Kurzgeschichte
Marie und der leise Traum vom Glück

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"Marie und der leise Traum vom Glück"
Veröffentlicht am 04. September 2015, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Marie und der leise Traum vom Glück

Marie und der leise Traum vom Glück

MARIE UND DER LEISE TRAUM VOM GLÜCK





„Hey, pass doch auf du dusselige Kuh!“ „Entschuldigung.“

„Jaja, schon gut. Jetzt mach aber mal zügig!“

„Ich mach ja schon.“

Marie senkt ihren Blick zurück auf ihr Werkstück: Die fiesen Fingernägel einer offensichtlich genervten Tusse, die ständig mit ihrem linken Fuß wippt, erbärmlich seufzt und dauernd auf ihr blödes Ei - Fon glotzt.

Und wohl zum 96zigsten Mal in ihrer Schicht muss sie unumwunden feststellen das ihr Leben ziemlich Scheiße ist.

Was war denn bloß passiert?

Und warum hatte ihr niemand in der Vergangenheit gesagt, dass es einmal so öde, mühsam und beschissen hoffnungslos sein wird?

Oder hatte sie einfach nicht zugehört? Hatte sich verzettelt in wundervollen Träumen vom glücklichen unbeschwerten Leben.

Doch die Realität ist allumfassend, keine Chance sich ihr dauerhaft zu entziehen. Sie gestattet nur kurze Fluchten. Dann schlägt sie mit ihrer ungeheuren

Hartnäckigkeit wieder zu und lässt einen erzittern unter ihrer Gnadenlosigkeit, der man einsam und ratlos ausgeliefert ist.

Die drollig verschminkte Tussi mit ihrem billigen Ed Hardy - Shirt, dem fleckigen Solarium - Braun und dem übermächtigen Geruch nach Intimwaschlotion und Mottenpulver wird immer zappeliger.

Marie fasst fest die zitternden Finger dieses Flittchens um ihren Krallen die letzte Politur zu verpassen. Dann ist sie fertig und wartet auf das gnädige Urteil ihrer Kundin.

„Na ja, Das hab ich schon mal besser und schneller bekommen!“ Meint die

Tusse sagen zu müssen.

Darauf würd ich wetten! Denkt sich Marie. Laut sagt sie nur ein leises: „Danke. Beehren Sie uns bald wieder.“

Die Tusse wendet sich schroff ab, hin zu der Madame Wu um zu bezahlen. Marie räumt ihren Arbeitsplatz auf und wartet dann auf die nächste Kundin. Stattdessen setzt sich Madame Wu ihr gegenüber.

„Nix gute Arrrbeit, Mary!“ Entfährt es der Madame.

„Entschuldigung!“

„Schneller arrrbeiten Bitte, und viele viele besser! Verstanden… ?“ „Verstanden!“

Die Madame guckt mit ihrem

unergründlichen Gesicht direkt auf Maries Nase. Marie fühlt sich schlapp, unzufrieden und ein kleines bisschen wütend. Auch auf diese Frau da, die Madame Wu, ihre Chefin und Inhaberin dieses kleinen schäbigen Nagelstudios. Von dieser kleinen hageren Vietnamesin mit den schwarzen Augen und sehnigen Armen und diesem unaussprechlichen Namen angemeckert zu werden, war sicherlich nicht der Glücksmoment ihres Tages.

Die Madame watschelt wieder davon.

Und Marie wartet weiter.

Doch niemand möchte jetzt seine schrundigen Fingernägel von ihr verschönern lassen. Keine Kundschaft in

Sicht. Da kann man auch gleich verschwinden.

„Ich mach dann heute mal früher Feierabend, wenn ´s recht ist. Ist ja nichts los hier.“ Meldet sie sich bei der Madame.

„Ja ja, geh du mal Hause. Machen morgen aber viele viele Arrrrrbeit. Okay?“ „Aber sicher doch. Und Tschüss denn.“

Sie hängt ihren verschlissenen Kittel in den Schrank, schnappt sich ihre Tasche und macht sich eiligst davon.

Draußen ist es warm. Sonne brennt auf den Gehsteig, es riecht nach Staub und einem freien Nachmittag. Marie geht bummeln, vorbei an den einladenden

Auslagen der Geschäfte. Marie guckt und stellt sich vor das sie sich all dieses Zeugs ohne einen Funken schlechten Gewissens kaufen könnte. Das wäre mal ne nette Abwechslung in ihrem tristen Leben.

Nichts und niemand wird ihr fades Leben verschönern.

Es bleibt wie immer bei einem Traum.

Sie geht. Sie mag diesen ganzen zauberhaften Plunder nicht mehr sehen. Leise wischt sie eine salzige Träne aus dem Augenwinkel. Diese verdammte Sehnsucht hat sich tief eingefressen, nimmt ihr fast die Luft zum Atmen. Warum nur setzt ihr das so zu? Diese anderen Menschen rund um sie rum

scheinen ganz gut damit zurecht zu kommen, mit ihren unerfüllten Träumen, den Illusionen von einem sorglosen Leben. Oder sie lassen es sich nicht anmerken. Marie macht sich auf den Nachhauseweg.

