Romane & Erzählungen
Roter Samt - 2. Kapitel

0
"Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich (Thomas Bernhard, österr. Schriftsteller)"
Veröffentlicht am 03. September 2015, 28 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: KaraList
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde. Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen ...
Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich (Thomas Bernhard, österr. Schriftsteller)

Roter Samt - 2. Kapitel

Roter Samt

2. Kapitel


Annegrets Mutter rückte näher an Tante Grete heran.

"... und dann liefen ihr doch tatsächlich die Tränen über das Gesicht."

Vorsichtig wandte Annegret den Kopf und sah zu ihrer Mutter, die etwas vorgebeugt diese Worte gerade Tante Grete zugeflüstert hatte. Doch schnell beschäftigte sie sich wieder mit ihrer Bildgeschichte. Scheinbar. Ihre Mutter durfte nicht bemerken, dass sie etwas gehört hatte.

"... und wann war das?", fragte Tante Grete.

"Heute früh. Ich brachte ihr die Wäsche, die

ich ausgebessert hatte. Du weißt ja - diese Wäsche verschenkt sie immer an Bedürftige. Davon gibt es genug. Auch wenn der Krieg schon zehn Jahre vorbei ist."

Annegret hörte wie ihre Mutter seufzte.

"Meistens nimmt mir die Haushälterin, Frau Knecht, die Wäsche ab. Von ihr bekomme ich auch das Geld. Heute hat Frau Marquardt selbst die Tür geöffnet ... und dann das. Ich war fix und fertig. Sie ist so eine nette Frau.

Endlich kam Frau Knecht aus der Küche. Sie hat Frau Marquardt ins Wohnzimmer geführt und mich gebeten in der Küche zu warten,"

"Ja und ...?", fragte Tante Grete.

"Nichts und ... nachdem Frau Knecht mich bezahlt hatte, bin ich gegangen. Auf der Straße habe ich nach einem weißen Kreuz

geguckt. Ich habe keines gesehen."

"Ist sie nicht Jüdin?", sinnierte Tante Grete.

"Was hat das jetzt damit zu tun?", antwortete Annegrets Mutter.

"Ach, ich weiß auch nicht ..."

Annegret raschelte mit ihren Seiten. Fieberhaft dachte sie nach. Ein weißes Kreuz auf der Straße. Das wollte sie sich ansehen. Sie hatte Kreuze bisher nur auf dem Friedhof gesehen, wenn sie Papas Grab besuchten. Und der Pastor in der kleinen Kapelle, in der Opas Sarg stand, bevor er zum Grab getragen wurde, trug ein Kreuz an einer langen Kette um den Hals. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter wütend wurde, als der Pastor vom Paradies im Himmel sprach. Annegret hatte das alles nicht so recht

verstanden. Ihre Mutter hatte recht vernehmlich gemurmelt:

"Das Paradies auf Erden wäre ihm lieber gewesen."

Oma hatte erschrocken die Hand vor den Mund gehalten.

Aber jetzt - ein Kreuz auf der Straße. Entschlossen legte sie ihre Seiten zusammen und wieder auf den Tisch. Das Kissen schüttelte sie ordentlich auf und platzierte es - wie sie es von ihrer Mutter kannte - auf der Couch.

"Darf ich noch ein bisschen runter spielen gehen? Hannelore ist bestimmt auch unten."

Erwartungsvoll sah Annegret ihre Mutter an.

"Lass´ sie doch. Es ist erst kurz nach vier Uhr und das Wetter ist auch schön", kam ihr

Tante Grete zu Hilfe.

Das Lächeln ihrer Mutter löste einen kleinen Jubelschrei aus. Annegret lief in die Diele, griff nach ihrer Jacke und wollte die Wohnung verlassen.

"Halt, halt!", rief ihre Mutter.

"Um sechs Uhr bist du wieder zuhause. Du kannst jemanden nach der Zeit fragen. Und wenn ihr zum Park hinübergeht, dann bleibt ihr nur am Rand."

