IMMER GERADEAUS
Nachdem er sich in den feinen weichen Ledersitz im Fonds hatte fallen lassen, schmiss ich den Wagenschlag hinter ihm zu. Mit der gebührenden Eile wanderte ich um den schwarzen Schlitten herum, faltete mich auf den Fahrersitz, startete den Motor, und war bereit die Segel zu setzen.
„Sie haben meinen nächsten Termin im Kopf, Herr Konrad?“
„Gewiss, Herr Doktor. Einweihung eines neuen Kindergartens. 14 Uhr 30. Wir
liegen gut in der Zeit.“
„Sehr schön.“
Er wirkte zufrieden. Was nicht sehr oft zu beobachten ist. Denn meist stolzierte er mit einem eher verschlossenen Gesichtsausdruck durch die Landschaft.
Ich setzte den Blinker, wartete auf eine Lücke im Verkehr, und fädelte mich elegant wie immer ein.
Hinter mir wuselte der Doktor in seinen Papieren und machte dabei komische Geräusche mit seinen wulstigen Lippen. Ein widerlicher Tick. Genauso widerlich wie der komplette Doktor. Der selbstverständlich kein echter Doktor ist. Den Titel hat er sich vor einigen Jahren bei einem obskuren Händler
besorgt. So ganz im Geheimen glaube ich, dass der Mann noch nicht mal das Abitur geschafft hat. Und wenn es so ist, dann hat er eine erstaunliche Karriere gemacht.
Er ist der Chef eines mittelständischen Unternehmens; er sitzt im Vorstand der hiesigen Sparkasse, hat einen Sitz im Landtag und hockt in verschiedenen Aufsichtsräten. Zuallerletzt besetzt er den Chefposten seiner christlichen Partei in unserer Region.
Ein echter Parasit.
Er sprach mich an:
„Sie werden es nicht glauben, Herr Konrad, aber wenn es nach diesen Sozialromantikern im Bürgerforum geht,
dann werden Frauen bald genau so viel verdienen als Männer. Wirklich abenteuerlich, was sich diese Träumer alles ausdenken. Sicherlich nur Wahlkampftaktik von diesen Menschenfreunden. Aber man weiß ja nie, nicht wahr?“
„Genau. Man weiß nie was kommt.“ Antwortete ich.
Er grunzte. Wirkte leidlich zufrieden mit meiner Antwort. Er rumorte weiter vor sich hin.
Ich guckte ihn mir wieder mal an. Linste ungeniert in den Rückspiegel. Er ist schon ziemlich alt, der Herr Doktor, so locker über sechzig, mit Schmerbauch, kurzen kräftigen Beinen
und einem flachen Hintern. Volles, rundes Gesicht, das in einem ungesunden Rotton daherkommt. Buschige Brauen, wässrige blaue Augen. Und auf seinem Schädel hockt eine Frisur die 1956 sicherlich einmal todschick gewesen war. Alles in allem wirkt er wie ein harmloser Frührentner, ein Schrebergärtner, mit etwas zu hohem Blutdruck.
Doch dieser Eindruck täuscht.
Er ist ein gewiefter Abzocker. Ein effizienter Profiteur menschlicher Schwächen, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt. Er ist ein eifriger Schacherer, ein Strippenzieher Parteiinterner Seilschaften. Und sein
grauer Anzug hat mehr gekostet als mein Monatsgehalt.
Ich parke vor dem neu errichteten Kindergarten. Alles was er braucht ist schon versammelt. Die Presse, ein magerer Bürgermeister, Elternvertreter, sogar ein paar Kinder.
Alle brauchbare Nebendarsteller.
Ich öffne ihm die Wagentür. Ich kann ihm ansehen, dass ihm dieser Termin keinen wirklichen Spaß macht. Eine Pflichtaufgabe. Nur gut für ein wenig positive Berichterstattung.
Er legt sich ins Zeug. Ich halte mich sorgfältig im Hintergrund. Ich höre zu wie er Phrasen drischt, Hände schüttelt, mit seinem falschen Lächeln um sich
wirft. Dann durchtrennt er mit jovialem Schwung das obligatorische rote Band. Die Nummer ist gut gelaufen.
Bis jetzt.
Als zusätzliche symbolische Geste für alle angehenden Umweltschützer und Forstarbeiter soll noch ein Bäumchen gepflanzt werden. Alles ist schon vorbereitet. Das Loch bereits ausgehoben, ein blankpolierter Spaten wartet neben dem dünn belaubten Objekt der Vorführung. Der Doktor entledigt sich sogar seins Jacketts. Macht auf
den Fotos sicher einen guten Eindruck. Er stellt sich in Pose, markiert den schwer arbeitenden Normalbürger.
Dann schwingt er den Spaten, sticht
beherzt in den aufgehäuften Dreck und durchtrennt beinahe den Fuß eines vorbeilaufenden Kindes. Geschrei kommt auf, Unruhe entsteht. Kurzzeitig besteht die Gefahr dass der Doktor die Fassung verliert und etwas wirklich Dummes und unentschuldbares anstellt.
Ich weiß ja dass er Kinder nicht ausstehen kann.
Doch er fängt sich erstaunlich schnell, macht einen auf besorgten und betroffenen Onkel. Sogar ein schwaches Lächeln entwischt ihm.
Dann noch das übliche Händeschütteln, ein paar Witze mit den Presseleuten, und schon machen wir uns wieder auf den Weg.
Und auf ein Neues frage ich mich warum ich diesen Zirkus überhaupt
mitmache? Diesen undankbaren und schlecht bezahlten Job als Chauffeur und Leibwache eines echten Widerlings; eines schrecklich widerwärtigen Menschen.
Und zum wiederholten Mal kommt mir dieselbe Antwort in den Sinn:
Fragen Sie mal einen echten Spieler warum er nicht damit aufhört?
Es ist nicht die Lust am Gewinnen, sondern die Angst vor dem totalen Ruin, wird er sagen. Das ist es was ihn antreibt; was ihn am Leben hält.
So ähnlich geht es mir mit dem Doktor. Ich sehe ihm dabei zu, wie er langsam
verwelkt. Sein gesamtes Leben und alles was er sich ergaunert hat. Sein komplettes Dasein wird unweigerlich vergehen. Nichts und Niemand wird ihn davor bewahren, keine Rettung in Sicht. Und schon recht bald, denn er ist ja nicht mehr der Jüngste. Jeder Tag den er verliert, ist mein Gewinn.
Und Ihm bei seinem endgültigen Abstieg in die Hölle zu zusehen, ist
meine wahre Lust und wird meine Erlösung sein.
„Wohin als nächstes, Herr Konrad?“
„Immer geradeaus, Herr Doktor!“
Und ich gebe Gas.
Text: harryaltona