Kapitel 16 Bereitschaft
Merl konzentrierte sich. Das Licht über seiner Handfläche wurde heller und begann zu flackern, während er sich darum bemühte, den Zauber aufrecht zu erhalten. Er konnte spüren, dass er kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Immer wieder schwankte der Strom der Lebensenergie, die er in den faustgroßen Ball aus glühender Elektrizität lenkte.
,,Konzentrier dich.“ , drang Zacharys Stimme zu ihm durch. Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn. Natürlich war er abgelenkt, dachte Merl. Aber das war auch kein Wunder immerhin hatte
sein Meister vor ihn wegzuschicken. Mit Armell… und den anderen. Er wagte es kurz den Blick zu heben und einen Blick quer über den Raum in Zacharys Richtung zu werfen, doch die Mine des Zauberers war unleserlich und steinern. Erneut flackerte der Zauber in Merls Händen und wäre erloschen, wenn er sich nicht im letzten Moment gefangen hätte. Vielleicht hatte er Recht. Er konnte jetzt nicht darüber nachdenken oder er würde die Übung ruinieren. Das tat er sowieso schon… Merl schob sein bewusstes Denken beiseite, beinahe wie einen Vorhang und erlaubte sich ganz in den Strom aus Magie einzutauchen, der durch seinen Körper floss. Es spielte keine
Rolle mehr, was sonst war alles was zählte, war der Zauber, in seiner klaren, vollendeten Form. Das Licht in seinen Händen stabilisierte sich und wurde heller. Zuerst ging das schwach gräuliche Leuchten in einen gelben Ton über, wurde dann rot und blau bis sich ein grelles, weißglühendes Inferno knapp über den Händen des jungen Magiers sammelte…
Merl wagte es kaum, die Augen wieder zu öffnen. Das Licht blendete ihn selbst durch die geschlossenen Lieder noch und vertrieb sämtliche Schatten aus dem Raum. Er konnte jeden Riss in den dunklen Holzwänden erkennen, jede Fuge im Boden und selbst die Adern in
seiner Hand und seinem Arm, die als dunkle Linien aus der vom Licht durchschienenen Haut hervortraten.
Wären die Vorhänge nicht geschlossen gewesen, vermutlich hätte man das Strahlen noch bis weit in die Berge um Silberstedt hinein sehen können. Er sah zu Zachary, der zufrieden nickte und tatsächlich ein kaum merkliches Lächeln aufsetzte.
,, Gut gemacht. Jetzt lösch es wieder.“
Merl tat wie ihm geheißen und versuchte in den meditativen, ruhigen Zustand zurückzukehren, in dem er den Zauber gewirkt hatte. Diesmal jedoch wollte es ihm einfach nicht gelingen. Seine Gedanken blieben die ganze Zeit im
Vordergrund, störten ihn, wie ständiges Geflüster… Die Verbindung zwischen seiner Lebenskraft und dem Zauberer verlosch nicht langsam wie geplant sondern riss mit einem Schlag ab. Es gab keinen Übergang zwischen Licht und Dunkel. Die Sphäre aus weißem Licht fiel sofort in sich zusammen, während Luft in das plötzlich entstandene Vakuum strömte. Die Kerzen an den Raumwänden wurden ausgeblasen, Stühle, Tische und Kohlebecken umgeworfen und in seine Richtung geschleudert. Merl konnte nur wie erstarrt zusehen, wie die Metallenen Geschosse auf ihn zu jagten, getrieben von dem Sturmwind den er entfacht
hatte… Bevor er jedoch getroffen wurde, stellte sich ein Schatten vor ihn. Zachary…
,, Ich habe dir gesagt du sollst dich konzentrieren.“ , rief er, während er im gleichen Moment einen Schild um sie erschuf. Die schimmernde Barriere nahm innerhalb eines Herzschlages Gestalt an, nicht flackernd und, mühevoll wie bei ihm selbst. Kerzen, Möbel und Kohlebecken prasselten harmlos gegen die türkisfarbene Mauer in der Luft, während Zachary den Kopf gesenkt dastand. ,, Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, dich mit ihnen gehen zu lassen.“ , murmelte er, klang dabei jedoch nicht böse. Zachary klang
ohnehin niemals böse, dachte Merl. Enttäuscht ja. Das hatte er oft genug erlebt. Aber r hätte Mitleid mit jedem, der es einmal schaffte diesen Mann dazu zu bringen ernsthaft wütend zu werden…
,, Warum besteht ihr überhaupt darauf ?“ , wollte Merl wissen. ,, Ihr seht es doch… ich bin noch nicht so weit. Das bin ich vielleicht nie ich… Ich bin nicht ihr, Meister.“ Die Gestalt des jungen Zauberers sackte sichtlich in sich zusammen. Der braune Umhang um seine Schultern schien wie ein Gewicht, das ihn zu Boden zog.
