Kapitel 42 Angriff
Roderick lauschte ins Halbdunkel, während er seinen zwei Begleitern bedeutete, stehen zu bleiben. Es hatte sie Zeit gekostet, die Gejarn wiederzufinden. In den dichten Wäldern der Herzlande, wirkte alles gleich und die tiefen Schatten unter dem Blätterdach machten die Sache nicht einfacher. Nur einige Lichttupfer erreichten jemals den Waldboden und zeichneten ein, sich mit dem Wind
wandelndes, Muster.
Nachdem er jedoch sicher war, sich wieder auf den richtigen Weg zu befinden, hatte er den Großteil seiner übrigen Leute zurückgelassen. Mit dem Gold, das der oberste Ordenszauberer ihm zur Verfügung gestellt hatte, hatte er zusätzlich zu einer Handvoll Magier noch einige Söldner angeheuert. Sobald sich so viele bewaffnete Männer näherten, würden die Wölfe zwangsweise aufmerksam werden. Und das wollte er vermeiden. Zwar waren sie besser ausgerüstet, aber sie waren weniger. Und wenn sie das Überraschungsmoment verloren, wusste er nicht, wer den Sieg davontragen würde. Er hatte kein
Vertrauen in die Macht der Hexer. Roderick wusste selber zu gut, wie schnell man diese Kräfte überwinden konnte.
Er überzeugte sich kurz davon, dass seine beiden Gefährten tatsächlich blieben, wo sie waren, bevor er vorsichtig weiterging. Das war noch zu einfach, dachte Roderick, die Augen zu Boden gerichtet und alle Sinne angespannt. Seine Ohren waren nicht so gut, wie die eines Gejarn, aber sie reichten aus. Ihm würde nicht entgehen, wenn sich jemand näherte. Aber alles blieb ruhig. Trotzdem wurde er das Gefühl, beobachtet zu werden nicht los. Und dann sah er etwas im Sonnenlicht
aufblitzen. Ein hauchdünner Draht verlief keinen Fingerbreit von seiner Stiefelspitze entfernt. Hätte sich nicht zufällig ein Lichtstrahl genau zu diesem Punkt verirrt, er wäre glatt hineingelaufen. Langsam hob er den Blick und folgte dem Verlauf des Stolperdrahts. In einem der Bäume, keine zwanzig Schritte entfernt hing etwas, das er auf den ersten Blick als eine Glocke erkannte. Ein falscher Schritt und er hätte sie verraten. Es hatte sich also doch als richtig erwiesen, seine beiden Begleiter zurückzulassen. Einer davon wäre garantiert in die Falle getappt.
Roderick richtete sich auf und gab
den Männern ein Zeichen, zu ihm zu kommen.
„Aber seit vorsichtig und achtet, wohin Ihr tretet.“, erklärte er, während er ein Messer aus seinem Gürtel zog und den Faden durchschnitt. Es wäre ganz sicher nicht das Einzige Hindernis auf ihrem Weg, dachte er, bevor etwas mit einem säuselnden Laut an ihm vorbei zischte, kurz darauf gefolgt von einem zweiten. Zwei dumpfe Schläge folgten, als sich die Pfeile in die Kehlen der zwei Söldner bohrten. Der dritte Pfeil jedoch, fand sein Ziel nie. Roderick warf sich beiseite, grade noch rechtzeitig, den er spürte, wie der Federkiel seinen Hals streifte. Der Assassine stand vorsichtig
wieder auf, das Messer umklammert. Im gleichen Augenblick fiel ein Schatten aus den Zweigen der Bäume und landete wenige Armlängen von ihm entfernt. Es war ein Wolf, hochgewachsen und schlank. Das, bis auf einen Silberstreif auf der Stirn, komplett schwarze Fell verbarg ihn fast vollständig im Halbdunkeln, solange er sich nicht bewegte. Da einzige, das ihn verriet, war das schwache gelbliche Glühen seiner Augen, die sich genau auf Roderick richteten.
Locker auf einen Bogen gestützt, mit dem er zuvor die anderen beiden Männer ausgeschaltet hatte, schien er nicht im Geringsten beunruhigt über den Fremden
in ihrem Gebiet.
„Mein Name ist Fadrin. Und ich weiß nicht, wer Ihr seid.“, begann er, „ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Aber wenn Ihr nicht sofort verschwindet, verfehlt mein nächster Pfeil sein Ziel nicht mehr.“ Mit diesen Worten hob der Wolf den Bogen und schneller, als selbst Roderick das für möglich gehalten hätte, wanderte ein weiterer Pfeil auf die Sehne. „Wir verstehen uns?“
Der Gejarn machte einen Schritt vorwärts, auf Rodericks Kehle zielend. Ein Lichtstrahl, der durch die Blätter fiel enthüllte grün-braune Waldkleidung und einen halb leeren Köcher über der Schulter der Gestalt.
„Ich wollte Euch grade dasselbe raten.“, antwortete Roderick und seine Hand wanderte zum Schwertgriff.
Sein Gegenüber zog amüsiert eine Augenbraue hoch.
