Biografien & Erinnerungen
Lollipop

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"Lollipop"
Veröffentlicht am 07. Oktober 2015, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Hum... Ich habe Troja brennen sehen...soll ich noch mehr sagen? Aber nachdem der Rauch sich verzogen hatte, musste ich die langen Jahrhunderte standesgemäß hinter mich bringen und so gewöhnte ich mir an, viele gute und auch mal weniger gute Bücher zu lesen, Musik zu hören und zu machen, im Garten zu pütschern, zu schreiben...Jau, das wär's dann mal.
Lollipop

Lollipop

Mitten in Deutschland herrschte der blanke Terror. Angst griff nach kleinen Kinderherzen, hielt sie im harten Klammergriff, denn sie war unerbittlich, verschlang uns, die Inkarnation der MACHT: unsere Grundschullehrerin Frau Ziethen. Sie war Gorgone und Nemesis in einem, gab unserem Dasein einen Stempel nach dem anderen für nicht gemachte Hausaufgaben, Schwätzen während des Unterrichts, unsaubere Heftführung und für versonnenes Träumen in den Unterrichtsstunden. Ihr könnt euch denken, dass ich trotz aller Angst, die ich vor diesem Drachen

hatte, dennoch eine stattliche Anzahl dieser kleinen schwarzen (!!!) Stempel in meinem Hausheft nach Hause trug, aber noch weitaus mehr dieser hässlichen „Icons“ nannte ER sein Eigen: Uwe, der hübsche blonde Junge aus der letzten Bankreihe. Uwe war das, was meine Eltern „einen richtigen Jungen“ nannten, ein deutscher Michel aus Lönneberga, immer zu Streichen und liebenswertem Unfug aufgelegt, und dabei bezaubernd wie kaum einer. Uwe war der Schwarm von uns Mädchen und löste gigantische Zickenkriege unter Siebenjährigen aus, die sich in Zwicken, Haare ziehen und gemeinen Singsprüchen auf dem Pausenhof

entluden: „Cas-sy hat nen Zahn verlorn, Cassy sieht jetzt doof aus!“ Und das natürlich immer dann, wenn Uwe es hören konnte. Meine Mutter wunderte sich, warum ich auf einmal so „mädchenhaft“ war, bis dato war ich nämlich ein ausgemachter Junge gewesen, bastelte mit meinem Vater an Motoren herum und trug eigentlich nie richtig saubere Kleidung. Mein Lieblings-Outfit war eine alte Lederhose meines Lieblingscousins mit einer Bluse oder einem Trikot ( die Teile, die wir später T-Shirt nannten). Und meine Fingernägel waren nie richtig sauber… Aber seit ich mich in

Uwe verguckt hatte, betrieb ich einen unglaublichen Körperkult, ich ging sogar so weit, mich einmal an Mamas Parfum zu vergreifen, was mir prompt einen der berüchtigten „Ziethen-Stempel“ einbrachte. Der derart Umschwärmte bekam davon offensichtlich nichts mit, er trieb sich mit den Jungen der Klasse auf dem Hof herum und la Ziethen in den temporären Wahnsinn, was uns Fans natürlich noch mehr für ihn einnahm, war da doch einer, der alle Eigenschaften eines Helden, eines Drachentöters besaß- Mut, Witz und Sorglosigkeit. Aber es war so furchtbar schwer, an den Süßen

heranzukommen, ich jedenfalls war zu naiv und unerfahren, mein Bruder war ein Kleinkind, somit kannte ich das andere Geschlecht noch nicht so gut. Doch meine Chance sollte kommen, und zwar schon bald. An unserer Grundschule gab es einen Raum, das „Aquarium“, in welchem Schüler beaufsichtigt wurden, deren Lehrer verhindert waren. Diesen Raum mochten wir, denn er besaß sechs bodentiefe Fenster mit langen blauen Vorhängen, hinter denen wir uns prima verstecken konnten, was manche Lehrer durchaus zuließen. La Ziethen hatte zu unser aller Glück selten Aufsicht, und somit waren

