Kurzgeschichte
Sommerfest im Faltenlager

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"Sommerfest im Faltenlager"
Veröffentlicht am 10. August 2015, 22 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Sommerfest im Faltenlager

Sommerfest im Faltenlager

SOMMERFEST IM FALTENLAGER





Ich überlege noch. Morgens beim Kaffee lasse ich mir noch mal diese Sache durch den Kopf gehen. Ich habe eine Einladung, und ein halbes Versprechen abgegeben. Doch ich bin mir immer noch nicht sicher ob ich hingehen soll.

Denn diese Sache verspricht alles andere als Spaß.

Eine plausible Ausrede wäre jetzt ziemlich hilfreich. Ich überlege. Bin ich krank? Ist meine Bude abgebrannt? Ein

Verwandter verstorben? Oh nein, das geht nun wirklich nicht!

Meine Mutter, der ich dieses halbe Versprechen gemacht habe, würde es merken. Trotz ihrer 81 Jahre.

Ich überlege weiter.

Doch wirklich überzeugendes will mir nicht einfallen. Das verdammte Fernsehen, Bier und die Apotheken - Rundschau haben mir scheinbar meine Kreativität ausgetrieben. Sogar das Wetter ist gegen mich. Nachdem es die ganze vergangene Woche geregnet hat, scheint an diesem Samstag die Sonne gnadenlos vom blauen Postkartenhimmel. Schöner Mist.

Also werde ich wohl hingehen, werde

meiner immer noch Erziehungsberechtigten eine kleine Freude bescheren. Auch gut. Die Sache ist entschieden. Glücklicherweise ist noch genügend Zeit um mich angemessen zu präparieren. Also noch einen starken Kaffee gekippt, eine Zigarette rauchen und einem guten Song von Stoppok gelauscht.

Dann eine ausgiebige Dusche, Zähne putzen und einen frischen Schlüpper anziehen. Man weiß ja nie. Dann noch schnell in Schale schmeißen. Dann bin ich schon bereit. Und schon läuft mir der erste Tropfen Schweiß über die Stirn. Es ist wirklich schon verdammt warm.

Noch schnell meinen Kram einpacken. Die Zigaretten, Feuerzeug, Brieftasche, Kleingeld und das Klappmesser. Nicht dass ich es brauchen würde. Aber man weiß ja nie.

Es kann losgehen.

Ab in den Keller und das alte Fahrrad an die frische Luft gezerrt. Schwül ist die Luft, kein Lüftchen bewegt sich. Ich fahre dann mal los.

Vorbei an Häusern, Rasenflächen, Zäunen, schwitzenden Menschen. Auf der Schattenlosen Straße werde ich von einigen Autos mit eiligen Fahrern überholt. Doch keiner tut mir den Gefallen mich über den Haufen zu fahren und ins Krankenhaus zu schicken.

Damit wäre ich nämlich fein raus aus dieser Nummer. Schade. Also komme ich tatsächlich körperlich unversehrt an, parke meine rostige Kippkarre und gehe rein. Die unheimlichen Hallen brummen unter all den Vorbereitungen. Etliche Helfer helfen bei der Verwandlung nüchterner zweckdienlicher Räume in ein schmuckes Idyill. Und ehe irgendjemand auf die doofe Idee kommt mich für diverse handwerkliche Tätigkeiten einzuteilen, mache ich flink wie ein altes Wiesel die Treppe hoch.

Zimmer 219. Ich klopfe. Geh rein. Da hockt sie und guckt. Grinst. Augen blitzen. Sie hat wohl gute Laune. Kein Wunder.

„Moin Muddi.“ Begrüße ich sie, zeitgleich spendiere ich ihr einen herzlichen Handschlag. Närrische Zärtlichkeiten sind bei uns noch nie in Mode gewesen. „Moin mein Jung.“ Antwortet sie.

„Und… alles gut?“ Frage ich.

