Kapitel 9 Freybreak
Freybreak lag in einer Bucht an der Nordküste von Hamad. Steil ansteigende Felsen riegelten die Stadt nach zwei Seiten hin ab und nur ein einzelner Durchgang im Südosten erlaubte, abgesehen vom großzügig angelegten Hafen, ein sicheres Betreten der Stadt. Um diese Jahreszeit lag bereits Schnee auf den Straßen und den Dächern der Häuser, so dass die meisten Bewohner sich in ihre warmen Stuben zurückgezogen hatten. Nur einige unglückliche Dockarbeiter mussten trotz des schneidenden Windes, der eisige
Gischt über die Anlegestellen spülte, Ware von den wenigen Schiffen im Hafen zu den Lagerhäusern bringen. Die meisten Gebäude am Hafen sowie an den Stadträndern waren aus großen Holzbalken gefertigt, die von den Kiefer in den umliegenden Wäldern stammten und nur einige wenige, Bauten im inneren der Stadt waren tatsächlich aus Stein erbaut worden, sah man von der kleinen Schlossanlage ab, die sich ganz im Zentrum von Freybreak erhob.
Galren klopfte sich etwas Schnee aus der Kleidung und sah dem Stadttor entgegen, das zwischen den Felsgipfeln aufragte, welche die Siedlung umschlossen. Es war noch nicht lange her, dass er das
letzte Mal hier gewesen war, doch bisher war er immer mit einem Schiff hierher gelangt, nie zu Fuß. Er und Lias hatten nicht mehr lange gezögert, nachdem ihr Plan einmal festgestanden hatte und waren keine zwei Tage später endgültig aufgebrochen. Er atmete die klirrend kalte Luft tief ein , während er und der Gejarn auf das Tor zu stapften. Den zwei Wächtern, die davor standen, schien es nicht besser zu gehen als allen anderen Einwohnern der Stadt, den trotz ihrer mit Fell gefütterten Kleidung, zitterten beide sichtlich. Galren grüßte sie kurz, während man sie ohne ein Wort durchwinkte. Nur zwei weitere, durchgefrorene
Reisende.
Hier oben im Nordteil von Hamad schlug der Winter um einiges schneller zu als im Süden, wo die Nächte noch vergleichsweise lange warm blieben und der Schnee noch bis zur Jahreswende auf sich warten lassen konnte.
Lias sah auf die Stadt hinab, als sie das Tor passiert hatten. Das Ende des steinernen Durchgags lag etwas über der restlichen Siedlung erhaben und einige in den Fels geschlagene Stufen führten hinab zu einem kleinen Platz von dem die Straßen Freybreaks in alle Richtungen ausfächerten. Eis bedeckte die Stufen und machte jeden Schritt
tückisch.
,, Wie oft bist du schon hier gewesen ?“ , wollte Lias wissen, als sie schließlich auf den Platz hinaus traten und einen kleinen Brunnen mit gefrorenem Wasser passierten.
,,Einige Male schon .“ , meinte Galren. ,, Das ist allerdings das erste Mal, das ich zu Fuß hier bin.“
,, Wenn man das Tor bedeckt, verstehe ich , warum die meisten Leute den Seeweg hierher wählen.“ , erwiderte der Gejarn und rückte den Beutel, den er auf den Schultern trug zurecht. Blech schepperte darin und Galren fragte sich, wozu Lias bloß seine Rüstung dabei hatte. Das schlimmste, was ihnen
hoffentlich passieren konnte war, das man sie abwies.
Er selber trug einen einfachen Rucksack mit dem nötigsten für die Reise und das Schwert, das der Schmied Atrun getauft hatte. Das Gewicht an seiner Hüfte war ungewohnt, einmal davon abgesehen, das er sowieso nicht damit umgehen konnte. Sobald sie jemanden fanden, der bereit war, sie zu unterstützen, wäre er die Waffe zum Glück los.
Soweit er das sagen konnte, wirkte die Stadt mit jedem Besuch ein Stück weniger lebendig und jetzt , wo bereits Schnee fiel, verstärkte sich dieser Eindruck nur noch. Viele der Häuser, die sie passierten waren verriegelt und die
Fenster mit Brettern verschlossen und auch in den Schänken von Freybreak, die doch selbst in schlechten Zeiten oft gut besucht waren, schien kaum etwas los zu sein. Nur gedämpfte Gespräche drangen aus den angelehnten Türen heraus und von dem, was Galren durch die Fenster erkennen konnte, waren meist nur wenige Tische besetzt. Die Stadt hatte wahrhaft schon bessere Zeiten gesehen. Trotzdem, die Idee, sich drinnen aufzuwärmen, bevor sie sich auf die Suche nach einem Unterstützer für ihre Expedition machten, war verlockend. Und es würde ihm Zeit zum Nachdenken geben. Die erste Euphorie, die er nach dem Auffinden der Karte
verspürt hatte, hatte sich während der Reise hierher gelegt und jetzt in den kalten Straßen setzte allmähliche Ernüchterung ein.