diese Stunden bei uns über alles beliebt. Unser Pastor, der den katholischen Religionsunterricht gab, war nicht zum Unterricht erschienen, und so hieß es „ab ins Aquarium!“ Und Uwe war— ka-tho-lisch! Schnell bildetet sich ein Pulk aufgeregter Zweitklässlerinnen um ihn und seinen Freund Robbie, aber sicherlich nicht wegen Robbie. Das Gekicher und Gegluckse war so lebhaft, dass Frau Hörnschemeyer mehrmals auf ihr Pult klopfen und „Kinder, bitte etwas leiser“ rufen musste, aber richtig böse war sie uns nicht. Mir wurde das Getue der Mädchen bald zu blöd und ich zog mich mit einem Lolli

hinter einen der Fenstervorhänge zurück. Gelangweilt und etwas verstimmt nuckelte ich an meinem Lutscher und achtete nicht darauf, dass der Lolli klebrige Spuren auf Gesicht und Kleid hinterließ. Es war ein Himbeer-Lolli, die waren besonders lecker, wie ich damals fand. Auf einmal stand Uwe neben mir, hinter besagtem Vorhang, und sagte trocken „Du hast dich ganz schön vollgesaut!“ Wo war das Mauseloch, in das ich hätte kriechen können? War das peinlich… Sicher war ich zu allem Überfluss auch noch rot wie eine Tomate geworden und am liebsten hätte ich geweint, als Uwe noch hinzufügte „ … aber ich mag dich, du

bist nicht so albern wie die andern Mädels“. Und dann drückte er mir ein dicken Kuss auf meine klebrigen Lippen… alles hinter besagtem Vorhang. Den Kuss selber habe ich eigentlich in keiner besonderen Erinnerung mehr, aber fortan „gingen“ Uwe und ich miteinander, wie die anderen Mädchen neidisch sagten. Erst der Übergang auf die weiterführende Schule setzte unserer „Romanze“ ein Ende. Aber das tollste war, dass ich in Uwes Fußballverein mitspielen durfte. Als einziges Mädchen!

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Über den Autor

cassandra2010

Hum... Ich habe Troja brennen sehen...soll ich noch mehr sagen? Aber nachdem der Rauch sich verzogen hatte, musste ich die langen Jahrhunderte standesgemäß hinter mich bringen und so gewöhnte ich mir an, viele gute und auch mal weniger gute Bücher zu lesen, Musik zu hören und zu machen, im Garten zu pütschern, zu schreiben...Jau, das wär's dann mal.

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baesta Ja, diese Erinnerungen an die Schulzeit sind doch was Schönes. Aber Religionsunterricht gab es bei uns in der Schule nicht. Das gehörte zum "Privatvergnügen" und wurde ausserhalb der Schulzeit durchgefüht.
Mit Schmunzeln gelesen.
LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Süsse Geschichte über die erste zarte Romanze, die doch irgendwie so prägend sind.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Jaja, das waren Zeiten... da war die Welt noch so überschaubar, so eng an einem dran, und ich hatte das Gefühl, der Mittelpunkt des Universums zu sein~~~
Wennst es nich weiterflüsterst: det Jefühl ha ick auch heute noch ;)

Danke und liebe Grüße
Cassy
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona "Geheimnisse" sind bei mir sicher. Mein zweiter Vorname ist nicht umsonst "BND" :-))))
Aber die Zeiten waren herrlich mittelbar. Man hat ja noch richtig miteinander geredet und sich nicht gegooglt, geliked oder geaddet. Furchtbar melancholisch wird mir, wenn ich so zurück denke...
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift L8*
"Lollipop..."
Ich hab' mich schon gefragt,
warum Du Dir so lange Zeit damit gelassen hast,
diese Geschichte hier zu veröffentlichen...
Ich fand sie nämlich damals schon spitzenmäßig... grinst*
LG Louis :-)))
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Bester Louis,

ich hatte sie irgendwo verkramt, in den unendlichen Weiten meiner Festplatte verdödelt... hab letztens aufgeräumt und dabei ist mir der Lolli in die Finger geraten~~~

Allerliebste Grüße aus dem mildsonnigen Troja
Cassy
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