Annegret nickte mit dem Kopf. Im Nu hatte sie die Wohnung verlassen, sauste die Treppe hinunter, überquerte den Hof, hüpfte durch die Einfahrt des Vorderhauses, die einen so schönen Torbogen mit einem Löwenkopf hatte und stand auf der Straße. Sie blickte hinüber zum Treptower Park und wandte sich

dann nach rechts, wo nach hundert Metern die Rethelstraße abzweigte. Dort wohnte ihre Freundin Hannelore. Im gleichen Haus wohnte auch Frau Lea Marquardt.


Annegrets suchender Blick wanderte durch die kleine Straße. Sie konnte kein Kreuz entdecken. Vieleicht stand es in einem Hauseingang oder hinter einem Baum. Doch dann hätte Frau Marquardt es gar nicht von ihrem Fenster sehen können. Ihr Blickwinkel war ja recht begrenzt. Außerdem war es dunkel. Es war Nacht. Nur die mehr als spärliche Straßenbeleuchtung warf ein diffuses Licht auf die Straße. Dinge, die Annegret natürlich nicht bedachte. Schlussfolgerungen, die sie noch nicht ziehen

konnte. Sie lief die kleine Straße auf der einen Seite entlang, überquerte die Fahrbahn, um dann auf der anderen Seite ihre Suche fortzusetzen. Volker kickte mit seinem schon recht ramponierten Ball auf der Fahrbahn. Er war der ältere Bruder von Hannelore. Annegret schenkte er keine Beachtung. Die Gefahr von einem Auto erfasst zu werden bestand für ihn nicht. 1955 hatten die Menschen andere Sorgen, als über den Erwerb eines Autos nachzudenken. Der Lieferwagen, der dem Bäcker das Mehl anlieferte oder der Milchwagen, der rumpelnd die großen Milchkannen transportierte, waren die einzigen Autos, die etwas Lärm in der Straße verbreiteten. Und ab und an kam der Kohlenwagen. Wenn es gerade Kohlen

gab.

Enttäuscht, kein Kreuz gefunden zu haben, blieb Annegret vor der Bäckerei stehen. Im Schaufenster lagen noch zwei Zuckerschnecken und eine Kümmelstange. Durch die Schaufensterscheibe konnte sie die leeren Regale erkennen. Drinnen räumte die Bäckersfrau auf. Es war Sonnabend. Der Laden hatte schon geschlossen. An der Ladentür lehnte Klaus, der Sohn der Bäckersleute. Er starrte griesgrämig vor sich hin. Annegret mochte ihn nicht. Manchmal machte er ihr sogar Angst ... dann, wenn seine wässerig blauen Augen sie so abschätzend ansahen. Er ging in ihre Nachbarklasse, war ein Jahr älter als sie und immer zum Stänkern aufgelegt. Sie blickte

hoch zu den Fenstern in der zweiten Etage. Dort wohnte Hannelore. Manchmal stand Hannelore am Fenster und beobachtete traurig die Kinder, die auf der Straße spielten. Sie musste ihrer Mutter immer im Haushalt helfen. Ihre beiden älteren Geschwister packte ihre Mutter in Watte. Hannelore war das Aschenputtel. Oft tat sie Annegret leid. Einmal hatte sie Hannelore gefragt, wo denn ihr Vater sei. Hannelore hatte rumgedruckst und dann geantwortet:

"Ich weiß es nicht, aber meine Mutter hat zu meinen Geschwistern gesagt, dass wir bald wieder eine richtige Familie sein würden. Sie sollen aber nicht darüber sprechen."

Warum Annegret gerade jetzt daran denken musste, wusste sie auch nicht. Sie warf noch

einmal einen prüfenden Blick auf die Fensterfront in der zweiten Etage. Eine Bewegung an einem Fenster darunter weckte ihre Aufmerksamkeit. Frau Marquardt hatte die Gardine zurückgezogen. Unbeweglich stand sie am Fenster und starrte hinaus. Auf dem Balkon daneben stand Jakob und blickte zu Annegret. Selbst aus dieser Entfernung konnte Annegret das Gesicht von Frau Marquardt deutlich erkennen. Einmal durfte Annegret ihre Mutter begleiten, als sie die ausgebesserte Wäsche bei Frau Marquardt ablieferte. Vor Stauen hatte Annegret vergessen, einen Knicks zu machen, als diese ihr die Hand gab. So eine schöne Frau hatte sie noch nie gesehen. Nur auf den Programmheften, die ihre Mutter nach ihren

Kinobesuchen mitbrachte, waren solche Frauen abgebildet.