Freybreak lag im Sterben und wenn sie hier keine Hilfe fanden… Nun dann würden sie es eben wo anders versuchen müssen, sagte er sich. Zumindest würde er nicht gleich Aufgeben.
,, Du hast nicht zufällig eine Idee, wo wir anfangen sollen, oder ?“ , fragte Lias.
Galren schüttelte den Kopf. Nein. Noch nicht. Er kannte ein paar der Händler, die ihre Lagerhallen und Wohnhäuser am Hafen hatten, doch ob die bereit wären ihnen zu helfen… Im Augenblick
jedenfalls gingen sie ohnehin in die falsche Richtung. Die Straße vor ihnen führte vom Tor nach Westen, hin zur Stadtmitte. Der Hafen jedoch lag nördlich. Trotzdem fühlte sich der Weg ungewohnt vertraut an, dachte Galren, als wäre er ihn bereits Dutzende Male gegangen. Im Geist konnte er sich jede Abzweigung genau vorstellen, dabei wusste er nicht einmal, wohin genau sie überhaupt unterwegs waren. Es war ein seltsames Gefühl.. und gleichzeitig eines, das er sehr gut kannte. Wenn er die Küste aus den Augen verlor war es genau diese seltsame Stimmung, die ihm die Richtung zurück wies. Und wie damals, vor all diesen Jahren in den
alten Sterneisen-Minen…
Vor ihnen kam mittlerweile ein großer Bau in Sicht, der über die Dächer der übrigen Gebäude hinausragte. Eine hohe Mauer umschloss eine Reihe von Bauten, manche davon recht einfach gehalten und aus Holz, andere aus dem gleichen grauen Stein errichtet, wie die meisten gehobenen Häuser in Freybreak. Galren erkannte einen kleinen Stall, einige Wirtschaftsgebäude und zwei, drei größere Wohnbauten durch das offen stehende Tor der Anlage erkennen und nun wurde ihm auch klar, wo sie sich befanden. Das musste das Anwesen der ansässigen Adelsfamilie sein. Der D'Ambois, wenn er sich richtig an Lias
kurze Erwähnung erinnerte. Doch so wie es aussah, schlug das Vergesse, das ganz Hamad befallen hatte auch hier zu. Die Mauern waren mit Moss überwuchert und selbst auf die Entfernung konnte Galren erkennen, das die Stallungen leer waren, das Stroh lange verrottet, selbst in der kalten Witterung. Lediglich zwei Posten waren zu Seen, die am Tor wache hielten, jedoch bezweifelte er, dass man die verwitterten Türflügel überhaupt noch schließen könnte, wenn es nötig wurde. Zumindest nicht, ohne dass sie dabei auseinanderfielen.
Vermutlich, dachte er, könnten sie hier genauso gut anfangen, wie überall sonst.
,, Hier wolltest du also hin.“ , meinte
Lias, während sie auf das Tor zutraten. ,, Aber hältst du das wirklich für eine gute Idee ? Die Familie D'Ambois hat vielleicht das Geld, das wir brauchen, aber sie unterstehen nach wie vor Lord de Immerson, soweit ich vor meiner Ankunft hier informiert wurde. Ich glaube nicht, das man ihnen seit dem Krieg wieder mehr Freiheiten gegeben hat.“
,, Mag sein, aber wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen, oder ?“ Galren gab sich Mühe zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlte, was der Gejarn nur mit einem müden Lächeln bedachte.
Sobald sie unter den Torbogen traten,
stellten sich ihnen die zwei Posten mit überkreuzten Musketen in den Weg.
,, Halt. Verzeiht, aber das Anwesen ist nicht freizugänglich. Ich muss euch bitten zu gehen.“ , meinte einer der Posten, ein junger Mann, der wohl kaum älter als Galren sein konnte.
,, Wir nicht bloß hier um uns umzusehen.“ , antwortete Lias. ,, Im Gegenteil, wir hätten vielleicht ein Angebot, das euren Herrn interessieren könnte.“
,, Ich bezweifle wirklich, dass meine Herrin sich für Bittsteller interessiert.“ , meinte der zweite Posten abfällig. ,, Tut euch selber einen gefallen und macht es nicht unnötig
kompliziert.“
,, Vielleicht, vielleicht nicht. Und wenn doch ? Wäre sie dann erfreut, wenn sie erfährt, das ihr uns weggeschickt habt?“ , fragte Galren. Er würde zumindest nicht einfach so umkehren, sagte er sich. Wenn, dann würde er sich seine Absage persönlich abholen.
