Kurzgeschichte
Wilder Wein

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"Erinnerungen"
Veröffentlicht am 15. August 2015, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Danke fürs Vorbeischauen! Es freut mich, wenn es noch jemanden gibt, für den Schreiben und Lesen eine Leidenschaft ist, die keine Leiden schafft! Noch mehr freue ich mich, wenn ich auf meine Geschichten Kommentare und Rückmeldungen erhalte! Einfach in meine Texte reinschauen, dann wisst Ihr bald mehr über mich! Zumindest was ich so alles schreibe ... Viel Spaß beim Schmökern! Andreas
Erinnerungen

Wilder Wein

einleitung

Aus dem Leben...












Text:

(c) by avewien/Andreas V. Engel - 8/2015

wilder wein

Ausgerechnet heute muss es wie aus Kübeln schütten. Der Regenschirm war nach wenigen Metern bereits verbogen. Es sieht jedenfalls nicht danach aus, als würde es je wieder aufhören. Der Wind scheint auch nicht nachzulassen. Bin froh, dass ich wenigstens den dickeren Mantel gewählt habe. Der Juni kann ganz schön kalt sein.


Irgendwie bin ich gar nicht so fertig, wie ich ursprünglich gedacht habe. Schließlich hatte ich doch einige Tage Zeit, alles zu realisieren. Richtig überraschend war es ja nicht, aber wenn

es soweit ist, dann trifft es einen mit voller Härte. Mich jedenfalls.
Den einen oder anderen Erbschleicher, der auch hier steht, mit Sicherheit nicht. Aus diesem Grund werde ich auch nicht die Rede halten. Die Wichtigtuer haben sich darum gerissen, als würde sich das positiv auf das Testament auswirken.


Ich danke dir still. Ich danke dir in meinen Gedanken. Das hörst du eher, als die geheuchelten Wortspiele der anderen Verwandtschaft. Das Gefühl hatte ich schon seit jeher bei dir, dass du die Gedankenwelt nonverbal verstehen kannst. Der Dank zwischen uns wurde selten ausgesprochen, vielmehr gespürt.

Natürlich gab es ein „Danke“, aber nicht als Floskel. Es wurde genauso ehrlich gemeint, wie die stets unterschiedlichen Antworten auf die Frage: „Wie geht´s Dir?“ Schon allein die Frage war Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung.


Wahrscheinlich konnten wir genau deswegen furchtbar kindisch sein und im nächsten Augenblick ganz ernsthaft über ein Thema reden, das uns – oder einem von uns – wichtig war. Der „Kirschkernspuckmeisterschaft“ im Vorgarten konnte praktisch nahtlos eine hitzige Diskussion in Bezug auf meinen Hang zum Schulschwänzen folgen. Das war auch später noch so – nur die

Themen haben sich verändert. Du kanntest zum Beispiel mein berufliches Umfeld nicht persönlich, aber hast an mir und meiner Ausstrahlung gemerkt, ob ich noch „normal“ oder schon „abgehoben“ bin. Du hast es mir jedenfalls des Öfteren sehr direkt gesagt. Auch wenn ich dadurch immer wieder konsterniert war – es war – zumindest für mich – die richtige Art und Weise.

Und dann bist du aufgestanden, hast die Spielkarten rausgenommen, und wir haben uns bis in die frühen Morgenstunden die Finger wund gespielt. Es war – wie soll ich es sagen – immer eine geniale Ausgewogenheit

vorhanden. Deine Vergleiche werde ich vermissen. Du weißt, ich war öfters von Zweifeln geplagt. Du hast stets gemeint, ich soll es wie der wilde Wein machen. Er sucht sich auch seinen eigenen Weg. Aber er braucht auch ein wenig Unterstützung – eine Mauer oder ein Gerüst - dass er klettern und sich entfalten kann.

„Mach es so wie der Wein, wenn er nicht mehr weiter kann, sucht er sich einen alternativen Weg. Meistens sehr rasch. Das ist gut so, denn Entscheidungen sollen immer schnell fallen, sonst liegt´s Dir ewig im Magen herum.“ Ich war ein paar Mal ganz gezielt bei dir, damit du mir bei Entscheidungen hilfst. Du hast es

eigentlich immer geschafft mich zu unterstützen – ganz ohne Ratschlag. „Bist Du ehrlich zu Dir selbst, findest Du schon den richtigen Weg“ – eine Art Credo von dir. Es hat mir einfach schon genützt, wenn ich neben dir auf der alten Bank im Garten sitzen konnte und wir bei einem Kaffee oder später bei einem Bier geschwiegen haben. Übrigens, deine alte hellgrüne Blechkaffeekanne habe ich nun bei mir zu Hause stehen. In der Küche – am Fensterbrett. Manchmal waren es nur wenige Worte, die mich zur Vernunft gebracht haben oder die den Ausschlag gegeben haben, dass ich doch auf meine innere Stimme gehört habe.

Es geht nun wieder ins Freie. Die Wetterlage hat sich leider nicht wirklich geändert. Ich werde die anderen vorgehen lassen. Denn es herrscht jetzt schon ein Gedränge darum, wer direkt hinter dir gehen darf. Schätze, dass wir in ein paar Minuten alle komplett durchnässt sein werden.


Es stimmt ja, der Veitschi zeigt es einem vor, denn Entfaltungsmöglichkeiten gibt es zur Genüge. Auch er muss erst austesten, wo er wirklich Halt findet. Ob er in die Höhe oder eher in die Breite wachsen will und kann. Und die als erste eingeschlagene Richtung muss nicht immer die richtige sein. „Schau,

jedes Blatt erfüllt seinen Zweck, und nicht alle sind ganz oben. Ist deswegen ein Blatt das ganz unten wächst nicht so bedeutend?“

Immer wenn Du einen Satz mit „Schau“ begonnen hast, wusste ich, dass es nun für mich besonders wichtig wird aufzupassen. Es ging dabei jedes Mal darum, einen Ansatzpunkt zum Nachdenken zu erhalten.


Wir stehen nun direkt vor deiner neuen Unterkunft. Ich kann den Pfarrer nicht verstehen, aber das ist nicht so wichtig. Der Regen peitscht noch immer. Wie praktisch für alle, die ganz vorne stehen. Man kann nämlich nicht

erkennen, ob sie tatsächlich heulen oder ihnen einfach die Wassertropfen von oben ins Gesicht fallen. Wahrscheinlich lässt sie der Wind tränen.


Manchmal muss man auch den wilden Wein ein wenig zügeln, ihn ein wenig zurecht stutzen, damit er wieder neue Triebe ansetzen kann oder nicht bei den Fenstern reinwächst. Aber auch, wenn er andere zu „erwürgen“ droht, muss man ihn in seine Schranken weisen. Eine der wenigen Male, wo ich dir ein wenig helfen konnte, war, als dich Maria für immer verlassen hatte. Ob dies auch der Auslöser für deine Krankheit war? Gefühle konntest du immer zeigen. Das

war kein Problem, aber dass du von einem Tag auf den anderen das Haus mit dem Garten verkaufen wolltest. Genau das, was dir immer so viel bedeutet hat. Es war ein ganz ruhiges Gespräch mit dir. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber am Ende hast du doch alles behalten. Natürlich war auch eine Portion Egoismus meinerseits dabei. Wo wäre ich dann mit dir gesessen und hätte dich anraunzen können? „Du hast Recht, ich hab hier ein Paradies. Allein der Veitschi beheimatet eine so wertvolle Mini-Fauna. Darum werde ich mich wohl auch in Zukunft lieber selber kümmern. Weißt Du, manchmal hab ich das Gefühl, ein wilder

Wein ist oft menschlicher als die meisten Leut´“, hast du bei einem unserer letzten Treffen von dir gegeben. Ich habe ein wenig gebraucht, um diesen Satz wirklich zu verstehen.


Die Trauerfeier dürfte sich nun langsam dem Ende zuneigen. Ich kann erkennen, wie dir ein paar von den Pharisäern Blumen nachwerfen. Langsam setzt sich der Tross in Bewegung, und ich komme dir in kleinen Schritten ein wenig näher. Rein physisch. Ich bleibe jedoch heute nicht mehr lange. Meine Schuhe sind mit Wasser gefüllt, mein Mantel ist getränkt. Mir ist verdammt kalt geworden. Und du hörst meine Gedanken

sowieso, egal, ob ich hier stehe oder woanders bin. Wenn nur mehr diejenigen dich besuchen, die dich wirklich verstanden und geschätzt haben, dann ist es an der Zeit, dass ich dir einen Veitschi pflanze.

Die ersten Triebe habe ich schon zu Hause. In deiner alten, hellgrünen Blechkanne.

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avewien
Danke fürs Vorbeischauen!

Es freut mich, wenn es noch jemanden gibt, für den Schreiben und Lesen eine Leidenschaft ist, die keine Leiden schafft! Noch mehr freue ich mich, wenn ich auf meine Geschichten Kommentare und Rückmeldungen erhalte!

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flovonbistram Meine Oma sagte einmal zu mir: Du bist wie wilder Wein, ganz still suchst du dir immer neue Wege und findest Halt.
Schon allein deshalb hat es mich sehr tief berührt.
Eine sehr gute Geschichte, ein tiefes Gedankengespräch
Danke
Flo
Vor langer Zeit - Antworten
avewien Vielen lieben Dank Flo!
Bin froh, dass ich die kleine Geschichte veröffentlichen konnte, da es bei einem Wettbewerb nicht für eine Top Platzierung gereicht hat
:-)

Liebe Grüße und danke für das Abo!
Andreas
Vor langer Zeit - Antworten
cliffy sehr schön und mit Gefühl geschrieben habe es sehr gerne gelesen Lieben Gruß Jenny
Vor langer Zeit - Antworten
avewien Vielen Dank Jenny!
Freut mich, wenn es gefallen hat.

Liebe Grüße
Andreas
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
Alos im Kirschkernweitspucken war ich immer große Klasse. Und auch ich suche die Wege zum Glück wie es der Wein macht. Ein zauberhafte Geschichte, mein Freund.

VLG Roland
Vor langer Zeit - Antworten
avewien Vielen Dank Roland!

Einen schönen Sonntag!
LG
Andreas
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume 
Eine Geschichte die mich sehr berührt und nachdenklich gemacht hat. Werde ab jetzt meinen wilden Wein mit anderen Augen sehen,Du hast sicher recht wenn Du schreibst "das wilder Wein oft menschlicher ist als die meisten Leute". Hab mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht und gerade deshalb ist Dein Buch für mich heute die Bereicherung des Tages. Es grüßt Dich, lieber Andreas, die Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
avewien Vielen, vielen Dank!
Ein derartiges Lob bzw. Deine Antwort ist äußerst aufbauend! Und ich habe das gute Gefühl, dass Du Dich mit dem Text intensiv beschäftigt hast!
Nochmal danke und liebe Grüße!
Andreas
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Danke für diesen besonderen Gedankenspaziergang
Sonntagsgrüße
Vor langer Zeit - Antworten
avewien Ich habe zu danken liebe EllaWolke!
Lieben Gruß und schönen Sonntag noch!
Andreas
Vor langer Zeit - Antworten
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