"Du bist also die Annegret", hatte sie gesagt.

"Möchtest du eine Tasse heiße Schokolade?"

Annegret kannte keine heiße Schokolade. Sie wusste gar nicht, dass man Schokolade auch trinken konnte. Schüchtern hatte sie mit dem Kopf genickt. Frau Marquardt hatte nach ihrem Sohn gerufen, der sofort in die Diele kam. Annegret fand, dass das Gesicht von Frau Marquardt noch schöner wurde als sie zu ihm sagte:

"Benjamin, das ist Annegret. Geh´ mit ihr in die Küche. Frau Knecht soll ihr eine heiße Schokolade geben."

"Na, Kleine, dann komm´ ´mal mit", hatte Benjamin schmunzelnd gesagt.

Er war schon ein junger Mann und seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Das war wohl der Grund, dass Annegret sich nicht über das ´na, Kleine` geärgert hatte.

Eine andere Tür hatte sich leise geöffnet. Jakob blickte durch den Türspalt. Doch sofort schloss er die Tür wieder. Er war der jüngere Bruder von Benjamin. Jakob ging in ihre Klasse. Ein für sein Alter großer Junge, der in den Pausen still auf seiner Bank saß und sich mit seinen Schulbüchern beschäftigte. Nie spielte er mit den anderen Kindern. Der Klassenbeste und Liebling der Lehrer. Seiner Mutter sah er nicht ähnlich.

In der Küche hatte Frau Knecht ihr eine

große Tasse hingestellt. Vorsichtig hatte Annegret den ersten Schluck getrunken. Das schmeckte noch besser als Kakao. Den gab es zuhause nur zu Weihnachten. Dann gab es auch Marmorkuchen. Als Annegret ihre Mutter fragte, warum sie nicht öfter Kakao trinken könnten, zuckte sie nur bedauernd die Schultern.

"Bei uns gibt es keinen Kakao. Ich muss ihn im Westen kaufen ... und das ist für uns zu teuer."

Dann sah sie Annegret mahnend an und setzte hinzu:

"... und komm´ nicht auf die Idee, Tante Grete darum zu bitten."

Worte, die Annegret oft zu hören bekam.

"Hallo Annegret!"

Annegret drehte sich um. Vera kam von der anderen Seite der Straße über die Fahrbahn gelaufen. Im Schlepptau hatte sie ihren kleinen Bruder. Er war erst sechs Jahre alt. Vera ging auch in Annegrets Klasse. Sie war nett. Jetzt war doch noch jemand zum Spielen gekommen.

"Wollen wir Hopse spielen?", schlug Vera vor.

Die Rethelstraße war eine der wenigen Straßen, die eine asphaltierte Fahrbahn hatte. Die meisten kleinen Straßen in der Umgebung hatten das holprige Kopfsteinpflaster. Man konnte auf dem glatten Asphalt wunderbar mit Kreide eine Hopse zeichnen. Andere Kinder hatten das schon getan. Annegret, Vera und ihr Bruder

mussten sich nur noch entscheiden, ob sie auf der mit blauer oder der mit weißer Kreide gezeichneten spielen wollten. Veras Bruder würde sowieso nur hin und her springen.

Auf der anderen Straßenseite putzte Frau Klinger die Schaufensterscheibe des Lebensmittelladens. Karin, ihre 14jährige Tochter, goss derade mit Schwung einen Eimer mit Wischwasser auf die Fahrbahn. Peter, ihr jüngerer Bruder war nicht zu sehen. Doch durch die geöffnete Ladentür sah Annegret wie Karins Vater mit einem Arm versuchte die große Milchkanne in eine Ecke des Ladens zu stellen.