Der Wächter, der zuerst gesprochen hatte, seufzte. ,, Wisst ihr was ? Ich habe nicht den ganzen Tag Lust mich mit euch auseinanderzusetzen. Sollte Fürstin Armell nicht interessieren, was ihr zu sagen habt, werdet ihr das ziemlich schnell merken und dann sind wir es, die euch wieder auf die Straße befördern werden. Das Haus am anderen Ende des
Hofs. Ich werde euch ankündigen.“
Mit diesen Worten trat der Mann beiseite und verschwand über den Hof. Der zweite Wächter ließ sie wortlos passieren. Galren zögerte nicht, sondern trat mit Lias rasch in den Innenhof der kleinen Burganlage, bevor die Posten es sich doch noch anders überlegen konnten. Die erste Hürde wäre schon einmal genommen, dachte er, erleichtert. So klein sie auch war, es war ein Schritt in die richtige Richtung.
,, Du hast dir nicht zufällig schon überlegt, was genau du dieser Armell D'Ambois erzählen willst, oder ?“ , fragte Lias mit einem Blick auf die Wohngebäude am anderen Ende des
Hofs. Ein großer, zweistöckiger Holzbau, der noch über die Mauern hinausragte, wurde von zwei kleineren Flankiert, die wohl den bediensteten als Behausung dienten, wenn es denn welche gab. Bis auf die zwei Wächter und sie selbst schien die komplette Burg verlassen… Wieder sein Zeichen, das Freybreak deutlich an Glanz verloren hatte. Licht drang hinter einer Reihe von Glasfenstern im Obergeschoss des Gebäudes hervor und erhellte den dämmrigen Wintertag. Aber es enthüllte auch die Spuren des Verfalls, fehlende Dachziegel, Moos das sich auf Balken und zwischen den Fugen der Mauern eingenistet
hatte…
,, Darüber mache ich mir Gedanken wenn es so weit ist.“ , antwortete er.
,, Das klingt ja vielversprechend… Du würdest mir nicht zufällig wenigstens noch Zeit geben, meine Rüstung anzulegen?“
,, So schlimm kann es nicht werden.“ Zumindest hoffte er das, dachte Galren. Die Wachen schienen da anderer Meinung zu sein und Lias Zweifel schienen dem Recht zu geben. Aber ein Zurück gab es erst, wenn er eine Absage erhielt. Dann würden sie sich eben an die Händler im Hafen wenden müssen.
,, Ich glaube, das ist was eurer Kaiser dachte und plötzlich hatte er seinen
halben Adel am Hals.“ , murmelte der Gejarn leise, während er den grauen Wollmantel, den er über seiner normalen Kleidung trug enger um sich schlang. ,, An eure Winter werde ich mich nie gewöhnen.“
Als sie schließlich den Eingang des Gebäudes erreichten, wartete einer der Wächter bereits auf sie und hielt die Tür auf, während er ihnen bedeutete, ins Innere zu treten. Warme Luft schlug Galren entgegen, als er und Lias ein größeres Zimmer betraten, in dessen Mitte ein großes Holzfeuer loderte
Um den aus Stein gefertigten, offenen Kamin, waren großzügig Teppiche ausgelegt, die wohl aus den Zeiten
stammten, als die Stadt noch einen wichtigeren Hafen darstellte. Auf vielen waren die kunstvoll gewebten Muster in grün und Goldtönen lange verblasst und die Oberfläche des Stoffes vom Jahrelangen gebrauch abgewetzt. Hinter dem Feuer, dem Eingang gegenüber führte eine kurze Treppe ins Obergeschoss des Hauses und eine weitere Tür in einen Nebenraum. Die einzige andere Einrichtung bestand aus einigen Stühlen, die a einem kurzen Tisch standen… ansonsten war der Raum leer.
,, Man wird euch gleich empfangen.“ , informierte sie der Wachmann, der ebenfalls in die Halle trat und auf den
Weg die Treppe hinauf machte. ,, Wartet so lange hier. Aber fasst um den Willen der Götter nichts an. Ich werde später nicht den Kopf hinhalten, wenn was fehlt…“
Mit diesen Worten verschwand er im zweiten Stock und ließ Lias und Galren zurück. Jetzt hieß es abwarten, dachte Galren. Und sehen ob , was auch immer ihn hierher gelenkt hatte, recht behalten würde.
Der Gejarn trat derweil ans Feuer und streckte die Hände den Flammen entgegen um sich zu wärmen. ,, So weit wären wir schon einmal.“ , meinte er. ,, Ehrlich gesagt, wenn wir irgendwo eine Chance haben, dann hier. Und das meine
ich nicht Positiv.“
Nein, dachte Galren. Bei dem Empfang würde sie mehr als Glück brauchen, damit ihr Gesuch Gehör fand, vor allem wenn das Anwesen in einem solchen Zustand war. Hätten sie eine Lösung für die Geldprobleme der Stadt parat, ja dann könnten sie sich wohl sicher sein, jede Hilfe zu erhalten, die sie wollten. Aber die hatten sie nicht, wenn, dann würden sie die Schwierigkeiten eher Vergrößern, nicht?