Kurzgeschichte
Tante Appelboom und die toten Seelen

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"Tante Appelboom und die toten Seelen"
Veröffentlicht am 19. Juli 2015, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Tante Appelboom und die toten Seelen

Tante Appelboom und die toten Seelen

Tante Appelboom und die toten Seelen



 

Sie war nicht mehr ganz jung, eher schon ziemlich alt. Bestimmt locker über fünfzig. Doch wenn sie sich Stundenlang nett zurechtgemacht hatte sah man ihr das Alter kaum an.

Zudem herrschte in ihrem Lokal stets ein leises schummriges Licht. Und dort hinter ihrem Tresen thronte sie zumeist auf einem alten fleckigen Kissen das ihren alten Hintern vor der Härte eines knarzenden Hockers schützte, den sie nur ungern verließ, um widerwillig einem Gast seine Bestellung zu bringen,

oder um verdrießlich schnaubend den Radiosender zu wechseln. Sie mochte Tanzmusik aus den fünfziger Jahren. Ausschließlich die Musik. Den Rest dieses Jahrzehnts verabscheute sie mit ausgiebigem Hass.

„Diese Menschen damals - das waren furchtbar eklige Heuchler!“ Sagte sie immer, wenn man sie danach fragte.

Und es hätte sie wohl kaum verwundert, dass sich die Menschen seitdem nur unwesentlich verändert hatten.

So war sie. Die Tante Appelboom.

Und wir?

Wir waren auch nicht mehr die Jüngsten. Und das sah man uns auch an. Da half auch kein stundenlanges

zurechtmachen mehr. Doch das störte niemanden. Denn hierher kam man um sich ordentlich zu betrinken. Und war man dann ordentlich betrunken, dann sah schließlich jeder gut aus.

Wir, die Stammgäste, waren stille und ernsthafte Trinker. Keine Faxereien. Abwechselnd Bier und Schnaps, ohne viele Worte zu verlieren, daraus bestanden unsere Abende. Zwischen der Tanzmusik, den vertrauten Körpern, den bekannten immer gleichen Träumen und der Angst vor dem nächsten Morgen tranken wir uns langsam um den Verstand. Denn was sollte man sonst tun?

Denn wenn man sein Leben in öden und

schlecht bezahlten Jobs verschenkte, mit öden und schauderhaften Frauen zusammen lebte, und wenn die Zukunft keine Besserung verspricht, dann trinkt man eben. Man trinkt um zu vergessen, um irgendwann einen letzten Funken Leben in seinem Kopf zu spüren.

Andere Menschen zerstreuten sich in allerlei Aktivitäten. Sie latschten in überfüllte Kinos, in Theater, in die Oper, um sich in bürgerlicher Manier unterhalten zu lassen. Sie machten Konversation und langweilten sich gegenseitig auf Stehempfängen. Und das waren auch die Menschen die ihr Vertrauen an die Versicherungen verpfändet hatten; das waren Menschen

die an Gebete glaubten, auf die eine glänzende Zukunft wartete. In der sie machtvolle Imperien kontrollierten.

In unseren Leben wurden wir kontrolliert, überwacht und sortiert. Und die meiste Zeit fühlte man sich wie ein Fremder, der mit wertlosen Coupons in den Händen in einem verlassenen Einkaufszentrum umherirrt.

Sich langsam um den Verstand zu trinken hieß das kleinere Übel zu wählen.

„Mach ma noch n Bier klar, Tante Appelboom!“

„Kommt gleich mein Jung.“

Und eine neue feucht glänzende frische Flasche versprach für die nächsten

Minuten ein wenig Entspannung, und die vage Illusion von einem Würdevollen Leben.

Und so saßen wir still trinkend zusammen, mit unseren Körpern, den immer gleichen Träumen und einer nie endenden Angst vor dem Morgen. Und hin und wieder schenkte Tante Appelboom unseren toten Seelen sogar ein kleines Lächeln.





Text: harryaltona

Cover: Bernd Sterzl/www.pixelio.de







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HarryAltona
Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.

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Gast Null Hoffnung auf Änderung und Null Bock für Änderungen zu sorgen. Man weiß oder ahnt um die Sinnlosigkeit allen Tuns.
Dir alles Gute
Sweder
Vor langer Zeit - Antworten
DoktorSeltsam Ein wunderbarer Text voller wunderbarer Sätze. Am Besten gefällt mir: "Und so saßen wir still trinkend zusammen mit unseren Körpern, den immer gleichen Träumen und einer nie endenden Angst vor dem Morgen." Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unser gesamtes Leben lang zum Narren gehalten werden, damit wir bloß nicht aus der Reihe tanzen. Das Problem sind nämlich tatsächlich nicht die, die sich nicht an die Regeln halten, sondern explizit die, die es tun.

Beste Grüße
Dok
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Wie recht du doch hast.
Tausend Dank, Doc.
lg...harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Sie saufen sich schön....und sind am Ende, wenn sie nüchtern sind, doch wieder "häßlich". Welch Scheinwelten - Du hast sie gekonnt in Worte gefasst.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Tausend Dank für all die Gaben, Bärbel.
lg...harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 

Wirklich arme Seelen, diese toten Seelen... dat Pilsken is nichmal vom Fass!

Cassy Gogol
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Wirklich wahr. Und Fassbier ist doch der pure Luxus. Tausend Dank Cassy!!!. Und der Heine ist grandios in seiner lakonischen Lebensrezeptur.
Tausend Dank, lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Und dir noch ein Gedichtsken vom anderen Harry, Dem Heine.

Jammertal

Der Nachtwind durch die Luken pfeift,
Und auf dem Dachstublager
Zwei arme Seelen gebettet sind;
Sie schauen so blaß und mager.

Die eine arme Seele spricht:
Umschling mich mit deinen Armen,
An meinen Mund drück fest deinen Mund,
Ich will an dir erwarmen.

Die andere arme Seele spricht:
Wenn ich dein Auge sehe,
Verschwindet mein Elend, der Hunger, der Frost
Und all mein Erdenwehe.

Sie küßten sich viel, sie weinten noch mehr,
Sie drückten sich seufzend die Hände,
Sie lachten manchmal und sangen sogar,
Und sie verstummten am Ende.

Am Morgen kam der Kommissär,
Und mit ihm kam ein braver
Chirurgus, welcher konstatiert
Den Tod der beiden Kadaver.

Die strenge Wittrung, erklärte er,
Mit Magenleere vereinigt,
Hat beider Ableben verursacht, sie hat
Zum mindesten solches beschleunigt.

Wenn Fröste eintreten, setzt' er hinzu,
Sei höchst notwendig Verwahrung
Durch wollene Decken; er empfahl
Gleichfalls gesunde Nahrung.
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