Zachary legte ihm freundlich eine Hand auf die Schulter.
,, Und glaubst du ich würde dich mit
ihnen schicken wenn ich nicht vollkommen von dir überzeugt wäre ?“ , fragte er sanft. ,, Ich habe dich nicht als Schüler genommen weil du zufällig da warst, Merl. Ich habe dein Potential gesehen. Erinnere dich immer daran. Eines Tages, Junge, wirst du auf diesen Tag zurückblicken und das als ein Mann, der selbst mich bei weitem Überflügeln wird. Glaubst du das?“
Merl schüttelte den Kopf. Nein ganz sicher nicht. Wen, dann hatte Zachary sich geirrt. Er beherrschte mit Mühe die Grundlagen und einig wenige fortgeschrittene Zauber. Und jedes Mal wenn Zachary weiter gehen wollte… geschah so etwas wie
heute.
,, Und doch hätte ich dich nie auserwählt wenn es nicht stimmen würde. Du hast eine Gabe und ich meine damit nicht nur die Magie. Etwas, das ich nie sein oder beherrschen könnte. Geh mit ihnen. Ich kann dich nur darum bitten, nicht dir befehlen. Es ist deine Entscheidung.“
,, Ich wollte nur nie so…“ Merl zögerte. Ja was eigentlich ? Fortgeschickt werden? Aber Zachary schickte ihn nicht weg, er stellte ihn nur vor die Wahl. Und wenn er sich dagegen entschied, nichts würde sich ändern. Sein Meister wäre vielleicht enttäuscht ja… aber hielt er ihn wirklich für bereit?
,, Ihr seid euch wirklich sicher, dass ich
es schaffen kann ?“
,, Wenn du einen weiteren Beweis dafür brauchst, warte bis Morgen, wenn die anderen zurückkommen.“ , meinte der Zauberer lächelnd. ,, Und Armell vertraut dir anscheinend auch.“
,, Sie weiß ja auch nicht, das ich uns grade fast umgebracht hätte.“ Und doch war der Gedanke sie alleine ziehen zu lassen fast beunruhigender als sie zu begleiten… und sich zu blamieren.
,, Genau dafür bin ich ja hier. Jeder macht Fehler, Merl. Ein Zauberer ganz besonders. Es ist nur wichtig, das er aus ihnen lernt.“
,, Ich weiß ja nicht mal… was ich verkehrt gemacht habe. Ich habe
einfach… Ich habe mich nicht konzentrieren können.“ Er wusste selber gut genug, dass das nur Teil des Problems war. Er hatte den Zauber doch heraufbeschworen, genau wie Zachary es von ihm gewollt hatte. Aber dann hatte er einfach nicht mehr aufgepasst…
,, Wenn der richtige Moment kommt, wirst du es.“
,, Habt ihr die anderen deshalb angelogen ?“ , wollte Merl wissen. ,, Um mit mir alleine sprechen zu können? Ich meine, das es gefährlich hier oben ist.“
,, Ich habe nicht wirklich gelogen.“ , antwortete Zachary ruhig. Der hochgewachsene Zauberer trat ans Fenster und sah auf die vom Mondlicht
beschienene Stadt hinaus. Es musste bereits kurz vor Mitternacht sein, dachte Merl. Trotzdem hatte sein Meister noch auf diese Übung bestanden. Langsam verstand er auch wieso. Es gab viel zu bereden nach heute… Und morgen würde das wohl kaum anders sein. ,, Du hast den Großteil deines Lebens hier verbracht, aber für jemanden der nicht weiß, worauf er zu achten hat für jemanden ohne magische Begabung kann es hier durchaus gefährlich werden. Besonders, wenn er sich an Orte verirren sollte, die ihn nichts angehen. Ich riskiere nicht das Schicksal dieser Stadt oder gar Welt nur weil jemand zufällig nachts durch das Anwesen
irrt.“
Galren trat einen Stein über das Pflaster der Straße. Das leise klackende Geräusch war der einzige Laut in den schon im Dunkeln liegenden Straßen Silberstedts. Von dem Markt, den sie bei ihrer Ankunft hier überquert hatten waren nur verlassene Holzbuden und im Mondlicht silbrig-grauen Banner geblieben, die sich sanft im Wind wiegten. Frische Eiskristalle bildeten sich an den Scheiben der Häuser und auf dem Stoff der Flaggen, als wären sie mit Diamantstaub überkrustet.
,, Ich weiß nicht wie ich es sagen soll…“ , begann Lias zögerlich. Der Gejarn
hatte auf dem Weg den Berg hinab kaum ein Wort gesagt. ,, Ich habe mich vorhin wirklich wie ein Idiot benommen.“
Galren blieb stehen und drehte sich zu dem Gejarn um. ,, Was meint ihr ?“
Auch Armell war mittlerweile aufgefallen, das die anderen ihr nicht mehr folgten und trat schweigend wieder zu ihnen. Sentine hatte sich erneut als Zaunkönig irgendwo unter ihrer Kapuze vor der Kälte in Sicherheit gebracht.
,, Ich habe euch bereits erklärt, wie mein Volk zu Zauberern steht. Aber eigentlich hatte ich gehofft, das hinter mir gelassen zu haben. Leute nicht mehr nach dem zu beurteilen was sie sind…“ Er drehte sich zu Armell ,, Ich schätze
euer Lord Zachary hat mich wieder daran erinnert. Er ist kein schlechter Mann, auf keinem Fall. Aber es ist schwer zu vergessen was einem ein Leben lang beigebracht wurde. Verzeiht.“
Galrne konnte spüren, wie schwer es dem alternden Krieger fiel, um Entschuldigung zu bitten. Lias wusste, wenn er einen Fehler gemacht hatte, das hieß jedoch nicht, dass sein Stolz auch einfach zuließ, dass er das zugab.
Armell lächelte. ,, Wisst ihr eigentlich wie es mir ging als ich ihm das erste Mal begegnete ? Man erwartet einfach nicht das jemand der sich so verschließt jemand mit so einer Macht so… normal
sein könnte, wie?“
,, Er ist offenbar auf dem Boden geblieben, wo sein Vater den Verstand verloren hat.“ , stimmte Lias zu. ,, Ich war nicht selbst dabei aber ich habe Berichte über die letzte Schlacht um Silberstedt gehört. Obwohl er keine Chance mehr hatte hat er seine Männer fast alle in den Tod geschickt anstatt sich zu ergeben und wenigstens ein paar Leben zu retten.“
,, ich hätte nicht gedacht, das du so etwas verwerflich finden würdest.“ , meinte Galren.
,, Es gibt einen Unterschied darin Leben in einer Schlacht zu opfern die man nicht gewinnen kann um sich selbst
zu retten oder ob man es tut um andere zu schützen.“ Der Gejarn unterstrich seine Worte mit einer wegwerfenden Geste. ,, Ersteres ist nicht entschuldbar, es sei denn mit Wahnsinn. Besser ich gehe davon aus, der alte Lord de Immerson war Verrückt, als das ich ihm vorwerfe aus Kalkül gehandelt zu haben. Es gab nur einen einzigen Punkt in der Geschichte meines Volkes wo ein Heerführer etwas Vergleichbares tat.“
,, Und was ist passiert ?“ , wollte Galren wissen.