„Geht so, „ sagt sie, „meine Knie machen langsam schlapp, der Rücken schmerzt, das Handgelenk auch. Aber sonst geht ´s mir blendend. Ich bin jetzt 81 Jahre alt wie Du vielleicht noch weißt, da darf man schon mal n kleines Zipperlein haben, wa?“

„Schon klar.“

Die ewige Leier ihrer Leiden. Der stete Gesang ihrer Plagen. Ich kenn das ja

schon. Bin es längst gewohnt. Trotzdem guck ich sie mir genau an. Man weiß ja nie. Doch sie wirkt durchaus zufrieden und vergnügt.

Kein Wunder, denk ich mir, sie ist ein zähes Stück Frau. Seitdem sie hier im Faltenland wohnt hat sie schon vier ihrer Zimmergenossinnen überlebt. Keine schlechte Quote in zwölf Jahren. Ich nenne ihr Zimmer längst die Stube des Todes. Und immer wieder wundere ich mich, wenn eine neue Seniorin bei ihr unterkommt ohne vorher tüchtig protestiert zu haben. Andererseits ist das kaum verwunderlich, es Leben eben alles alte Schachteln hier, die sich kaum an ihren Namen erinnern können,

geschweige denn wo sie sind.

Meine Ma schaut immer noch vergnügt. Sie hat sich schick gemacht. Dem Anlass entsprechend. Geblümte Bluse, ein leichter hellblauer Rock, Strumpfhose, Sandalen. Ihr dünnes graues Haar ist sauber frisiert und die Batterien in ihrem Hörgerät voll aufgeladen.

So langsam scheint es los zu gehen. Wir können es hören. Überall brummt und bebt es. Dann wollen wir mal gucken gehen.

Muddi stemmt sich aus ihrem Sessel, stützt sich sodann auf ihren Rollator. (Modell 3805) Ich öffne für uns die Tür, und langsam schippern wir über den

Flur Richtung Fahrstuhl.

Eine Menge Leute sind unterwegs. Bedienstete legen letzte Hand an, ebenso einige Ehrenamtliche, fast alle versammeln sich im unteren Aufenthaltsraum zur Andacht.

Das ist nun wirklich nix für uns.

Wir verziehen uns unverzüglich nach draußen.

Die frische Luft ist herrlich. Wir platzieren uns auf einer Holzbank, die inmitten eines runden Stückchen Rasens steht. Ein magerer Sonnenschirm spendet uns Schatten. Von drinnen tönt uns Jubilieren an die Ohren, Halleluja und Hosianna. Wir langweilen uns.

Dann kommt doch noch leben in die

Veranstaltung. Die Andacht geht andächtig vorbei, eine Menge runzliger und windschiefer Oldtimer strömt ins Freie und verteilen sich auf Bänke und Stühle. Stimmengewirr, Husten, Rülpsen, Furzen, Stöhnen, Gemurmel.

Dann noch die obligatorische Ansprache der Chefin vom ganzen. Das Sommerfest ist offiziell eröffnet. Der Spaß kann beginnen. Ein Alleinunterhalter ist da. Zusammen mit seiner kurzatmigen Orgel und seiner Frau/Tochter/Freundin/Schwester/Cousine versucht er tüchtig Stimmung zu verbreiten. Herrlich laut und furchtbar schräg trällern sie schreckliche Schlager. Er spielt es zu

langsam, trotzdem hängt seine Begleitung einen Takt hinterher.

Es fällt kaum auf. Es wird fleißig geschunkelt, geklatscht, gesungen.

„Ein bisschen Spaß muss sein…“ Es ist die Hölle!

Ich besorge uns Kaffee und Kuchen.

Man muss sich anstellen, der Andrang ist groß. Ich ergattere Appelkuchen für die Muddi, Erdbeerkuchen für mich und mit Sahne. Ich serviere den Kuchen. Kaffee fehlt noch. Ich flitze hin und her. Unweigerlich falle ich auf. Denn mit ziemlicher Sicherheit bin ich, außer den Angestellten und wenigen Besuchern, der einzige ohne Gehhilfe, künstliches Hüftgelenk und

Rheumatismus. Etliche trübe Augenpaare glotzen mir auf meinen Hintern. Kaum zu glauben wie komisch sich das anfühlt. Ich beeile mich mit unserem Kaffee.