Marie schließt ihre gemietete Tür auf, und hört augenblicklich das unverwechselbare wirre Geplärre aus der Spielekonsole. Und wie immer sitzt ihr Geliebter, der Andie, vor dem Ding und spielt sein dämliches Spiel.

Ganz versunken in seinem virtuellen Schlachten hockt er da zwischen leeren Chipstüten und vollen Aschenbechern.

„Hi.“ Ruft sie in den Raum hinein.

„Oh… Hi Süße, schon Feierabend?“

Fragt er, ohne seine Augen vom Bildschirm zu lösen. Dieser magere Blödmann mit den wundervollsten blauen Augen die sie jemals gesehen hat, geht ihr mehr und mehr mit seiner Nutzlosigkeit auf die Nerven. Wenn er ihr nicht regelmäßig und mit erstaunlicher Sinnlichkeit alle zwei Tage die Socken von den Füßen vögeln würde, hätte sie ihn schon längst entsorgt. Noch hat er Schonfrist.

„Bin für heute erledigt, ich geh gleich pennen.“

„Is in Ordnung.“

Marie geht ins Schlafzimmer, zieht die Vorhänge zu und sich aus. Lümmelt sich unter die flauschige Bettdecke und

schließt die Augen.

Wieder einen Tag überstanden, verloren und verplempert. Sie verdrängt all die unschönen Ereignisse. Es geht ganz einfach, wie geschmiert. Sie hat schließlich Übung. Und schon ist sie weit entfernt, weder der stete Straßenlärm noch das chaotische Lärmen aus dem Wohnzimmer erreicht ihre Sinne. Da ist nur noch ihr Traum:

… das weiße Pferd mit dem goldenen Horn das aus der Stirn ragt wartet im Schatten eines friedlichen Schlosses. Es wartet nur auf sie, das mit Rubinen und Smaragden geschmückte Zaumzeug funkelt im letzten Licht der Abendsonne… Marie ist auf der Reise in

einem ewigen leisen Traum. Und schon sind sämtliche alltäglichen Übel verschwommen.








Text: harryaltona

Cover: Marc Tollas/www. pixelio.de




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Kornblume Ganz unschuldig ist Marie nicht an diesem Leben. Wer sich gehen lässt und nicht den täglichen Trott selbst ändert, kann nicht erwarten, dass ihm die Trauben in den Mund wachsen. Das goldene Pferd mit dem Horn hat auch keine Lust auf eine Reiterin wie Marie: Träume sind dazu da, sie sich zu erfüllen.Geld ist nicht immer die Lösung. Mit ein bisschen Kreativität und Lust kann man viel erreichen.
Eine gute Geschichte, lieber Harry. Grüße schickt die blaue Blume vom Wegesrand
PS Nie im Leben könnte ich in einem Nagelstudio arbeiten. Ich ekle mich vor Händen mit künstlichen Nägeln und Runzelfingern.
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Marie ist ja das typische Negativbeispiel. Gefangen im tristen Leben unserer Realität, so wie viele von uns die ein anderes Leben träumen. Einige schaffen mit Kreativität und Entschlossenheit tatsächlich einen Wandel. Doch viele scheitern, weil sie eben nich über solche Fähigkeiten verfügen; sie nir erlernt haben. Da bleiben nur schaumige Träume. Traurig, aber wahr.
Tausend Dank meine liebste Blume!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Herbsttag Arme Marie - wieviele davon mag es geben, die ein so armseliges kleines Leben haben? So anschaulich erzählt, dass man gleich die ganze Mischpoke vor Augen hatte. :-) Herbsttag
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Ich kann dir versichern das es noch eine ganze Menge Maries gibt. Und das macht dieses Land nicht gerade einladender.
Tausend Dank für alles, Herbsttag
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Marie und der leise Traum vom Glück..."
Wieder so ein phantastisches Stück aus deutschen Landen,
welches Harrys Feder entsprang und mir vor Staunen die FAZ aus der
Hand gleiten lässt... grinst*
LG Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Die FAZ; Louis? Ich in meinem Alter lese nur noch die Apotheken - Rundschau, da gibt es auch viel Erstaunliches. :-)))))
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift grinst laut*
Ja, eine absolute Ausnahme, aber nur wegen des größtmöglichen Kontrastes und ich sehe, es hat seine Wirkung nicht ganz verfehlt... grinst*
Ansonsten lese ich prinzipiell nur Micky Mouse, da weiß ich wenigstens immer schon im Voraus, was die Politiker da oben demnächst wieder so alles vorhaben... grins*
LG Louis :-)


Vor langer Zeit - Antworten
baesta Du hat ein mit Worten ein richtoges Sittengemäde gezaubert. Hätte Dir gerne noch ein paar Talerchen rübergereicht. Leider sind die schon wieder alle.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Tausend Dank, Bärbel.
Talerchen sind egal. Und ein wahres Sittengemälde? Das ist ein bisschen sehr weit hergeholt, freut mich zwar das du es so siehst, aber meine Bescheidenheit steigt auf die Bremse.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Himbeere Klasse. Ich mags wie Du hier mit Worten und Bildern ins Leben "reinzoomst". LG Himbeere
Vor langer Zeit - Antworten
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