„So? Nun, ich habe Euch gewarnt.“
Mit diesen Worten riss Fadrin den Bogen erneut hoch und lies die Sehne los. Im gleichen Augenblick zog Roderick das Schwert. Die Waffe, die er Tiege genommen hatte, lag um ein vielfaches besser in der Hand, als der fast wertlose Stahl Cantons. Er hatte nur eine Gelegenheit, dachte er. War er zu langsam oder die Klinge im falschen Winkel, wäre er tot. Es war eine Sache, einem Pfeil auszuweichen. Eine gänzlich
andere war es, ihn ohne Schild abzuwehren. Roderick wusste, der Wolf zielte wie bei den anderen auf seine Kehle…. Im nächsten Moment ging ein Ruck durch seinen Körper, als das Projektil mit einem hellen Klang vom Klingenblatt abprallte und harmlos davon segelte.
Fadrin sah dem Pfeil nur fassungslos nach, die Selbstsicherheit, die er grade noch gezeigt hatte, zunichte. Wo ein anderer jedoch schlicht stehen geblieben wäre, bewies der Wolf jedoch bereits die Instinkte eines Kriegers. Rasch hatte er einen zweiten Pfeil auf die Sehne gespannt und legte an. Roderick wusste nicht, ob er sein Kunststück wiederholen
könnte und so blieb ihm nur eins, er preschte vor, die Klinge zum Schlag erhoben und überbrückte die Entfernung zwischen ihnen. Statt seinem Gegner jedoch mit seinem Angriff zuvorzukommen, traf die Klinge auf Holz, als Fadrin seinen Bogen zwischen sich und das Schwert brachte. Das schwächere Material gab zwar ein beunruhigendes Knirschen von sich, hielt jedoch stand. Bevor Roderick sich etwas anderes überlegen konnte, versetzte der Gejarn dem Bogen auch bereits einen Stoß, sodass die Waffen sich lösten und schlug dann nach den Beinen seines Kontrahenten. Roderick sprang darüber hinweg und landete, schwer atmend,
einige Schritte von Fadrin entfernt wieder auf den Füßen. Hier im Schatten und auf seinem Gebiet hatte der Wolf einen klaren Vorteil, dachte er. Zumindest, wenn er weiterhin fair spielte…. Seine Augen wanderten in Richtung seines Messers, das vergessen auf dem Waldboden lag.
„Du weißt nicht, mit wem Du dich anlegst, Junge.“, warnte er sein Gegenüber, während er vorsichtig einen Schritt in Richtung der Waffe machte.
„Ich glaube, das weiß ich sogar ziemlich genau.“
Fadrin folgte der Bewegung seines Gegners mit den Augen. Der Wolf hatte angebissen, dachte Roderick erleichtert.
Er kam hier doch noch irgendwie raus. Mit diesem Gedanken machte er einen weiten Ausfallschritt zur Waffe. Es musste einfach so aussehen, als wollte er sich das Messer holen. Im gleichen Augenblick stürzte sich Fadrin auch schon auf die Waffe, mit viel zu viel Schwung, als das er noch verhindern könnte, in die Falle zu tappen. Statt es dem Gejarn gleich zu tun, setzte Roderick an ihm vorbei und führte das Schwert dabei in einer Aufwärtsbewegung. Das Geräusch als Stahl und Fleisch aufeinandertrafen, ging im erstickten Schrei seines Gegners über, als die Brust des Wolfs aufgeschlitzt wurde. Der tödlich
verwundete Fadrin stolperte noch ein paar Schritte weiter, bevor er auf die Knie sank.
Einer weniger, der zwischen ihm und seinem eigentlichen Ziel stand, dachte Roderick. Sobald er Simon erst einmal aufgespürt und erledigt hatte, könnte er für den Rest seiner Tage sorgenfrei leben. Was nicht unbedingt hieß, dass er die Jagd aufgeben würde. Ein düsteres Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Jetzt musste er nur noch den restlichen Weg sichern….
Das Lächeln gefror auf seinem Gesicht, als er hinter sich eine Bewegung spürte. Das gab es doch nicht….
Fadrin kam zitternd wieder auf die Füße, den Bogen in der Hand. Unendlich langsam, beinahe so, das Roderick zu ihm laufen und ihm das Projektil wegnehmen hätte können, legte er einen letzten Pfeil auf die Sehne.
„Habt Ihr noch nicht genug?“ , fragte Roderick. Nun war es an ihm, selbstsicher zu sein. Auch wenn er keine Ahnung hatte, wie der Mann sich überhaupt noch auf den Beinen hielt, er konnte kaum zielen und war so gut wie tot. Diesmal würde er keine Probleme haben, dem Angriff einfach auszuweichen.
Der Wolf antwortete nicht, sondern spannte den Bogen. Zu spät erkannte
Roderick, dass er nicht auf ihn zielte.