"Warum hat Herr Klinger nur einen Arm?", hatte sie ihre Mutter gefragt.

"Den anderen hat der Krieg behalten, aber

wenigstens hat er den Kindern den Vater zurückgegeben", hatte sie leise geantwortet.

"Wir nehmen die weiße ...", entschied Vera.

"Hallo, hallo, hallo ..."

Alle drei Kinder drehten sich um. Hannelore kam aus der Haustür gestürzt. Ihr fuchsrotes Haar, das zu zwei dicken Zöpfen geflochten war, die ihr bis zur Taille reichten, leuchtete in der Sonne.

"Ich darf eine Stunde unten bleiben", rief sie freudestrahlend. Kurz blickte sie zu ihrem Bruder, der in einiger Entfernung immer noch mit seinem Ball beschäftigt war. Dann lief sie zu Annegret und bewunderte deren neue Zopfhalter. Auch Annegret freute sich. Jetzt würde alles viel mehr Spaß machen. Aus ihrer Jackentasche holte sie ihre Hopsekette.

Die trug sie immer bei sich. Die Sicherheitsnadeln hatte sie ihrer Mutter abgebettelt. Einige Hosenknöpfe hatte sie auch bekommen, die sie an die Nadeln hängen konnte. Die Kette wurde damit schwerer. Vera hatte ebenfalls eine Kette. Die Reste von einer Toilettenspülkette.

"Habt ihr schon die neue Hopse entdeckt?", fragte Hannelore.

"Ich habe sie vom Fenster gesehen."

Die Kinder schüttelten den Kopf. Hannelore lief vielleicht vierzig Meter weiter und winkte die Kinder zu sich heran.

Ratlos betrachteten sie die Hopse. So eine hatten sie noch nicht gesehen. Eine runde Hopse ... und so groß ... die Felder waren riesig. Man konnte kaum von einem ins

andere springen. Einige Felder waren ausgemalt. Es gab auch keine Zahlen und Buchstaben. Nur unleserliche Krakel. Wo war der Anfang, wo das Ende? Wo war der Himmel, wo die Hölle? Entschlossen gingen sie zurück. Zur weißen Hopse.


Das Wochenende war vorbei. Ein schönes langes Wochenende. Der schulfreie Samstag - Annegret hatte einen Brief von der Schule mit nachhause bekommen, in dem die Eltern über eine Schulkonferenz informiert wurden - hatte ihr und ihrer Mutter gut getan. Auch ihre Mutter hatte an diesem Tag frei. Die Regel war, dass Annegret jeden Samstag zur Schule und ihre Mutter in den Betrieb gehen musste.

Den ersten Schultag der Woche hatte Annegret geschafft. Sie war auf dem Heimweg. Ihre Mutter würde erst um 15,00 Uhr zuhause sein. Sie arbeitete als Cutterin im Zentralen Kopierwerk der DEFA. Annegret trödelte ein bisschen. Sie war allein. Sonst ging sie immer mit Hannelore. Doch die war heute nicht in der Schule gewesen. Vera fehlte heute auch. Sie musste bestimmt auf ihren kleinen Bruder aufpassen. Ihre Mutter war oft krank, der Vater tot. Jakob fehlte auch. Doch der ging den Schulweg sowieso allein.

Annegret bog in die Rethelstraße ein und blieb erstaunt stehen. Sie viele Autos hatte sie noch nie in der kleinen Straße gesehen. Vor Hannelores Haus standen zwei schwarze

Autos und ein Krankenwagen. Direkt vor dem Hauseingang stand ein größeres schwarzes Auto. Ein Polizist stand in der offenen Haustür. Ein anderer Polizist drängte die Leute, die neugierig das Geschehen beobachteten zur Seite. Annegret bekam ein bisschen Angst. Sie machte einen großen Bogen um die kleine Menschenansammlung und lief schnell nachhause. Sie ging auf den Balkon und wartete ungeduldig, dass ihre Mutter über den Hof kam. Endlich! Kaum hatte ihre Mutter die Wohnungstür hinter sich geschlossen, sprudelten die Worte nur so aus Annegret heraus. Ihre Mutter konnte ihnen kaum folgen.

"Annegret, es kann alles Mögliche passiert sein. Es wohnen dort auch alte Leute. Du

sagtest ja, dass ein Krankenwagen auch dort gestanden hätte. Vielleicht ist jemand sehr krank."

Annegrets Mutter glaubte ihrer eigenen Erklärung nicht. Doch sie wollte ihre Tochter erst einmal beruhigen. Dass Polizei vor dem Haus gestanden hatte, war schon recht merkwürdig.

"Du willst doch heute noch Tante Grete anrufen. Vielleicht erfährst du auf dem Weg zur Telefonzelle etwas",

Nachdenklich blickte die Mutter auf ihre Tochter. Sie wusste, Annegret würde sie jetzt so lange mit Fragen bombardieren, bis sie eine Antwort bekommen hatte. Da war es schon besser, die würde sie von ihr bekommen und nicht irgendwelche

Schreckensnachrichten von anderen.

"Du hast recht. Ich frage ´mal nach", antwortete sie.

"Ich komme mit. Ich möchte nicht allein zuhause bleiben."

Am späten Nachmittag machten sich die beiden auf den Weg. Das Postamt war in der Straße ´Am Treptower Park`. Davor standen zwei Telefonzellen. Meistens ruhte sich eine aus. Annegret und ihre Mutter machten einen Umweg über die Rethelstraße. Vor Hannelores Haus blieben sie stehen. Die Straße wirkte wie immer.

"Ich gehe in die Bäckerei. Vielleicht haben sie noch einige Schusterjungen. Du wartest draußen, Annegret."

Ungeduldig wartete Annegret vor der

Bäckerei. Ihre Mutter trat mit ernstem Gesicht aus der Ladentür. Schusterjungen hatte sie keine.

"Annegret, es ist so, wie ich es vermutet habe. Es ist jemand sehr krank geworden.

Er ist gestorben."

"Aber doch nicht Hannelore. Sie war heute nicht in der Schule", schluchzte Annegret.

"Nein, nein", sagte ihre Mutter erschrocken und nahm Annegret in die Arme.

"Benjamin, der Sohn von Frau Marquardt."

Das fand Annegret auch traurig. Doch sie war froh, dass es nicht ihre Freundin war.

Annegret wartete vor der Telefonzelle. Ihre Mutter wollte wissen, ob Tante Grete die Kinokarten im Vorverkauf bekommen hatte.

Tante Grete hatte ein Telefon. Annegret hätte

auch gerne ein Telefon zuhause, obwohl sie nicht wusste, wen sie hätte anrufen können. Hannelore hatte auch kein Telefon.

Die Tür der Telefonzelle schloss nicht richtig. Sie stand einen Spalt offen. Und wieder hörte Annegret etwas, das nicht für ihre Ohren bestimmt war.

"Stell Dir vor - er hat sich erschossen. Angeblich aus Liebeskummer. Meine Güte, er war doch erst siebzehn."

Annegrets Mutter zog die Tür zu. Fünf Minuten später kam sie aus der Telefonzelle. Schweigend liefen beide nachhause. Die eine dachte an das, was man ihr erzählt hatte, die andere an das, was sie gehört hatte. Annegret überlegte, ob sie mit ihrer Mutter über das Gehörte sprechen sollte.

Doch sie wirkte so traurig. Nein, besser mit Hannelore. Morgen würde sie sicher wieder zur Schule kommen.


Sechs Wochen später waren Frau Marquardt und Jakob weg. Einfach weg. Von heute auf morgen, ohne Vorankündigung. Keiner wusste, wo sie abgeblieben waren. Eine Umzugsfirma übernahm die Räumung der Wohnung. Frau Knecht kümmerte sich darum.