,, Das war wenige Jahre nach dem Laos die Drachenkönige aus Helike vertrieben hatte. Er hatte die befreiten Menschen und Gejarn unter seinem Banner
vereinigt und schickte nun seine Truppen aus, die letzten großen Drachen zu vernichten. Dabei geriet eines dieser Heere in einen Hinterhalt… Eigentlich hätten die Kommandanten den Rückzug anordnen müssen doch das taten sie nicht. Stattdessen befohlen sie ihren Männern die Stellung zu halten und flohen zurück nach Helike. Sie waren die einzigen, die diesen Tag überlebten. Ihre Männer jedoch, die hätten gerettet werden können wären ihre Anführer nicht geflohen starben, jeder einzelne…“
,, Was hat Laos getan, als er davon erfuhr ?“
,, Er hat sie getötet. Jeden einzelnen.“
Armell verzog das Gesicht. ,, Leute
hinzurichten die einem missfallen ist also ehrbarer als zu fliehen ?“
Lias schüttelte den Kopf. ,, Ich glaube ihr missversteht mich wenn ich sage, dass er sie tötete. Er hat sie nicht hinrichten lassen… sondern zum Zweikampf herausgefordert. Jeden einzelnen von ihnen. Das war einer der wenigen Fälle in denen keine Totenfeier für einen gefallenen Krieger abgehalten wurde.“
,, Trotzdem wenn sie derart unterlegen waren…“ Armell schüttelte den Kopf. ,, Ob ihr es eine Hinrichtung nennt oder nicht, für mich klingt es wie eine.“
Galren wusste nicht, was er davon halten sollte, während sie ihren Weg durch die
Straßen fortsetzten. Es war schon spät und wenn sie noch ein Gasthaus mit freien Zimmern finden wollten, müssten sie sich wohl beeilen. Aber selbst wenn sie heute auf dem Boden der Kutsche schlafen müssten…sie waren ihrem Ziel ein gewaltiges Stück nähergekommen, dachte er. Zachary hatte seine Zustimmung heute praktisch bereits gegeben. Damit stand ihnen nichts mehr im Weg. Er sah in Richtung Osten, etwa dorthin wo Hamad liegen musste. Bald würden sie sich abermals auf dem Meer wiederfinden und diesmal würde es keine nahe Küste geben… Gedankenverloren tastete er nach der Karte, die in einer Lederhülle an seinem Gürtel
hing.
,, Das ist euch wirklich wichtig, oder ?“ , fragte Armell. ,, Ich meine eurem Vater zu folgen… warum auch immer ihr euer Leben dafür aufs Spiel setzen wollt.
,, Ich dachte eigentlich, das wäre offensichtlich.“ , meinte er unsicher. ,, Ich… Vielleicht habe ich nach den ganzen Jahren der Ungewissheit einfach… mehr erwartet, versteht ihr? Eine endgültigere Antwort. Was ich bekommen habe war ein Stück Papier und mehr Fragen als je zuvor. Aber möglicherweise kann ich ein paar davon beantworten, wenn ich ihm folge. Und wenn nicht… vielleicht kann ich dann zumindest damit abschließen. Zumindest
werde ich nicht einfach aufgeben, egal was noch kommen mag.“
,, Ich wäre vorsichtig mit diesen Worten.“ , stellte LAIs fest. ,, Unsere Reise hat bisher nicht einmal wirklich begonnen.“
,, Nein…“ Dessen war er sich selbst nur zu gut bewusst. Aber es änderte nichts. Es würde von hier aus nur schwerer werden, aber er war bereit sich dem zu stellen. Sie hatten die oberen Bezirke Silberstedts mittlerweile hinter sich gelassen und die Häuser um sie herum wurden weniger prunkvoll. Stein wich mit Schnitzereien verzierten Holz und aus den Glasfenstern wurden mit Laden verriegelte Öffnungen. Doch ein Stück
die Straße hinauf drang warmer Lichtschein aus einem Gebäude, das ein großes Schild als Gasthaus auswies. Vielleicht hatten sie ja Glück, dachte Galren und sie fanden auf Anhieb eine Bleibe. Bevor er jedoch dazu kam, die anderen darauf hinzuweisen, hörte er ein Geräusch hinter ihnen , das ihm das Blut in den Andern gefrieren lies. Das Schaben einer Klinge, die aus ihrer Schiede gezogen wurde…
Vielleicht war er doch nicht so bereit, wie er gedacht hatte.