Wir verputzen unseren Kuchen. Die zwei Alleinunterhalter sind jetzt bei „An der Nooooordseeküste…“ angekommen. Herr im Himmel! Weit und breit gibt es kein Bier, kein Schnaps. Keine Aussicht auf einen Schluck Erlösung. Wohl oder übel muss ich diesen Horror nüchtern durchstehen.

Doch es kommt noch besser. Das diesjährige Motto hier lautet: „Hüte.“ Und so ziemlich jede Person hier wird sanft genötigt sich so ein Ding auf den

Kopf zu setzen. Egal ob Bewohner, Angestellter, Gäste. Das hübscheste Modell wird am Abend dann prämiert. Super Idee.

Das findet auch meine Ma. Als eine übermäßig gut gelaunte alte Schabracke eine Ehrenamtliche, die einmal die Woche Mumien - Yoga anbietet mit einem Korb voller scheußlicher Kopfbedeckungen auf sie zukommt, vergeht ihre gute Laune in Windeseile. Sie mag sie nicht. Und die Ehrenamtliche noch weniger.

„Na Frau M…., möchten Sie nicht auch so einen hübschen Hut aufsetzen?“

„Nee, kommt nich in Frage!“

„Aber Frau M…., so ein Hut wird Ihnen

sicherlich gut stehen.“

„Von wegen. Schieb ma wieder ab mit deine ollen Lampenschirme!“

„Aber…“ Die Frau ist sichtlich verstört von dieser etwas rüden Abfuhr. Sie trollt sich und versucht andere, weniger Wehrhafte, zu überreden. Meine Ma beobachtet sie mit einem mehr als stechenden Blick. Schon befürchte ich dass es zu arthritischen Handgreiflichkeiten kommt. Man weiß ja nie.

Andere haben mehr Glück, oder weniger, wie man ´s nimmt. An die besonders Unbeweglichen hat man in Ermangelung passender Modelle einfach selbst gebasteltes verteilt.

Ich sehe einige gut bereifte Rollstuhlfahrer -, und Fahrerinnen denen man bunte und wunderlich wirkende Kreationen aufgezwungen hat. Es sind ehemalige Pappteller, ein wenig zusammengefaltet, mit farbigen Figuren und Blumen beklebt. Ein Tüddelband unterm Kinn der Unglücklichen verhindert, dass sie sich der Dinger allzu leicht entledigen.

Wirklich bizarr.

„Bescheuert!“ Meint meine Ma dazu.

Der Alleinunterhalter kommt endlich zweistimmig zum Ende. Die folgende wundervolle Stille wird nur noch vom stetigen Gefasel der Alten gestört. Dann wieder Musike. Dieselben Schnulzen,

diesmal im Original und vom Band. Ich frage mich mit welchem furchtbaren Verbrechen ich mir das jetzt verdient habe. Der Muddi gefällt es. Sie schunkelt leise vor sich hin. Ich rauche und beobachte den Minutenzeiger meiner Uhr. Zeitlupengleich bewegt er sich. Immerhin, es geht voran.

Dann endlich gibt es Essen. Gegrilltes und diverse Salate. Alles wackelt an die Tröge. Auch die Muddi hat Hunger. Ich stelle mich mal wieder an. Jemand langt mir von hinten an den Hintern. Ich zucke zusammen, drehe mich um, eine alte Matrone mit mehr Runzeln als der Tag Minuten hat grient mich vergnügt an. Sicherlich ist sie schon bös verkalkt.

Ich drohe ihr scherzhaft mit dem Finger.

Ich schnappe mir unser Futter. Schlängle mich durch das Gewirr renovierungsbedürftiger Gestalten.

Wir schaufeln unser Essen runter. Die Bratwurst ist wirklich gut, der Kartoffelsalat eher Durchschnitt. Eben Sättigungsbeilage.

Dann ist die Muddi satt, und offensichtlich zufrieden. Sie hat jetzt genug, will sich ausruhen, ein kurzes Nickerchen einlegen. Ich räume unser Zeug in den Müll und begleite sie nach oben in ihr Zimmer. Sie grunzt erleichtert als sie alles so vorfindet wie sie es verlassen hat. Von unten ertönt

das letzte Zucken der Party. Der schönste Hut wird ausgezeichnet. Wir verpassen diesen Höhepunkt des uferlosen Vergnügens.

Muddi sitzt in ihrem Sessel und ihr fallen langsam die Augen zu. Ein wirklich günstiger Moment um auf Wiedersehen zu sagen.

„Ich geh dann mal. Tschüss, nä!“

„ja ja, “ nuschelt sie, „bis demnächst. Pass auf dich auf.“

„Aber klar.“

Und damit bin ich für heute erlöst. Ich hab ´s überstanden. Hurtig mache ich

mich davon. Und ab in den nächsten Supermarkt zum Bier kaufen.

Beladen mit einigen halben Litern

Hopfentrunk entere ich meine Bude. Kühlschrank auf, Bier rein, Kühlschrank zu. Warten. Ich knipse meinen Hi F-i an, suche etwas wirklich Kraftvolles aus meiner Sammlung raus. Da: Gang of Four. Das ist gut. Das brauch ich jetzt nach all dem dürftigen Gejodel. Das Bier ist so weit. Frisch und kühl und einfach herrlich. Ich setz mich hin, Kopfhörer auf den Ohren, die Flasche an den Lippen. Und schon fange ich an zu vergessen, gut. Das hab ich mir verdient.








Text: harryaltona

Cover: Rainer Sturm/www.pixelio.de



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tooshytowrite Gar nicht so übel, so ein Sommerfest mit Hütchen. Ich freu mich schon. Und ausserdem hab ich Stoppok kennengelernt.
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Nicht wahr....? Und Stoppok kennen lernen ist auch nicht schlecht.
Tausend Dank!!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
Tja, mein Lieber, Blut ist eben doch dicker als Wasser. ...grinst*
Fein geschriebene Geschichte... :-)
LG Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Tausend Dank, Louis, für all die feinen Gaben.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Selbst auf die Gefahr hin, auch ´mal so ein schickes Hütchen tragen zu müssen, habe ich mich köstlich amüsiert. Bissig, bissig, lieber Harry.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Tausend Dank, Kara.
Ja, diese "Hüte" waren echt der Renner. Leider hatte ich weder Kamera noch Ei - Fon dabei. Die Bilder hätten dem Ganzen den Rest gegeben.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
abis58 das erwartet uns also irgendwann einmal ;)
Eine schöne Geschichte und was tut man nicht alles für Muddi.

Liebe Grüße Abis
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HarryAltona Ja genau... Für Muddi erträgt man so einiges. Auch langweilige Nachmittage.
Tausend Dank für alles, Abis.
lg... harryaltona
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DoktorSeltsam Dude, du hast mir das Leben gerettet. Ich habe gerade einen Text von Fynx gelesen, in dem sie von ihrem Leben als Fan eines Serienmörders schreibt. Daraufhin habe ich an allem gezweifelt, was ich je in meinem Leben über die menschliche Gattung gelernt habe. Aber das hier, das ist, ja, die Rettung für einen alten, kahlköpfigen, alkoholseligen Freak wie mich!

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Kahlköpfig??? Alkoholselig??? Freak??? Vielleicht sind wir kurz nach der Geburt mutwillig getrennte Zwillinge???? Zumindest vom Erscheinungsbild. (Aber nee, nich wirklich, Brüderchen. Und nix für ungut.) Aber ein Leben gerettet??? Das ist gut, das macht Spaß, das lässt mich weitermachen! (ich hab da mal kurz reingelesen bei dieser Zynx und ihren Serienmördern. Das is oberfächlicher Quark mit nem Schuß Hausfrauenpsychologie, zusammengestoppelt mit dem Wunsch nach Provokation einer Pupertierenden.) Hab Dank für all deine Gaben und halt dich senkrecht.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
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