Annegrets Mutter musste sich einen anderen Nebenverdienst suchen und Annegret genoss den Sommer, der zeitig angeklopft hatte. Jeden Tag gab es so viel Neues. Die Eichhörnchen tobten in der Kastanie auf dem Hof, manchmal ging sie vor dem Abendessen mit ihrer Mutter die Enten, die sich auf dem

Karpfenteich eingefunden hatten, füttern und auf der großen Parkwiese wurden gerade Karussells aufgebaut. Ihre Mutter hatte ihr ein Säckchen mit Murmeln gekauft. Sogar zwei große Bucker waren darin. Das Schönste aber war, Hannelore durfte jetzt öfter spielen gehen. Annegret erinnerte sich kaum noch an die Geschehnisse vor sechs Wochen. Noch wusste sie nicht wie bedeutungsvoll es sein würde, dass sie diese Erinnerungen wiederfand.






© KaraList 08/2015






0

Hörbuch

Über den Autor

KaraList
In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde.
Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen Ergüssen zu überschütten.
Nach gefühlten 20 000 gelesenen Büchern, habe ich mir gesagt, eine Geschichte oder ein Gedicht schreiben, das kannst du vielleicht auch. Und wenn der geneigte Leser nach der letzten Zeile das Buch mit dem Gedanken zuschlägt ´schade, dass es zu Ende ist` - dann war die Mühe nicht umsonst. Denn, Schreiben ist Arbeit.

Leser-Statistik
26

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
derrainer liebe kara ,
beim ersten teil den ich gestern gelesen habe , dachte ich daran, es spielt in den 50igern , es war wegen dem malzkaffee , der mich darauf brachte .und heute bestätigt es sich , ich denke mal , es ist deine geschichte , dein erleben , aber ich sage es noch nicht , ich denke es erst einmal.
ist aber sehr gut rübergebracht.
lieben gruß rainer
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Lieber Rainer,
diese Geschichte beruht nicht auf von mir Erlebtem, aber sie beinhaltet Biographisches von Menschen, die so oder ähnlich die schlimmste Zeit deutscher Geschichte erlebt haben. Das alles habe ich in einem fiktiven Handlungsstrang verflochten. Der historische Hintergrund ist natürlich unumstritten.
Schön, dass Du bei mir liest und vielen herzlichen Dank für den Favo. Ich freue mich!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Feedre spannend....werde dranbleiben....schön etwas längeres literarisches von dir zu lesen Kara.
LgF
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Wie schön, dass ich Dein Interesse wecken konnte. Das freut den Schreiberling. :-)
Ein herzliches Dankeschön für die Geschenke!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Nun hab ich doch glatt fast Kapitel 2 verpasst.
(Kaputte PC´s sind niiiiiiiiiiiiicht guuut :( )

Du weißt schon das ich mir ganz sicher den "Schauplatz" , die Straße, ansehe :-)
Spannend.
Ich hab ja gleich Kapitel 3 noch vor mir

Liebe Grüße an Dich
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Schön, dass Du das 2. Kapitel gelesen hast.
Viel Spaß beim 3.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Du hast einen ganz fabelhaften Erzählstil, Kara. So nachvollziehbar sichtbar bis in Details wird die Zeit. Und an viele Dinge, wie wir 10 Jahre später auch noch spielten, hast du mich erinnert. Zu schade, dass solche einfachen Spiele heute aus der Mode gekommen sind.
Spannend gestaltet sich dein Buch ebenfalls, also bravo, Daumen hoch, ich bin sehr gespannt und warte ungeduldig auf die Fortsetzung
Ganz liebe Grüße
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Dein Lob freut mich sehr, liebe Christine. Dankeschön! Du hast absolut recht. Diese einfachen Spiele sind ja heute fast unbekannt. Heute wischen die Finger nur über ein Display. Freundschaften entstehen dabei wohl eher weniger.
Ein herzliches Dankeschon für Dein Geschenkpaket.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Herbsttag Eine unheilvolle Zeit, die mich sofort an meine Kindheit und die Jugend meiner Mutter denken ließ. Ich bin gespannt, was Annegret noch erwartet.
Liebe Grüße Ira
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Du hast recht - eine Zeit, in der die Menschen immer noch mit den Nachwehen des Krieges kämpften.
Ich freue mich, dass Du wieder bei mir gelesen hast. Herzlichen Dank!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
18
0
Senden

134066
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung