Kurzgeschichte
Erinnerung

0
"Ich strahlte vor Freude, bis ich nach Hause kam und meinem Vater berichtete, was war"
Veröffentlicht am 15. Juli 2015, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Anna Omelchenko - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Ich strahlte vor Freude, bis ich nach Hause kam und meinem Vater berichtete, was war

Erinnerung

Titel

Und schon wieder schoss eine Erinnerung durch meine Hirnwindungen, die mir klar machte, warum ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will, mich aber fragen lässt, warum ich erst so spät von ihm Abstand halte. Wieso hing ich so lange an ihm? Es war kurz nach der Maueröffnung. Noch war alles, wie es sein sollte. Heißt, meine Freunde waren noch alle bei mir. Die Betonung liegt auf noch. Denn kurze Zeit später änderte sich sehr viel. Die einen zogen um in eine weit entfernte Stadt. Meine Schule wurde zu einem Gymnasium. Außerdem zogen wir

in ein anderes Stadtviertel. Dadurch wurde mein Schulweg ziemlich lang. Mit öffentlichen Verkehrsmittel wäre er sogar noch länger gewesen, denn es gab keine Direktverbindung von meinem neuen Wohnort bis zu meiner alten Schule, die ich noch ein ganzes Jahr lang besuchte. Aber zurück zu jenem Zeitpunkt, als meine Welt noch relativ in Ordnung war. - Also vor meinem Umzug und den Weggang einiger Freunde. Da stand eines spät abends jemand in meinem Viertel. Vielleicht waren es auch mehrere Personen. In der Zwischenzeit sind schon weit über zwanzig Jahre vergangen. Da kann man sich nicht mehr

an jedes Detail erinnern. Jedenfalls wurden kleine, metallisch glänzende Tütchen verteilt. Mit dem Wissen von heute, hätte ich wahrscheinlich keines genommen. Stattdessen hätte ich mich gefragt, ob die Tütchen nicht mit irgendwelchen Drogen behandelt wurden. Aber damals war das kein Thema gewesen. Dies kam erst viel später auf. Wenn ich damals meine Klappe gehalten hätte, dann wäre ich einmal weniger angemeckert worden. Aber ich war aufgeregt gewesen und hatte nicht nachgedacht. Und obwohl ich an meine ältere Schwester gedacht hatte und meine Hand ein weiteres mal ausstreckte,

in der Hoffnung, das ich noch ein Tütchen für sie ergattern kann, bekam ich Anschiss von meinem Erzeuger, weil ich ihm kein Tütchen mitgebracht hatte. Ausgerechnet für ihn, der vergessen hatte, wie ein Kind denkt und was ein Kind will. Was wollte er mit kleinen, metallischen Aufklebern, die in der Sonne funkelten und auf denen eine Art Hologramme abgebildet waren? Wie wohl meine Mutter an seiner Stelle reagiert hätte? Wäre sie genauso gewesen? Glaub nicht. Die Freude war dahin. Schon früh lernte ich, das es ganz egal ist, was ich mache; alles ist falsch. Ich hatte an meine Schwester gedacht, aber nicht an den

alten Sack. Das eigentlich jedes Kind nur ein Tütchen zustand, war im Prinzip egal. Wenn er einsehen würde, das er als Vater versagt hat, könnte ich ihm vielleicht all sein sinnloses Gemecker verzeihen. Was ihm so alles gestört hatte...Ein Einsehen hat er ja nicht. Stellt sich hin, als wäre er ein guter Vater gewesen. Aber was hatte er getan, außer meckern, zuhauen, immer wieder neue Stiefmutter vorstellen, saufen, rauchen...Er war doch froh, wen wir bei seiner Mutter waren. Wenn er am Wochenende seine Ruhe vor uns hatte und in den Ferien. Als meine alten Freunde noch alle da

waren, da blieb ich den ganzen Tag draußen. Wir spielten gemeinsam. Hielten fest zusammen. Sie durften zu ihrem Geburtstag Freunde einladen. Mir musste meine Oma reichen. Und was hatte ich davon? Ich durfte zusehen, wie sie sich vollsülzten und sich die Kante gaben. Das war mein Kindergeburtstag. Traurig, aber wahr. Meine Freunde hatten es da besser gehabt. Topfschlagen, Blinde Kuh,...Alles war dabei gewesen. Ich war dabei gewesen. Denn sie durften Freunde einladen. Nicht nur zum Geburtstag. Auch so durfte ich zu ihnen und mit ihnen essen. An einem Tisch, wie es intakte Familien so tun. Als würde ich dazu

gehören. Ihre Namen habe ich alle noch im Kopf. Wir waren unzertrennliche Freunde gewesen. Hielten stets zusammen. Ließen keinen im Stich. Nie wieder fand ich solche Freunde, so einen Zusammenhalt.

0

Hörbuch

Über den Autor

Superlehrling

Leser-Statistik
5

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Zeige mehr Kommentare
10
0
0
Senden

131829
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung