, cremefarbenen Hemd und einem paar Hosen in derselben Farbe hervorkamen. Lediglich ein Ohr war völlig schwarz. Es war eine Gejarn, wie Galren feststellte. Eine Luchsin wenn er sich nicht täuschte .
,, Ich wiederhole mich ungerne.“ , erklärte der Kapitän gereizt . ,, Weder habe ich Bedarf an weiterer Crew noch würde ich wenn dem so wäre euch dafür in Erwägung ziehen. Also verschwindet,
bevor ich meine guten Manieren vergesse.“
,, Ihr habt mich nicht einmal ausreden lassen.“ , gab die Gejarn in keiner Weise eingeschüchtert zurück. ,, Jeder in dieser Stadt weiß, wohin ihr unterwegs seid. So etwas kann man nicht geheim halten. Ihr könntet jemanden gebrauchen der…“
,, Wir brauchen niemanden.“ , unterbrach Hedan sie.,, Und ihr seid ein halbes Kind. Seht zu das ihr nach Hause kommt, Kleine. Das hier ist gefährliche Arbeit.“
,, Aber…“
,, Verschwindet.“ Der Kapitän machte einen drohenden Schritt auf sie zu, doch offenbar war die Gejarn nach wie vor
nicht bereit aufzugeben.
,, Ihr könntet mir zumindest eine Gelegenheit…“
Hedan erwiderte erst gar nichts, sondern holte schlicht mit einer Faust aus. Die junge Gejarn machte im gleichen Moment einen Schritt rückwärts. Offenbar hatte sie bereits damit gerechnet und hob beide die Hände um den Hieb abzufangen und gleichzeitig selbst zuzuschlagen. Galren hatte Lias oft genug zugesehen und mittlerweile hatte er selber genug gelernt um einen Kämpfer zu erkennen, wenn er einen sah. Sie würde Hedans ungezielten Schlag abfangen und dem Kapitän danach vermutlich die Nase brechen… Sie
mochte klein sein wusste aber offenbar was sie tat.
Bevor es jedoch s weit kam, löste sich plötzlich Sentine von Armells Schulter und war mit wenigen kräftigen Flügelschlägen zwischen den Kontrahenten . Sowohl die Gejarn als auch der Kapitän waren über das plötzliche Auftauchen des Vogels so überrascht, dass sie verdutzt innehielten, Hedans Faust nach wie vor in der Luft.
,, Verfluchtes Vieh.“ Der Kapitän hob abwehrend eine Hand, als Sentine ihm beinahe ins Gesicht flog und stolperte zurück. Der Schlag der eben noch der Luchsin gegolten hatte, ging jetzt in Richtung des Vogels. Diesmal war es
Armell, die dazwischen ging.
,, Wagte es euch und ihr könnt hinter eurem Schiff her Schwimmen.“ , rief sie laut genug, das selbst der aufgebrachte Hedan nun erneut inne hielt, vor allem als er ihre Begleitung bemerkte. Das wiedererkennen in seinen Augen war jedoch nicht überrascht, wie Galren gedacht hätte. Er hatte schon gewusst, wen er hier erwartete. Die Gejarn nutzte derweil ihre Chance und war mit einem Satz in der Menge verschwunden. Galren sah ihr nach konnte sie aber bereits nach wenigen Augenblicken nicht mehr ausmachen.
,, Sieh mal einer an.“ , meinte Hedan nun noch übellauniger als zuvor,
während sie endgültig den Pier erreichten. ,, So klein ist die Welt, wie ?“
,, Hedan, oder ?“ , fragte Galren.
,, Ihr kennt ihn ?“ , wollte Naria wissen.
,, Und ob.“ , antowrtete er unsicher ob das wirklich etwas Gutes war. Vermutlich eher nicht. Der Mann war auf seine Art einfach unangenehm. ,, Von ihm habe ich die Karte überhaupt erst bekommen. Also sollt ihr diese Expedition anführen?“ Hoffentlich nicht…
,, Von wegen. Ich bin für eure Crew und das Schiff zuständig. Ich fürchte das sagen dürfte… sie haben.“ Er nickte in Richtung Armell. ,, Das heißt, ich nehme
einmal an, ihr seid Armell D'Ambois ?“
,, Die bin ich.“ , antwortete die Fürstin.,, Und wer war das eben ?“
,, Nur ein Störenfried. Wir liegen jetzt hier seit zwei Tagen vor Anker und mindestens genauso lange habe ich Leute, die mitkommen wollen, nachdem sich herumgesprochen hat wo unser Ziel liegt. Keine Ahnung wer von meinen Leuten geplaudert hat, aber jeder, der den Mut aufbringt will plötzlich mit. Die eben war besonders hartnäckig, war jetzt zum dritten Mal hier, keine Ahnung wieso… Wenn euer Vogel nicht gewesen wäre…“
,, Würdet ihr jetzt vermutlich mit mehreren gebrochenen Knochen auf
diesem Pier liegen.“ , beendete Lias den Satz. ,, Es mag euch nicht aufgefallen sein, aber die Kleine war um einiges schneller als ihr. Sie hat euren Angriff erwartet und wäre Sentine nicht dazwischen gegangen hättet ihr heute herausgefunden das körperliche Stärke bei einem Kampf bei weitem nicht alles ist. Vielleicht solltet ihr in Zukunft darüber nachdenken ob es eure Gesundheit wert ist jemanden zu attackieren weil er euch… lästig ist.“
Hedan erwiderte nichts, sondern bedachte den alten Löwen nur mit einem abschätzigen Blick.