„Nein !“ Er schlug im selben Moment zu, in dem der Pfeil von der Sehne schnellte, weit an ihm vorbei, zu einem kleinen, kaum sichtbaren Stück Metall in den Bäumen. Der Klang, als die Glocke getroffen wurde, ging ihm durch Mark und Bein. Im selben Augenblick bohrte sich das Schwert zum zweiten Mal in den Körper des Wolfs, der daraufhin endgültig in sich zusammenbrach. Die Glocke wiederum verhallte nur langsam, ihr Läuten breitete sich unaufhaltsam durch den Wald aus….
Roderick zog die Klinge aus dem Leichnam und rannte los, zurück zu seinen restlichen Leuten. Wenn er noch
eine Chance haben wollte, mussten sie jetzt sofort zuschlagen. Noch im Laufen löste er eine Phiole von seinem Gürtel und entkorkte sie. Ein neues Gift. Diesmal musste er Simon nur töten….
Ordt hörte die Warnglocke grade, als Tiege die Augen aufschlug. Es war ein mittlerweile ziemlich vertrautes Ritual und in den vergangenen Wochen, blieb der Paladin immer länger wach, ohne, dass Maen ihm mehr von ihren Kräutern hätte geben müssen. Trotzdem bestand er meist darauf, dabei zu sein, und war es nur, damit der Mann nicht ganz alleine war. Es war schwer, Tiege zu erklären, was vor sich ging, wenn er ohnehin
schnell wieder das Bewusstsein verlor, doch mittlerweile war ihm wohl klar, wo er sich befand und wer Maen war.
„Was ist das?“, fragte der Fuchs irritiert, während er fast schon automatisch nach der Wasserschale griff, die die Wölfin ihm reichte.
„Nichts Gutes.“, antwortete die Gejarn und stand von der Seite der Liege auf, auf der Tiege ruhte. Mit wenigen Schritten war sie am Fenster und spähte nach draußen, kehrte jedoch kopfschüttelnd zurück. “Keine Sorge, hier solltet Ihr eigentlich sicher sein. Wir liegen abseits der Siedlung. Wenn es jemand auf uns angesehen hat, wird er es zuerst dort versuchen, nicht hier. Sobald
Ihr schlaft, gehen ich und Ordt nachsehen.“
Mit diesen Worten kehrten sie an die Seite des Wolfs zurück, der Tiege derweil am, aufstehen hindern musste. Der Fuchs jedoch schüttelte ihn ab.
„Auf Euch abgesehen?“, wollte er wissen und erhob sich schwankend. Nach fast einem Monat, den Tiege größtenteils bewusstlos verbracht hatte, trugen seine Beine ihn nur unwillig. Und offenbar verlor Maens Medizin bereits ihre Wirkung.
„Ihr könnt sowieso nichts tun.“, versuchte Ordt seinen Freund zu beruhigen. „Vielleicht ist es auch nichts und nur ein Tier, das sich in den Seilen
verheddert hat.“
„Ja, sicher.“, gab die Wölfin zurück.
Tiege jedoch schüttelte den Kopf.
„Das glaubt Ihr selber nicht.“ Mit einem Seufzer sank er auf die Liege zurück, kämpfte jedoch nach wie vor gegen die Ohnmacht an.
„Ich weiß nur, Ihr habt mir geholfen Maen… und ich denke, ich kann es Euch zurückzahlen. Gebt mir irgendwas, damit ich länger wach bleibe. Ich kann Euch helfen.“
„Ihr helft Niemanden, wenn Ihr euch umbringt. Und das ist, was geschehen wird, wenn ich tue was Ihr verlangt.“, gab die Wölfin zurück.
„Und wenn…“, setzte Ordt an.
„Er wird ohnehin gleich wieder schlafen.“, gab Maen zurück. „Keine Sorge, ich bin sicher, es ist wirklich ni….“
Weiter kam sie jedoch nicht mehr, als sich draußen Stimmen und Schritte erhoben, kurz darauf gefolgt vom entfernten Klirren von Stahl, der auf Stahl traf.
Tiege ergriff derweil ihr Handgelenk.
„Bitte…“
Eine Weile sagte niemand etwas, während die Wölfin lange nachzudenken schien. Ordt wusste nur zu gut, was in ihr vorging. Und er wusste auch zu gut, was auf dem Spiel stand. Er wusste nicht, ob er diese Entscheidung an ihrer
statt treffen könnte….
„Das meiste Gift sollte Euer Körper schon alleine beseitigt haben.“, erklärte sie schließlich. „Ich brauche Euch also keine Dosis geben, die Euch unter Garantie umbringen würde. Euch ist aber klar, das Euch das nach wie vor töten könnte?“
„Das Risiko gehe ich ein.“
„Ich… schön, es ist Eure Entscheidung.“, mit diesen Worten stand Maen auf und verschwand mit eiligen Schritten in ihrer kleinen Vorratskammer. Ordt blieb derweil bei Tiege und half ihm, erneut aufzustehen. Wenige Augenblicke später kehrte die Wölfin bereits zurück, eine Handvoll
Blätter mit sich tragend.
„Nur damit das klar ist.“, meinte sie. „Ich halte das immer noch nicht für eine gute Idee.“