,, Jedenfalls,“ , fing er schließlich wieder an zu sprechen. ,, wir haben fast
alles beisammen was wir für diese Reise brauchen. Momentan fehlen lediglich noch ein paar Vorräte. Spätestens in einer Stunde können wir aufbrechen. Ich schlage also vor, ihr begebt euch an Bord und wenn ihr noch etwas zu erledigen haben solltet… beeilt euch damit. Ich will wirklich nicht noch auf jemanden warten müssen.“
Mit diesen Worten drehte Hedan sich um und verschwand die Mole hinab. Galren zuckte kurz mit den Schultern, bevor er ihm schließlich folgte. Die anderen zögerten kurz, schlossen sich ihm dann jedoch ebenfalls an. Das Deck war überfüllt mit Matrosen und Arbeitern, die letzte Vorbereitungen trafen,
während er und die anderen an Bord gingen. Noch jedoch hingen die Segel zusammengerollt an den Querbalken der Schiffsmasten. Galren sah sich fasziniert um. Das war es, dachte er. Der letzte Schritt bevor sie aufbrechen würden und für den Moment bliebe ihm nur übrig zu warten.
Das Ruder befand sich vor einer großen Kajüte am Heck des Schiffs, die wohl Hedans Unterkunft bilden würde und mehrere Stapel mit Kisten und Fässern, die wohl noch über eine große Rampe aus Holzplanken unter Deck gebracht werden würden. Lediglich einige wenige Stufen blieben daneben frei um auf die unteren Ebenen des Schiffs zu gelangen.
Er hätte später noch genug Zeit sich umzusehen, sagte er sich.
,, Willkommen auf der Immerwind. Sie mag nicht das schlagkräftigste oder schnellste Schiff der Flotte sein, aber bisher hat sie mich noch nicht enttäuscht. Auch wenn der Kaiser sie angeblich persönlich einem alten Piraten abgekauft hat…“ Hedans Stimme schien praktisch schlagartig an Gereiztheit verloren zu haben, sobald er einmal die Füße auf das Schiffsdeck gesetzt hatte. Wir mussten einige Anpassungen vornehmen.“ , erklärte er, während er Galren und den andere bedeutete, die Stufen unter Deck zu nehmen. ,, Das hier ist eigentlich ein Kriegsschiff und
hätte es meiner Meinung nach auch bleiben sollen aber… seit wann hätte der Kaiser sich je um die Meinung eines seiner Offiziere geschert. Die meisten Waffen sind zwar von Bord geschafft worden aber mit den zusätzlichen Vorräten sind wir immer noch fast genau so schwer wie vorher. Wenn ich die Strecke, die vor uns liegt also richtig einschätze, sind wir mindestens vier Wochen unterwegs, eher länger. Und das bei gutem Wetter.“
Beim ersten Deck das sie erreichten handelte es sich offenbar um die Schlafräume für die Besatzung Hängematten, Matratzen und auch simple Strohlager waren fast überall
aufgeschlagen worden wo ein Ecke Platz dafür bot und das spärliche Licht, das durch die nur halb geöffneten Luken hereinfiel machte es schwer sich zu orientieren.
,, Ich hoffe ihr werdet verzeihen das wir kaum Platz haben um irgendjemanden extra unterzubringen.“ , meinte Hedan vielleicht etwas zu schadenfroh in Richtung Armell.
,, Glaubt mir es gibt schlimmeres.“ , gab diese lediglich kühl zurück.
,, Zum Beispiel ?“
,, Das wisst ihr wenn euch ein Assassine meines Onkels die Kehle durchschneidet.“
Hatte der Kapitän eben noch amüsiert
gewirkt, erlosch das schwache Grinsen nun sofort wieder. Wortlos führte er sie schließlich zurück nach oben, wo grade die letzten Kisten an Bord gebracht wurden. Danach ging alles ganz schnell, schneller als Galren je gedacht hätte. Die Taue die das Schiff am Steg verankerten wurden gekappt und die Segel innerhalb weniger Augenblicke gehisst, während einige bereitliegende Lootsenboote eine Gasse in dem durcheinander aus vor Anker liegenden und wartenden Kähnen im Hafen schufen. Es dauerte nicht lange und die Immerwind nahm schließlich Fahrt auf, während die Mole an ihnen vorüberglitt. Galren ließ die andere zurück, die am Heck des Schiffs stehen
geblieben waren und zurücksahen und lief über das Deck in Richtung der Rehling am Bug. Soeben hatten sie die letzten Schiffe passiert und verließen die Hafen Einmündung. Hinter ihnen war die Stadt, Canton, die Welt die er kannte… Und vor ihnen… Galren ließ sich auf dem Boden nieder, während ihm die Mittagssonne warm ins Gesicht schien. Der Fahrtwind vertrieb die schlimmste Hitze und machte selbst die schwüle Luft ertragbar. Vor ihnen gab es so weit er sehen konnte nur blau. Und ein Ziel, das er nach wie vor nicht aus den Augen verloren hatte.
Bald, dachte Galren nur und wusste selber nicht genau was er damit meinte.
Das er ankommen würde? Das sie unterwegs waren? Oder dass er die Antworten finden würde nach denen er suchte? Vielleicht alles davon. Und vielleicht auch nichts, meinte eine leise, düstere Stimme in seinem Kopf. Noch war nichts gewonnen. Sie hatten grade einmal den ersten Schritt hinter sich…